Predigten

 
 

Entweltlichung der Kirche?

Ansprache über Mt 22,15-21. 29. Sonntag im Jahreskreis A - 29. Sonntag im Jahreskreis A – 15./16.10.2011 in Tübingen und Bühl (Thomas Steiger)

Das Evangelium des Sonntags ist eine Steilvorlage für die Debatte um des Papstes Äußerung zur Entweltlichung der Kirche. Da, es steht doch bei Mt, daß der Christ nichts mit weltlicher Herrschaft zu tun haben soll, daß Hab und Geld und Gut nichts mit Gott zu tun haben. Haltet euch vom Kaiser und dessen Zuständigkeitsbereich möglichst fern, indem ihr ihm den Tribut zollt, den er verlangt, aber sonst: auf
Abstand! Um was geht es bei diesem Begriff, den das Wörterbuch so gar nicht kennt:
„Entweltlichung“? Benedikt XVI. hat ihn in seiner programmatischen Freiburger Rede zum Abschluß seines Deutschlandbesuchs aber mehrfach gebraucht, als Folie zur Charakterisierung der derzeitigen Lage der Kirche in seinem Heimatland, als kritischen Hinweis, um auf gefährliche Entwicklungen der letzten Jahre hinzuweisen.

Wenn die Kirche glaubhaft von Gott Zeugnis ablegen will, muß sie sich entweltlichen. So weit, so klar. Aber der Papst hat damit – wieder einmal, das gelingt ihm gut - eine große Debatte losgetreten; und Sie ahnen vermutlich schon, in welche Richtung diese geht. Will Benedikt die alte Unterscheidung wieder einführen: hier die verderbliche Welt, die vom Bösen und den Gefahren der Freiheit zerfressen wird, dort die heilige Kirche, in der das Heil des Menschen und seine Rettung bewahrt werden? Denkt der Papst wirklich, daß es zwei strikt getrennte Bereiche gibt, und es besser ist, wenn diese beiden nichts miteinander zu tun halben? Soll sich die Kirche möglichst ganz aus den weltlichen Angelegenheiten heraus halten, am besten auf Distanz bleiben, damit sie sich nicht „schmutzig“ macht an all dem gottlosen Denken und Handeln?

Seit der anthropologischen Wende in der Theologie, seit die Katholische Kirche in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils sich ganz grundsätzlich für die Welt geöffnet hat und in ihr – nicht außerhalb ihrer – Gottes Wirken sucht, wäre eine solche Trennung schwierig, ja unmöglich. Gott hat in seiner Menschwerdung sich ganz und gar verweltlicht. Jesus Christus ist die Zuwendung, Durchdringung der Welt mit Gott. Da gibt es kein Stückchen Welt, ind er nicht Gott wäre, da existiert keine Kirche unabhängig von der Welt. Das Diesseits, das sterbliche Leben ist der Kirche aufgegeben als ihr Existenzraum. Dort, hier muß das Heil zu erfahren sein, und nicht im luftleeren Raum einer „perfekten Gesellschaft“ Kirche, die es so ohnehin nie gab, und die seit den Mißbrauchsskandalen ein zwielichtig-lächerliches Zerrbild geworden ist. Es gibt in der Kirche alles, was es außerhalb ihrer selbst auch gibt – die gleichen Sünden, die gleiche Sehnsucht, Scheitern und Gelingen. Die Kirche ist ganz in der
Welt, ja sie ist ganz Welt.

Dieser Gedanke würde Papst Benedikt so nicht von den Lippen kommen. Das Gehminis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist zwar auch für ihn der Dreh- und Angelpunkt der Erlösung. Die Welt kann dann gerettet werden, wenn sie sich für diesen Tausch zwischen Gott und Mensch offen hält, wenn sie bereit ist, das bloß Weltliche zugunsten Gottes aufzugeben. Die Kirche muss sich immer wieder neu den Sorgen der Welt öffnen und sich ihnen ausliefern, um den heiligen Tausch, der mit der Menschwerdung begonnen hat, weiterzuführen und gegenwärtig zu machen. So sagt es Benedikt wörtlich. Aber sind nicht die Sorgen auch in ihr selbst? Spiegelt sich in der Kirche nicht radikal die Begrenzung und Erlösungsbedürftigkeit, die Kennzeichen der Schöpfung Gottes überhaupt ist?

Tendenzen in der Kirche, die dahin gehen, will der Papst lieber ausmerzen. Er würde sie lieber nicht sehen müssen. Und er plädiert deshalb für eine Umkehrbewegung, die das Weltliche aus der Kirche vertreibt. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen. Damit weist er zurecht hin auf die Gefahr, daß die deutsche Kirche manchmal gar nicht mehr unterscheidbar ist. Auch in ihr gilt das Prinzip der Leistung und des Erfolges (Erwerbslose). Die Finanzen bestimmen oft über die Inhalte (Kindergartenfragen). Egoismus und Eifersüchteleien regieren. Ein bürokratischer Apparat droht hart an den wahren Bedürfnissen der Menschen vorbei zu schrammen. Es gibt Machtansprüche und Taktik, bürgerliche Konventionen und Gewohnheiten. Und es gibt sie nicht nur in Rom, oder Rottenburg, sondern es gibt sie auch in St. Michael; sie betreffen Sie und mich. Und ich schließe mich ganz und gar
dem Papst an, daß wir hier beginnen müßten, um jenen anderen Aspekt der Kirche zu betonen, der eben auch wesentlich ist für sie: das Göttliche in ihr. Besser: die Anwesenheit Gottes in ihr, die Anfänge seines Reiches.

Wie das erreichen? Wenn ich Benedikt recht begreife, rät er hier zur Distanzierung. Unter Entweltlichung der Kirche versteht er, wieder auf Distanz zu ihrer Umgebung zu gehen. Und obwohl er damit keinen Rückzug meint, sondern eine Entlastung der Kirche, bringt diese gedachte Trennung für mich Probleme mit sich. Oder was meinen Sie, was geschieht, wenn wir mit diesem oder jenem nichts mehr zu tun haben wollen, aus Angst wir könnten dadurch unsere eigentliche Sendung gefährden? Kein Haushaltsplan, keine Gemeindehaussanierung, keine Tarifverhandlungen, keine Beratungen in Gremien, kein Internet, kein Fest der Gemeinschaft … Ich überzeichne jetzt ein bißchen, aber die gedachte Distanzierung braucht ja auch ihre Konkretion. Und da favorisiere ich eher ein anderes Modell: das der völligen Durchdringung, der radikalen Konfrontation von Kirche und Welt. Dann brauche ich das Weltliche nicht abzulegen, weil ich ihm ja etwas entgegen zu halten habe, etwas, das die Welt
verändert, das sie nicht ausgrenzt, sondern einen Wandel in ihr in Gang setzt. Dann kann ich sie sogar lieben, meine Welt, in der ich lebe, und brauche trotzdem nicht automatisch mit allem einverstanden zu sein.
Jesus empfehlt den Pharisäern nicht die Wiedereinführung des Tauschhandels, weil das Geld das kaiserliche Konterfei trägt. Er verbietet den Umgang mit Geld nicht. Aber wenn es um Gott geht und um seinen Gestaltungswillen in der Schöpfung, dann wird man sich nicht ans Geld halten und nicht um das Ansehen der Person oder andere Maßstäbe kümmern, die sichtlich gottlos sind. Und der Hieb sitzt dann wohl: Gebt Gott, was Gott gehört! Lernt neu zu unterscheiden! Das nämlich braucht nicht nur
unsere Kirche, sondern die mit ihr verschränkte Welt genauso: daß die Spielregeln Gottes uns heilen.