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Gottes Weihnachtswort
Predigt über den Johannesprolog
Weihnachten - 25.12.2002 in Bühl und Tübingen
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
meine adventliche Weihnachtsvorbereitung verlief in diesem Jahr - manche
von Ihnen wissen das - anders als in den Jahren zuvor. Zum ersten Mal
in meinem aktiven Dienst als Priester war ich Außenstehender in
dieser geprägten Zeit, so wie früher als Kind, als Student.
Ich erlebte also die Adventszeit nicht aus dem Innenleben einer Kirchengemeinde
heraus - mit Rorategottesdiensten, Frühschichten, Hausgebet, Adventstürenkalender,
mit Besinnungen und Weihnachtsfeiern, sondern gewissermaßen als
neutraler Beobachter. Dazu noch außerhalb Tübingens, in Karlsruhe
nämlich, auf fremdem Terrain. Ob dies meinen Blick darauf geschärft
hat, wie Weihnachten in unserem Land gefeiert wird? Einen nicht unwesentlichen
Beitrag für meine veränderte Wahrnehmung dürfte auch
die Tatsache gespielt haben, daß meine dreimonatige Fortbildung
an der Führungsakademie sich nicht in einem kirchlichen Rahmen
abgespielt hat, meine Kollegen dort Leute aus der Verwaltung und anderen
Bereichen des öffentlichen Lebens waren. Die Frage nach dem persönlichen
Glauben stand dabei also nicht im Vordergrund; und ebensowenig war ich
dort in erster Linie Pfarrer.
Gegenüber dem, was sich vor Weihnachten so alles abspielt, was
ich gesehen habe als Spaziergänger in den Straßen, auch im
Vergleich mit dem, was wir an Themen mit innovativem Anspruch in unserem
Lehrgang behandelt haben, nimmt sich das Christfest, wie wir es als
Kirche feiern, eigenartig fremd aus, befremdlich beinahe, distanziert:
so als klaffe ein tiefer Spalt zwischen der Wirklichkeit unserer Gesellschaft
und ihres Lebens und dem Weihnachtfest, das wir heute wieder feiern;
wieder, und mit demselben, unveränderten Inhalt wie vor 2000 Jahren,
als sich die Geburt des Messias in Bethlehem ereignete. Hält diese
Botschaft der rasenden Entwicklung unserer Welt stand? Was kann sie
einem Menschen sagen, der sonst womöglich das ganze Jahr über
wenig mit der Bibel, mit Gottesdingen zu tun hat?
Christoph Müller, der Chefredakteur des Schwäbischen Tagblatts
in Tübingen, mutmaßt in seinem Leitartikel der Ausgabe von
gestern, daß es den Predigern an Weihnachten in diesem Jahr besonders
schwer fallen müsse, ihren Zuhörern eine tröstende, frohe
Botschaft zu verkündigen. Allzu beängstigend sei die von den
USA herauf beschworene Kriegsgefahr, niederschmetternd die wirtschaftliche
Situation mit vielen vorhersehbaren Problemen in der Zukunft unserer
Gesellschaft.
Aber ist es denn nicht gerade so, liebe Schwestern und Brüder,
daß das Weihnachtsevangelium des Johannes, sein berühmter
Prolog, wie die Botschaft Jesu überhaupt, nicht dazu geeignet ist,
unmittelbar in eine praktische Vernunft überführt zu werden:
so etwa, als sei die Kirche nun der (zusätzliche) "sechste
Weise", der endlich das alle erlösende Wirtschaftsprogramm
für die andauernde Flaute bereit hielte, oder den Schlüssel
zur Behebung der Bildungsmisere, gar einen taktischen Plan, um den politischen
Wahnsinn radikalisierter Muslime aufzuhalten. Nein, wer dies von der
Weihnachtsbotschaft erwartet, der greift eindeutig zu kurz, weil er
die Radikalität der Gottesgeburt nicht sieht oder an sich heran
läßt und sie statt dessen für eine möglichst schnelle
Antwort verzweckt, wie Menschen sie üblicherweise geben: im Hartz-Konzept,
in der Pisa-Studie, in einer UNO-Resolution. Der Prolog des Johannes
jedoch, der auf seine eigenwillig Art von der Geburt des Messias kündet,
hält all diesen innerweltlichen Sorgen, allen von Menschen selbst
fabrizierten Nöten, ganz grundsätzlich seine andere Sicht
der Dinge entgegen:
* daß nämlich der Mensch in seinem Wesen dazu bestimmt ist,
die Herrlichkeit Gottes zu sehen,
* daß Gott um Aufnahme bittet in unseren menschlichen Herzen und
Köpfen,
* daß auf sein Wort hin die Welt geworden ist, und sich verändert
* daß nicht der Wille des Fleisches, des Mannes, des Blutes ans
Ziel führt
* und vor allem: daß in diesem Wort Gottes das Licht der Menschen
zum leuchten kommt - und eben auf keinem anderen Weg.
Bevor wir Menschen also nicht
in der Lage sind - und das gilt in jeweils wieder gleich erschreckender
Weise für die erprobten Kirchgänger wie für die, die
womöglich bloß an Weihnachten eine gute Wegrichtung für
ihr Leben suchen -bevor wir alle demnach nicht willens sind, uns von
Problemlösungen zu verabschieden, die allein auf die Macht der
Menschen unter sich bauen, werden wir das Tröstende der Weihnacht
nicht finden. Es geht am heutigen Tage nicht um Symptombekämpfungen
oder Patentrezepte, sondern es geht um die Einordnung meiner Person,
jedes einzelnen von uns in eine Welt, die ausschließlich Gott
mit seinem Wort zum Leuchten bringen kann. Wer sich dieser prinzipiellen
Überlegung verweigert, kann Weihnachten feiern, zweifellos - und
ich vermute, daß viele es so tun - aber er kann die Rettung nicht
bei Gott finden, weil er sie dort nicht sucht.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wenn meine Einschätzung nicht trügt - und die Themen an der
Akademie in Karlsruhe drei Monate lang haben diesen Eindruck bei mir
verstärkt -, dann gibt es mehrere Faktoren, die einen kritischen
Wandel der deutschen (wie der meisten westlichen) Gesellschaft(en) verstärken
werden:
* Da ist zum einen eine spürbare Ökonomisierung der wesentlichen
Lebensbereiche; die Frage, ob es sich finanziell lohnt, ersetzt die
Sinnfrage und die Suche nach Wahrheit. àWer zahlen kann, bekommt
Recht.
* Dann eine beängstigende Beschleunigung, die in der Konsequenz
dazu führt, daß die Selektion, die Konkurrenz unter uns zunehmend
unbarmherzig wird. àWer nicht schnell genug mitkommt, bleibt
auf der Strecke.
* Damit zusammen hängt wohl eine rasch voran schreitende Unfähigkeit,
sich zu verständigen, die mit dem gegenteiligen Bestreben, nämlich
ständig erreichbar zu sein und zu kommunizieren, einhergeht. Das
bedächtig gesagte Wort, der einzelne Gedanke wird wertlos. àWer
so spricht, wird nicht ernst genommen.
* Schließlich bescheinigt die jüngste SHELL-Studie den jungen
Menschen ein stetig nachlassendes Interesse an Religiosität, einen
Wandel der Werte, der eher in die Richtung von persönlichem Erfolg
und sozialer Einflußnahme tendiert. àWer an Gott glaubt,
weiß keine bessere Antwort.
Die Geburt Gottes in Gestalt
von uns Menschen beinhaltet allerdings die Aufforderung, daß die
Menschheit sich über das Menschenmögliche hinauswagt. Wenn
wir im Deutschen von der Mensch-Werdung Gottes sprechen, dann kommt
darin ein beharrlicher Veränderungsprozeß zum Ausdruck: Gott
bleibt seinem Wesen nach Gott, und zugleich paßt er sich uns Menschen
so an, daß wir seine Nähe, seine Liebe spürbar in uns
tragen können. Wenn wir, liebe Schwestern und Brüder, diesen
weihnachtlichen - und Gott damit einbeziehenden - Prozeß der Veränderung
auf unser innerweltliches Leben übertragen, bekennen wir uns zum
Wandel, zur Anpassung: jedoch nur soweit, daß wir dem Wesen nach
der Mensch bleiben, den Gott gewollt hat.
Woran wir dabei Maß zu nehmen hätten, wo unser Bezugspunkt
läge für das Wesentliche des Menschen, darauf hat Gott seine
Antwort an Weihnachten gegeben. Indem er sein Wort sichtbar macht für
alle Welt, indem er es uns ergreifen läßt in Fleisch und
Blut, in seinem Sohn. Das Wort Jesus Christus kann die Wahrheit für
ein ganzes Menschenleben beinhalten, so wir es besser machen, als von
Johannes weitsichtig festgehalten: die Welt aber nahm ihn nicht auf.
Die damit verbundene Frage ist es, die uns bei aller Festesfreude an
diesem Tag aufrütteln soll und skeptisch machen allen vorgeblich
so bedeutsamen gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber, allen
Modeerscheinungen, jedem noch so brillanten Versuch, mit Menschenmacht
die Welt zu verbessern, scheinbar. Es ist die Weihnachtsfrage, die sich
an mich, an Sie richtet: Finde ich einen, besser: meinen Weg, um Gott
in Jesus Christus bei mir aufzunehmen? Daran allein wird sich beweisen,
ob Gott mit seiner Idee in unserer Welt erfolgreich war: wenn jeder,
der dieses Fleisch gewordene Wort gehört hat, ihm begegnet ist,
wenn jeder, der sich Christ nennt, in seiner persönlichen Biographie
auf dem lebenslangen Wandelweg bleibt auf Jesus zu, den Christus. So
konzentriert aufs Wesentliche wird sich uns eher leicht, denke ich,
die Begrenztheit mancher politischer und philosophischer Ideen erweisen.
Merry X-mas habe ich als Weihnachtsgruß in vielen Geschäften
gesehen, so als könne man sich selber ein X für ein U vormachen,
als sei es beliebig, was wir uns wünschen. Im Gegenteil: Wir feiern
nicht irgendeinen Platzhalter für ein bißchen Glück,
wo sich einmal im Jahr die ganze Nation verbindet. Als Christen feiern
wir ein Lebens- und Weltprogramm, das sich nicht aus uns selbst, sondern
von Gott her kommend, in Wort und Menschengestalt ausgeprägt hat.
Wir feiern, daß darin unser Glück, unser Heil, im Auf und
Ab aller Geschehnisse schließlich unsere Erlösung begründet
ist. Und dem allein gilt dieses Fest. Nichts sonst. Amen.
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