Predigten

 

Ökumenischer Gottesdienst in St. Michael am 19. Oktober 2003

Predigt zu 1. Korinther 13,13

Liebe Christen von St. Michael und Eberhard!

Das Hohelied der Liebe singt Paulus im 1. Korintherbrief. Es ist eigentlich ein Lied auf Christus. Denn das, was Paulus von der Liebe singt und sagt, das kann und muß von Christus gesagt werden.

Und nachher wird der kleine Paul Gustav getauft. Er wird, wie Paulus an anderer Stelle sagt, mit Christus überkleidet. Zum Zeichen dafür wird ihm das weiße Kleid überreicht.
Mit Christus überkleidet, also umhüllt mit der Liebe Gottes selber. Wer aber das weiß, liebe Freunde - und jeder Getaufte kann das wissen, - wer das weiß, der braucht weder Tod noch Teufel mehr zu fürchten. Denn die Liebe ist so stark wie der Tod, so heißt es in jenem anderen Hohen Lied der Liebe aus dem Alten Testament. "Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken."

Und Paulus jubelt in seinem Lied: "Die Liebe höret niemals auf." Warum ist das so? Menschlich ist das ja nicht. Denn alles Menschliche ist endlich.
"Gott ist die Liebe!" Darum hört sie niemals auf. Darum ist sie so stark, nein stärker noch als der Tod. Der Tod ist das Nein zum Leben. Die Liebe aber ist das Ja, das auch noch den Tod in sich hineinnimmt und verwandelt zu einem neuen unverweslichen Leben.

Die Liebe steht am Anfang der Schöpfung. Sie ist die Urgewalt des Geistes, der am Anfang über dem Chaoswasser brütet und das All gebiert.
"Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?" - auf diese Urfrage gibt es nur eine Antwort: Gott ist die Liebe.

Warum hat der kleine Paul das Licht der Welt erblickt? Die Antwort: Weil die Liebe, weil Gott es so wollte.
Die ganze Schöpfung ist eine Komposition der Liebe Gottes. Und die Geschöpfe, sie sind die Instrumente, auf denen der Hl. Geist das ewige Lied der Liebe Gottes spielt.
Und dieses Lied des Geistes ist voller Harmonie, voller Wohlklang und Schönheit.
und manchmal, in den besten Augenblicken unseres Lebens, meinen wir etwas von diesem Wohlklang zu hören und von dieser Schönheit zu sehen.
Es sind dies die Augenblicke, in denen der Geist unsere Herzen und Sinne öffnet für eine Wirklichkeit, die wirklicher ist als die unsere, in der wir alltäglich wandeln und handeln.

Denn diese unsere alltägliche Wirklichkeit ist ja wahrhaftig nicht voller Wohlklang und Schönheit, sondern da ist Mißklang und Schmutz, da gibt es Chaos und Katastrophen.
Die Partitur des Schöpfers mag zwar stimmen, aber die Geschöpfe, die Instrumente sind falsch gestimmt.
Wer hat sie denn verstimmt? Woher denn diese Mißtöne, woher dieser chaotische Lärm, woher das Böse?
Die Hl. Schrift sagt, daß es aus dem Herzen des Menschen stammt, also aus dem Instrument, dem der cantus firmus, die Hauptmelodie, die führende Stimme im Chor der Geschöpfe übertragen ist.
Und deshalb ist sozusagen das ganze Orchester verstimmt. Paulus sagt es im Römerbrief so:
"Wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes."
Und an gleicher Stelle: "Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden."

Die ganze Schöpfung, liebe Mitchristen, wartet, daß der cantus firmus, daß die Hauptstimme wieder auf Wohlklang gestimmt ist.
Erst dann, wenn diese Stimme wieder stimmt, dann wird es in der ganzen Schöpfung auch wieder stimmen.
Und nun hat der göttliche Musikant, der Dirigent und Spielmann Gottes, der Hl. Geist, in die Herzen von Menschen etwas von seiner Fülle, von seiner Harmonie, seinem Schalom, ausgegossen, damit wenigstens wieder ein Teil dieser Hauptstimme auf Wohlklang gestimmt ist.
Dazu hat er sie aus der übrigen Menschheit herausgenommen - erwählt, sagt die Bibel. Und mit dieser kleinen Besetzung übt ER, der Hl. Geist, das Lied von Gottes Liebe - dieses Sehnsuchts- und Seufzerlied, das durch die ganze Schöpfung schwingt und klingt.
Diese kleine Besetzung nennt die Bibel "Volk Gottes".
Mit Abraham hat die Erwählung begonnen und in Jesus, dem Nahckommen Abrahams, darf jeder Getaufte sich dazurechnen.
Das Ziel aber ist, daß einmal alle Geschöpfe wieder so gestimmt sind, daß das Lied von Gottes Liebe in der ganzen Schöpfung zur Ehre Gottes erklingt.
Die kleine Besetzung, das Volk Gottes, ist also nicht für sich selber da. Sie hat allein die Aufgabe, die Musik des Hl. Geistes so erklingen zu lassen, daß andere davon angesteckt und angezogen werden un sie sich selber als Instrumente des Geistes zur Verfügung stellen.

Den Grundakkord dieser göttlichen Musik aber finden wir im Hohenlied der Liebe, das Paulus singt. Es ist der letzte Vers:
"Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die Liebe aber ist die größte unter ihnen."
Das ist also der Dreiklang, auf den die Instrumente je und je neu gestimmt werden vom Spielmann Gottes:
Glaube, Hoffnung, Liebe - das ist der himmlische Akkord.
Wo er zerbrochen wird, zerbricht die ganze Musik.
Es gibt diese Liebe nicht ohne den Glauben und die Hoffnung. Und der Glaube bleibt nicht allein. Er hat immer die Liebe und die Hoffnung bei sich und mit sich.
Aber nun haben ja diese Worte einen vagen, unbestimmten Klang und Sinn.
Die Menschen haben sich dieser Worte bemächtigt, haben sie beschädigt und verdreht und ihrem Sinn und Geschmack angepaßt.
Glauben, so sagen die Leute, glauben muß doch der Mensch an irgendetwas, sonst hat er keinen Halt.
Und Hoffnung, ja Hoffnung braucht jeder Mensch, sonst geht ihm die Luft und Lust am Leben aus.
Und lieben, natürlich: wir müssen ja auch lieb und nett zueinander sein, sonst gibt es nur Streit und Krieg - im Kleinen wie im Großen.
Aber, liebe Frreunde, dieses vage Glauben, Hoffen und Lieben ist krank und heilt den Schaden des menschlichen Herzens nicht, aus dem die Mißtöne fließen.
Wenn Paulus vom Glauben spricht, dann meint er den Glauben an Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen.
Und wenn er von der Hoffnung spricht, dann ist das die Hoffnung, daß am Ende nicht Chaos, sondern wirklich Kosmos ist, nicht immer und auf ewig Mißklang, sondern Wohlklang:
die Hoffnung, daß diese Schöpfung verwandelt wird in das Instrument, aus dem Gottes reines Liebeslied erklingt.
Und wenn er von der Liebe spricht, dann meint er nicht: seid nett zueinander und auch nicht: seid umschlungen Millionen,
sondern lieben heißt: Gott und den ganz konkreten Nächsten lieben, den Bruder, die Schwester.
Lieben heißt: ihn annehmen mit allen Fehlern und Schwächen. Lieben heißt: seine Lasten tragen, mittragen, auch die Last seiner Sünde und Schuld.
Lieben heißt letztlich: im anderen schon den Geliebten Gottes zu sehen, das Ebenbild, in dem mir Gott begegnet.

Und wie sollte das denn gehen ohne Glauben?
"Glaube", so schreibt Willy Kramp in einem schönen Büchlein mit dem Titel "Protest der Schlange": "Glaube ist das in Gebet und Meditation immer neu, immer glückhafter vollzogene Innewerden dessen, daß ER, Christus, heute lebt, so wie ER vor Beginn der Welt gelebt hat, daß ER heute spricht, handelt, heilt; daß ER erhöht ist zu dem, der ihn gezeugt und gesandt hat; daß ER zugleich aber auch mich aus meinem Bruder, aus meiner Schwester anblickt, die meiner Hilfe bedarf und der mir Hilfe spendet."
Aber, liebe Mitchristen, wie sollte das einer von sich aus, aus sich heraus können? Wir können das nicht von Natur aus: Glauben, hoffen lieben. Das geht gegen unsere Natur.
"In der Natur gibt es keine Liebe, denn der grundlegende Entwicklungsprozeß der Natur ist der Tod", sagt der große polnische Erzähler Andrej Szypiorski. Und weiter:
"Die Barbarei, die in uns steckt, ist ein Teil der Natur, die uns geformt hat."
In der Natur herrscht das Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens: der Tod. Die Anti-Liebe.
Und darunter seufzt sie ja und stöhnt die Kreatur, wie Paulus schreibt, und ängstigt sich mit uns.
In der Schöpfung herrscht Mißklang. Die Instrumente sind verstimmt. Darum: Kein "Zurück zur Natur!" Das ist reine Romantik - ob mit Rousseau oder Esoterik!
Und da wir ein Teil der Natur sind, können wir natürlicherweise nicht glauben, nicht hoffen, nicht lieben.

Und darum ist es gut, daß es heißt:
"Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei."
Es heißt nicht: Ihr, die ihr glaubt und hofft und liebt - seid die Bleibenden.
Denn unser Glaube ist ein armes Windlicht. Unsere Hoffnung kommt und geht. Und unsere Liebe ist eine sehr hinfällige und gebrochene.
Nein: Glaube, Hoffnung, Liebe - diese drei himmlischen Geschwister bleiben.
Sie bleiben, - bleiben bei uns, bleiben in der Zeit und im Raum. Sie bleiben bis zum Ende der Zeiten. Warum ist das so?
Sie bleiben, weil einer sie gelebt hat, weil einer diesen Grundakkord durchgehalten hat.
ER, Christus, ist der Anfänger und Vollender des Glaubens.
Er hat die Hoffnung für diese Welt durchgehalten bis ans Kreuz.
Und er hat die Liebe gelebt und für sie gelitten bis zum letzten Atemzug.
Darum ist sein letztes Wort nach dem Evangelisten Johannes:
"Es ist vollbracht!"

Nun ist das Werk des Hl. Geistes vollbracht: in diesem einen Menschen, an dieser einen Stelle ist die Schöpfung neu gestimmt auf den Grundakkord von Gottes Musik.
Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, weil Christus, der Auferstanden auf ewig bleibt.
Und in diesen Christus sind wir alle hineingetauft, liebe Freunde.
Nun gilt es, in ihm zu bleiben, Rebe am Weinstock.
Denn nur in ihm stimmt die Musik. Nur in ihm gibt es Schalom: Frieden und Gerechtigkeit. Nur in ihm erklingt das reine Lied der Liebe Gottes.
Aber auch dieses Bleiben ist kein natürliches Können. Von uns aus können wir nicht in ihm bleiben. Er muß uns immer von neume zu sich ziehen.
Und er tut es durch seinen Geist. Durch den Dirigenten und Spielmann von Gottes Musik.
Und darum muß unsere ständige Bitte sein: Veni creator spiritus! Komm Schöpfer Geist! - erfüll unsere Herzen, zünd an das Feuer deiner Liebe, des Glaubens und der Hoffnung!
Es ist eine Bitte nicht nur für uns, die Menschen, sondern stellvertretend für die ganze Schöpfung.
Denn wie Paulus es sagt und schreibt: Die ganze Schöpfung wartet. Die Kreatur zittert vor Erwartung und Hoffnung, daß der Stimmführer der Schöpfung, der Mensch, endlich seinen Part wieder übernimmt in dieser herrlichen Symphonie Gottes.
Da ist das Gesetz des Todes, ja. Aber da ist auch ein stummes Hoffen.
Die Dichter, die das Ohr am Puls der Natur haben, wissen darum:
"Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort.
Und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort."
Lassen wir den romantischen Zauber Eichendorfs weg, dann bleibt noch das Wort.

Und ich glaube, auch der fromme Katholik Eichendorf wäre einverstanden, wenn ich als Protestant sage: Dieses Wort heißt:
"Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, dieses drei. Die Liebe aber ist die größte unter ihnen."
Auf diesen Dreiklang will der Hl. Geist heute Paul Gustav einstimmen. Mit dieser Liebe, mit Christus dürfen wir ihn in der Taufe überkleiden.
Amen


 

 

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