Predigten

 

Predigt in der Christmette am Hl. Abend, Dienstag, 24. Dezember 2002

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir haben gerade ein Stück Weltliteratur gehört: Die Weihnachtsgeschichte des Lukas ist sicher immer noch eine der bekanntesten Erzählungen der Weltliteratur, geformt von einer ungeheuren dichterischen Kraft, die Textgrundlage dafür, daß wir alle Jahre eigens und ausdrücklich die Erinnerung an Gottes Liebe zu uns Menschen wiederholen.

Und es ist durchaus sinnvoll, dieses Geschenk der Liebe auch weiterzugeben, zum Ausdruck zu bringen in den Geschenken, die wir anderen machen an diesem Abend und in diesen Tagen.

Und es kann auch in den Rahmen passen, ein wenig Sehnsucht nach Nostalgie, Wärme, Geborgenheit usw. in die Gestaltung dieses Festes einfließen zu lassen, schenkt uns doch Gottes Liebe eine umfassende Geborgenheit und Wärme, ein intensives Mitgehen.

Ja, wir feiern heute wieder, daß Gott uns Menschen liebt, daß er die Welt liebt, daß er das Leben will und es in Fülle will - für uns Menschen und für seine ganze Schöpfung, daß er schalom, Waffenruhe, Gerechtigkeit, gewaltfreie Konfliktlösungen, Wohlsein, Toleranz, Barmherzigkeit, Liebe... will, eine Liebe, die die Welt nicht in eine Achse des Guten und eine Achse des Bösen einteilt, sondern die so viel Phantasie mitbringt, daß sie das Gute in jedem Menschen herausruft.

Wir feiern die Tat eines Liebenden, den die Liebe verrückt gemacht hat, so verrückt, daß er, der nach dem Bild und den Vorstellungen vieler Menschen der Erhabene ist, voll Majestät, ein kleines, hilfloses, armes Kind wird, zwischen Ochs und Esel, diesen von Mühsal und menschlicher Knechtung geplagten Kreaturen, in eine schnöde Futterkrippe gelegt.

Mögen diese Erzählungen über die Geburt und die Kindheit des Gotteskindes auch den kritischen Blicken der Historiker nicht standhalten und Bethlehem nichts oder nicht allzu viel mit der Geburt Jesu zu tun haben, sie sind doch ganz dem Geist der Botschaft entsprechend, die dieser Jesus gepredigt hat: Gott ist verrückt aus Liebe, er stellt unsere ach so lieb gewordenen Gewohnheiten und Konventionen in Frage, unsere traditionellen religiösen Vorstellungen, unsere herkömmlichen Gottesbilder... Um diesem Gott auf die Spur zu kommen, müssen auch wir unsere Vorstellungen verändern: nach der Botschaft des Lukas sind Marginalisierte, Ausgestoßene, an den Rand Gedrängte, die Hirten - besonders sensibel und besonders gewürdigt für die Botschaft dieses Gottes.

Denn - das sollten wir in unserer Behaglichkeit nicht verdrängen - wir feiern, daß die Botschaft zuerst den sozial Ausgegrenzten verkündet wird, den Hirten auf dem Feld, vor den Toren der Stadt, auf die das geordnete und planvolle Getriebe geregelten Lebens verächtlich herabschaut.

Der Ort vor den Toren, außerhalb des Getriebes, scheint geeigneter, um wahrzunehmen, daß dieser Gott uns so einfach nahe sein will, uns im Einfachen so nahe sein will.

 

Die Hirten haben in ihrem Überlebenskampf ein offenes Ohr, sie sind einfach da, als die Botschaft kommt, sie lassen sich mitreißen vom Sog der Freude, der Menschenfreundlichkeit, der Liebe, sie haben keinen Terminplan, der ihnen vorschreibt, jetzt mußt du erst noch dies oder jenes verrichten...

Sie sind auch ein wenig verrückt und damit offen für die Überraschung, die da ankommt, für diese Szenerie, die alles durcheinanderbringt, die Nacht zum Tag werden läßt, das Unterste nach oben kehrt, die Mächtigen vom Thron stürzt und die Reichen leer ausgehen läßt. Vielleicht haben sie als Außenseiter offenere Maßstäbe, kein so geschlossenes und verschlossenes System von Einordnung und Beurteilung der Menschen, da sie ja allein durch ihren Beruf, durch ihre bloße Existenz stets Aufbrechende sind, immer auf dem Weg.

Ein Gott, der unsere Maßstäbe umkehrt, damit aus der Liebe heraus Neues entstehen kann.
"Eigentlich ist ja die befreiende Erfahrung der Liebe, daß man aus seinem eigenen Kreis herausgerückt wird, den anderen als Mittelpunkt versteht und sich dadurch als Ich im Du wieder empfängt." (Ruth Pfau)

In diesem Kind und in dieser Begegnungsszene der Hirten soll klar werden, wie verrückt diese Liebe Gottes wirklich ist: sie ist unserer Macht und unserem Planen entzogen, sie ist zeitlos, sie steht "hinter", "über" all der Zeit, die wir meinen messen zu können - und sie ist zugleich mitten in der Zeit, die Mitte der Zeit, zu der wir in jedem Augenblick unseres Lebens durchstoßen können, wenn wir offen sind.
"Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu, und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei." lesen wir bei Heinrich Heine im ‚Buch der Lieder' über die Liebe. Sie ist letztlich nur verständlich in der unmittelbaren Ergriffenheit der Gegenwart, im Augenblick, in dem wir meinen, die Zeit bleibe stehen, sie verdichte sich. Aus dieser Ergriffenheit heraus verrücken dann die Dimensionen und Einschätzungen: das Ordentliche und Richtige und Normale ist vielleicht gar nicht mehr so erstrebenswert; man merkt vielmehr, wie ein erstickendes Korsett daraus werden kann.

Hören wir auf die Marginalisierten, schauen wir an diesem Hochfest auf das Kind in der Krippe. Jedes neugeborene Kind rührt neu unsere Sehnsucht wach, daß Liebe unser Leben tragen und bestimmen möge, uns ins Leben trägt - um wieviel mehr dieses göttliche Kind, diese Botschaft des Gottes der Liebe..

Es bestärkt uns in der Hoffnung, daß Erde und Himmel sich verbinden, daß der Wolf beim Lamm wohnen kann, daß aus der Wüste neues Leben sprießt...
Das Kind ermutigt uns dazu im Kleinen, Unscheinbaren das Wunderbare, das Kostbare zu entdecken, das uns mit allem verbindet.

Das Staunen, die Offenheit, das Grundvertrauen, die selbstverständliche Angewiesenheit...das sind
- Hoffnungsfunken, daß es doch möglich ist, daß sich das Lebenfördernde durchsetzt und nicht das Zerstörerische,
- Hoffnungsfunken, daß Gott nicht nur vor 2000 Jahren Mensch geworden ist, sondern hier und jetzt
- Hoffnungsfunken, daß Gott Raum findet in mir - Weihnachten, Gottesgeburt hier und jetzt
- Hoffnungsfunken, die aus den Augenblicken aufsprühen, da wir spüren, Gott will Mensch werden - auch in mir, damit ich als Tochter und Sohn Gottes geboren werde,
- Hoffnungsfunken, die uns bestärken in den Aufgaben und Konflikten des Alltages.

Meister Eckhart, der große Mystiker des 13. Jahrhunderts hat einmal in einer Weihnachtspredigt formuliert: "Wir feiern hier in der Zeitlichkeit im Hinblick auf die ewige Geburt, die Gott der Vater vollzogen hat und ohne Unterlaß in der Ewigkeit vollzieht, daß er diese selbe Geburt nun in der Zeit, in menschlicher Natur vollzogen hat. Sankt Augustinus sagt: Was hilft es mir, daß diese Geburt immerfort geschehe und doch nicht in mir geschieht? Daß sie aber in mir geschehe, daran ist alles gelegen."

Daß Weihnachten werde und Hoffnungsfunken unsere Welt, gerade auch dort wo es kalt und finster ist, hell erleuchten, wünsche ich Ihnen, wünsche ich uns allen. Amen

Fürbitten

Was Gott in dieser Nacht kundtut, soll allen Menschen zum Heil werden. Wir beten zu Gott, der sich uns zuwendet.

- Du kamst in die Armut unserer Welt. Mache deine Kirche überall auf dieser Welt zur Anwältin der Armen, Benachteiligten und Unterdrückten.

- Du kamst in der Fremde zur Welt. Erbarme dich der Flüchtlinge, der Asylanten, aller, die keine Heimat mehr haben und auch derer, die die Heimatsuchenden kalt zurückweisen

- Du kamst zu den Mühseligen und Beladenen. Laß die Kranken Genesung finden, die Einsamen Zuwendung, die Trauernden Trost und die Hungernden Brot.

- Du hast die Hirten finden lassen, was sie suchten. Laß die Menschen mit unruhigem Herzen die Erfüllung ihrer Sehnsucht erfahren.

- Du bringst den Frieden auf die Erde. Fördere jedes Wort, das zur Verständigung beiträgt und jede Tat, die zur Versöhnung führt.

Gott, deine Güte und Menschenliebe ist uns erschienen. Du machst dein Heil in der Welt bekannt. Offenbare heute wie damals deine Liebe und Güte allen Menschen. Wir loben dich und danken dir heute und in alle Ewigkeit. Amen



Auf dieses Kind haben wir gewartet den ganzen Advent hindurch, auf dieses Freudestrahlen der Augen Gottes.
Es will jetzt ankommen bei uns, dieses Kind. Es will uns in unserem Warten, Suchen und Fragen entgegenkommen.
Es kann aber nur ankommen, wenn wir auch bereit sind, es aufzunehmen, zum Ankommen und Begegenen von Menschen gehören immer mindestens zwei Menschen. Manchmal braucht dieses Ankommen eine ganz schön lange Zeit. Bis wir merken, wer da ankommt, was der Ankommende von und mit uns will.
Da geht es uns so ähnlich wie dem Esel an der Krippe, den wir heute in diesem Gottesdienst, nach dem Evangelium, im Gespräch mit dem Ochs erleben werden: ER braucht Zeit, um zu begreifen, er braucht Zeit, bis ihm aufgeht, was an diesem Abend, in dieser Nacht passiert, was es heißt, Gott will in seiner Liebe die Welt erneuern.

Gott läßt sich darauf ein, daß der Mensch Zeit braucht, um zu begreifen. Er läßt uns Zeit mit ihm, er läßt sich Zeit mit uns, geht mit uns unsere Wege, manchmal auch Umwege. Das ermutigt uns, ihn anzurufen und zu bitten, daß er immer bei uns bleiben soll, auch auf unseren Umwegen...

Wir freuen uns, wir feiern es, alle Jahre wieder, daß Gott in diese Welt nicht nur kam, sondern kommt, daß er bei uns ankommen will.
In unserem Leben gibt es ein Suchen und Fragen nach Gott, ein näher kommen und festhalten wollen, eine Sehnsucht und ein Warten auf Begegnung - manchmal merken wir freilich davon wenig. Manchmal ist das so tief vergraben, daß wir nur noch eine Unruhe spüren, eine Unruhe und eine leise Sehnsucht, daß irgendetwas anders werden soll...
Wo Gott ankommt, da kann vieles anders werden, davon erzählt uns das Evangelium dieser heiligen Nacht sehr ausführlich. Aber es dauert oft, bis wir Gott ankommen lassen. Denn zum Ankommen gehören mindestens zwei, jemand, der ankommt und jemand, der aufnimmt. Manchmal braucht dieses Ankommen eine ganz schön lange Zeit. Bis wir merken, wer da ankommt, was der Ankommende von und mit uns will, was es heißt, Gott will in seiner Liebe die Welt erneuern - und er will, daß wir mitwirken, daß diese neue Schöpfung ankommt, wachsen kann, unsere Welt durchdringen und neu, anders machen kann.
Gott läßt sich darauf ein, daß der Mensch Zeit braucht, um zu begreifen. Er läßt uns Zeit mit ihm, er läßt sich Zeit mit uns, geht mit uns unsere Wege, manchmal auch Umwege. Das ermutigt uns, ihn anzurufen und zu bitten, daß er immer bei uns bleiben soll, auch auf unseren Umwegen...


 

 

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