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Bitte
kein falscher Trost
Predigt über Joh 3,14-21 am 4. Fastensonntag B
29./30.3.2003 in Tübingen und Bühl
* Erklären Sie einem Blinden,
daß der Glaube an Jesus sehend macht - und der Blinde bleibt blind.
* Erklären Sie der Familie,
die von einem politischen Unrechtssystem wegen ihrer Volkszugehörigkeit
verfolgt wird, daß Gott sich der Verfolgten annimmt - wenn die
Familie vor Angst nur die Lösung kennt, ihre Heimat zu verlassen.
* Erklären Sie dem Christen,
der seinen Glauben nur insgeheim vertreten darf, weil er sonst mit dem
Tode bedroht ist, daß Christus ihn zur Freiheit befreit hat.
* Erklären Sie einem
der 800.000 Christen im Irak, daß Gott die Welt liebt - wo doch
der von George W. Bush propagierte Kreuzzug der sogenannten zivilisierten
Welt auch ihn mit Haß überzieht in jedem Augenblick seit
elf Tagen und mit dem Tode bedroht.
Der Glaube, liebe Schwestern
und Brüder, bringt uns oft in Erklärungsnot, vor allem dann,
wenn wir ernst machen und seine Inhalte, die Glaubenssätze mit
unserer Wirklichkeit konfrontieren, ohne Scheu, ohne Tabus. Es ist wohl
etwas anderes, die frohe Botschaft Jesu schön zu finden, wohltuend,
seine Verkündigung theoretisch richtig zu finden, oder aber sie
angesichts der Niederungen unseres Alltags, im Auf und Ab unserer Lebensgeschichte
eben auch als schwierig zu erfahren, als ideal und fern, und manches
Mal, ja, unglaubwürdig bei allem Respekt.
In diesen Tagen, wo Krieg
ist auf unserem wieder und wieder geschundenen Planeten, ergibt sich
die Erklärungsnot um so bedrängender, als die Kriegsparteien
auf beiden Seiten den Glauben an Gott auf ihre Sturmfahnen geschrieben
haben. Können wir es als Christen ertragen, daß unsere Christenfreunde
in den Vereinigten Staaten unter Berufung auf Jesus, den Christus, anderen
Gottesgeschöpfen die Köpfe einschlagen. Die Tatsachen des
Krieges allein müssen angesichts der klaren Aussagen Jesu bereits
unerträglich sein für uns. Wieviel mehr allerdings die Vereinnahmung
des Menschensohnes für das Gegenteil seiner innersten Absicht,
für die Verkehrung seines Geistes, den das Neue Testament atmet.
Liebe Brüder, liebe Schwestern, gerade weil wir Christen sind,
und die Amerikaner unsere Christenfreunde, darf diese Perversion all
dessen, was wir theologisch für richtig halten, eben nicht stehen
bleiben. Um Jesu Christi willen müssen wir Kritik üben, brüderliche
Korrektur! Daß die Muslime ihrerseits solche Formen des Widerspruchs
kaum kennen, geschweige denn dulden, ist zunächst einmal deren
Sache und unserem direkten Zugriff entzogen.
Nun stellen Sie sich nur
vor, was es heißen muß, wenn der berühmteste Satz des
Evangeliums dieses Sonntags in die Situation des Krieges hinein gesprochen
wird: So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen
Sohn für uns hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige
Leben hat. Was muß diese Aussage für eine amerikanische Mutter
bedeuten, die ihren Sohn, den einzigen womöglich, im Irak verloren
hat? Wie mag sie sie hören? Als Trost, oder weltfremd, als Ablenkung
von der bitteren Wahrheit, die sie erfährt?
Verschärft wird das
Wort bei Johannes noch dadurch, daß die Propaganda des Krieges
unterstellen mag, jeder, der für die als gerecht definierte Sache
stürbe, habe sein Leben wie Jesus hingegeben, und das ewige Leben
sei ihm sicher. Jedem, der gerne lebt - und das will Gott: ein Leben
in Fülle - jedem also, der sich seines Lebens freut, muß
solche Logik wie blanker Hohn vorkommen. Das ewige Leben sich auf solche
Weise zu verdienen, das ist nicht nur ein falscher Trost, es ist vielmehr
eine Vertröstung. Und die ist theologisch gesehen falsch, unerlaubt
und im Hinblick auf die Untermauerung jedes echten Glaubens im hohen
Maße problematisch.
Karl Marx war es mit seinem
Akzent der Religionskritik, der die Ablenkung von den wahren Zuständen
hier auf Erden als Vertröstung entlarvt hat. Ein Christentum, das
mit den Mächtigen aus Eigennutz gemeinsame Sache macht, war ihm
absolut suspekt. Einen Glauben, der nicht darauf aus war, das Leben
zu Lebzei-ten erträglich zu machen, die Wahrheiten des Glaubens
umzusetzen in die Tat, lehnte er rigoros ab. Und ich sage: zu Recht!
Nicht zuletzt mit seiner Hilfe haben wir Christen gelernt, den Himmel
hier auf der Erde anzustreben, Frieden nicht als eine Jenseitsvorstellung
zu betrachten, sondern uns hier für ihn einzusetzen, mit allem
Glauben, mit allem religiösen Eifer. Wer an Jesus Christus glaubt,
muß also das, was er im Neuen Testament über ihn liest, in
dem wiederfinden, was er erlebt. Schließlich lebe ich jetzt, und
ich glaube jetzt. Die Wahr-heit der Sätze, die Jesus zum jüdischen
Ratsherren Nikodemus spricht, will die Zeitlichkeit mit der Ewigkeit
verbinden, und nicht das Eine unverbunden neben dem Anderen stehen lassen.
Wer glaubt, geht nicht zugrunde
hat das ewige Leben
wird nicht gerichtet
kommt zum Licht.
Liebt also Gott seine Welt
nicht mehr? Ist Jesus umsonst gestorben?
Der schöne Satz im 3. Kapitel bei Johannes ist höchst gefährdet,
liebe Schwestern und Brüder, wenn wir auf die Realitäten in
unserer kleinen und in der großen Welt schauen. Er steht in der
Gefahr, mißverstanden zu werden, als ginge es darum, den grausamen
Erstickungstod des Gekreuzigten zu verklären: Alles nicht so schlimm,
der Krieg, die unschuldigen und die schuldigen Toten, Täter und
Opfer
Gott braucht keine Handlanger,
die an seiner Statt sich anmaßen, die Welt zu retten mit ihrem
religiös verbrämten, zuinnerst jedoch egoistischen Sendungsbewußtsein,
das mit Glauben nichts mehr zu tun hat. Genau darum allerdings geht
es dem Evangelisten Johannes, um anderes nicht: daß die Welt an
Jesus glaube -
an sein Modell zu leben,
an seine Bereitschaft, durch Liebe die Welt zu verändern,
an seine Begabung, unmittelbar vom Herzen des Menschen Besitz zu ergreifen,
auf daß er sein Leben ändere.
Es geht um ein Glauben, das
Gott Gott sein läßt und den Willen des Menschen ausdrücklich
begrenzt, ein Glauben, das Gott zutraut, es im Leben jedes einzel-nen
Menschen gut zu machen, wenn er es nur zuließe. Einen anderen
Trost weiß ich nicht, liebe Schwestern und Brüder. Und wer
so nicht glauben will, der wird nicht verstehen können, wie Gott
durch seinen Sohn die Welt gerettet hat, ein-mal für alle Zeiten,
sondern er wird dieses Evangelium verdunkeln - für sich und womöglich
für viele.
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