Predigten

 

Predigt in der Eberhardskirche an Pfingsten 2002
zu Römer 8,1-11

Liebe Gemeinde,
Was wir an Weihnachten feiern, weiß jedes Kind. Daß der Osterhase urprünglich nichts mit Ostern zu tun hat, das allerdings wissen kaum noch die getauften Erwachsenen. Und Pfingsten steht ganz arm da. Da gibt's ja nichteinmal Geschenke. Armes Pfingsten!

Ach, liebe Gemeinde, dabei werden wir doch so reich beschenkt. Wir werden, nein wir sind schon beschenkt und begabt mit dem Geist Gottes. Geist Gottes - das ist der Sturm, der am Uranfang der Schöpfung aus Chaos Kosmos schuf. Und das ist der göttliche Anhauch, der das Tote zum Leben erweckt.

Und es ist der Wärmestrom, der die teuflische Kälte aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen scheucht. Und der Geist Christi ist es, der die Kirche zur Kirche macht: Kyriake - so das griechische Wort, von dem das Wort "Kirche" abgeleitet ist. Und kyriake - das heißt: zum HERRN gehörig. Und auch heute, hier und jetzt in dieser Stunde macht er uns, die wir im Namen des dreieinigen Gottes versammelt sind, zur Kirche, also zu Menschen, die zum HERRN, zu Christus gehören.

Und davon unter anderem redet der heutige Predigttext für den ersten Pfingsttag. Er steht im Römerbrief des Apostels Paulus, Kapitel 8,1-4.11:
So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind./ Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist....Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. (....) Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Nicht ganz einfach zu verstehen ist das, liebe Gemeinde, was Paulus hier zum Geist Wichtiges zu sagen hat. Von Geist und Fleisch und Sünde ist hier die Rede. Und manch eingefleischter Liberaler und Kirchenkritiker würde jetzt am liebsten schon Reißaus nehmen vor soviel scheinbar moralinsauerer Fleischeskritik.
Aber gemach, gemach! Der Hl. Geist nimmt ja auch nicht Reißaus vor unserem Fleisch, sondern ihn zieht es geradezu in unser Fleisch hinein, damit wir besser damit zurechtkommen und die Kunst des Lebens lernen.
Damit also das fleischliche Ich in Dir sich jetzt nicht davonstiehlt, sondern sitzenbleibt und zuhört, will ich zunächst von dem "cherubinischen Velofahrer" erzählen, - einem Lebenskünstler, dem der Schweitzer Dichter und Pfarrer Kurt Marti in einem schönen, humorvollen Büchlein ein Denkmal gesetzt hat.

Manche wissen vielleicht nicht, was ein Velo ist. Das Velo ist ein Fahrrad. Also von einem Fahrradfahrer erzählt Kurt Marti. Warum aber heißt er cherubinisch?
Nun, Kurt Martis "cherubinischer Velofahrer" verkörpert sozusagen einen weltlichen Nachfahren des "cherubinischen Wandersmannes" des Barockdichters Angelus Silesius. Und dieser Angelus Silesius hinterließ eine große Sammlung mystischer Zweizeiler. Einer seiner bekanntesten lautet: "Wär Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, so wärst du doch verloren."
Kurt Martis "cherubinischer Velofahrer" dichtet und reimt ebenfalls - allerdings etwas leichter und humorvoller.

In seinem Testament hat er festgelegt, daß sein Velo, in Einzelteile zerlegt, mit ihm begraben werde. Und auf seinem Grabstein soll der Sinnspruch stehen:
"Wir rasten, rosten hier zu zweit./Gelobt sei Gott in Ewigkeit."

Da er viel an der frischen Luft ist und keiner geregelten Arbeit mehr nachgeht, hat er viel Zeit zum Nachdenken. Und was gibt dem Menschen denn mehr zu denken als der Mensch selber, das mächtigste Erdengeschöpf.

Der cherubinische Velofahrer hat den Verdacht, daß Gott bei der Erschaffung des Menschen nicht ganz bei der Sache war. Und er fragt sich, ob der homo sapiens am Ende vielleicht die Lunte ist, die Gott selber an seine irdische Schöpfung gelegt hat. Und so dichtet er den Stoßseufzer:

"Hier sitz ich nun, ich armer Tor,/ O Gott, was hast du mit uns vor?"
Der Velofahrer hat auch eine Freundin, mit der er glücklich zusammenlebt. Regel heißt sie. Sie hat eines Tages eine Erleuchtung und erzählt davon abends ihrem Freund:
"Jetzt, glaube ich, bin ich hinter dein cherubinisches Geheimnis gekommen", sagt sie. "Neuerdings zweifelst du oft an allem, nie aber an Gott. Also muß in dir tatsächlich ein Engel stecken. Nur Engel zweifeln nie an Gott, was immer auch geschehen mag."

Der Velofahrer wehrt sich vehement dagegen: "Das, Regel, muß ich schlicht verneinen!/ Ich bin kein Engel, eher brauch ich einen."

In in Prosa fortfahrend meint er, er sei einfach nicht fähig,
Gott aus seinen Gefühlen und aus seinen Gedanken zu entlassen, ihn sich aus der Welt wegzudenken.

Und als Regel stur bei ihrer Ansicht bleibt, daß doch genau diese seine Schwäche für Gott den Engel in ihm verrate, widerspricht er ungehalten: "Hast du je einmal von Engeln sagen hören, daß sie neidisch auf Atheisten sind? Ich aber bins, bin es immer mehr. Wer die Existenz Gottes schlichtweg leugnet, hat doch viel weniger heillose Widersprüche, viel weniger nie beantwortbare Fragen auszuhalten." Und gedankenschwer dichtet er:

"Es stimmen finstre Rätsel mich oft trist ein./ Warum, o Gott, darf ich nicht Atheist sein?"
Wo er recht hat hat er recht, der cherubinische Velofahrer. Als Atheist hat mans leichter. So wie die Welt aussieht und der Mensch gewickelt ist, fällt es schwer, an Gott zu glauben, an einen Gott,. der es mit seiner Schöpfung gut meint, an den Gott, der sich in Christus als der gute Hirte und gütige Vater seiner Menschenkinder offenbart.

Soviel Gewalt, Unrecht, Leid, Schmerz, Tränen sind in dieser Welt - wie ist das mit der Liebe Gottes vereinbar?
Der Atheist sieht hinter allem nur den Zufall und das Schicksal. Aber das kann, das braucht er nicht befragen. ---- Der cherubinische Velofahrer aber muß dichten:
"Es stimmen finstre Rätsel mich oft trist ein./ Warum, o Gott, darf ich nicht Atheist sein?"

Er darf, liebe Gemeinde, er darf, aber er kann nicht? Weil zwar nicht ein Engel, aber der Geist Gottes selber in ihm wohnt.
Er könnte seiner Freundin Regel auch mit der Erklärung Martin Luthers zum 3. Glaubensartikel kommen und sagen: "Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft und Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Hl. Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten."

Und damit sind wir auch wieder bei Paulus, Römer 8. Paulus kennt keinen einzigen aus der kleinen Christengemeinde in Rom. Und doch schreibt er ihnen: In euch wohnt der Geist Gottes.
Und auch uns, die wir das hören, ist jetzt gesagt: Ihr seid Wohnungen des Hl. Geistes. Jeder und jede ein Tempel Gottes. Denn der Geist Gottes wohnt in euch.
Ja, wie denn? möchten wir fragen.

Haben Sie sich mal die Mühe gemacht, in Ruhe darüber nachzudenken, (und in Ruhe über etwas nachzudenken, das kann schon eine gehörige Mühe sein!),-
also haben Sie schon einmal in Ruhe darüber nachgedacht, was eigentlich alles in Ihnen wohnt?

Eingefleischte Materialisten werden erklären: das sind natürlich die Eingeweide, Magen, Leber, Herz und Nieren, was man die Innereien nennt.
Aber Paulus redet schon ein bißchen präziser. Er spricht von dem, was in uns wohnt. Was in uns wohnt, ist nicht unbedingt ein Teil von uns. Es ist gastweise da. Es kann sich in uns ausbreiten, uns ausfüllen und beherrschen. Aber es muß nicht da sein. Es kann auch wieder verschwinden.

Auf diese Weise wohnen die Gefühle in uns. Ein Glücksgefühl z.B., wenn alles um uns her stimmig ist, wenn das Leben gelingt. Oder auch das Gefühl von Traurigkeit. Vielleicht haben wir es lange nicht gekannt, aber dann ist es eingezogen und hat Wohnung genommen. Es hat die Fenster der Seele verhängt wie mit dunklen Tüchern. Es hat sich wie Mehltau auf unser Herz gelegt und unsere Gedanken getrübt, sodaß sie schwer und grau und triste werden.

So wohnen die Gefühle in uns. Es sind verschiedenartige. Es sind wechselnde Gäste. Und noch manches andere treffen wir in uns an, wenn wir erst einmal die Wohnbereiche und Zimmer und Zellen in unserem Innern durchmustern.
Launen z.B. Ein Mensch kann zum Opfer von Launen werden, die in ihm wohnen. Und andere Menschen um ihn her werden erst recht zu Opfern seiner Launen. Ehrgeiz kann in mir wohnen. Der treibt und treibt und schwingt eine unsichtbare innerliche Peitsche, aber wozu und wohin?

Und Ängste wohnen in uns, oft von Kindesbeinen an. Und Leidenschaften, meist wie wilde Hunde an die Kette gelegt oder in einen Käfig gesperrt, damit sie nicht ausbrechen und Unheil anrichten.

Aber der Geist, der Geist Gottes - wo ist der, wo treff ich ihn an in meinem Inneren? Nein, ein Gefühl ist er nicht. Aber er ist ausgegossen in eure Herzen, sagt Paulus. Verlaßt euch drauf! ER ist der Geist des Lebens.

Ja, ihr seid auch Fleisch, schwaches Fleisch, gebunden an den schweren Geist der Erde, an eure Gefühle und Ängste und Leidenschaften und rebellischen Gedanken. Aber über euch wölbt sich der Himmel Gottes. Und daraus regnet es den Geist, der Leben schafft: güldner Himmelsregen soll in eure Seele fließen, damit der Same des Geistes aufgehe in euren Herzen und in eurem Leben. Damit es in euch pfingstet.
Nehmt doch die Natur als Gleichnis. An Pfingsten herrscht Frühling in der Natur. Das ist die äußere Seite. Alles steht in prächtiger Blüte, die Farben sind wiedergekommen, die Vogelstimmen, die Wärme, das Licht. Aufatmen und tief Luft holen bei so viel frischem Grün, das tut gut. Der Winter ist vergangen und mit ihm das Kalte, das Starre, das Leblose, das auch die Natur überzog. Alles steht im Zeichen einer neuen Verlebendigung - und es geht wie eine heitere Melodie durch die Lande, die auch Menschen erfaßt und verändert.

Frühling in der Natur, das ist auch ein Frühling des Lebens, und wir brauchen ihn gar nicht gering zu achten, schon gar nicht in der Kirche.
Aber Pfingsten meint mehr. Ja, Pfingsten ist auch der Frühling des Lebens, aber nicht nur in der äußeren Natur, sondern im Innern des Menschen. Bei dem also, was uns vorher beschäftigt hat, bei dem, was da alles in uns wohnt und wütet und uns ängstigt und antreibt.
Kann es da Frühling werden?

Ja, die Hausfrau oder der Hausmann, die machen den Frühjahrsputz. (Früher war das jedenfalls noch so.) Da wird entrümpelt und entstaubt. Der alte Kram wird rausgeschmissen. Die Fenster werden aufgerissen, damit der alte, abgestandene Mief heraus und frische Luft, frischer Wind herein kann.
Und das, wohlgemerkt, das alles in uns, tief in unserem Innern, wo so vieles haust, so viel überflüssiges und lähmendes Zeug, das da hockt und hockt, so daß wir selber verhockt und verbiestert und unbeweglich werden.

Und wann und wie soll die Entrümpelung stattfinden? Wann, wenn nicht jetzt?! Jeder Gottesdienst ist so ein Frühjahrsputz, eine Entrümpelung der Seele. Also: heraus damit, sagt der Frühling des Geistes; heraus mit allem, was in euch wohnt und euch besetzt hält, wie eine fremde Armee ein gutes friedliches Land besetzt halten kann.
Niemand und nichts darf sich in eurem Innern zum Hausherrn aufschwingen. Ihr habt nur einen Herrn. Und der ist der Hirte eurer Seele: Jesus Christus. Zu ihm gehört ihr, denn ihr seid getauft. Und sein Geist wohnt in euch, atmet in euch und schafft Leben: Leben, das nicht mit dem schwachen Fleisch ins Grab sinkt, sondern in die Ewigkeit hineinwächst.

Wir lernen soviel in allerlei Schulen, liebe Freunde, wir lernen, wie wir im Leben einigermaßen zurechtkommen. Das ist ja schon recht und da ist auch viel Richtiges dabei.
Es ist schon gut, daß wir die einfachen Gesetze der Mathematik und der Grammatik kennen und auch die gesellschaftlichen und geschäftlichen Regeln. Aber in all dem rumort auch das Gesetz der Sünde und des Todes, wie Paulus sagt. Also das, was diese Regeln zu einem Gefängnis macht, in denen das Leben eingesperrt wird und verkümmert.

Und eines dieser ungeschriebenen Gesetze heißt: Du bist nur das, was du aus dir machst. Haste was, dann biste was. Ohne Schulabschluß bin ich nichts und habe nichts und werde ich nichts - so hat wohl jener Schüler aus Erfurt gedacht. Das ist ihm eingeimpft worden. Die Folgen waren furchtbar. Und dieses schlimme Gesetz produziert täglich viele Leichen, Leichen, die vielleicht noch am Leben sind, aber kümmerlich am Leben.

In der pfingstlichen Akademie des Geistes lernen wir die wahre Kunst des Lebens. Hier lernen wir, daß wir schon etwas sind, wenn wir den ersten Schnaufer tun, und nicht erst etwas werden müssen.

Wir sind Geliebte unseres Schöpfers, Söhne und Töchter des Vaters im Himmel, Wohnungen, Tempel des Hl. Geistes, der in uns den ewigen Frühling einläutet.
Jener cherubinische Velofahrer, von dem Kurt Marti erzählt, hat davon etwas begriffen. Seine Eltern wollten, wie das ja wohl alle Eltern irgendwie wollen, - sie wollten etwas aus ihm machen, zumindest einen braven und fleißigen Lohnempfänger. Erst nach mancherlei Irrungen und Wirrungen fand er, mit seiner Freundin selbsloser Hilfe, auf den Weg zurück, den Gott ihm vorgezeichnet hatte. Und eines schönen Abends sagte er zu ihr: "Nun weiß ich noch einen anderen Grabspruch für mich:

Zu ihm sprach einst der Herr des Lichts:/ Sei ohne Ehrgeiz, werde nichts!"
Könnte das nicht auch für uns ein schöner Grabspruch und ein befreiendes Lebensmotto werden? Auf der hohen Schule des Hl. Geistes können wir das lernen: die Kunst des Lebens.
Amen


 

 

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