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Klare Alternativen
Ansprache
über Mt 7,13-29. Altjahrsabend
31.12.2011 17:00 Uhr
St. Michael Tübingen (Thomas Steiger)
Wenn wir überlegen und
planen, was im kommenden Jahr sein soll, geschieht das nicht unbeeinfußt
von dem, was im vergangenen Jahr war. Viele Ziele und Vorhaben sind
eben (wieder einmal) liegen geblieben und harren der Verwirklichung.
Nachlese und Vorausschau hängen zusammen. Das ist typisch und ich
fnde es gut so, weil ich überhaupt nichts davon halte, in ein Jammern
auszubrechen ob dem, was nicht geklappt hat. Es war eben nicht. Die
Umstände waren so. Und ich hatte vieles nicht in der Hand. Manches
bedauere ich; das kommt in den Speicher, dorthin, wo ich im neuen Jahr
wieder Anlauf nehme. Mal schauen, ob ich unter veränderten Umständen
die Hürde diesmal bewältige.
Für unsere beiden Kirchengemeinden
St. Michael und St. Pankratius wird der inhaltliche
Schwerpunkt des Jahres 2012 von dem Themen geprägt sein, die die
Bergpredigt vorgibt
jene große Spruchsammlung des Evangelisten Matthäus,
in der er die wesentlichen
Prinzipien des Denkens Jesu zusammen gefaßt hat. Über drei
lange Kapitel hinweg geht
es dort beispielsweise um folgendes; ich nenne Ihnen einige Schlaglichter:
- daß Gott auf das
achtet, was in unserem Inneren ist, und sich nicht für die äußere
Erfüllung von Gesetzen interessiert
- daß Gott erst schenkt
und dann, auf dieser Grundlage, von uns erwartet
- daß seine Erwartungen
an uns hoch sind, und wir deshalb nicht zu leichtfertig in den Tag
hinein leben sollen
- daß Denken und Handeln
zusammen gehören
- daß ich Gott nicht
bitten kann, wenn ich selbst jede Konsequenz scheue
- daß ich mich nicht
endgültig auf dieser Welt einrichten soll.
Dann geht es in der Bergpredigt
neben diesen grundsätzlichen Haltungen aber auch um sehr konkrete
Inhalte, um Menschheitsthemen, zu denen wir uns häufger verhalten
müssen als uns lieb ist. Z.B. um Trauer und Trost, um das Beten,
um die Ehescheidung, um Rache und Vergeltung, ums Teilen, um Gerechtigkeit,
um das Sorgen und unsere Ängste. Bitte nehmen Sie sich Zeit, die
drei Kapitel Mt 5-7 mehrmals zu lesen. Beginnen Sie am besten gleich
morgen zum ersten Mal damit. Schreiben Sie den Text von Hand ab und
legen Sie ihn auf Ihr Nachtkästchen oder Ihren Schreibtisch, kopieren
Sie ihn auf Ihren Computer oder aufs Handy.
Wir werden uns als Pastoralteam
und mit fachkundiger theologischer Unterstützung bemühen,
viele der Themen zu bearbeiten in Predigten und Vorträgen, in Aktionen,
für die wir auch auf Ihre Ideen und Vorschläge gespannt sind.
Jeder Monat wird ein eigenes Leitwort haben und ein passendes Monatslied,
das wir in jedem Sonntagsgottesdienst singen werden. Im Laufe des Monats
Januar erhalten Sie dazu ein kleines Programm, das Sie bitte das Jahr
über aufbewahren.
Ich habe für diesen
letzten Tag des Jahres und damit den Vorabend zu 2012 mit Bedacht den
Schluß der Bergpredigt ausgewählt. Dort geht es nicht um
Inhalte, sondern um Methoden, es geht nicht um konkrete Schritte zunächst,
sondern die Art und Weise, wie etwas anzupacken ist. Ich denke nämlich,
daß es hilfreich ist, eine Perspektive aufzuzeigen, unter der
die kommenden 365 Tage zu gehen wären. Heute müssen wir noch
wissen, was wir alles im einzelnen tun werden; aber es empfehlt sich
von vornherein eine Ahnung zu haben, wo ich am Ende heraus kommen will.
Ein Ziel vor Augen ist hilfreich,
und eine Vorstellung von der Methode, dorthin zu gelangen. Dazu wählt
der Evangelist zwei Bilder: das vom Weg und das vom Haus. Und er führt
jeweils klare Alternativen an und gibt eine Empfehlung, für welche
von beiden der sich entscheiden soll, der die Worte der Bergpredigt
ernst nimmt und sich Gottes Willen anschließt.
Der schmale, der enge Weg.
Nicht die Hauptstraße, die Autobahn, nicht den oft begangenen,
ausgetretenen Weg, sondern den Feldweg, den Gebirgspfad. Nicht schnell,
unkompliziert, bewährt. Nein: unbekannt, neu, beschwerlich, gefährlich!
So werden die Wege derer sein, die sich die Bergpredigt Jesu zu Herzen
nehmen, die nach ihr leben, ja, die ihr alle anderen Lebensmodelle unterordnen.
Für den Hausbau empfehlt
er statt Sand Felsen, also festes Material, weil das Gebäude
und damit meint er natürlich das Gedankengebäude der Bergpredigt
Gefahren ausgesetzt sein wird. Wer sich für Treue in der
Partnerschaft ausspricht, wer sich dem Gesetz von Geben und Nehmen verweigert,
wer ohne Kalkül teilt und herschenkt von dem, was er hat
der wird für verrückt gehalten und nicht ernst genommen. Wer
sich entschuldigt, weil ein anderer ihm Böses getan hat, und wer
in Kauf nimmt, daß er schlechter dasteht, weil er sich nicht den
Gesetzen des Marktes unterwirft, und wer in den Tag hinein
lebt unter der Annahme, er sei nicht seines eigenen Glückes Schmied
der wird ausgenützt, ausgelacht, ein Außenseiter.
Es ist geradezu ein Indiz dafür, ob wir die Vorschläge Jesu
beherzigen. Wo es nicht stürmt, wo wir nicht in schweres Gewässer
kommen, wo an uns nichts rüttelt, steht zu befürchten, daß
unser Glaube lau ist und wir noch nicht weit genug gekommen sind in
der Konsequenz der Nachfolge.
Genau diese beiden methodischen
Indizien also möchte ich uns mitgeben für unser Jahr der Bergpredigt:
die Anstrengung des neuen und gefährlichen Weges und die Befestigung
unserer Grundlagen. Sie sind sozusagen der Prüfstand, dem wir alles
unterziehen, was wir tun und überlegen in 2012. Übrigens können
Sie auch Ihre privaten/persönlichen Ziele dieser Prüfung unterziehen.
Beim einen oder anderen wird eine Berufsentscheidung anstehen. Oder
es kommt zu einem Zusammentreffen mit jemandem, dem Sie lieber aus dem
Weg gehen würden. Was machen Sie mit Ihrem Geld und Besitz? Wie
viel sind Sie bereit auf sich zu nehmen, wenn es darum geht, der Liebe
treu zu bleiben?
Die Bergpredigt fordert summa
summarum von uns, einige eingefeischten Grenzen zu überwinden.
Es kommt nicht darauf an, wie ich dastehe vor anderen. Das Abspulen
von Frömmigkeit ist ohne Bedeutung. Menschengesetze haben nicht
das letzte Wort, auch in der Kirche nicht, wo sie manches Mal verbrämt
als göttliche Wahrheit daher kommen. Jesus fordert an diesen Stellen
Courage von uns, gegen den Strom zu schwimmen, und wenn es unbequem
wird, dann erst bin ich auf dem rechten Weg. Nicht, weil ich es schwer
haben soll, gar leiden muß, sondern weil die Logik der Bergpredigt
an und für
sich den Spielregeln, die wir gewohnt sind, und von denen wir so ungern
lassen, entgegen stehen.
So ein bißchen denke ich dabei auch an die Schicksalsfrage der
Kirche überhaupt. Wenn sie nicht mehr zu unterscheiden ist von
allem anderen, macht sie sich selbst überfüssig.
In Wahrheit aber ist sie wichtiger denn je. Unsere Welt braucht zum
Überleben die Bergpredigt.
Und wo, wenn nicht in der Kirche, und wir eben hier in unseren Gemeinden,
sollten wir beginnen?
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