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Fastenpredigten
in St. Michael 2011
Gott ...
... Mensch
3. Predigt in St. Michael
(27.03.2011, 19 Uhr) -
(Thomas Steiger)
Gott läßt
Mensch
Über die Missionarische Haltung der Gelassenheit
Fastenpredigt III 27.3.2011
19.00 Uhr St. Michael Tübingen
Standbild (ab 18:50) Steiger
im Sessel, liest leise dazwischen immer wieder Sätze aus Gen
32 und Joh 8 /
Wolf macht Töne und Pausen
Stundenschlag Angelus Steiger steht vor dem Altar
Stille
Gedankenfetzen Ruf U 105
Einführung
Lied
Gebet
Schriftlesung I Joh 8,1-11
Lied U 58,1-5
Predigt I Beobachtungen
Orgelimpro
Predigt II Jesus
Orgelimpro
Predigt III Aufbruch
Orgelimpro
Schriftlesung II Gen 32,23-32
Lied U 135,1-4 V/A
Bittgebet mit Vaterunser
Segenslied U 44,1-4
Segen
Standbild wie oben
Steiger im Sessel, liest / Wolf macht Töne
einzelne Sätze aus Gen 32 und Joh 8
18:45 Stundenschlag
dann: Zusammenläuten
18:50 Stille Standbild
19:00 Stundenschlag
19:01 Angelus-Läuten
19:04 Stille
19:05 Gedankenfetzen
GEDANKEN
Der Mensch ist um so reicher, je mehr Dinge er liegen lassen kann.
Henry David Thoreau
Der Weise verliert die Angst vor dem Tode vor dem Tode.
Laotse
Alles nimmt ein gutes Ende für den, der warten kann.
Leo Tolstoi
Der Grad unserer Vollkommenheit drückt sich in der Art des Umgangs
mit unserer Unvollkommenheit aus.
Du mußt nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.
Antoine de Saint-Éxupery
Gelassenheit ist Einsicht in die Vergänglichkeit.
In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten. Die
meisten davon sind nie eingetreten.
Marc Twain
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern
kann,?
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,?
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewußtseins.
Marie von Ebner-Eschenbach
Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne
das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne
zu verlangen, daß die Umstände sich an meine Wünsche anpassen.
Nur für heute werde ich fest glauben selbst wenn die Umstände
das Gegenteil zeigen sollten , daß die gütige Vorsehung
Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden auf
der Welt.
Johannes XXIII.
Einführung
Der dritte Abend unserer Predigtreihe
über die Haltungen in einer Kirche, die modern-missionarisch sein
will, trägt die Überschrift Gott läßt Mensch,
und befaßt sich mit dem, was wir üblicherweise Gelassenheit
nennen. Wir nehmen uns etwa eine Stunde Zeit, um einen Eindruck davon
zu bekommen, was es heißt, als Kirche gelassen zu sein. Gemeint
sind dabei wie immer die Kirche als Institution und Apparat, die Gemeinde
vor Ort und das Bistum als regionale Ortskirche, aber auch der einzelne
Christ, der in seiner Partnerschaft, in seinen sozialen Beziehungen, in
politischen Fragen und in seinem beruflichen Kontext Kirche repräsentiert.
Wie cool also ist Kirche? So würden nämlich Jugendliche
wohl das Wort gelassen am ehesten übersetzen. In ihrer Sprache hat
dieses Wort einen ungeheuer positiven Klang. Es steht für eine Einstellung,
die dem Leben dient, wo es Freude macht, auf der Welt zu sein. Coole Persönlichkeiten
sind Sympathieträger, an ihnen kann man sich orientieren, ja, man
möchte auch so sein. Aufgeregte Nervosität aus Angst wäre
dem entsprechend das Gegenteil, also das unruhige Schauen auf den eigenen
Zustand. Wer cool ist, hat ein gesundes Selbstbewußtsein, das aus
der eigenen inneren Stimmigkeit kommt.
In diesem Sinne würden die meisten jungen Leute und leider auch genügend
andere in Deutschland, die Kirche keineswegs als cool gelassen
bezeichnen. Und das obwohl die Bibel an vielen Stellen und auf
unterschiedliche Art und Weise diese Haltung ins Spiel bringt. Besser
gesagt, insofern die Erfahrungen der Bibel vom Einüben der Gelassenheit
erzählen: weil Gott es geschehen läßt, weil ER uns in
Freiheit machen läßt, weil er uns entläßt in Selbstbestimmung
und Würde und Einmaligkeit. Und nur weil ER das tut, kann der Mensch
gelassen sein. Gott läßt Mensch, auf daß der Mensch nicht
sich an sich selbst klammere, sondern loslasse. Gott ist der Grund, weswegen
die Kirche gelassen sein könnte. Je weniger sie es ist, desto weniger
glaubt sie.
Gebet
Barmherziger Gott, Menschenfreund,
Du, Licht des Lebens in der Finsternis.
Armselig erscheint uns dein Wort,
rührselig die alten Geschichten von Jakob und Jesus, von Mose und
den Propheten.
Wir haben uns längst abgefunden mit dem, was wir Leben nennen,
und haben uns mit Mauern aus Resignation umgeben, mit Ängstlichkeit
und Unglauben.
Du aber kommst als Freund,
bist uns auch in den Dunkelheiten nahe,
findest dich nicht ab mit unserer Müdigkeit.
Du liebst die Armen, die Sünder, die Abweichler
und sprichst sie selig auf ihrer Suche nach Leben.
Schenke uns ein neues Staunen
über die Wunder deines Sohnes;
laß uns das Leben feiern, das du zu geben vermagst.
Öffne uns die Augen für dein Licht,
das über jedem Menschen strahlt
und seine Armut in Reichtum, seine Sehnsucht in Freude verwandelt.
Begleite deine Kirche auf ihren Wegen.
Amen.
Jesus und die Ehebrecherin
Jesus aber ging zum Ölberg.
Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel.
Alles Volk kam zu ihm.
Er setzte sich und lehrte es.
Da brachten die Schriftgelehrten
und die Pharisäer eine Frau,
die beim Ehebruch ertappt worden war.
Sie stellten sie in die Mitte
und sagten zu ihm:
Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt.
Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen.
Nun, was sagst du?
Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen,
um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen.
Jesus aber bückte sich
und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Als sie hartnäckig weiterfragten,
richtete er sich auf und sagte zu ihnen:
Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.
Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie seine Antwort gehört
hatten,
ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten.
Jesus blieb allein zurück
mit der Frau, die noch in der Mitte stand.
Er richtete sich auf und sagte zu ihr:
Frau, wo sind sie geblieben?
Hat dich keiner verurteilt?
Sie antwortete:
Keiner, Herr.
Da sagte Jesus zu ihr:
Auch ich verurteile dich nicht.
Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
Joh 8,1-11
Predigt
1 Beobachtungen
Von der entspannten Haltung
Jesu in der überaus markanten Episode mit der Ehebrecherin scheint
die lehramtliche und regierende Kirche so gar nichts zu haben. Statt dessen
steht sie sehenden Auges auf der Seite der Steinewerfer und hebt in ihren
Vorschriften den Arm zum Wurf. Sobald es um den Bereich von Sexualität
und Partnerschaft geht, aber auch in etlichen anderen Fragen menschlicher
Natur und Identität sind Moral und Lehre unserer Kirche so bezeichnend
unentspannt, entlarvend möchte ich nachgerade sagen. Sie hat doch
Jesus vor Augen, der im Sand malt.
Damit wir uns recht verstehen: Die Frau ist eine Sünderin, sie hat
ihren Mann betrogen, die Ehe gebrochen, sie hat Sex und Liebe vermutlich
getrennt, es ging ihr weder um Treue zu noch um Respekt vor ihrem Partner.
Sie war egoistisch und hat sich falsch verhalten. Aber Jesus wirft trotzdem
nicht. Er hebelt die Gesetze seiner Religion aus, weil er in ihnen zu
wenig von Gott findet, dafür um so mehr von Kultur und Tradition
und menschlichen Machtphantasien.
Heute morgen im Evangelium von der Samariterin am Jakobsbrunnen ist uns
übrigens auch so ein Mensch begegnet ein Sünder, ein
Fremder, ein Ausgestoßener, und nächste Woche beim Blindgeborenen
wieder: einer, der nicht zur Gemeinschaft gehören darf, weil man
ihm Fehler ankreidet. Das Thema Schuld durchzieht wie ein roter Faden
die Fastenzeit, weil es ein Grundthema von uns ist, jeden unterschiedslos
betrifft, in- und außerhalb der Kirche. Es ist erforderlich, daß
wir uns dem stellen, deshalb hält es uns die Liturgie dieser Wochen
vor Augen. Aber eben dann auch, was Jesus damit anstellt. Er holt sie
herein, gerade sie, er will die Sünder alle packen, berühren,
sie mit Gott in Kontakt bringen, auf daß sie geheilt werden verwandelt
von der Macht, die nur aus Gottes Gesetz kommen kann und dieses
Gesetz beginnt mit Liebe und es endet mit Liebe. Punkt. Ich brauche nicht
nur nicht zu urteilen, ich darf es nicht. Ich darf die Sünde bemerken
und ablehnen aber nie, nie den Menschen, der sie begangen hat.
Für ihn muß ich mich interessieren, ihn an mich heran lassen,
ihn lieben. Und wie könnte ich das anders, als indem ich ihm die
Türe öffnete?
Die Kirche aber wird oftmals, zu oft erlebt als ein Laden der verschlossenen
Türen. Und das, obwohl die Portale der Form nach geöffnet sind.
Schauen Sie sich einmal um in unseren Gottesdiensten und Gruppen, dort
wo Kirche öffentlich sichtbar wird. In der Regel sitzen dort
und jetzt wird es etwas heikel zu formulieren die bürgerlichen
Saubermänner (und -frauen). Zumindest mühen sich alle diesen
Anschein zu erwecken, weil man ja vor Gott eine weiße Weste haben
sollte, sich um den schönen Schein sorgt. Weshalb nur? Wozu gibt
es denn die Kirche? Was ist denn unser Auftrag als Christen? Doch gerade,
daß wir einladend sind für die Dreckigen, die Gefallenen, die
Verbrecher, die Schmutzfinken, die Unfähigen und Dummschwätzer.
Sie sollen sich schließlich ändern, eine Chance bekommen, ihr
Leben neu aufzustellen in Gottes Sinn, ihr Gesicht nicht zu verlieren,
denn sie haben nur das eine; aber es zu reinigen, ihm neue Farbe und Form
zu geben, und ihrem Herzen gleich dazu.
Aber dazu herrscht so furchtbar viel Angst unter den Christen. Wir könnten
uns selbst schmutzig machen. Ja, das könnten wir, und im Vergleich
dabei bemerken, daß wir es bereits sind. Manchmal spüre ich
es regelrecht, daß die Kirche von Angst zerfressen ist, daß
diese an ihr nagt. Sie könnte ihr Ansehen verlieren, ihren Einfluß,
ihre gesellschaftliche Macht. Es könnten ihr die Leute davon laufen.
Aber das alles geschieht ja längst, unaufhaltsam, wenn wir so weiter
machen wie bisher, wenn wir uns verzehren in der Sorge, das Heil der Welt
hinge von uns ab. So mißtrauen wir allem Fremden, Anderen. So mutieren
wir zu Narzißten, die in den Bestand des Augenblicks verliebt sind,
anstatt Gott etwas zuzutrauen.
2 Jesus
Ganz anders Jesus. So auffallend
und extrem anders, daß es uns wie Schuppen von den Augen fallen
müßte. Aber der Vergleich mit der kirchlichen Maßgabe
und unserer Prägung fällt so ernüchternd aus, daß
wir offenbar Verhaltensweisen entwickelt haben, das zu überhören;
die Provokation Jesu prallt an uns ab wie ein Lichtblitz aus einer anderen
Welt. Dabei ist es genau unsere Welt, in die hinein das Evangelium spricht
und Jesus handelt. Was wir von ihm hören, gilt in erster Linie der
Kirche. Wem sonst?! Hat er doch in seiner Zeit auch zuallererst die Kirchenmänner
seiner Zeit angeredet, und mit seiner Lebensart und seinen Prinzipien
Menschen um sich geschart, die es an manch entscheidender Stelle anders
machen wollten:
* die mit dem Finger auf die
Erde schreiben und nicht eine Strichliste der Verfehlungen führen
* die sich von hartnäckigen Fragereien nicht aus der Ruhe bringen
lassen, sondern den Zeigefinger zurück wenden
* die sich vom Buchstaben des Gesetzes nicht ins Bockshorn jagen lassen
statt dessen Gottes Gesetz der Liebe zu erfüllen suchen
* die ihre Macht nicht ausnutzen, sondern sie sparen, so gut es geht
vielmehr ein Wort der Ermutigung bereit haben, weil sie sich in den anderen
einfühlen können, Sympathie zeigen
* die anderen und dem Fremden/Anderen im anderen offen begegnen und ihm
immer noch mehr zutrauen, als der Augenschein, das Hörensagen, das
Vorurteil hergibt
* die keine Berührungsängste haben, weil sie sich nicht auf
das gefährliche Spiel des zwischenmenschlichen Liebens und Geliebt-Werdens
einlassen, sondern von wissen, daß Gott sie liebt und läßt.
Das sind Merkmale der Gelassenheit,
die es bei Jesus zu beobachten gibt, und die nicht nur einmal einer vertrackten
Situation eine unerwartete Wende gaben.
An Deutlichkeit ist dabei das Evangelium von der Ehebrecherin nicht zu
überbieten. Es ist eine Situation wie sie täglich vorkommt.
Jemand begeht einen schweren Fehler, er sündigt, er entspricht nicht
den Erwartungen. Ob zu Recht oder zu Unrecht, ob von uns oder anderen
so beurteilt, das ist irrelevant. Aber genau darin, in dieser prinzipiellen
Freiheit vom Urteil besteht die wesentliche Voraussetzung der Gelassenheit.
Jesus will die Frau nicht beurteilen, gar verurteilen. Er will sie heilen,
ihr Rettung anbieten, einen neuen Weg aufzeigen. Er will ihre zweite Chance.
Und er geht grundsätzlich davon aus, daß es diese gibt und
im Moment für die Frau gibt. Selbstverständlich heißt
er ihr Verhalten nicht gut, aber sein Blick geht nicht zurück, sondern
nach vorne. Allein die Tatsache, daß es Gott gibt, läßt
Jesus nach vorne blicken. Er muß hier nichts machen: kein Urteil
sprechen, kein Gesetz auslegen, keine Machtfragen abwägen, keine
Rücksichten beachten.
Die Kirche tut sich damit schwer. Das könnte damit zusammenhängen,
daß sie den Gesetzmäßigkeiten aller Institutionen verfällt,
die dazu neigen, sich selbst unverzichtbar zu machen und an die Stelle
ihres inneren Auftrags zu setzen. Es geht dann nicht mehr um den Dienst,
sondern um Einfluß, nicht mehr um Religion, sondern um Kultur, nicht
mehr um Gott, sondern um den Menschen ohne Gott. Und all das Klammern
an die überkommenen Wahrheiten und Vorschriften, alles ängstliche
Festhalten an Dogmen und Katechismussätzen weisen verdächtig
darauf hin, daß die Kirche selbst in jener Krise steckt, welche
sie unserer Gesellschaft vorhält der Gotteskrise nämlich.
Ohne Gott und das Vertrauen in ihn aber wird die Kirche es nicht zu jener
Gelassenheit schaffen, die unverzichtbar ist für eine angemessene,
notwendige, moderne missionarische Haltung. Dann besteht vielmehr die
Gefahr, daß sie weiter ängstlich schielt auf die Kirchensteuereinnahmen,
auf die Teilnehmerzahlen an Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen,
und meint, sie könne durch Strenge den Menschen bekehren.
3 Aufbruch
Wie nun aber geht Gelassenheit,
wie werden wir es selbst, und wie verändern wir als Glieder die Kirche
in diesem Sinne? Alle, die sich damit auseinander setzen, wie unsere Kirche
ihre missionarische Kraft, die ihr dem Wesen nach zu eigen ist, zurück
gewonnen werden könne, sind der festen Überzeugung, daß
dies nur mit einer grundsätzlichen Öffnung gelingen kann. Einer
Öffnung, die keinen Bereich gesellschaftlichen Lebens ignoriert,
sondern sich den Auseinandersetzungen der Zeit auf Augenhöhe stellt.
Dem entsprechend darf es keine Tabuthemen geben weder innerhalb
der Kirche noch im Dialog zwischen Evangelium und weltlichen Maßstäben.
Wenn also jetzt beim sogenannten Dialogprozeß in der katholischen
Kirche gleich zu Beginn die Fragestellungen benannt werden, über
die man erst einmal gar nicht sprechen darf, dann frage ich mich, welcher
Angst sich dahinter verbirgt; jedenfalls ist das nicht die Gelassenheit,
die Jesus vorgibt. Was bedeutet es denn, wenn eine Frage auf universalkirchlicher
Ebene, also in Rom, entschieden werden soll. Daß wir hier nicht
darüber nachdenken und uns eine Meinung bilden sollen? Daß
wir nicht zu einem anderen Ergebnis kommen dürfen? Gelassenheit sieht
anders aus!
Es stimmt: Um manche Fragen brauchen wir uns nicht zu kümmern. Es
lohnt nicht, weil es dabei um Eitelkeiten geht, die vom Kern des Glaubens
wegführen. Aber andernorts lohnt es sich zu kämpfen, zu ringen
mit Gott. Zur Gelassenheit ist das kein Widerspruch. Denn es geht dabei
um einen inneren Kampf, der der äußeren Auseinandersetzung
voraus gehen muß. Ich muß zuerst meines Standpunktes gewiß
sein, abgestimmt in meinem Gewissen mit Gottes Willen. Daran führt
kein Weg vorbei für den, der glaubt, der seinen Weg von Gott abhängig
macht, ihn sucht wieder und wieder neu und nicht sich zufrieden
gibt mit einer vermeintlich überzeitlichen Wahrheit, die es auch
in der Kirche nicht gibt.
Kaum eine andere Geschichte
erzählt davon so eindringlich wie die des Jakob, dem sich an entscheidender
Wegmarke ein Fremder in den Weg stellt, um mit ihm zu ringen. Jakob ist
wach genug; er muß, ob er will oder nicht. Und einmal in den Kampf
verstrickt, kann er nicht mehr loslassen, bis der Fremde ihm das entscheidende
Zeichen gibt den Zuspruch bleibenden Segens, beständiger Gegenwart
und Begleitung. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Das ist die
einzige, aber unabdingbare Voraussetzung für seinen künftigen
Weg.
Sind wir uns dieser gewiß?
Vertrauen wir Gott? Hören wir seinen Segen?
Wenn JA, dann können wir alles wagen, brauchen wir keine Begegnung
zu fürchten. Dann braucht uns auch um die Zukunft der Kirche nicht
bang sein, weil ihre Gestalt, ihre Erscheinungsform an und für sich
gar nicht wichtig ist. Dann können wir allen bevor stehenden Änderungen
gelassen entgegen blicken.
Der Kampf Jakobs
Und Jakob stand auf in der
Nacht
und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne
und zog an die Furt des Jabbok,
nahm sie und führte sie über das Wasser,
so dass hinüberkam, was er hatte,
und blieb allein zurück.
Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.
Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte,
schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte,
und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm
verrenkt.
Und er sprach:
Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.
Aber Jakob antwortete:
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Er sprach:
Wie heißest du?
Er antwortete:
Jakob.
Er sprach:
Du sollst nicht mehr Jakob heißen,
sondern Israel;
denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft
und hast gewonnen.
Und Jakob fragte ihn und sprach:
Sage doch, wie heißest du?
Er aber sprach:
Warum fragst du, wie ich heiße?
Und er segnete ihn daselbst.
Und Jakob nannte die Stätte Pnuel;
denn, sprach er, 'ich habe Gott von Angesicht gesehen',
und doch wurde mein Leben gerettet.
Und als er an Pnuel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf;
und er hinkte an seiner Hüfte.
Gen 32,23-32
Bittgebet
Gott,
wir halten Ausschau nach dir,
damit wir in unserer komplizierten Welt neue Hoffnung schöpfen
für das Gehen auf den Wegen deines Sohnes Jesus Christus.
Wir bitten dich für die
Herrschaften,
die es nie aus und vorbei sein lassen wollen mit Gewalt und Unrecht,
die in Kauf nehmen, daß Menschen in Angst und Schrecken leben,
fliehen müssen aus Vaterland und Muttersprache
oder in der Heimat zugrunde gehen:
in Libyen und Tunesien, in Eritrea und Afghanistan und anderswo.
Du leidest mit allen Völkern, die gedemütigt werden.
Gott,
wir halten Ausschau nach dir,
damit du uns zum Leben überredest und von der Liebe überzeugst
wieder, mehr, mit neuem Mut.
Wir bitten dich für alle,
die jede Hoffnung haben fahren lassen,
die keiner Antwort mehr glauben schenken
und schon gar nicht mehr fragen:
in Japan, und in unserer Nähe.
Wir sprechen vor dir von dem Skandal,
daß mitten in unserem Überfluß Menschen keine Arbeit
und kein Auskommen haben,
inmitten von äußerem Wohlergehen ungezählt viele seelisch
krank sind.
Du leidest mit allen Menschen, die am Leben verzweifeln.
Gott,
wir halten Ausschau nach dir,
damit deine Gegenwart auch und gerade in unserer Kirche spürbar bleibt.
Wir bitten dich für die
weltweit organisierte,
etablierte und gleichzeitig armselige, in sich zerstrittene Gemeinschaft
der Heiligen:
in Tübingen, in Rom, in Genf, in den Slums von Togo.
Laß die Frische ihres Ursprungs wiederkehren, an Häuptern und
Gliedern.
Du leidest, wo in der Kirche der Weg deines Sohnes nicht beschritten,
sondern zerstört wird.
Gott,
hab Geduld mit uns, und gib uns Gelassenheit.
Nimm unseren schwachen Glauben an,
und hilf uns zum wahren Leben, das uns Jesus schenkt,
dein Sohn, mit dessen Worten wir nun beten ...
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