|
Predigt
zum Ökumenischen Gottesdienst in der Eberhardskirche, Sonntag,
22. September 2002
Lesungstext: Joel
2,27. 3,1-5.
Predigttext Eph 4,1-6.
Ein Geschenk habe ich heute bekommen: ich darf im ökumenischen
Gottesdienst über einen Text predigen, der eindringlich wie kaum
ein anderer zum Miteinander, ja zur Einheit mahnt. Und der uns erneut
daran erinnert, daß es nicht die Einheit ist, die der Rechtfertigung
bedarf, sondern die Zerrissenheit, wie Kardinal Ratzinger 1980 formuliert
hat, damals noch als Erzbischof von München und Freising.
Manche irritierende Äußerungen aus dem Heiligen Jahr 2000
erwecken eher den Eindruck, als bedürfe das immer selbstverständlicher
werdende Zusammenwachsen der Rechtfertigung. Die eisigen Winde kommen
aus dem Süden und rufen - wie der Föhn - Irritationen hervor.
Ja, ich meine das Dokument "Dominus Jesus", das Vorstellungen
und Gewohnheiten praktizierter Ökumene erschüttert hat. Und
das zu einem Zeitpunkt, wo wir als Christen herausgefordert sind von
vielen Anfragen und Prozessen der Gesellschaft, weltweit, aber auch
vor Ort. Wir können doch hier in der Tübinger Südstadt
hautnah miterleben, wie rasch Entwicklungen gehen, wie notwendig hier
integrationsförderndes Handeln, Perspektiven und Sinn aufzeigendes
Mitgehen erforderlich sind, ein Mitgehen, das letztlich nur im konfessionellen
Miteinander glaubwürdig und fruchtbar sein kann..
Wofür setzen wir da
unsere Kräfte ein: für Apologien und gegenseitige Mission
oder für einen gemeinsamen Dienst an der Welt und den Menschen,
um das Reich Gottes immer wieder neu ein Stück Wirklichkeit werden
zu lassen? Dabei brauchen und dürfen wir noch offene Fragen nicht
übertünchen oder verwischen, aber wir können getrost
und frohgemut einen Weg weiter gehen, der uns in den letzten 50 Jahren
- mit vielen Rückschlägen - so weit zueinander gebracht hat,
wie es vordem kaum denkbar war. Mit einer Portion Vertrauen auf den
Geist müßten Perspektiven auf das Ziel möglich sein.
Dieses Ziel hat uns der Verfasser
des Epheserbriefes in der heutigen Schriftlesung vor Augen gestellt:
Aus der inneren Einheit durch den Frieden, der uns zusammenhält,
erwächst die Kraft zum Anders-Sein, zum Anders-Leben, zur wegweisenden
Alternative.
Die innere Einheit ist die Grundlage für unser überzeugendes
Wirken nach außen. Der Gedanke dieser inneren Einheit beherrscht
den ersten Abschnitt des vierten Kapitels, also den Abschnitt unserer
heutigen Lesung. Ein Abschnitt, der in der Taufkatechese verwendet wurde,
also in der Vorbereitungszeit auf das Eingefügtwerden in die Einheit
und Gemeinschaft der Gemeinde. Wer in diese Heilsgemeinschaft berufen
ist, muß auch ein entsprechendes Verhalten an den Tag legen, er
muß ein Leben führen, das seiner Berufung würdig ist.
Und doch ist hier weniger der einzelne Christ Adressat der Mahnungen
des Briefschreibers als die Gemeinschaft der Berufenen, die Gemeinde.
Ihr wird nach den vorausgehenden theologischen Grundsatzkapiteln des
Briefes eine Reihe von Mahnungen zugesprochen.
Grundsätzlich ist die Forderung, ein Leben zu führen, das
unserer Berufung würdig ist - auch ein Hinweis auf ein Geschenk,
eine Zusage: wir sind berufen! Das heißt, die Initiative geht
von Gott aus: er hat berufen. Das bedeutet für die vom Ruf getroffenen
Menschen eine ungeheure Aufgabe, sich dieses Rufes aus dem Mund des
Vollkommenen würdig zu erweisen, vollkommen zu werden, wie unser
Vater im Himmel vollkommen ist. Diese Vollkommenheit, diese Vollbürgerschaft
in der Kirche wird im weiteren inhaltlich konkret ausgefaltet: Hier
werden Tugenden in einer aufsteigenden Linie aneinandergereiht bis hin
zu der Zielbestimmung: die Einheit zu wahren. Dafür sind notwendig
Demut, Milde, Geduld, gegenseitiges Ertragen in Liebe. Diese Aufzählung
finden wir auch in anderen neutestamentlichen Briefen, hier aber nicht
mit dem Ziel, damit ein neuer, gottgemäßer Mensch zu werden,
das steht in unserem Text quasi als Basisforderung schon am Anfang,
sondern mit dem Ziel die Einheit zu wahren, die ständige Aufgabe
für die Gemeinden.
Welche Schritte sind nun
notwendig beim Lösen dieser Aufgabe?
Als erster Schritt wird die Demut genannt, die gegenseitige Bereitschaft
zum Dienen macht in der christlichen Gemeinde alle Standesunterschiede
durchlässig, soll die Selbstsucht überwinden und eine Hochschätzung
der Geschwister untereinander gewährleisten helfen.
Eng verbunden mit der Demut ist die Milde, die Sanftmut, die wir vor
allem jenen gegenüber üben sollen, die uneinsichtig sind,
den widerstrebenden Gegnern gegenüber. Im geduldigen Zuwarten sollen
wir den eigenen Zorn unterdrücken, eine Großmut an den Tag
legen, die Maß nimmt an dem Vorbild der Langmut Gottes, die in
der neutestamentlichen Briefliteratur wiederholt unterstrichen wird.
Die Kraft, diese Tugenden zu realisieren ist uns mit unserer Berufung
durch Gott gegeben, sie erwächst aus der Hoffnung, zu der wir berufen
sind.
Und: Diese Tugenden sind grundlegend, wenn wir die Einheit der Kirche
wahren wollen.
Als Historiker lese ich diese
Mahnungen natürlich zuerst auch an uns heute gerichtet, das ist
keine Frage. Aber ich stelle auch die Frage: Was wäre gewesen wenn.
Wenn diese Forderungen im 16. Jahrhundert deutlicher gehört worden
wären... Ich stelle die Fragen nicht, um posthum Verurteilungen
zu formulieren, sondern um Ursachen zu verstehen. Wenn mir das ein klein
wenig zumindest gelingt, dann wird sich das auch auf meine gegenwärtige
Haltung, auf meinen Standpunkt auswirken. Ich bin ja auch insofern nicht
der spät geborene Besserwisser, als die Orientierungslinie, die
uns hier im Epheserbrief gezeichnet wird, ja auch im Zeitalter der Reformation
bekannt war. Und nicht zuletzt: es gab auch damals irenisch eingestellte
Zeitgenossen auf römischer Seite. Mir kommen da Worte des Kardinals
Contarini des päpstlichen Legaten auf dem Regensburger Reichstag
1541, in den Sinn: "Ich bitte zuerst Gott, den Guten und Großen,
den Vater unseres Herrn, und seinen eingeborenen Sohn, der immer für
uns eintritt, und den heiligen Geist, mit dem wir Christen alle durch
Gottes Gnade und das Sakrament der Taufe gesalbt sind, er wolle sich
seiner Kirche in ihrer Not und Fährnis erbarmen und ihre Vorsteher
bewegen, endlich einmal von der Eigenliebe, diesem schlimmsten aller
Laster, abzulassen, die offen darliegenden Mißbräuche abzustellen
und sich selbst zu bessern. Es bedarf keines Konzils, keiner Wortgefechte
und Syllogismen, keiner Schriftstellen, um diese Unruhen der Lutheraner
zu dämpfen, es bedarf nur des guten Willens, der Liebe zu Gott
und zum Nächsten und wahrer Demut, um die Habsucht und Prunksucht,
die große Aufmachung in allen Dingen und in allen Zweigen des
Hausstandes, die großen Hofstaate abzutun und sich auf das zu
beschränken, was das Evangelium uns vorschreibt."
Und zu diesem Evangelium, das hier sicher im weiteren Verständnis
von Schrift gemeint ist, gehören auch usere heutigen Ermahnungen
des Epheserbriefes. Das aber ist die Absage an jegliche Form von Imperialismus,
die die Einheit zerstört.
Wenn wir einander in Liebe ertragen, zeigt das, daß wir vom heiligen
Geist geführt sind.
Die Einheit ist Geschenk, Wirken des Geistes. Umso höher ist unsere
Verantwortung, denn unsere Aufgabe, unsere Mühe muß es sein,
diese Einheit zu bewahren - wegen der Zeugniskraft in der Welt.
Und auch im Hinblick auf
Gottes Gerechtigkeit, der wir uns einmal verantworten müssen dafür,
wie wir die Einheit bewahrt haben. Dieser Zeit übergreifende Aspekt
kommt durch den Hinweis auf die gemeinsame Hoffnung in unseren Überlegungskontext
- und durch den einen Geist.
Aus dem Ruf Gottes erwächst eine gemeinsame Hoffnung: die Teilhabe
an der künftigen Herrlichkeit, die Erfüllung der Verheißung,
die aber auch Letztverantwortung einschließt, die Umkehr und Schuldeingeständnis
einschließt.
Denn: Wo stärker wächst für uns Menschen die Hoffnung
als dort, wo wir bereit sind, um Vergebung zu bitten und zu vergeben?
Und diese Bitte nicht nur an Gott, sondern auch an die Schwestern und
Brüder richten.
Und da machen auch anfanghafte und zaghafte Schritte Mut. "In manchen
Zeiten der Geschichte", formulierte der Papst am 12. März
2000 in seinem Schuldbekenntnis, "haben die Christen bisweilen
Methoden der Intoleranz zugelassen. Indem sie dem großen Gebot
der Liebe nicht folgten, haben sie das Antlitz der Kirche entstellt."
Und weiter finden sich deutliche Anklänge an unsere heutigen Mahnungen,
wenn er dazu aufruft, "der Wahrheit in der Milde der Liebe zu dienen."
Denn, so könnte man zusammenfassen und zuspitzen: Das äußerste
Wahrheitssiegel christlicher Wahrheitsbehauptung ist nicht die Selbstbehauptung
sondern die Hingabe.
Die gemeinsame Taufe, das eine Bekenntnis zum gemeinsamen Herrn zeigt,
daß Gott über allen, in allem und durch alles ist. Die Bekenntnisgrundlage
ist hier so formuliert, daß die Eucharistie, bzw. das Abendmahl
oder die Amtsfrage nicht explizit einbezogen sind, hier ist also auch
ein für uns heute gültiges Einheitsfundament formuliert. Das
ist die Basis, von der aus alle Trennungsmauern überwunden werden
müssen, damit wir Zeugnis ablegen für die Allgegenwärtigkeit
Gottes. Denn erst in der Einheit kann die Kirche Jesu Christi auch den
Gott und Vater aller bezeugen, der über allen und durch alle und
in allen Christen ist und der sich allen Menschen offenbaren will -
durch uns.
Angesichts der gemeinsamen Veratnwortung, die wir tragen für das
Zeugnis der Hoffnung in und für diese Welt, möchte ich dafür
werben, unsere Identifikationsbasis nicht primär in Definitionen,
also Ausgrenzungen und Abgrenzungen, zu suchen, sondern in der gemeinsamen
Hoffnung, die nicht zuletzt aus vergebung erwächst, in dem Geist,
der uns eint und antreibt, inspiriert, Träume und Visionen entfacht,
wie wir beim Propheten Joel hörten.
Mir kam da eine Stelle des Limburger Bischofs Franz Kamphaus in den
Sinn: "Manchmal, in einer ruhigen Stunde, frage ich mich: Was erwartest
du eigentlich? Ich merke, wie meine kleine Welt an den eigenen vier
Wänden endet und ich damit zufrieden bin, wenn es dort so läuft,
wie es halt läuft. Ich frage mich: Ist das alles? Das kann doch
nicht alles sein! Ich sehe die Bibel vor mir liegen, ein Buch voller
Hoffnungen, voller Bilder, Träume und Visionen:
- von der Mahlgemeinschaft aller
Völker,- vom Umschmieden
der Schwerter zu Pflugscharen (man möchte immer ergänzen: auch
im geistigen Bereich R.B.)
- von Gott, der wie ein
Vater oder eine Mutter die Tränen aus unserem Gesicht wischt,
- vom Lachen der Söhne
und Töchter Gottes...
.Wie nähren wir unsere
Träume und Visionen? Indem wir offen sind für sie. Es ist
ein Riesenunterschied, ob ich sage: Was soll's? Spinnerei! oder: Warum
eigentlich ncht? Daraus spricht eine heilsame Neugier. Wir müssen
die Träume zulassen, damit sie in uns heimisch werden, uns inspirieren
und auf den Weg bringen....Wo kämen wir hin, wenn wir die Traum-Geschichten
der Bibel nicht hätten, ihre visionäre Perspektive auf die
Zukunft? Ohne sie wären wir nicht hier. Sich ihrer zu erinnern
ist ein stets neu zu feierndes Fest, das uns mit Jesus verbindet und
untereinander.
Solche Träume waren
es auch, die im 20. Jahrhundert die Bahnbrecher der ökumenischen
Bewegung gegen alle amtlichen Einschränkungen und theologischen
Vorbehalte angetrieben haben, die Gemeinsamkeiten zu suchen, sich von
den Notlagen anrühren zu lassen und gemeinsam zu helfen.
Das für mich sprechendeste Beispiel ist da der schlesische Priester
Hermann Hoffmann:
In Glogau geboren, wo Protestanten und Katholiken "schiedlich-friedlich"
nebeneinander lebten, wurde er als Religionslehrer am renommierten Breslauer
Matthiasgymnasium zu einem Vorkämpfer der Abstinenzbewegung und
stand mit Clemens Neumann und Bernhard Strehler am Anfang des schlesischen
Quickborn, der zu einer wichtigen Gruppe der katholischen Jugendbewegung
wachsen sollte. Seine internationalen Erfahrungen im Frankreich-Einsatz
des Ersten Weltkrieges ließen ihn zu einem geschätzten Vertreter
des Friedensbundes deutscher Katholiken werden. Er setzte sich sowohl
für die deutsch-französische wie auch für die deutsch-polnische
Aussöhnung in den Zwischenkriegsjahren ein. Diese Versöhnungsarbeit
leistete er auch interkonfessionell: Er war der einzige katholische
Geistliche und Theologe, der 1925 an der Weltkonferenz der Kirchen für
Praktisches Christentum, Life and Work in Stockholm teilnahm. Die Einladung
hatte Erzbischof Söderblom von Uppsala ausgesprochen, der im September
1914 mit dem berühmt gewordenen Friedensaufruf an die Öffentlichkeit
getreten war: "Unsagbaren Schmerz hat der Weltkrieg im Gefolge.
Die Kirche, der Leib Christi, blutet aus tausend Wunden. Die Menschen
seufzen in ihrer Not: Wie lange, Herr, ach wie lange?" 1919 startete
Söderblom die Initiative, einen Ökumenischen Rat der Kirchen
zu gründen. Gemäß dem Motto der Stockholmer Tagung "Tun
was eint" wollte man, da die Ebene der Lehre trennte, den gemeinsamen
Dienst an der Welt verstärken. Auch Papst Pius XI. war nach Stockholm
eingeladen worden. Aus Rom aber kam ein abschlägiger Bescheid:
Der Papst könne sich nicht mit Andersgläubigen zusammensetzen,
um die wahre Kirche Christi zu suchen.
Kontroverser und schwieriger als die Stockholmer Tagung verlief die
Weltkirchenkonferenz for Faith and Order 1927 in Lausanne. Auch in Lausanne
hat Hoffmann, diesmal zusammen mit Max Josef Metzger teilgenommen. Die
beiden Konferenzen waren wichtige Wegmarken zur Gründung des Ökumenischen
Rats der Kirchen 1948. Hoffmann war lediglich informeller Teilnehmer;
da im Staatsdienst tätig, konnte er in den Schulferien im Sinne
privater Reisen teilnehmen. Kardinal Bertram wußte nichts davon
und wollte auch keinen Bericht über die Konferenzen, wie er auch
die Arbeit der Una Sancta in Breslau mißbilligte. So hat er Max
Josef Metzger die engagierte Mitarbeit in diesem Kreis untersagt mit
dem Hinweis, daß für überdiözesane Veranstaltungen
die bischöfliche Genehmigung erforderlich sei. "Arbeit in
seinem [sc. Metzgers, also der Una Sancta] Sinne sei in seinem Bistum
überflüssig; zum Beweis zählte er fünf Tatsachen
auf, so das Karfreitagsgebet für die getrennten Christen, das Sühnegebet
zum Heiligsten Herzen Jesu, ein ähnliches Gebet bei der Fronleichnamsprozession:
alles Gebete um Bekehrung der Andersgläubigen zur katholischen
Kirche, keines im ökumenischen Sinne. [...] Nichts könnte
den Beginn einer neuen Periode in der Kirchengeschichte deutlicher machen
als die Haltung des Papstes Pius XII. und Kardinal Bertrams, der 1859
geboren war, in dieser Frage. Mit ihnen hört sozusagen handgreiflich
eine alte Periode der Kirchengeschichte auf, für die als Grundsatz
für das Verhältnis der Getrennten der Satz galt: Schiedlich,
friedlich."
Das Beispiel Hoffmann zeigt,
daß ökumenische Einstellung aus der Begegnung und aus drängender
Notlage erwächst; mit zunehmender Distanz nimmt das Verständnis
ab, im Ghetto gedeihen allenfalls Ablehnung und Polemik. Zweitens wird
daran offensichtlich, daß auch kleine und beharrliche Ströme
das Klima und die Mentalitäten verändern. Und schließlich
läßt sich nicht übersehen, daß ekklesiologisches
Selbstverständnis und Exklusivitätsanspruch der Kirchenleitung
von der Praxis eines Teils der Gläubigen divergierten.
Die theologischen Reflexionen
hinkten in der Regel hinterher. Das kann uns bestärken und Mut
machen, die Mahnungen des Epheserbriefes auf Gemeindeebene verstärkt
umzusetzen (diesem Adressatenkreis galten sie ja auch ursprünglich),
uns nicht irritieren zu lassen.
D.h. nicht, daß wir die theologischen Klärungen nicht bräuchten,
aber es zeigt sich immer wieder: manchmal müssen sie durch das
Handeln der Gläubigen getragen, gedrängt werden - auch in
bestimmte Richtungen, nämlich dahin, daß Gott in allen, mit
allen, und durch alle sei, und daß wir uns von dem einen Geist
beflügeln lassen.
Amen
|