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Fastenpredigten
in St. Michael 2011
Gott ...
... Mensch
2. Predigt in St. Michael
(20.03.2011, 19 Uhr) -
(Stefan Müller-Guggemos)
Fastenpredigt
Lukas 24,13-35
Sie werden sich sicher fragen
warum ausgerechnet in der Fastenzeit die Geschichte von den Jüngern
unterwegs nach Emmaus? Die Emmauserzählung aus dem Lukasevangelium
hören wir sonst in der Liturgie der katholischen Kirche Jahr für
Jahr am Ostermontag.
Und in der Tat: Durch die Begegnung
mit dem Auferstanden, von der uns hier vom Autor des Lukasevangeliums
berichtet wird, ist es die Nachösterliche Erzählung schlechthin,
wenn die Jünger schließlich in dem Fremden Jesus erkennen.
Aber genau darin besteht der Reiz diese Stelle.
Ich lade Sie heute Abend ein,
die Emmausgeschichte einmal bewusst im Licht der Fastenzeit und Karfreitag
noch vor Augen genauer zu betrachten. Vor allem, wenn es darum gehen soll,
zu verstehen, warum Gott sich in diese Welt begeben hat, um uns Menschen
zu suchen. Denn wenn wir heute im Jahr 2011 diesen Text hören, dann
haben wir zwar im Liturgischen Kalender Karfreitag, das Leiden und Sterben
Jesu vor uns, doch wir sehen dieses Ereignis immer schon aus der Perspektive
von Ostern. Wir glauben daran, dass Jesus auferstanden ist. Karfreitag
hat seinen Schrecken verloren.
Nehmen wir einmal an wir könnten
diesen so genannten Ostergraben überwinden, wie er von der historisch
kritischen Exegese postuliert, wird. Dieser Graben, der die Jünger
damals von der Gewissheit getrennt hat, dass Jesus Gottessohn war. Denn
im Licht von Ostern wirkt dieser monströse Tod, den Jesus erleiden
musste, vielleicht nicht mehr ganz so bedrohlich. Im Licht von Ostern
bekommt diese sinnlose Tat vielleicht Sinn.
Ich lade Sie ein, sich mit
mir gemeinsam mit den Jüngern auf den Weg zu machen. Auf einen Weg
der noch ganz im Zeichen des Karfreitags steht. Wo das Dunkel des Kreuzes
und der Tod noch vorherrschen.
Gesellen wir uns nun zu diesen
beiden Jüngern, von denen wir nur von einem den Namen kennen, er
hieß Kleopas.
Die Person des namenlosen Jüngers
bietet vielleicht Platz für uns, dass wir uns mit unserer Lebensgeschichte
einreihen können und mit unseren Karfreitagserfahrungen, den Erfahrungen
von Unheil, Tod und Verletzung, Einsamkeit und Verlassensein. Dann kommen
wir mit ihnen ins Gespräch darüber was wir erlebt haben mit
diesem Jesus. Denn wenn die beiden Jünger über die unmittelbaren
zurückliegenden Ereignisse in Jerusalem sprechen, dann liegt die
Tragik eben darin, dass sie dies auf der Grundlage ihrer enttäuschten
Hoffnung tun. Einer Hoffnung, die in den zahlreichen Begegnungsgeschichten
und Heilungsgeschichten gerade hier im Lukasevangelium begründet
sind. Begegnungen mit Menschen, die suchen, aber auch Begegnungen mit
Menschen, die von Jesus gesucht werden.
Da ist die Erzählung von
Zachäus dem Zöllner, der von Jesus aus dem Baum herab gerufen
wurde, und von dem Jesus dann sagt. Der Menschensohn ist gekommen,
um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Eine Geschichte, die
uns mit hinein nimmt, wenn wir neugierig bleiben auf Jesus, uns von ihm
rufen lassen und ihm Gastfreundschaft gewähren.
Mit dem Hauptmann von Kafarnaum
begegnen wir da einem weiteren Menschen, von dem Jesus sagt, dass er hier
Glauben gefunden hat. Der Hauptmann traut ihm Dinge zu, die
Jesus nur mit der Vollmacht Gottes wirken kann.
Jesu Blick auf den Menschen,
so erfahren wir aus den Evangelien, bleibt nicht an der Oberfläche
hängen. Er urteilte nicht über die Menschen. Die Begegnung mit
der Sünderin, von der wir ebenfalls im Lukasevangelium lesen können,
ist ein Zeugnis dafür, dass er den Ganzen Menschen in den Blick genommen
hat. So hat er deren Glauben erfahren und zugleich gestärkt. Jesus
hat sich dem Leid der Menschen nicht verschlossen, sondern sich Ihnen
zugewandt. Er war neugierig auf die Menschen. Und so ist es nur folgerichtig,
wenn in dieser Situation, in der zwei Menschen in einer Krise unterwegs
sind, sich Jesus zu ihnen stellt und mit ihnen geht. Und dadurch, dass
er ihnen auf Augenhöhe begegnet, indem er sich für sie und ihre
Situation interessiert, geschieht es. Die beiden Jünger halten inne,
traurig zwar, aber sie erzählen ihm, dem scheinbar unbeteiligten,
dem Nichtwissenden, ihre Geschichte. Sie erzählen ihm die Geschichte,
die ihre Trauer und ihre tiefe Verwirrung zutage fördert, eine Geschichte,
die sie jede Haltung hat verlieren lassen und sie trotz der ersten Aufstehungsberichte
die Flucht ergreifen ließ.
Was sind unsere Geschichten,
meine, Deine Ihre, die wir erzählen. Was sind unsere enttäuschten
Hoffnungen...
Der Fremde, der mit den beiden,
mit uns nun unterwegs ist, der eigentlich der jenige ist, der Bescheid
weiß und das Rätsel lüften könnte, tut nichts dergleichen.
Er begegnet ihnen ohne Vorbehalte und ohne sein Wissen auszuspielen und
im Gegenzug fassen sie fassen wir Vertrauen zu ihm. Er lässt
den Jüngern das Gesetz der Handelnden, indem er ihnen, beginnend
mit Fragen, einen neuen Deutungshorizont eröffnet. Im Licht der Schrift,
deren Zusammenhänge er ihnen eröffnet, können sie das Geschehene
selbst bewerten. Mit diesem Angebot will er die beiden Jünger dann
ihren Weg weitergehen lassen. Er drängt sich nicht auf, und wartet
einer altorientalischen Sitte folgend, dass die Beiden ihn einladen. Und
diese Zurückhaltung, die er hier an den Tag legt ist sprichwörtlich
für das Handeln Jesu, wie es uns in den Evangelien berichtet wird.
Jesus hat sich nicht aufgedrängt.
Und dies lässt sich dann
auch auf das Glaubensgeschehen in der Beziehung zwischen Gott und dem
Menschen übertragen. Denn Glauben, so können wir in der Begegnung
mit Jesus in den Evangelien immer wieder erfahren, ist immer ein unvermitteltes
Geschehen, als persönliche und freiwillige Antwort auf das Angebot
der Gnade Gottes. Wir dürfen uns entscheiden.
Mit der Einladung und Bitte
zum Verweilen der Jünger schließlich kippt die Szene, denn
der Gast wird zum Gastgeber. Das Evangelium setzt hier nun den Moment,
in dem die Jünger die Zusammenhänge herstellen können,
das Erschließen der Schrift und nun das gemeinsame Mahl ermöglichen
ihnen die Umdeutung des Geschehens. Sie erkennen Jesus, und damit erkennen
sie die Auferstehung Jesu an. Dies ist der Augenblick, in dem die Jünger
nun ihre Haltung wieder erlangen. Die Erfahrung des Karfreitags bleibt
ihnen, aber sein unerhellbarer Schatten ist von ihnen genommen. Und mit
dieser Erkenntnis gelingt es Ihnen, sich auch wieder zu den Geschehnissen
zu verhalten. Sie haben wieder neue Handlungsoptionen. Sie entscheiden
sich wieder zurückzugehen. Aber anders als zu Lebzeiten Jesu, wo
Jesus selbst den Auftrag erteilte von seinen Taten zu sprechen, erkennen
sie selbst, dass diese Erfahrung der Gegenwart Jesu und damit der Gegenwart
Gottes nichts ist, was man für sich behalten kann. Und damit ist
Ostern eben nicht vorbei am Abend des Ostersonntags sondern es dehnt sich
aus auf unser ganzes Leben, gerade jetzt vor Karfreitag, wenn wir uns
von der Begegnung mit dem Fremden anstecken lassen. Gott sucht uns Menschen
gerade in unseren Dunkelheiten und geht mit uns, damit wir wieder ins
Leben zurückfinden können.
Aber was heißt das für
uns? Es kann bedeuten, dass uns genau diese Erzählung, in der wir
uns selbst hinein genommen fühlen dürfen, anstecken will für
unser Handeln, als Menschen und als Menschen in der Kirche. Denn genau
durch diese Erfahrung sind wir aufgefordert es Gott gleich zu tun und
uns für diese Welt zu interessieren.
Für uns als einzelne auf
dem Weg durch die Fastenzeit kann das dann bedeuten, dass wir uns auf
den Weg machen und in der Begegnung mit Jesus innehalten. In der Auseinandersetzung
mit der Frohen Botschaft, die dem Karfreitag und Ostern bereits vorausgeht,
sind wir eingeladen uns eben diese Haltung in der Begegnung mit der Welt
und den Menschen anzueignen.
Was heißt dann heute
als Kirche auf dem Weg nach Emmaus sein?
Es kann heißen, der Welt,
in der wir leben, mit dem suchenden Blick Jesu zu begegnen. Das bedeutet
dann, dass sich Kirche nicht den bohrenden Fragen der Menschen entziehen
darf, wenn sie ihr Vertrauen nicht verlieren will. Sie muss hören
und ihrerseits verstehen. Es steht ihr nicht an, mit Vorbehalten zu begleiten.
Es geht eben nicht darum, schnelle Lösungen zu präsentieren.
Es muss vielmehr darum gehen, die Sorgen und Nöte ernst zu nehmen.
Die Verletzungen wahrzunehmen. Das gilt im Großen wie im Kleinen.
Das gilt hier bei uns vor Ort in Tübingen, dass wir als Gemeinde
bereit sind die Menschen hier in der Stadt auf ihrem Weg zu begleiten.
Dann geht es eben nicht darum die Menschen für etwas zu gewinnen,
sie zum Mitmachen zu bewegen, sondern ihnen in erster Linie zur Seite
stehen und mit zu gehen. Das ist manchmal schwer auszuhalten, wenn man
meint, dass man es besser weiß.
Doch genau das ist das Wagnis
des Glaubens, nach Ostern. Und so geht das Bild der Emmausgeschichte noch
weiter. Denn mit der Begegnung auf Augenhöhe und indem die Voraussetzungen
geklärt sind, wird erst möglich, dass das Brot geteilt wird.
Nun ist ein Vertrauen geschaffen, um das Leben mit einander zu teilen,
ein Leben in dem man weiß wen man vor sich hat.
Einmal anders gewendet:
Wenn aber nun nicht die Kirche
diejenige wäre, die Begleitet, wenn die Kirche diejenige wäre,
die sich Begleiten lässt. Wer wäre dann der Begleiter? Wer ist
Jesus heute? Der Inkarnierte? Der Gott, der ganz Mensch wird, der sich
vollkommen einlässt auf die Welt? Wie wäre es, wenn die Kirche
sich von der Welt begleiten ließe?
Sich begleiten ließe
von den großen Themen der Welt: Den Aktuellen wie die Katastrophe
in Japan und in den Konflikten in der arabischen Welt? Von Themen wie
Korruption, wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und den vielen Kriegen?
Wenn sich die Kirche begleiten
ließe, von den Sorgen der Einzelnen aber auch den Freuden des Lebens?
Welche Fragen würden der Kirche würden uns gestellt?
Wann würde Sie, wann würden wir als Kirche Vertrauen fassen
und die Botschaft verstehen? Wann würde unser Herz zu brennen beginnen?
Welche Emmauserfahrung könnte
entstehen, wenn Kirche und Welt einander begleiten?
Eine Erfahrung, die umkehren
lässt nach Jerusalem.
Amen
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