Predigten

 

Predigt am 1. Advent 2002
in der Eberhardsgemeinde (Matthäus 21,1-9)


Voll bepackt heimkommen - mit Taschen, Päckchen und Paketen, mit allen möglichen Aufgaben und Denkzetteln unterwegs. Nur nicht die EC-Karte, nur nicht das Geschenk vergessen, nur nicht das Sonderangebot verpassen...
Auf einem bunten Prospekt, der letzte Woche unserer Tübinger Zeitung beilag, hieß es: "Für Christkinder und den Rest der Familie..." Doch was haben die Christkinder und der Rest der Familie zu erwarten?:
Bügeleisen, Kaffeemaschine, Rasierer und Staubsauger. Gegenstände, die das Leben erleichtern sollen - einen Ersatz/ eine Wiedergutmachung für die Zeit, in der man das Geld so sauer und entsagungsreich verdient hat. Wenigstens eine elektrische Zahnbürste, wenigstens eine Haushaltsmaschine, wenigstens einen elektrischen Eierkocher als Vergeltung für verkaufte Lebenszeit - vergelt´s Gott.
Ich kenne das auch von mir - und sie können das vermutlich auch nachempfinden: nach einer schweren Arbeit leistet man sich etwas, was man sonst nicht oder noch nicht gekauft hätte.

Das ist der Tausch, der Deal in unserer ((Zivilisation)) Zeit: Schuften und Kaufen - Arbeitszeit gegen Geld, Geld gegen Waren.

Beladen - mit so vielem...
Das gehört offenbar zur weihnachtlichen Einkaufszeit - dem jährlichen Höhepunkt im Einzelhandel - wie auch im Geldausgeben, was das Budget der privaten Geldbeutel angeht.
Kaufen, Geld ausgeben - volle Taschen, leere Portemonaies.

Das ganze kommt zusammen / kulminiert im rührenden - romantischen Weihnachtsbild - wie der Weihnachtsmann auf dem Schlitten sitzt, gegen Schnee und Kälte eingemummelt im coca-colaroten Gewand - randvoll mit Paketen und Tüten bepackt - und wie er mit einer einer kleinen Peitsche in der Hand, das Zugtier antreibt: ganz gleich ob Elch, ob Hirsch, ob Esel oder Schlittenhund - die Tiere sind seine Zugmaschinen, die seinen Lieferwagen voranbringen.
Gefüllte - bepackte - überladene Zeit.

Ist das Advent?
In unserem Gesangbuch findet sich ein erstaunliches Gegenbild, auf dass ich mit Ihnen am ersten Advent blicken möchte.
Schlagen Sie bitte die Seite vor Lied Nr. 147 auf:

Sie sehen zwei Torbögen,
einer dunkelgrau/anthrazit, der andere hellgrau.
Linien laufen auf die Mitte zu - auf eine Stele - und führen ins Helle, zum Licht.

Keine Bücherreagle, keine Einrichtungsgegenstände.
Kein Wohnzimmer, keine Studierstube, kein Hobbyraum.
Der Raum ist leer. Auch Menschenleer.
Ein Stuhl, ein Tisch - sind in der Bildmitte zart angedeutet.

"Raum 81" nennt Ben Willikens seine Gouache.
1991 gemalt und vom Verein für Kunst (und Kirche) in der Evangelischen (Landes-)Kirche erworben. Es zieht unsere Blicke an? Warum?
Und: was ist das Religiöse an diesem Bild ?

Noch vor hundert Jahren hätte man das Bild als dilletanitisch und sinnlos angesehen.
Heute, wo wir von Bildern, Gegenständen und Geschichten überhäuft werden, wo unser Leben durch all das überlagert wird, wo wir beinahe daran ersticken - erreicht uns dieser leere, menschenleere Raum ganz anders.
Ben Willikens nennt ihn cool "Raum 81". Wie bei einer Architekturzeichnung hat er Maße am Rand notiert.
Als wollte er damit zum Ausdruck bringen: Nur keine Geschichten, nur keine Bedeutungen aufrufen.
Und doch wirkt das Bild auf uns Betrachter.
Es gibt Raum. Raum für uns.
Undenkbar dort Bücheregale, Kommoden, Fernseher oder Gummibäume unterzubringen.
Hier - in diesen Raum - treten wir ein - als Mensch - ohne Verpackung und "Sach"... Hier können wir hinter uns lassen, was sich angesammelt, angehäuft hat.
Hier werden wir los, was uns nachgeht... Dinge, Geschichten, all den "Kruscht", den wir unentwegt mitschleppen.
Hier werden wir mittig, konzentriert.
Hier sind wir Mensch - nicht umstellt von toten Dingen.
Hier kann es zu lebendiger Begegnung kommen - ohne dass etwas dazwischenkommt.

Der Maler Ben Willikens, 1939 in Leipzig geboren, vom Bauhaus inspiriert und preisgekrönter Kunstprofessor in Braunschweig - hat hier ein Thema seines künstlerischen Schaffens entfaltet: ihn beschäftigt der leere Raum.
In seinem Bild aus dem Jahr 1991 hat er eine wirkliche Adventsikone geschaffen:
Denn genau so ein Zeit-Raum will der Advent sein:
Raum schaffen für die Begegenung mit Gottes Kind.

Drum: Lasst weg, speckt ab - lasst das Belastende hinter euch,
geht neu, unbelastet, unbepackt (gebüßt) auf das Wunder der Weihnacht zu, auf das Licht der Welt - auf Jesus in der Krippe.

Ja, Gott, hier bin ich, mit leeren Händen,
das Gestell, das mich umstellt, bin ich losgeworden,
Du stellst meine Füße auf weiten Raum...
So liebe Gemeinde, gehen wir adventlich auf den zu, der kommt.

Ich lese das Evangelium für den ersten Advent:

Jesu Einzug in Jerusalem
(Mk 11,1-10; Lk 19,29-38; Joh 12,12-19)
21,1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen,
nach Betfage an den Ölberg,
sandte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: "Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: "Der Herr bedarf ihrer." Sogleich wird er sie euch überlassen.a a) Kap 26,18
4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):
5 "Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers."
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge (a) breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
(a) 2.Kön 9,13
9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: (a) Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
(a) Ps 118,25-26

Liebe Gemeinde,
wie Jesus auf dem Eselsfohlen nach Jerusalem kommt - das ist eine politische Demonstration - hoffnungsvoll und freudig begrüßt.
Wie es dann passieren kann, das einer, der so hoffnungsvoll und freudig begrüßt wird - in drei Tagen zum Volksfeind wird - dafür gibt es genügend Beispiele und das Stück läuft ja auch in unserem Land immer wieder erfolgreich - wenn sich Gut-, Besser und Bestverdienende zusammentun - ist es noch immer gelungen, die fertigzumachen, die sich für Schwache und Benachteiligte einsetzten. Die Mittel der Manipulation funktionieren bis auf weiteres. Doch will ich das heute nicht weiter ausloten. Vielmahr an zwei anderen Stellen soll das Evangelium schwingen.

Hosianna! - Das ist erst einmal wörtlich verstanden ein Hilferuf: Hilf doch! Gespannte, und gefüllte Erwartung!
Hosianna dem Sohn Davids! = Hilf doch, verwandle die dunklen Machenschaften ! Stell die Liebe ins Licht ! Öffentlich !
Jesus gibt nur dieses eine Zeichen:
Er reitet auf dem Eselsfohlen - wie es nach Sacharja der gerechte König machen wird.
ER kommt nicht wie der Nikolaus - oder der Weihnachtsmann - vollbepackt - Jesus kommt so wie er ist... auf einem Esel, ohne alles... er selber.
Nicht irgendwelche Zuckerle verteilt er. Er selber ist die Süße schlechthin. - Er selber ist der Anbruch der guten, neuen Zeit.
In ihm kommt die Sanftmut in Menschen/Männergestalt.
So wie die, die er seliggepriesen hat:
"Selig sind die Sanftmütigen, sie werden die Erde besitzen."
Sanftmütig ist das Eselsfohlen - ein unbelastetes Tier, noch nicht vollbepackt, nicht eingespannt in die Arbeitswelt, unberührt von den Wunden der Arbeit.
Ein Tier das zu Christus - zu dem neuen Adam passt:
"Ich bin sanftmütig und von Herezn demütig - so werde ihr Ruhe finden für eure Seeln."§ (Mt 11,28)
So ruft Jesus die Seinen.
Und mit leeren Hände kommen sie - breiten Zweige und Kleider vor ihm aus - und rufen: "Hosianna, hilf, Sohn Davids!"

Das ist der Christus, liebe Gemeinde.
Und so "kommt der Heiland auch zu uns", "der Heil und Leben mit sich bringt." Entrümpeln wir immer wieder unsere Geschichte, "unser Sach", gehen wir auf ihn zu - mit leeren, offenen Händen.
Lassen wir uns einladen an seinen Tisch - "mit Andacht, Lust und Freud" (EG 1,4).
Sein sanftmütiger Geist - sanft und mutig - führt uns zur Seligkeit. Dieses Angebot sollten wir annehmen - und nicht wieder umtauschen.
So werden wir im Advent zu wirklichen Christuskindern.
Amen.


 

 

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