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"Hiob"
- Predigt am Sonntag, 9. Februar 2003,
in St. Michael
Warum? Warum? Warum?
Warum diese Schwere in mir?
Warum die Nacht um mich?
Warum gerade ich?
Der Hunger der Welt - warum?
Die Elendsquartiere - warum?
Das mißbrauchte Kind - warum?
Warum der Krebs?
Warum der Tod?
Warum die Angst?
Warum? Warum? Warum? Formuliert der Kapuzinerpater Anton Rotzetter,
geschult in der lebens- und schöpfungsfrohen franziskanischen Spiritualität,
mit vielfältigen Erfahrungen aus den jungen Kirchen Lateinamerikas
und Afrikas in einem Gebet zur Passion.
Warum, Warum, Warum all die
Hiobsbotschaften, von denen unsere Ohren voll sind: Warum diese wahnsinnigen
Waffenprogramme, Warum die Militäraufmärsche, Warum der Hunger,
Warum müssen Kinder verhungern, an Aids sterben, warum trifft gerade
mich diese Krankheit, warum gerade jetzt, warum so, warum, warum, warum
Monde voll Enttäuschung
unser Erbe, die Nächte voller Mühsal, gesättigt von Unrast.
Mit diesen Klagen können wir uns auch immer wieder identifizieren.
Es braucht uns also nicht wundern, daß Hiob in der modernen Literatur
keine unbekannte Gestalt ist, eher schon in der Leseordnung unserer
kirchlichen Liturgie, da finden wir in der Leseordnung nur zwei Lesungen
aus diesem Buch um und mit dem gottesfürchtigen und wohlhabenden
Mann Hiob.
Um diesen Hiob rechten und
wetten Gott und Satan. Satan behauptet, Hiob sei nur fromm, weil er
durch reichen Besitz gesegnet ist. Gott will das widerlegen und so läßt
er dem Satan freie Hand gegenüber Hiobs Besitz und seinen Angehörigen.
Hiobs Herden werden von den Feinden geraubt und vom Feuer vernichtet,
die Kinder sterben in einem Unwetter. Hiobs Antwort auf all diese schrecklichen
Botschaften: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name
des Herrn sei gelobt (1,21).
Für Satan scheint die
Wette verloren, der aber meint, Hiob sei nur so standhaft, weil er selbst
bislang verschont geblieben ist. So gibt Gott auch Hiob selbst in die
Hand Satans: sein Körper wird von schlimmen Geschwüren befallen.
Sind das nun Auswürfe
einer verborgenen Schuld? Nein, er leidet ungerecht; die traditionelle
religiöse Erklärung des Leidens als Vergeltung wird hier durchbrochen,
hier wird greifbar, daß solche Erklärungen wie Jeder bekommt,
was er verdient die Einsamkeit der Leiden verschlimmern, zynisch wirken:
der Gerechte leidet, und der Leidende klagt - nicht an die Adresse seiner
Freunde, sondern an die Gottes; in all dem Klagen, das sich von Mal
zu Mal verschärft, bleibt doch Gott der Ansprechpartner, auch dort,
wo Hiob alles verloren hat, auch seine Gesundheit - und wo er noch nicht
weiß, daß das ganze Experiment am Ende gut ausgehen wird,
daß er rehabilitiert wer-den wird, daß Reichtum und Ehre
restituiert werden. Gott antwortet Hiob aus dem Wettersturm, er weist
ihm die unfaßliche Größe der Schöpfung auf, die
nicht nach den Spielregeln menschlicher Nützlichkeitserwägungen
funktioniert, auch nicht, so schmerzlich das auch ist - an unsere menschlichen
Ideale von Gerechtigkeit.
Wie er da in der Asche sitzt
und mit den Scherben in seinen Geschwüren kratzt, nimmt Hiob einiges
an Erfahrungen der Menschen unserer Tage vorweg. Man denkt an ein absurdes
Theater: die Welt als Misthaufen, oben drauf der Mensch, der seinen
fauligen Rücken kratzt und in langen Monologen das Verlorene und
das Unverständliche der Gegenwart beschwört, der sich im Klagen
Luft zu verschaffen versucht. Und das Ende in diesem absurden Theater:
es bleibt meist offen oder trostlos.
Anders bei Hiob: er kann
am Ende die Scherbe aus der Hand legen und sich aus der Asche erheben...
Ihm ist die Kraft gegeben, darauf zu vertrauen, daß die Schöpfung
gerade dort, wo sie dem Menschen willkürlich, ungerecht und grausam
erscheint, dennoch von Gott gehalten und getragen ist.
Aber bleibt nicht doch auch nach dem happy end dieser immerwährende
Stachel, diese bohrende Frage: Warum mußte er das erdulden, warum
mußte er all das erleiden? Und die Antwort, daß das Leid
Folge und Strafe der Sünde des Leidenden sei, also so etwas wie
ein gerechter Ausgleich, diese Antwort ist auch noch zerrissen, für
nicht tragfähig erklärt. Wohin also mit der Frage nach dem
Leid? Die bohrende Warumfrage Hiobs wird im Buch selbst programmatisch
nicht beantwortet - im Gegenteil, die Freunde Hiobs, die ihn theologisch
trösten wollen, müssen sich das Verdikt gefallen lassen: "Ihr
habt nicht gerecht geredet von mir!" Die Erklärungssysteme
werden mit göttlicher Autorität zurückgewiesen.
Sollen wir die Auflösung
ins Jenseits verlegen, weil alle irdischen Versuche, Heil herbeizuführen
scheitern? Wird es uns aber nicht angesichts des eklatanten Scheiterns
gerade im 20. Jahrhundert immer mehr auch zur Frage, ob es diese Auflösung
im Jenseits geben wird?
Klage kann im Leid Luft verschaffen,
im klagenden Hiob zeigt sich Lebenswille. iob wird vom Objekt der Wette
zwischen Gott und Satan zum Subjekt, das Gott selbst herausfordert,
ja das eine persönliche Gottesbegegnung erzwingt. Unsere rationalen
Erklärungsversuchestochern mit dem Ziel der Rechtfertigung Gottes
angesichts des unschuldigen Leids, die Klage sucht Begegnung.
Der ungarisch jüdische
Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Imre Kertesz hat das
Thema der Absurdität in vielen seiner Schriften aufgegriffen, weil
er das Zerbrechen des Heils in der Vernichtung des jüdischen Volkes
im Hitlerreich miterlebt hat; der klagende Hiob wird ausgedehnt und
intensiviert. Und auch bei ihm kennt die Klage einen Adressaten: er
formulierte in seiner Stockholmer Nobelpreisrede, er wisse sich der
Liebe verdankt.
Das ist wahrlich keine direkte
Antwort auf die Frage nach dem Warum des Leids, denn diese Antwort liegt
auf einer ganz anderen Ebene, aber es ist wahrscheinlich die einzig
wirksame Antwort: der Liebe verdankt.
In diesem Kontext und in
diesem Sinn lese ich das heutige Evangelium: Jesus heilt die Schwiegermutter
des Petrus, wie es die Situation erfordert, am Sabbat, trotz aller Vorschriften
und Verbote. Er läßt sich die Not erzählen, hört
sich die Sorgen an, trägt die Sorgen mit. Er faßt sie an
der Hand und richtet sie auf. Keine lange Rede, keine allgemein gültige
flächendeckende Rezeptlösung und gültige Erklärung,
sondern die Sorge um das Leid dieser Frau; er faßt sie an der
Hand, er richtet sie auf.
Und damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende: Und sie sorgte für
sie; dieser Impuls geht weiter. In diesen Taten erfüllt sich der
Sabbat als Ziel der Schöpfung: der Liebe verdankt einschwingen
in die Sorge und Freude Gottes über die Welt des Menschen. Amen
Fürbitten
Wir wollen beten zum Herrn,
unserem Gott, der seinen Sohn schickte und sich in ihm der Not der Welt
zuwandte:
Für unsere Welt: Dass
es in ihr viele Orte gibt, wo Friede und Gerechtigkeit einander begegnen.
Für deine Kirche: Dass
sie der Welt zum Segen werde durch die Erweise des Geistes und der Kraft,
die du in ihr wirkst.
Für die Enttäuschten
und Entmutigten, die Schwachen und Entrechteten. Höre ihr Suchen
und Klagen und komme ihnen entgegen.
Für die Suchenden und
Hoffenden: Daß sie in deiner Sorge und Freude über die Welt,
in deiner Liebe mitwirken an deiner Schöpfung.
Herr, unser Gott, du hilfst
den Gebeugten auf, denn du bist groß und gewaltig an Kraft. Führe
du zur Vollendung, was du unter uns begonnen hast, durch Christus, unseren
Herrn. Amen.
Text zum Eingang
Wir erinnern uns, wenn wir
als Gemeinde zum Gottesdienst zusammen kommen an das rettende Wirken
Gottes, an die befreienden Taten in der Geschichte Gottes mit den Menschen.
In der Bibel, diesem Buch, das das Leben geschrieben hat, das voll ist
von Freude und Hoffnung, aber auch von Angst und Trauer begegnen uns
auch eindringliche Szenen der Klage und Anklage; natürlich denken
wir da zuerst an das Buch Hiob, aus dem wir heute eine Lesung hören.
In dieser Feier mit Gott können auch die be-schwerlichen und dunklen
Seiten nicht ausgeblendet werden, will sie ehrlich bleiben.
Freud und Leid, Gelingen und Versagen, Lob und Klage dürfen wir
zum Quell unseres Lebens bringen
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