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An Ostern glauben = Ostern bezeugen
Ansprache – auch über Joh 20,11-18
Ostern (Am Tage) 15.4.2001 – 10.30 Uhr St. Michael Tübingen
Ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, mit dieser Erkenntnis ist Maria
Magdalena nicht allein. In allen Osterevangelien ist von Jüngern die
Rede – Frauen sind es vornehmlich! –, die den hingerichteten Jesus nicht finden,
zunächst und im Rahmen ihres Vorstellungsvermögens. Und dennoch
sind sie manchem Mann im Jüngerkreis, den apostolischen Autoritäten
zumal, einen Schritt voraus, weil sie wenigstens ihren Freund und Meister
nicht im Stich gelassen haben. Unterm Kreuz stehen sie, und sie machen sich,
gleich frühmorgens und ohne Aufforderung von außen, auf den Weg
zum Grab, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, die jedem Toten gebührt.
Daß sie ihn dann nicht finden, Maria von Magdala und die anderen Frauen,
das macht sie mindestens noch einmal so traurig wie sein Tod, den sie längst
noch nicht verkraftet haben. Der Morgen des ersten Tages der Woche, der Ostermorgen,
führt an die Grenze dessen, was dem Menschen fremd sein muß und
ihm Angst macht: Jesus starb am Kreuz wie ein Verbrecher; schlimm genug!
Nun aber ist er nicht bei den Toten zu finden. Wo denn dann? Maria Magdalena
traut ihren Augen nicht. Als sie und die anderen Frauen den Jüngern
davon erzählen, ernten sie Unverständnis: für Geschwätz
halten sie ihre Nachricht und glauben ihnen nicht.
Liebe Schwestern und Brüder, wissen wir, wo Jesus zu finden
ist? Nicht bei den Toten. Wo dann?
Am Gründonnerstag haben wir auch in diesem Jahr daran gedacht (Erstkommunionkinder
waren dabei als Jünger Jesu heute!), was uns die Evangelien der Bibel
einhellig berichten: daß Jesus vor seiner Verhaftung mit seinen Freunden
ein letztes Mahl gefeiert hat. Dabei legte er sein Leben in Gottes Hände,
und er wagt einen Blick über sein bevorstehendes Schicksal und Ende
hinaus: Ich werde dieses Mahl nicht mehr essen, bis es sich erfüllt
im Reich Gottes, (...) trinken werde ich nicht mehr, bis das Reich Gottes
kommt (vgl. Lk 22,16.18).
Die Hoffnung seines ganzen Lebens, seiner Berufung von Gott, seines Auftrags,
seiner Sendung (wie auch immer wir sagen wollen) drückt sich in diesen
Worten aus: Gottes Reich muß für die Menschen Wirklichkeit werden.
Jedes einzelne Menschenkind soll den Weg in diesen göttlichen Bereich
finden. Vorher, ja vorher kann seine Berufung ihr Ziel nicht gefunden haben
– Mission impossible, Sendung nicht erreicht! Jesus hält auch angesichts
seiner drohenden Verhaftung und Hinrichtung beharrlich an dieser Hoffnung
fest. – Wir müssen also achtgeben, denn die Botschaft von Ostern lautet
nicht: Jesus ist einfach zurückgekehrt, und alles ist, wie es vorher
war. Keineswegs. Jesu Hoffnung auf das Reich Gottes ist für ihn wahr
geworden. Weil er dort ist, findet ihn niemand bei den Toten. Allerdings
wissen die Jünger und wir damit noch nicht automatisch, wo dieses Reich
zu finden sei, und wie wir dahin kämen. Genau das brauchen wir aber,
damit Ostern werden kann.
Wo also ist das Reich Gottes?
Als Jesus einmal danach gefragt wurde, gab er zu Antwort: Es ist mitten unter
euch! Gut aus der Affäre gezogen, möchte man sagen, eine typisch
salomonische Jesus-Antwort; nur keine genauen Festlegungen, Gott ist wieder
mal nicht zu greifen. Und offenkundig liegt es in der Natur der Sache begründet,
daß dieses Gottesreich die Grenze all dessen überschreitet,
was wir kennen und vorzuweisen hätten: keine äußeren Zeichen,
nicht hier, nicht dort.
Wenn Jesus mit seinem Vorgehen Erfolg hatte, dann muß das Reich Gottes
überall dort sein,
- wo Menschen ihr Leben in Gottes Hand legen, wie Jesus es tat
- wo Menschen einen Lebensstil praktizieren wie Jesus, um Gott
ähnlich zu werden: liebend, barmherzig, unbekümmert
- wo Menschen sich um ein Gottvertrauen bemühen, das größer
ist als alle Angst, die man manches Mal vor dem Leben haben kann und erst
recht vor dem Tod.
Wer also den Auferstandenen finden will, liebe Brüder, liebe Schwestern,
wer Ostern erfahren will, als Wirklichkeit, der muß sich auf die Suche
nach dem Reich Gottes machen.
[Im vergangenen Jahr haben unsere Bischöfe in Deutschland wieder
einmal ein Papier zum Thema Gerechtigkeit und Friede verfaßt. Herausgefordert
vom politischen Wandel der letzten zehn Jahre müssen sie ernüchtert
feststellen, daß dieser keineswegs zu einer stabileren Friedensordnung
in der Welt geführt hat, sondern zu immer neuen Kriegen und Massakern
wie in diesen Tagen in Israel und Palästina, was den inneren Frieden
anbelangt auch in unserem Land. In dieser Situation weisen die Bischöfe
darauf hin, daß wir als Gemeinde Jesu ein „Sakrament des Friedens“ und
damit ein Teil Reich Gottes sein können.]
Oft wird diese Suche (nach dem Reich Gottes) uns über die Grenze
dessen hinausführen, was wir kennen und uns vorzustellen vermögen.
Fremdes gibt es dann nicht mehr als plakative Trennung, und die Angst hat
nicht das letzte Sagen. Bereits vor über 1700 Jahren hat der griechische
Theologe Origines diese Erkenntnis in ein verblüffendes Bild gebracht.
Er schreibt in einer Predigt:
„Solange dem Reich Gottes noch ein Mensch fehlt, kann Jesus die volle Herrlichkeit
seiner Auferstehung nicht empfangen. Denn Jesus kann den Wein des Reiches
Gottes nicht allein trinken. Er sitzt am Tisch Gottes und wartet auf uns.“
Wenn wir, liebe Schwestern und Brüder, heute wieder Ostern
feiern, dann heißt das doch für uns nichts anders als: Die Auferstehung
Jesu von den Toten gehört nicht ins Reich der Vergangenheit. Nein, sie
dauert an bis zum heutigen Tag und schließt alle (!!) Menschen darin
ein. Und erst wenn alle Menschen an Gottes Tisch Platz nehmen konnten, erst
wenn das Reich Gottes – wie oben angedeutet – die Grenzen zwischen Menschen
überwunden hat, erst dann kann das Mahl der Freude beginnen, von dem
Jesus vor seinem Abschied gesprochen hat, erst dann kann Ostern wirklich
sein.
An Ostern geht es zweifellos um die Mitte unseres christlichen Glaubens.
Und es geht um eine Entscheidung, die jede und jeder hier treffen bzw. zumindest
erneuern muß:
- Ob wir mit Jesus glauben und seine Hoffnung auf Gottes Reich
für alle Menschen teilen ...
- Ob wir bereit sind, diese Mitte unseres Glaubens auch zum wichtigsten
Maßstab unseres Zusammenlebens zu machen ...
- Ob wir als Gemeinde bereit sind, die tödlichen Grenzen
zu überschreiten, weil wir daran glauben, daß Gottes Treu zu uns
stärker ist als Ausgrenzung und Tod ...
- Ob wir schlicht und ergreifend dazu beitragen, daß am
Tisch Gottes Platz ist für alle ...
Das Osterbekenntnis der Maria Magdalena lautet: Rabbuni! = Mein Meister!
Eine schlagende Erkenntnis verbirgt sich dahinter, daß für den,
der Ostern in sein Leben hinein übertragen will, Jesus der Herr über
dieses ganze Leben werden muß. Heute ist die beste Gelegenheit, wieder
einen Schritt in die richtige Richtung zu wagen!
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