Predigten
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Wohin mit allem Leid?
Predigt an Karfreitag mit
Bezügen zur Johannespassion Wohin, liebe Schwestern und
Brüder, wohin mit allem Leid, das es auf unserer Welt gibt, und
im Leben eines jeden von uns, der hier sitzt? Wohin mit dem abertausendfachen
Leiden an Krebs, der Angehörige und Ärzte manchmal an den
Rand der Verzweiflung ob ihrer Ohnmacht bringt? Mit geschlagenen Frauen
und mißbrauchten Kindern, mit Bosheiten, die Menschen zum Wahnsinn
treiben, mit Druck an Arbeitsplätzen und im Familienleben, der
den Atem zu ersticken droht? Mit schmerzverzerrtem Gesicht, mit Rufmord,
mit Häßlichkeit und Ungerechtigkeit wie beim eben vorgestellten
Gottesknecht des Jesajabuches? Mit alledem und mehr, das Sie kennen
und aus Erfahrung oder eigenem Leiden hierher mitbringen: Wohin?! Liebe Schwestern, liebe Brüder, in diesen Tagen erschüttert eine Diskussion ganz Europa, die nachgerade in das Herz des christlichen Glaubens trifft. Die holländische Entscheidung zur Erlaubnis aktiver Sterbehilfe betrifft eben nicht nur eine abgeleitete Moral/Ethik, den Kodex eines christlichen Handelns, wie er sich im Laufe der Jahrhunderte als verbindlich herausgebildet hat, und mit dem die Kirchen von Zeit zu Zeit Politiker ermahnen. Nein, diese Frage zielt absolut dahin, ob denn das Lebensmodell Jesu Christi überhaupt einen weiteren Bestand haben kann, oder ob es vielmehr durch das Modell des allmächtigen Menschen ersetzt wird. Jesus Christus, der in seiner Sterblichkeit wahre Sohn des Menschen, und Gottessohn in seiner liebenden Treue bis in den Tod, zeigt uns – wenn nicht heute an Karfreitag, wann dann – daß am Weg des Leids, an den zerstörerischen Kräften, die den Menschen bedrohen, kein Weg vorbei führt. Nicht umsonst sprechen wir davon, daß sein Kreuzweg ein Orientierungsrahmen sein kann für unseren persönlichen Kreuzweg – sein muß, wenn wir den Bundesschluß Gottes nicht aufkündigen wollen, den er doch durch Jesu Leiden und Kreuz, Sterben und Aufersteh‘n mit uns geschlossen hat. Davon erzählt die Passion, die wir im Anschluß hören und in unserem Hören mit unserem Leben in Verbindung bringen werden. Selbstverständlich kann ein Mensch frei entscheiden, ob er seinem Leben ein Ende setzt. Diese Freiheit ist wesentlicher Teil daran, daß wir Gottes Abbild sind, ihm ähnlich; übermorgen in der Osternacht wird uns diese Tatsache in der ersten Lesung aus Genesis wieder ins Gedächtnis gerufen. Der Mensch ist von Gott zur Freiheit berufen, das ist seine Würde; wesentlich bestimmt dies unsere Stellung im Schöpfungsplan. Allerdings auch unsere Aufgabe! Ist denn unsere Freiheit tatsächlich grenzenlos? Oder ist sie vielmehr nur der Möglichkeit nach in unserem Geist grenzenlos, während bei ihrer Umsetzung der Mensch permanent Gefahr läuft, sie zu überstrapazieren und sich selbst dabei zu überfordern? Ja, wir haben die Möglichkeit, die Dauer unseres Lebens, was sein Ende angeht, zu bestimmen, unseres und das anderer Menschen. In der Tat tun wir dies auch dauernd, und darin liegt ein wesentlicher Grund unserer Sünde, die wir anhäufen. Diese Freiheit haben wir, aber haben wir auch das Recht, sie in diesem Fall zum Einsatz zu bringen? Mit Blick auf die Leidensgeschichte Jesu, der heute unsere bevorzugte Aufmerksamkeit gilt, und unter der Rücksicht, daß dieser Weg Jesu zum Kreuz wirklich, real also, etwas mit unserem eigenen Lebensweg zu tun hat, insofern wir denn unser Leben auch als einen Kreuzweg sehen wollen und verstehen lernen, mit solchem Blick haben wir das Recht dazu nicht. Denn: Wer seinem Leben bewußt und zum frei bestimmten Zeitpunkt ein Ende setzen will, der tilgt das Kreuz aus seinem Lebensmodell. Er tut so, als ob das Menschsein lediglich aus Größe, Anmut und Glück bestünde. Aber ist denn nur der ein Mensch, der gesund ist? Ohne Not fänden wir andere Kriterien zur Einteilung: reich, blond, schlank, intelligent usw. Die Konsequenz solchen Denkens kennen wir; es muß uns Deutschen bewußter sein als anderen Nationen, weil die Regierung unseres Volkes vor sechzig Jahren mit ihrem Euthanasie-Programm das Urteilsrecht über menschliches Leben in ihr Gewahr genommen und Gott entzogen hat. Was ist nämlich mit denen, die den von Menschenhand gemachten Idealen nicht entsprechen: mit Behinderten und Alten, mit Aids-Kranken und Schwulen, mit Punkern und ...? Was ist mit denen, die versagen, die nicht mehr können, und schließlich nicht mehr wollen? Sind Rollstuhlfahrer keine Menschen, Frühgeborene lebensunwert, weil ihre Lunge noch nicht das Standardformat eines Menschen hat? Trägt ein leidender, weil er leidet, keine menschlichen Züge mehr? Selbst wenn ich es wollte, wenn Sie es wollten, wir könnten uns das Menschsein nicht absprechen, weil wir die Kriterien dazu nicht in der Hand haben! Wir nicht, und kein Arzt auf der ganzen Welt! Was hingegen menschliches
Leben ausmacht, zeigt in seiner ganzen Bandbreite die Passion Jesu:
Das erhabene Stehen im Gericht vor Pilatus gehört ebenso dazu wie
der erniedrigende Spott durch die Schergen. Verrat (Petrus) ist menschlich
und Treue (Maria und der Jünger, den Jesus liebte). Im Menschenleben
sind Zweifel und Gottvertrauen erlaubt, Würde und Erniedrigung,
Leben und Tod. Und eben auch der Schwellenbereich von Krankheit und
Leiden, den wir so gerne ausblenden würden. Keine Frage: Schmerzen
müssen behandelt und gemildert werden, es soll niemand unnötig
leiden. Aber dennoch sind auch die Grenzen und das nahende Ende Teil
unserer Existenz. Zu Gottes Schöpfung gehörend ist es unsere
Aufgabe, so gut wir’s denn vermögen, die Todesangst und den
Schmerz in unser Lebensmodell zu integrieren, und nicht mit einer schnellen
Spritze kurzen Prozeß zu machen. Heute an Karfreitag möchte
ich sogar soweit gehen zu behaupten, daß sich das wahrhafte Menschengesicht
im von Blut und Tränen und Schweiß getränkten Tuch der
Veronika auf Jesu Weg zeigt, und zuletzt am Kreuz – leidend, sterbend,
vertrauend auf Gottes Hand. Auf 3/4 solche Wegstationen
möchte ich Sie aufmerksam machen, als Hörhilfe, die Ihnen
das Weiterdenken erleichtern und Bezüge zu Ihrem eigenen Leben
ermöglichen will: 2. Wir haben ein Gesetz, danach muß er sterben. Die Unbarmherzigkeit der Regeln, die wir uns selber geben, bekommen viele sehr leidvoll zu spüren, die nicht ins 08.15-Konzept passen. Ein Blick auf die Person, die Individualität könnte vielen Menschen Erniedrigung ersparen. 3. Jesus behält in Schmerz und Todesangst einen Blick für das Danach, weswegen er die Verhältnisse der Menschen in geordnete Bahnen lenken will, die ihm lieb sind: die seiner Mutter und des einen geliebten Jüngers. Dazu sollten wir allen verhelfen, die an den Rand ihres Lebens kommen. Die Leidensgeschichte Jesu ist – bei alledem! – und bleibt Evangelium, d.h. frohe Botschaft, sie ist keine Tragödie. Wenn es überhaupt eine menschlich verträgliche Antwort auf die Theodizee-Frage gibt, auf die Suche nach dem Zueinander von Gott und Mensch im Leid, dann ist die Passion Jesu die lebendige Antwort. Keine Erklärung und auch kein Rezept, keine in Fakten überführbare Lösung, vielmehr: die Aufforderung, diesen Weg mitzugehen im eigenen Leben und dort die Antworten selbst zu erfahren! . |