Predigten

 

Predigt am 7. Juli 2002 (6. Sonntag nach Trinitatis) zu 1. Petrus 2, 2-10 in der evangelischen Eberhardskirche von Pfr. Braunschweiger:

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 1. Petrusbrief 2,(2-10). Bevor ich den Text lese, zunächst ein paar Fragen, die uns helfen sollen, die Bedeutung des Textes für die heutige Zeit besser zu verstehen.

Erstens: Sind Sie interessiert an einer neuen Gesellschaft? Ich weiß, daß dieses Schlagwort schon längst wieder passé ist, out, sagt die Jugend, megaout. Seit dem Pyrrhussieg des Kapitalismus über den Sozialismus ist die Utopie einer neuen Gesellschaft ad acta gelegt. Ist sie das wirklich? Ein neues Schlagwort geistert in den Köpfen der Politiker und Wirtschaftsfachleute um. Globalisierung heißt es. Was soll denn globalisiert, also auf der ganzen Welt verbreitet werden?

Vor allem das kapitalistische Wirschaftssystem. An diesem System soll also die Welt genesen. Natürlich sollen auch die westlichen, die jüdisch-christlichen Werte mitgeliefert werden: Also die Demokratie, die Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, soziale Gerechtigkeit. Das sollen sozusagen die Bausteine dieser neuen Weltgesellschaft sein. Aber paßt das zusammen: Kapitalismus und christliche Werte? Kapitalismus heißt: Glaube an Technik und Ökonomie. Und woran glauben wir Christen? Der Journalist Christian Nürnberger hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Kirche, wo bist du?". Ein flammender Aufruf gegen den Raubtier-Kapitalismus. Seine Prognose lautet: "Der computergestützte Kapitalismus, wie er sich jetzt abzeichnet, wird, wenn niemand gegensteuert, in tiefstem Heidentum enden, in Barbarei auf höchstem Niveau."
Wer steuert dagegen?

Eine zweite Frage: Trauen Sie Jesus von Nazareth eine ausschlaggebende Bedeutung zu für unsere Zeit? Oder ist dieser stille, sanfte Mann .- war er denn so still und sanft? - ist er nur noch ein Hauch im Kirchenraum?

Da stehen auf dem Bauplatz der Weltgeschichte die Riesenblöcke herum. Je massiver, desto unbrauchbarer sind sie für den Bau eines neuen Menschheitshauses.

Da ist der Block der Macht. Die arrogante zynische Macht. Die einzig verbliebene Supermacht will den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht anerkennen. Vor diesem Gerichthof sollen Kriegsverbrechen und Völkermord zur Anklage gebracht und verfolgt werden können. Die USA blockieren. Warum? Sind sie nicht die großen Moralisten, die die Bösen in der ganzen Welt verfolgen wollen?
Und da ist der Block Wissenschaft: Nicht wenige erwarten davon den entscheidenden Impuls für den Neubau der Menschheit. Vor allem von den Biowissenschaften, der Gentechnik. Wenn schon der Mensch nicht zum Guten erzogen werden kann, dann soll der gute Mensch gezüchtet werden.
Und der Block der Wirtschaft und der anderen Blöcke oder Zwänge. Der vielleicht sprödeste aller Blöcke, der Block der Dummheit. Daneben der der Gefühlsarmut oder gar Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit. Nicht zu vergessen der Block aschgrauen Elends. Und der unrettbaren Verdorbenheit.

Ist Jesus eine Hilfe bei dieser Sachlage? Bringt er etwas ein, etwas Neues, Erlösendes? Und wer wird ihm dabei helfen? Wenn es praktisch werden soll unter uns, handgreiflich, spürbar, real, braucht er sicher Helfershelfer. Aber wen, wo sind sie zu finden?

Die dritte Frage will ich mit einem kleinen Erlebnis einleiten: Großstadt. Am Rande die Satellitenstadt, ein Ring von Hochhäusern und noch ein Ring und noch ein Ring. Unvermittelt daneben Getreidefelder. Wiesen. In der Ferne ein Bauernhof. Ich habe den Freund nicht angetroffen, muß warten, wandere durch die Felder auf ein einsames Bildstöckl zu. Freue mich im voraus auf das Rokokogebilde. Mir ist es ganz gleich, ob ich darin den gekreuzigten Heiland finden werde oder - Protestant, der ich bin - eine Madonna mit dem Kind.

Hinter dem geschmiedeten Eisengitter aber liegt - eine Teertonne. -
Eine Teertonne ist sehr nützlich für den Straßenbau. So unmittelbar nützlich ist ein Cruzifixus oder eine Madonna sicher nicht. Frage daraus - es ist das Problem des Verlusts alles Heiligen; des Verlustes des Jenseitigen, des Göttlichen, das Problem der Verweltlichung aller Dinge, ihrer Profanisierung - wissenschaftlich genannt: Säkularismus -: ob dieser Verlust ein Verlust ist?

Vielleicht ein furchtbarer, ein tödlicher Verlust? Eine Gefahr? Nein, schon nicht mehr eine Gefahr, ein Tod!? Wie wenn man über einen Menschen ein letztes Urteil spricht, wenn man sagt: "Dem ist nichts mehr heilig. Seht euch vor!"

Wenn ein Heiligtum nötig ist für die moderne City - "die Stadt ohne Gott" - - die ihr Lebensgesetz bald dem letzten Dorf aufgezwungen haben wird -, wie muß es aussehen, das moderne Heiligtum?

Hören wir nun den Text aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 2:
"Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, so sollt ihr nach dem unverfälschten Wort Gottes verlangen, um im Glauben zu wachsen und das Ziel, eure Rettung, zu erreichen. Ihr habt schon gekostet, wie gütig Christus, der Herr, ist. Kommt zu Christus! Er ist der lebendige Stein, den die Menschen als unbrauchbar weggeworfen haben. Aber Gott hat ihn als kostbaren Stein ausgewählt. Kommt selbst als lebendige Steine und laßt euch beim Bau des geistlichen Tempels einsetzen. Dort werdet ihr als heilige Priester Dienst tun. Ihr werdet Gott durch Jesus Christus geistliche und würdige Opfer darbringen. So steht es in der Schrift: Ich habe einen kostbaren Stein ausgesucht, den ich jetzt in Zion als Fundament benutze. Wer an ihn glaubt, der wird nicht enttäuscht. Dieser Stein hat für euch Glaubende einen großen Wert: Anders bei denen, die nicht glauben: Der Stein, den die Maurer als unbrauchbar weggeworfen haben, erwies sich als der allerwichtigste Stein. An diesem Stein werden sich die Menschen stoßen. Er ist der Felsen, an dem sie zuschanden werden. Sie stoßen sich, indem sie der Guten Nachricht nicht glauben. Aber so hat Gott es bestimmt. Aber ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk. Gott hat euch als sein Volk ausgewählt, damit ihr seine großartigen Taten verkündet. Er hat euch ja aus der Dunkelheit in sein eigenes, wunderbares Licht geholt. Früher ward ihr nicht sein Volk. Aber jetzt seid ihr es. Früher wußtet ihr nichts von Gottes Erbarmen. Aber jetzt habt ihr sein Erbarmen erfahren."

Liebe Gemeinde!
Wir entnehmen dem Text zu unserem großen Trost den unbedingten Bauwillen Gottes. Dauernd ist die Rede von Steinen, also Baustoffen, und von den Baumethoden des Architekten. Ungewöhnlich und überraschend sind diese Methoden für die Maurer. Ein "Haus des Geistes", ein "geistlicher Tempel" ist vom Bauherrn entworfen. Ökumenisch, weltumfassend, also global ist dieses Haus des Geistes. Denn der Bau der neuen Gesellschaft ist Teil des Reiches Gottes.
Und Gott wird sich davon nicht abbringen lassen. Gott sei Dank!

Strittig ist die Frage der Methode zwischen Architekt und Maurer: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein, zum Grundstein, zum Schlußstein geworden", will sagen: zum durchgehenden Bau-Prinzip.

Was ist das für ein Prinzip? Nun, es ist das Kreuz, das die Liebe auf sich nimmt. Oder auch umgekehrt: die Liebe, die den Kreuzweg auf sich nimmt. Und es ist die Wahrheit, die sich kreuzigen läßt. Und es ist der Glaube, das unbedingte Vertrauen, daß der Bauherr, daß Gott es gut, sehr gut machen wird. Aber zu diesem Kreuz gehört auch die Auferstehung, einmal und immer wieder. Es ist der Sieg, den Gott eben für diesen Opferweg beschlossen hat.

Daß alle Maurer der Welt darüber den Kopf schütteln, ist nur zu verständlich. Soll man damit gegen die Blöcke angehen, die dem Haus der Menschheit zugrunde liegen? Den Block der zynischen Macht, da das Gewehr "der Eckstein" ist? Den Block des Kapitalismus, da das Geld "der Eckstein" ist? Den Block der Wissenschaft, da die kalte Logik "der Eckstein" ist? Den Block der Psychologie, da die Zweideutigkeit der Seele "der Eckstein" ist. Den Block der Dummheit, gegen die nach einem bekannten Wort "die Götter selbst vergebens kämpfen"?

Allerdings bei dem Block des Elends, der Hilflosigkeit und der Verdorbenheit schimmert so etwas durch, als sei die Methode der Liebe und der Wahrheit und des Schreis nach Gott die einzige, die etwas verspricht. Hat die Macht je dem Elend abgeholfen? Sie hat es nur vergrößert. Haben die Geld-Milliarden je dem Elend geholfen? Sie haben sich lohnenderern Projekten zugewendet; z.B. der militärischen Rüstung.

Hilft etwa die Wissenschaft? Nun, Wissen ist Macht. Und Wissenschaft und ihre Anwendung, die Technik, haben den Menschen immer mächtiger gemacht. Aber haben sie ihn gebessert? Haben sie dem Elend abgeholfen? Ist die Logik die verlässliche Wahrheit, auf der ich mein Leben gründen kann?
Ist die Jesus-Methode des leidenden Kampfes (oder des kämpferischen Leidens) doch vielleicht die einzige, die das Menschheitshaus menschenfreundlich und menschenwürdig bauen kann?

Das Haus der Menschheit wird gebaut, so oder so. Die Frage ist: mit welchem Material? Nach welchem Prinzip? Z.Zt. wird uns von den Politikern die Globalisierung schmackhaft gemacht. Globalisierung aber ist Herrschaft des Kapitals. Die Marktinteressen bestimmen das Weltgeschehen. Einer, der sich darin auskennt, nennt sie ein "umstützlerisches Geschehen". Und sagt: "Sie marschiert, ob wir es wollen oder nicht, gelegentlich wie ein gottverdammter SA-Sturm: bis alles in Scherben fällt."
Und wo ist der Widerstand?

Und wo bleiben die Werte, die Grundwerte wie die Menschenwürde, das Recht auf Arbeit, soziale Gerechtigkeit, der arbeitsfreie Sonntag, die Solidarität? Damit wird die Globalisierung nur garniert. In Wirklichkeit stören sie nur die Marktinteressen.
Das aber wird Gott nicht hindern, sein Menschheitshaus weiterzubauen. Den Grund- und Eckstein, das Fundament hat er gelegt. Das Bauprinzip ist bekannt: Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Inmitten der Menschheits-geschichte ist er im Verborgenen global am Werk - durch seinen Geist. Das ist die göttliche, die barmherzige Globalisierung. Und das ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Und ständig ist er auf der Suche nach Mitarbeitern, nach Baumaterial. Wer hilft ihm? Wer stellt sich ihm zur Verfügung?
"Ihr seid die lebendigen Steine"! Ihr seid Bau-Stoff! Handelt nach dieser Bau-Methode! Ihr seid gemeint mit dem "Haus des Geistes", priesterlich zu vermitteln die Jesus- Gaben, dieser Kostbarkeit der Menschheit, dieser ewig sprudelnden Quelle der Menschlichkeit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Solidarität.

Der schon genannte Journalist Christian Nürnberger, christlich erzogen, der aber zu Zeiten nicht so recht weiß, wie er es denn mit Gott halten soll angesichts des üblen Zustands der Welt - dieser Zweifler und Glaubensskeptiker wird, so hab ich den Eindruck, von Gott gepackt und ihm wird der Prophetenmantel umgehängt und er ruft "Kirche, wo bist du?" Und in diesem Buch schreibt er: Die "Kirche hat einen weltverändernden Auftrag ....Wer die Bibel als Ganzes liest, Altes und Neues Testament zusammen, der wird sich der Tatsache nicht verschließen können, daß Weltveränderung eine Frucht des Glaubens sein muß. Daß der Messias gekommen ist, muß man sehen können."

Und darum heißt es doch: "Laßt euch als lebendige Steine in den geistlichen Tempel einfügen."
Diese lebendigen Steine, also wir, sind die Träger der Werte...
Man kann sie nicht auf dem Baumarkt, genannt christliches Abendland, kaufen, auch nicht bei der Ethik-Kommision des Bundestages bestellen. Lebendig sind diese Steine, weil und solange sie Kontakt haben zum Grundstein, zu Christus.
Und aktiv, lebensfördernd sind die Werte nur in und durch diese lebendigen Steine, durch die Menschen, die aus der Quelle der Wahrheit, der Liebe, der Gerechtigkeit schöpfen und trinken. Immer und immer wieder. Darum: "Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, so sollt ihr nach dem unverfälschten Wort Gottes verlangen, um im Glauben, im Vertrauen zu wachsen, daß Gott es gut machen wird, sehr gut."
Ohne diese Milch macht ihr schlapp, werdet ihr krank, schwindsüchtig. Schwindet das Vertrauen in den Architekten, schwindet die Hoffnung, daß alles einmal gut, sehr gut sein wird.

Und diese Wort-Milch kräftigt zum Widerstand. So wie die gute Muttermilch das Kleinkind immun macht gegen Infektionen. So auch die Wort-Milch Gottes.
Sie macht immun gegen die Dummheit und gegen die Parolen der Mächte und Gewalten und gegen den Götzendienst, also gegen die Versklavung durch die Blöcke, die sich als globale Heilsbringer im Hause der Menschheit aufspielen.
Nichts aber kann uns das Heil bringen, nichts kann das Leben retten, "kann uns die Schönheit und den Reichtum geben, die wir brauchen, außer dem Blick der Liebe" (F. Steffensky), dem Anhauch des Erbarmens.

Ihr habt doch die Güte Gottes schon gekostet. Ihr habt doch sein Erbarmen schon geschmeckt. Ihr wißt doch: Nicht weil ihr so ansehlich seid, seid ihr bei Gott angesehen. Nicht weil ihr so liebenswert seid, seid ihr von ihm geliebt. Ihr müßt euch nicht vor ihm rechtfertigen für eure Existenz. Ihr seid schon gerechtfertigt. Ihr seid in eurem Innern nicht allein. Der Geist wohnt in euch. Und er will "Leute aus euch machen, die in seinen Geboten wandeln und seine Rechte halten. Und ihr sollt sein Volk sein und er will euer Gott sein."(Hesekiel 36,26f)

Das heißt Heiligung, liebe Gemeinde. Wir fragten: Wie muß das Heiligtum in der modernen Gesellschaft, in der "Stadt ohne Gott" aussehen?
Es wird kein Tempel aus toten Steinen sein. Es ist das Haus der lebendigen Steine. Ihr seid diese Steine, ihr seid dieses Heiligtum. Denn Gott hat euch geheiligt. D.h. er hat euch in der Taufe erwählt und befreit aus den Zwängen und Gesetzen der Mächte und Gewalten. Selbst die Macht des Todes ist für euch nicht mehr die letzte Instanz.
Und er spricht: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig." Seid anders, denn ich bin anders. Leugnet, was ich leugne, wählt, was ich wähle, verwerft, was ich verwerfe. Begehrt, was ich begehre.

Ja, liebe Gemeinde, "der Glaube daran, einen Ursprung der Lebensrettung zu haben, weckt zugleich eine Grundskepsis gegen alles, was sich als unerläßlich und lebensrettend aufspielt...Du sollst nicht glauben, daß dich etwas anderes rettet und birgt als jener erbarmende Blick, mit dem du von Gott angesehen bist. Der Glaube ermöglicht den Unglauben und das Mißtrauen gegen alles, was sich als unberührbar, als unumstößlich und als grundlegend gibt. Es ist ein Grund gelegt, und mehr Grund und Begründung brauchen wir nicht."

Stehend auf diesem Grund, sind wir die lebendigen Steine, die Vermittler der Jesus-Geschichte und der Jesus-Methode und des Jesus-Stoffes, der sogenannten Werte des christlichen Abendlandes.

Das ist zwar verwunderlich, aber es ist so. Und wenn uns wieder einmal die Minderwertigkeitskomplexe überfallen wollen, wird uns auf den Leib und die Nase zugesagt: "Ihr seid nun einmal das auserwählte Geschlecht, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, das priesterliche Königtum, daß ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat zu seinem wunderbaren Licht!"
"Der Mensch ist, was er hat", sagen sie alle heutzutage. "Der Mensch ist, was er tut", sagen die Moralisten.

Die Bibel sagt: "Der Mensch ist, was durch ihn hindurchscheint."

Amen


 

 

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