|
Fastenpredigten
in St. Michael 2011
Gott ...
... Mensch
1) Predigt in St. Michael
(13.03.2011, 19 Uhr) -
"
niemand kommt zum Vater außer durch mich
"
Das Gespräch über den Weg zum Vater
(Joh 14, 1-10) (Andreas Holzem)
Begrüßung
Ich begrüße Sie
herzlich an diesem stillen Abend zur Fastenpredigt. Zeit für eine
Stunde ruhigen gemeinsamen Nachdenkens am Beginn der Bußzeit. Wir
wollen beginnen im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes.
Einleitung
Fastenzeit ist die Zeit der
Umkehr. Fastenzeit ist Risikozeit. Davon will die Reihe der Fastenpredigten
in St. Michael in diesem Jahr sprechen.
Buße, Umkehr und Risiko sind nicht mehr allein eine Sache des armen
Sünders. Sie sind, wenn wir Kardinal Lehmann folgen wollen, auch
Sache einer sündig gewordenen Kirche. In dieser Zeit der Vertrauenskrise
hat das Pastoralteam sich entschlossen, gemeinsam mit unserem Bischof
neu nach den Wurzeln einer missionarischen Kirche zu fragen. Es geht um
nichts weniger als die Grundlagen unserer Sendung. Und es geht darum,
dass wir alle wieder eine hörende, eine vertrauende, eine suchende,
eine menschliche, und in alledem eine riskierte Kirche werden.
Wir suchen neu unseren Halt. Nicht mehr in den Institutionen, nur noch
in Gott selbst wollen wir unser Vertrauen festmachen. In einem Gott, der
für uns seine eigene Menschwerdung riskiert. Daraus kann eine neue
Haltung und ein neues Verhalten wachsen. Wie Gott uns Menschen sucht und
aufsucht, so dann auch wir: in Liebe, Freiheit, Gelassenheit: Gott sucht
den Menschen - Gott lässt den Menschen. Und dann hoffentlich: dann
riskiert der Mensch von neuem seinen Gott. So ist unser Bogen gedacht
für die kommenden Wochen.
Heute also der Halt, und in den nächsten Wochen Haltung und Verhalten.
Halten wir uns daran, dass wir allem voran Beschenkte sind. Gott hat seine
Geschichte mit uns immer schon begonnen. Gott hat schon immer die Menschen
riskiert, wie sie waren. Und dann hat Gott das Ärgste riskiert: sein
eigenes Menschsein.
Predigt
"Prinzipiell trostlos":
Der Mensch als Frage und Wunde
Warum suchen wir überhaupt nach Gott? Warum wollen wir überhaupt
den Vater erkennen? Die Botschaft von Gott ist nur dann eine "gute
Nachricht", wenn sie uns eine Antwort gibt auf die letzten Fragen,
die uns das Leben stellt, die Fragen, in denen wir "prinzipiell trostlos"
(J. Habermas) sind, auf die wir von Grund auf keine eigene Antwort aus
uns selbst haben.
Die hellen Rätsel unseres Daseins: Warum ist die Welt wie sie ist,
mit ihrer Schönheit, ihrer Fremdheit? Warum bin ich? Und warum so,
wie ich bin? Und dann die dunklen Rätsel: die Abgründe, die
wir nicht füllen können, das eigene und das fremde Leid, die
Katastrophen, für die niemand verantwortlich gemacht werden kann
- wie jetzt in Japan.
Prinzipiell trostlos lässt uns auch unsere Unfähigkeit, dauerhaft
glücklich zu sein, nicht nur momentan zufrieden, die Brüchigkeit
und Flüchtigkeit unserer guten Zeiten, die Wünsche, die mit
jeder Erfüllung so rasch nachwachsen, die Rastlosigkeit unserer Jagden.
Welchen Sinn habe ich, unter Milliarden von Menschen? Meine so leicht
austauschbare und ersetzbare Arbeit? Mein Schuften Tag für Tag, aus
dem ein Lebenswerk nie werden wird? Mein Nummerndasein als Konsument,
als Wähler? Was macht mich unverwechselbar?
Welchen Sinn hat es, wenn das Gute scheitert? Warum unterliegen die mit
den besten Absichten, scheitern die, die es vertrauensvoll aufnehmen mit
der Übermacht von Egoismus, Machtgier und Korruption? Warum zerfasern
gute Anfänge, stirbt der Elan? Und was ist mit meiner eigenen Schuld?
Die letzte prinzipielle Trostlosigkeit ist der Tod. Derer, denen wir in
Liebe verbunden sind. Mit denen wir vertrauensvoll etwas aufgebaut haben.
Und die uns einfach wegsterben. Und dann alle die namenlosen Toten, in
Lybien, in Japan - ach Gott, hinter der benachbarten Wohnungstür,
auf der Kinderkrebsstation, auf der Autobahn. Und irgendwann ich selbst.
Halt und Trost: Gott riskiert
das Menschsein
Gott ist uns eine Frage, weil
wir selber uns eine Frage sind, prinzipiell ohne Trost und Rat und Antwort,
die aus uns selbst kämen. Also gehen wir mit Jesus, durch Jesus,
auf die Gottsuche. Für heute abend: drei Schritte.
I. Ich bin der Weg, die Wahrheit
und das Leben: Das Menschsein Jesu
Was lässt Jesus uns denn
erkennen, wenn wir nur durch ihn zum Vater kommen? "So etwas haben
wir noch nie gesehen!
Eine neue Lehre mit Macht - nicht wie die
Schriftgelehrten!" (Mk 1,22.27; 2,12) Wenn Jesus Gott durchscheinen
lässt, dann steht der Mensch im Mittelpunkt. Nicht mehr eine numinose
Natur. Nicht mehr ein Götterpantheon, das sich selbst genügt
und Menschen wie Spielzeug behandelt. Das Göttliche nicht mehr auf
Kosten des Menschen, auch nicht um Menschen zu vertrösten und ruhigzustellen.
Zur Ehre Gottes trägt nur noch eines bei: die Menschwerdung des Menschen.
Jesus, so wie die Evangelien ihn zeigen, bringt keine neue Theorie, keine
Weltanschauung, nicht einmal eine Religion. Was auch die Humanisten und
die Marxisten und die Freaks und die Literaten fasziniert ist die Person.
Jesus ist zunächst einmal Menschwerdung des Menschen - und gerade
darin steht er in ganz einzigartiger Weise auf der Seite Gottes. Was am
Wirken Jesu macht eigentlich solchen Eindruck?
Jesus fordert nicht den Glauben an sich selbst, sondern die Umkehr zum
Reich Gottes. Diese Herrschaft Gottes ist kein Guerilla-Kampf gegen die
römischen Besatzer, sie ist kein virtuos asketisches Maximalprogramm
für Auserwählte, und sie ist kein sklavischer Gesetzesgehorsam.
Reich Gottes ist die ganz unerwartete und ganz unerhörte, vor allem
die ganz unwiderrufliche Nähe Gottes. Und sie gilt keinem auserwählten
Rest, sondern allen. Wo Jesus das Reich Gottes predigt, regiert nicht
der Bußschrecken, sondern die Freude. Alle Gleichnisse sprechen
ganz entkrampfend von dieser Erlösung: einen Schatz im Acker entdecken
(Mt 13,44), zu einem Festmahl eingeladen sein (Mt 22,1-10; Lk 14,15-24),
ausgestreuter Samen bringt hundertfältige Frucht (Mk 4,8), ein Senfkorn
wächst zu einer gewaltigen Pflanze (Mk 4,30-32).
Im Reich Gottes wird das Böse überwunden, wird Schuld bedingungslos
vergeben wie dem verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) und der Ehebrecherin (Joh
8,1-11), wird mit Sündern und Zöllnern gegessen. "Heute
ist diesem Haus das Heil geschenkt worden", sagt Jesus zu Zachäus
(Lk 19,9). Keine Bedingungen für die am Rande! "In der Herrschaft
Gottes sollen endlich die Armen, die Hungernden, Weinenden, Getretenen
zu ihrem Recht kommen. In der Herrschaft Gottes sollen Schmerz, Leid,
Tod ein Ende haben. Es werden volle Gerechtigkeit, unüberbietbare
Freiheit, ungebrochene Liebe, Versöhnung und Friede sein." (OHP
453)
Die Wunder unterstreichen den Anspruch Jesu, dass in seiner Gegenwart
das Wirken Gottes keine Lehre, sondern eine Wirklichkeit ist. Darum sind
sie Zeichen, keine Mirakel. Nicht alle werden heil, nicht alles Leid verschwindet,
nicht jede Katastrophe wird ausgebügelt. Aber es scheint wie ein
Blitzlicht auf, was gemeint ist mit der Hoffnung, dass Gott einst alle
Tränen trocknet. Bemerkenswert ist die Zuwendung zu den Geplagten
und um ihr Leben Gekommenen. Darin tut Jesus, was Herrschaft Gottes ist.
Und zwar genau an denen, die alle anderen schon abgeschrieben hatten.
Das ist die Einsicht des Johannes im "Wer mich sieht
":
Jesus ist zunächst einmal Menschwerdung des Menschen, auch für
die Humanisten und die Marxisten und die Freaks und die Literaten, die
mit Kirche nichts zu tun haben wollen, oder die zutiefst Enttäuschten,
die es nicht mehr aushalten, etwas mit ihr zu tun zu haben. Jesus ist
zunächst einmal Menschwerdung des Menschen - und doch steht er darin
in ganz einzigartiger Weise so auf der Seite Gottes, dass wir es gar nicht
übersehen können. Er gibt auf die Frage nach dem Menschlichen
eine Antwort, die offenbar selbst bei jenen so nicht zu finden ist, die
sich selbstlos als Kämpfer und Märtyrer einer Sache hingeben.
Jesus wahrzunehmen, den menschlichsten Menschen, macht einen Überhang
sichtbar, der vor die Glaubensfrage stellt: "Wer mich sieht, sieht
den Vater." - "Glaubt an Gott, und glaubt an mich." Die
Herrschaft Gottes kommt nicht als Sachinformation, sondern ist in diesem
Menschen da, klein, keimhaft, auf Vertrauen setzend, aber eben so freudig
wie anspruchsvoll. Gott hat es riskiert, so wird es die Kirche später
ausdrücken, in diesem Jesus selbst in der menschlichen Welt zu sein.
Das ist unser Halt, und nur deshalb haben wir irgendeinen Grund missionarisch
zu sein: "Ich bin dieser Weg, diese Wahrheit, dieses Leben."
Nicht "ich lehre" oder "ich bringe euch bei" oder
gar "ich verlange" - sondern: "ich bin"! Das ist unser
erster Halt, wenn zur Ehre Gottes der Mensch wirklich Mensch wird. Aber
dieser Halt ist noch sehr vorläufig, auch wenn viele Jesusjünger
und jüngerinnen heute sich genau damit begnügen.
II. Glaubst Du nicht, dass
ich im Vater bin, und der Vater in mir? Der Gott Jesu
Auch wenn wir das oft zu wissen
glauben: Nein, es ist nichts spezifisch Christliches, dass Gott "Vater"
ist. Jesus verkündet den Gott Israels. Der Jude Jesus verkündet
den Gott, der in der Geschichte anwesend ist, der einen Sklavenhaufen
aus der Gefangenschaft befreit, der sie in die Wüste schickt und
bis ins Elend des Exils mit ihrer Schuld konfrontiert, aber seinen Bund
nicht aufkündigt. Und Jesus steht für einen Gott, der - wie
sein auserwähltes Volk - erbittert Widerstand leistet, wenn irgend
ein Mensch oder irgend ein Ding seinerseits zu Gott gemacht werden soll
- oder irgendeine Ansammlung heidnischer Zuständigkeitsgötzen
für Kriegsglück und gute Ernten; Götzen der tollen Jobs,
der fetten Konten, der Fitness und Wellness, könnte man übersetzen.
Stattdessen geht dieser Gott JHWH mit seinem Volk einen Weg, der es überhaupt
erst möglich macht, aus diesen Erinnerungen und Erfahrungen eines
wirklich verantworteten Lebens heraus über lange Zeiträume hinweg
Geschichte zu denken und zu schreiben. Je länger je mehr keimt im
Volk Israel die Hoffnung, dass dieser Gott über die Geschichte aller
Menschen und der ganzen Welt herrschen möge. So ist JHWH der Vater
seines Volkes.
Der größte Unterschied des Gottes Israels zu allem anderen,
was in seiner Umgebung Gott genannt wird, ist, dass Gott spricht. "Wo
andere nur ein unendliches Schweigen vernehmen, da hörte Israel eine
Stimme." (H. Küng, OHP 510) Wo andere sich aus der Deutung von
Schicksalsschlägen und dem Lesen in Tiergedärmen numinose Götterverhängnisse
zusammenreimen, gibt Gott eine Thora, eine Weisung für gelingendes
Leben im geschenkten Land. Es gehört elementar zur Gotteserfahrung
Jesu, gelernt in Israel, dass diesem Gott geantwortet werden kann, im
Jubel der Psalmen und der Hymnen, aber auch im Eingeständnis von
Schuld und in der radikalen Klage. Das ist gemeint, wenn wir diesen Gott
"menschlich" nennen und ihm ein "Antlitz" zuschreiben.
Israel kann nicht nur von diesem Gott reden, sondern zu ihm. Und dieses
"vor Gott stehen", dieses "den Mund auftun können"
ist immer schon "Antwort auf den Gott, der zuvor zu ihnen geredet
hat: Antwort auf sein befreiendes, führendes, forderndes, auch richtendes
Wort, das sie in der Geschichte gehört haben." (OHP 510) In
dieser Geschichtserfahrung mit Gott ist der Mensch ernster genommen als
irgendwo sonst in der Umgebung Israels. Anders als die Götter Babylons,
Assurs und Roms, anders aber auch als die Gottesideen der griechischen
Philosophen hat der Gott Israels, der Gott Jesu, eine Beziehung zu den
Gottesfragen der Menschen, zu den damaligen wie uns modernen: Wo hinaus
soll es mit unserem Leben? Wo ist ein Sinn? Woher nehmen wir die Kraft
für Gerechtigkeit? Aus welchen Quellen werden wir mitmenschlich?
Wer trägt über das Scheitern hinweg? Warum bin ich als einzelnes
Menschlein mehr als nur Dünger der allgemeinen Menschheitsentwicklung?
Weil er, so sagt die Hebräische Bibel, unser Altes Testament, weil
er mit seinem Volk eine Geschichte hat, ihren Weg mitgeht, spricht, befreit
und fordert, und wir ihm antworten können.
Für diesen Gott Israels steht Jesus. Das heißt: den Vater erkennen.
Schon jetzt ist sichtbar, dass diese Vaterschaft nichts geschlechtliches
hat, nichts entschieden männliches, sondern etwas elterliches, sorgend
und herausfordernd. Wenn "Zion sagt, Der Herr hat mich vergessen,
Gott hat mich vergessen", dann antwortet Gott in den Worten Jesajas:
"Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren leiblichen
Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde, ich vergesse ihn nicht."
(Jes 49,14f.) "Wie eine Mutter ihr Kind tröstet, so tröste
ich euch." (Jes 66,13)
Aber Jesus sagt eben doch auch noch etwas Neues. Er steht restlos zum
Gott Israels und akzentuiert doch anders. Er sagt: Die Herrschaft dieses
Gottes ist nahe herbeigekommen. Und das wird sichtbar in einer besonderen
Treue und unbegreiflich gütigen Nähe. Diese gilt, und das ist
wichtig, dem einzelnen Menschen: "Mein Vater" - "Euer Vater",
sagt Jesus.
Leid und Ungerechtigkeit und Schuld sind nicht in dieser Nähe Gottes
einfach verschwunden, auch wenn Jesus im Namen des Vaters seine Zeichen
dagegen setzt. Aber auch der Leidende und der Schuldige kann auf diesen
Gott vertrauen, sogar die Bösen und Ungerechten, über denen
die Sonne immer noch aufgeht (Mt 5,45). Diese Nähe Gottes ist das
Ende einer Sorge, die sich tief vereinsamt nur auf sich selbst verlässt,
denn das tun die Lilien auf dem Acker und die Vögel auf dem Feld
auch nicht (Mt 6,25-33; Lk 12,22-32). Denn selbst für sie ist gesorgt
- um wie viel mehr sorgt sich Gott um den Menschen. Jeden Menschen!
Und Jesus erzählt Geschichten und Gleichnisse, die über Gott
etwas ganz Provozierendes, ja Empörendes aussagen: Der Vater rennt
dem treulosen, zerlumpten Sohn entgegen [!], stellt keinerlei Bedingungen,
fordert nichts, nicht einmal eine Entschuldigung oder Unterwerfung, und
feiert ein Fest für ihn (Lk 15,11-32). Kein Orientale im wirklichen
Leben hätte etwas so Würdeloses je getan! Und er hat nur einen
Grund dafür: "Denn mein Sohn war verloren und ist wiedergefunden
worden." Das gilt mehr als treues Daheimbleiben. Der Ton von Jesu
Gottesrede liegt auf dem ganz Unwahrscheinlichen und gleichzeitig Unerhörten:
"Wenn Worte einen Sinn haben, dann heißt das: Gott bevorzugt
die Verlorenen. Er brüskiert die Treuen." (OHP 518) Gott ist
wie ein Hirte, der neunundneunzig Schafe allein lässt, um das eine
zu suchen, das ihm keineswegs dabei entgegenkommt! Gott ist wie eine arme
Frau, die ein verlorenes Geldstück verzweifelt suchen muss, bis sie
es gefunden hat, weil sie selbst darauf angewiesen ist (Lk 15,3-10). Gott
kann auf das Verlorene nicht verzichten, weil er Gott ist! Für Hyperorthodoxe,
für selbstbewusst Demütige, für Buchhalter der guten Tat
ist das hartes Brot: "Ich sage euch: ebenso wird auch im Himmel mehr
Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als
über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren."
(Lk 15,7.10)
Darum isst Jesus mit den korrupten Kleinfieslingen der Besatzungsmacht,
die bei uns verharmlosend Zöllner heißen; darum dürfen
Prostituierte in seine Nähe, darum wird die Steinigung aufgehalten,
wenn eheliche Treue misslingt. Darin wird etwas über Gott gesagt:
"Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst Du sagen:
Zeig uns den Vater?!" (Joh 14,9) Kann es einen größeren
Halt geben als diesen? Können wir uns irgendwo fester machen als
hier? "Der Mensch kann dem gar nicht ausweichen, dass Gott ihn liebt",
sagt Karl Rahner.
III. Der Vater, der in mir
bleibt, vollbringt seine Werke
Die Frage nach Jesus ist die
Frage an Jesus, welche Antwort er auf die Frage nach Gott hat. Man muss
seine Antwort nicht besser finden. Die unerhörte Freiheit, die aus
dem hingegebenen Glauben an diesen Gott entsteht
Die für Fromme
jedweder Couleur schwer zu verkraftende Bereitschaft, die Letzten zu den
Ersten zu erklären
Die Parteilichkeit für die Leute auf
der Schattenseite des Lebens: Kranke, verrückt Gewordene, aus der
Bahn Geworfene, und echte Übeltäter
Man muss diese Provokation
nicht für die bessere Antwort halten. Das Eindrückliche am Leben
Jesu bündelt sich "in seiner Konsequenz, seiner Treue zu sich
selbst, seiner inneren Unabhängigkeit aufgrund der Gewissheit seiner
Sendung, die Herrschaft Gottes zu verkünden und durch sie für
die Menschen zu leben." (OHP 459)
Damit ist klar gesagt, wo der Halt eigentlich zu suchen ist: Es ist nur
ein Anfang, den Humanisten Jesus aufzusuchen, wenn es um einen verlässlichen
Maßstab für gelingendes Leben geht. Denn der Maßstab
Jesu ist nicht eigentlich ein ethisches System, sondern eine herausfordernde
Rede von Gott - und deren Verkörperung. Wir stehen nur dann auf der
Seite Jesu, wenn wir uns von ihm an den Vater weisen lassen. Und darum
geht es auch nicht an, diesen Jesus wie seinen Vater in ein frommes System
einzukästeln und ihn kirchenkonform kaltzustellen. Missionarische
Kirche werden wir nur, wenn wir uns selbst wieder stärker in Gott
als in der Kirche gehalten wissen - und darin denen begegnen, die das
frech und hemmungslos genauso halten. Darin liegt auch ein Trost: Man
kann, wenn es hart auf hart kommen, bei Jesus bleiben, selbst wenn man
die Kirche nicht mehr erträgt. Und darum brauchen die Kirchen keine
Angst um sich selbst zu haben; Wahrheit und Beistand sind der Gemeinschaft
der Glaubenden verheißen, die sich auf Gott verlassen, nicht der
Gruppe der Kirchensteuerzahler. (OHP 540-545)
Das mag einleuchtend klingen, aber die eigentliche Provokation kommt noch.
Denn das Ende von alledem ist das Kreuz - der grässlichste denkbare
Tod. Kein heroischer "Leidensweg", keine prozessionale "Passion",
sondern einfach nur: das Ende. Mose stirbt an der Grenze des verheißenen
Landes, hundertzwanzig Jahre alt, in der Mitte seines Volkes (Dtn 34,1-7).
Der Buddha verabschiedet sich mit 80 Jahren friedlich aus einem großen
Kreis von Mönchen, Nonnen und Laien-Anhängern. Konfuzius bildet
bis ins hohe Alter einen Kreis von Schülern, die seine Lehre weitertragen.
Mohammed verbringt seine späten Jahre als Herr eines großen
Reiches und scheidet in den Armen seiner Lieblingsfrau aus dem Leben.
Jesus verreckt mit Anfang Dreißig, hat kaum Zeit gehabt für
seine Mission. Ans Kreuz genagelt für das fingierte Verbrechen der
Volksverhetzung. Langsames Ersticken unter unerträglichen Schmerzen.
Und er stirbt allein: die Jünger geflohen, die Frauen ferngehalten,
von Judas und Petrus wollen wir nicht reden. Keine Menschenseele. Und
das älteste Zeugnis bei Markus: "Mein Gott, mein Gott, warum
hast Du mich verlassen?" Danach nur noch ein unartikulierter Schrei
(Mk 15, 33-37).
Es gehört zum Eindrücklichsten an Jesus, dass er seinen Gott
nicht aufgegeben hat, als für alle absehbar war, wohin die Dinge
trieben. Als nach der Tempelreinigung (Mt 21,12-17, vgl. Joh 2,13-22)
die letzte Demonstration für Gott getan war - wer mich sieht, sieht
den Vater - gab es nichts mehr zu kämpfen. Danach blieb nur noch
die ungeheure Qual, selbst nicht zu verstehen, warum Gott so ins Scheitern
führt.
Wenn wir festen Halt suchen, dann müssen wir da mit hindurch. Am
Abend des Karfreitag war die Sache Jesu wie nie gewesen', seine
Antwort auf die Gottesfrage wie nie gegeben', sein Sinnentwurf tot.
Niemand mehr, der dafür einstand. Und das heißt nicht weniger
als dies: Halt finden wir nur noch in dem unerhörten Glauben, dass
dieses Ende nicht das Ende ist. Denn das ist das Letzte, was wir mit all
unserer klugen historischen Kritik noch sichern können: Das verschreckte,
auseinandergesprengte Häuflein der Jünger, die Frauen zuerst,
machen eine unerhörte Erfahrung, die stammelnd in die Worte gekleidet
wird: "Er lebt." - "Er ist uns erschienen." - "Uns
brennt das Herz." Und dann sehen sie ihn nicht mehr.
Das Rätselhafte daran ist, dass dieses Häuflein ungebildeter
Anhänger nicht vorrangig seine Lehre weiterträgt, seine Verkündigung
über die Herrschaft Gottes und über Gottes Nähe zu den
Menschen, sondern dass sie ihn selbst in den Mittelpunkt ihres Glaubens
stellen! Sie machen mit ihm nach Ostern offenbar Erfahrungen, die sie
suchend in das Wort "Auferweckung" kleiden: Jesus, gestorben
und begraben, "erhöht zum Vater". Und sie versuchen dieses
Gottesgeschehen an Jesus zu begreifen, indem sie die Verhältnisse
neu klären: Der Mensch Jesus ist "verherrlicht", ist "offenbart",
der "Messias", "Gottes Sohn"! Und indem die Christen
immer weiter über diese unerhörte Erfahrung nachdenken, begreifen
sie nach und nach, dass Gott in Jesus sein eigenes Menschsein riskiert
hat. Aber genau in diesem Rätselhaften liegt unsere eigentliche Hoffnung:
Warum nämlich muss unser Versuch, Halt zu finden, bis zu diesem für
die damalige Welt ganz absurden Glauben fortgetrieben werden? Eben weil
damit klar gestellt ist, dass die Menschwerdung Gottes nicht ein hübscher
Erdenspaziergang im Palästina der Zeitenwende war, sondern dass Gott
sich selbst auf das Schrecklichste einließ, was dem Menschen allen
Sinn rauben muss: der Tod - dieser Tod! "Das bedeutet allen Ernstes:
[
] Das hoffnungsloseste Ende wurde zum Grund aller Hoffnungen."
(OHP 564)
Hier sind die Theologen nicht mehr gefragt - hier ist die Armut des Wissens
total. Hier bleibt nur noch eine Frage, eine Entscheidung. Und zu wissen
gibt es lediglich, welche Antwort Maria Magdalena und die anderen Frauen
und die Apostel auf diese Frage gegeben und wofür sie sich entschieden
haben: Willst du dein Leben auf den Glauben gründen, dass Jesus,
gestorben und begraben, so lebt, dass in seinem Leben die Hoffnung für
uns alle liegt - wenn der Sinn unseres irdischen Lebens fraglich ist und
gewiss nur die Verfallenheit an den Tod. Ohne diesen Sprung des Osterglaubens
ist die Hoffnung auf die Nähe Gottes, auf die getrockneten Tränen,
auf die überwundene Marter schlicht ins Grab gelegt, zu schön
um wahr zu sein. "Eine Christusbotschaft, die nicht gerade das sagt:
Er lebt, wird vor den wirklichen, radikalen Fragen des Menschseins buchstäblich
uninteressant." (OHP 611) Denn das Entscheidende darin ist doch -
über den Jesus-Humanismus hinaus, auch über Jesu Gottesverkündigung
hinaus: Im Bekenntnis "Er lebt" liegt auch unser Leben beschlossen.
Die Auferweckung Jesu ist die letzte Konsequenz der Botschaft von der
heilenden und rettenden Nähe Gottes, von der Jesus ausdrücklich
sagt, dass sie nicht nur ihm gilt, und nicht nur den Frommen. Uns allen
im Angesicht unserer Kreuze und Tode muss Gottes Nähe gelten, als
Protest gegen die Bedeutungslosigkeit des durchschnittlichen Lebens, erst
recht des drangsalierten, gequälten und zerstörten Lebens. An
die Auferweckung Jesu glauben heißt Hoffnung über den Tod hinaus
für alle zu haben, heißt Gott so ernst zu nehmen wie Jesus
ihn nimmt: als Gott des Lebens. Es ist Teil dieses Rätsels, und zwar
das Schöne daran, dass ich das nicht auch noch glauben muss, sondern
dass ich das glauben darf. Hier kommt überhaupt erst die Kirche ins
Spiel, als Ort, an dem diese rätselhafte Osterfreude weitergetragen
wird. Und alles, was es in einer missionarischen Kirche gibt, muss sich
daran messen lassen, ob es dem Weitertragen der rätselhaften Osterfreude
dient.
Erst hier gewinnt das Wort des Johannes sein volles Gewicht: "Euer
Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!
Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten.
Und wohin
ich gehe, den Platz kennt ihr.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich."
Welch ein Halt!
Literatur
" Edward Schillebeeckx,
Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg/Br. 1975/1992.
" Otto Hermann Pesch, Katholische Dogmatik aus ökumenischer
Erfahrung, Bd. 1,1: Die Geschichte der Menschen mit Gott. Wort Gottes
und Theologie, Christologie, Ostfildern 2008.
" Michael Theobald, Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2010.
|