Predigten

 

Gottes Haus

Annäherungen an Weihnachten mit Hilfe von 2 Sam 7
4. Advent Lesejahr B - 21./22.12.2002 Tübingen und Bühl

Acht Personen sitzen um einen Tisch. Kein Eß- oder Wohnzimmertisch. Nein, es ist in niemandes Wohnung, wo sich diese Episode ereignet hat. Ein Bespre-chungstisch also am ehesten. Unter den Anwesenden gibt es eine Außenseiterin; sie gehört nicht dazu. Obwohl … andererseits ist sie gerade die Hauptperson; um sie geht es. Nur wegen ihr sitzen alle um diesen Tisch im fremden Haus, das für die einen Arbeitsplatz, für die anderen Treffpunkt ist. Nur für die scheinbar Unbeteiligte, für die junge Frau, das Mädchen, 15 Jahre alt, ist das Haus derzeit der Ort, wo sie zum Schlafen aus und ein geht, wo sie ißt und sich wäscht, wo sie telefoniert und Ansprechpartner finden kann. Heimat auch, und Ruhe? Gera-de das wäre es, was Funda, so ihr Name, derzeit am meisten bräuchte: das Ge-fühl von Angenommensein und Geborgenheit; ein Haus, das sie mit Fug und Recht ihr Haus nennen könnte. Als erster Ersatz ist sie in einem Heim für Kin-der und Jugendliche untergekommen, vorübergehend, damit sie von der Straße weg ist, und ihre Eltern und all die Probleme, die sich um ihre Familie ranken, sie nicht verschlingen. Die Sozialarbeiter und Erzieher bemühen sich sehr um sie und die anderen Mädchen. Das habe ich bei meinen drei Tagen dort im Heim in Karlsruhe, knapp vierzehn Tage ist das jetzt her, selbst erlebt. Aber können sie ihnen auch Heimat sein, helfen zumindest, eine Perspektive für ein neues Zuhause zu finden? Das Gespräch um den großen Tisch mußte bei Funda einen anderen Eindruck hinterlassen: daß sie erneut, auch hier, nicht bleiben kann, daß die Odyssee weitergeht, daß im Gewirr von Vorschriften und Gesetzen, von Verfahrensabläufen und ungeklärten Zuständigkeiten, von Finanzproblemen und überfüllten Heimen für sie keine Heimat in Aussicht ist - zumal so kurz vor Weihnachten, wo alles sich drängt, wo alle ihren Schreibtisch aufräumen und keine neue Baustelle anfangen wollen. Kein Platz also in der Herberge?

Liebe Schwestern und Brüder, die Situation ist uns wohl vertraut, weil sie uns an Weihnachten jedes Jahr vor Augen geführt wird, wo der König des Himmels und der Erde schließlich zwischen Vieh und Unrat in der Futterkrippe des Och-sen landet. Daß es allerdings solch erschütternde Parallelen gibt …! Bei jenem Gespräch im Heim, das keinesfalls erfunden ist, habe ich irgendwann vor Wut die Hände geballt in meinen Hosentaschen und konnte beinahe nicht mehr sitzen bleiben auf meinem Stuhl. Bemerkt denn niemand von den psychologisch ge-schulten und im Sozialbereich ausgebildeten Damen und Herren, daß sie eben jenes Problem noch verstärken, dessentwegen das Mädchen bei ihnen ist?

Unbehaustheit, kein Dach über dem Kopf zu haben, zumindest keinen Ort, an den man freiwillig und gerne zurück gehen würde … Ich will mir das gar nicht recht vorstellen, weiß natürlich andererseits, daß nicht wenige Menschen, jünge-re zumal in unseren großen Städten das Schicksal von Funda teilen. Ich weiß auch, daß das Thema "mein Haus" für viele Aussiedler ein existentielles Thema ist, und hier wieder besonders für junge Frauen und Männer, die womöglich nur ihren Eltern zuliebe oder aus Gründen der Existenzsicherung ihre Heimat in Rußland oder Rumänien verlassen haben, und hier im fremden Land ihr Haus nicht leicht finden, manche gar nie.
Schließlich gibt es noch eine weitere Form der Heimatlosigkeit, die wir in der Regel mit Einsamkeit in eins setzen. Sie kann besonders dann auftreten, wenn wir in einer Gruppe, die uns sonst recht und angenehm ist, plötzlich allein da stehen, wenn alle anders denken als ich, wenn ich meine Empfindungen nicht mehr mitteilen kann. In solchen Fällen von Unbehaustheit bin ich völlig auf mich selbst zurück geworfen. Und ich fürchte, liebe Schwestern und Brüder, bei aller Solidarität kann solches auch in unserer christlichen Gemeinde geschehen: daß eine Kirchengemeinderätin mit einem Mal empfindet, dies sei nicht mehr die Gemeinde, das Haus, in dem sie so gerne lebe - und ein Pfarrer ebenso.

Weiß unser Glaube hier Rat? Gibt die Bibel Hinweise, wie in solchen Fällen zu verfahren sei? Zweifellos bietet die christliche Ethik eine Plattform an, um Men-schen wieder in die Gemeinschaft zu integrieren: Obdachlose beherbergen, Trauernde trösten - dies alles gehört zum Schatz der Barmherzigkeit. Aber über Methoden läßt sich auch trefflich streiten. Ihre Wirksamkeit ist in der Realität wesentlich abhängig von individuellen Vorlieben, von Eigeninteressen und oft auch von Sympathien. Wäre dem nicht so, hätte unsere christentümliche Gesell-schaft zumindest die Möglichkeit, mit den vielen Formen von Unbehaustheit offener umzugehen und Abhilfe zu schaffen. Als Christen sind wir offenbar meistens, wie alle anderen auch, zu sehr an unseren menschlich begrenzten Ho-rizont gebunden. Wir meinen auf technische Weise, durch ein geschicktes Ver-fahren, Abhilfe zu schaffen. Damit ist oft - und ich will das keinesfalls schlecht reden - Hilfe geleistet, die erste Not beseitigt. Und: Wir haben das Problem vom Tisch. Aber ist es tatsächlich gelöst? Oder ist es wie bei der Kopfschmerztablet-te, die nur das Gefühl verdrängt, nicht jedoch die Ursache in Angriff nimmt?

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
einen ähnlich menschenmäßigen Versuch unternimmt König David entspre-chend der Beschreibung der 1. Lesung aus dem zweiten der Samuelbücher. Er will seinem Gott ein Haus bauen, einen Tempel, aus Proporzgründen gewisser-maßen. Weil David selber ein gemauertes Haus bewohnt, könne es nicht ange-hen, daß JHWHs Lade in einem Zelt umhergetragen werde. Nach anfänglichem Einverständnis, welches der Prophet Natan an David übermitteln soll, wandelt sich alsbald die Situation. Jetzt will JHWH seinerseits David, seinem Knecht, ein Haus bauen, allerdings eines von anderer Art. Es soll gebaut sein aus Stei-nen, die in 2 Sam etwa wie folgt lauten: Sicherheit, Ruhe, angstfrei, keine Un-terdrückung, feindlos, schließlich: ein Sohn.
Gott greift also die Idee Davids auf, würdigt sie als dem Antrieb nach angemes-sen. Gott gewährleistet auf diese Weise ein Verständnis Davids, er garantiert unser menschliches Verständnis. Es ist doch so: Wir verstehen, was wir und weil wir es selbst auch tun würden. Indem er jedoch in einem Zug die Bauweise des "Hauses" verändert, sie nicht auf den materiellen Aspekt reduziert, sondern den Horizont erweitert, erreicht er ein viel grundsätzlicheres Verständnis davon, was wir Menschen wie David brauchen. Das Haus ist dann nicht mehr ein Kasten mit vier Außenwänden und mehr oder weniger aufwendiger Inneneinteilung, son-dern es ist eine Chiffre für das tief in uns wurzelnde Bedürfnis nach Heimat, nach Geborgenheit und Akzeptanz.

Wie aber müssen wir uns ein solches Haus nun vorstellen? Wie sieht das Haus aus, daß Gott David bauen will? Mit den eigenen vier Wänden ist die Frage nach Heimat noch längst nicht beantwortet. Gefragt ist vielmehr nach der grundsätzli-chen Annahme, die einer in seinem Leben erfahren muß, weil er sie braucht. Ge-fragt ist nach der Behausung, die sich nicht in Nahrung, Kleidung und Wetter-schutz erschöpft, sondern die den Menschen als ganzen in Betracht zieht. Dort ist Heimat, wo ich uneingeschränkt der sein darf, der ich bin.
Dieses Angebot macht JHWH dem König David, jedem aus seinem Geschlecht. Und die Fortführung des alten Versprechens gilt uns bis zum Tage. Gott ist das Haus, wo ich wohnen darf, auch wenn dem alle äußeren Umstände entgegen stehen. Schöner als an Weihnachten kann dies nicht zum Ausdruck kommen: Für David war es ein Nachkomme, der ihm Heimat war, für uns ist es das Kind im Stall. So sieht Gottes Hausbau aus.

Liebe Brüder und Schwestern, nun stelle ich mir, ganz zum Schluß, noch vor, daß dieser religiöse Satz der einsamen Funda, dem Mädchen aus Karlsruhe, we-der unmittelbar eingeleuchtet, noch daß er ihr geholfen hätte. Wenn aber die Menschen, denen sie begegnet, ihr diese Sicherheit vermitteln würden, daß ge-rade auch für sie, ganz ausdrücklich, ein Platz vorgesehen ist, daß es über das Handfeste hinaus für jeden Menschen ein Zuhause gibt. Wenn wir gar selber in dieser Gewißheit lebten … Solche Freiheit könnte niemand verborgen bleiben. Und dann wäre Weihnachten.

 

 

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