Predigt
am
8./9.11.2003 (Hlg. Martin)
in St. Michael
Predigt
Er ist unser Diözesanpatron.
71 Gemeinden heißen in unserer Diözese nach ihm (ich habe
keinen Namen öfters gefunden), jedes Jahr finden überall Laternenumzüge
mit manchmal großen Martinsspielen zu seinen Ehren statt,
die Geschichte von der Mantelteilung ist mit eine der bekanntesten Legenden
aus dem Leben eines Heiligen - da kann vielleicht höchstens noch
der Heilige Nikolaus mithalten
Martin, liebe Schwestern
und Brüder, ist ein sehr bekannter und ein sehr beliebter Heiliger.
Woher das wohl kommt?
Vielleicht gerade weil eine auf den ersten Blick so geringe Tat wie
die Mantelteilung uns ein gutes Vorbild sein kann - nicht gleich die
Mordsaktion hat Martin gestartet, nein er hat einfach und praktisch
aus der Situation heraus gehandelt - ohne viele Worte
Das macht ihn sympathisch.
Und auch wenn wir auf das
Evangelium schauen, das so genial zu Martins Tat passt, sehen wir, dass
im Grunde keine Unmenschlichkeiten von uns verlangt werden - Hungernde
speisen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen - im Grunde alles machbar.
Hinzukommt dass das Evangelium uns nicht sagt, wie oft wir diese Taten
vollbringen sollen. Es sagt nur, dass. Und wenn wir da mal in unserem
bisherigen Leben nachkramen: fällt da nicht jedem von uns etwas
ein, was im Sinne des Evangeliums als gute Tat durchgehen würde?
Es braucht ja nicht viel. Na, dann können wir ja dem Gericht gelassen
entgegen sehen!
Und doch: auch wenn selbst
die kleinen Taten reichen, die wir vielleicht ja sogar schon getan haben.
Mir bleibt bei dieser Evangeliumsstelle immer ein ungutes Gefühl.
Sie löst bei mir irgendwie einen gewissen Handlungsdruck aus und
den Zwang mich zu rechtfertigen. Habe ich wirklich schon genug getan?
Wird es reichen? Auf welcher Seite werde ich am Ende landen?
Und die Erzählung von
Martins Mantelteilung, die dem Evangelium gleich als gelungene Umsetzung
der beschriebenen Forderungen nachgeschoben wird, macht mein ungutes
Gefühl nicht wirklich besser.
OK, ich soll nicht gleich
die ganze Welt von Hunger, Kälte, Not befreien, aber etwas - wenigstens
ein bisschen - wird doch von mir gefordert. Zumindest wenn mir etwas
daran läge, mein ewiges Leben auf der rechten Seite des Menschensohnes
zu verbringen.
Da stellt sich mir dann schon auch die Frage, wie es denn da andererseits
um die verheißene Gnade steht. Genau dieselbe Frage also, die
auch einen anderen Martin umgetrieben hat: Martin Luther.
Er hat einen gnädigen,
einen barmherzigen Gott gesucht, ihn aber in den Antworten und Praxen
der Kirche seiner Zeit nicht gefunden.
Dieser zunächst innere Kampf Luthers, seine Auseinandersetzung
um die Zugangsbedingungen zum ewigen Leben sind meiner Meinung nach
gut in dem neuen Kinofilm "Luther" aufgearbeitet. Luther streitet
und kämpft mit sich und dem Teufel. Er ringt um eine Lösung,
eine Lösung, die auch mit der biblischen Botschaft übereinstimmt.
Aber die Antwort, die er findet, passt im Grunde gar nicht zu unserem
heutigen Evangelium.
Sola fide - allein durch
den Glauben werden wir gerettet. Kein Werk, keine menschliche Leistung
bringt uns da weiter.
Ob Luther Jesus da besser verstanden hat als Matthäus?
Denn passt seine Meinung nicht viel besser zu Jesu Leben, Predigt und
Tun als das heutige Evangelium?
Wenn Sie jetzt allerdings
eine Antwort auf diese Fragen von mir erwarten, muss ich sie leider
enttäuschen: ich weiß auch nicht, wie die Spannung, die in
diesem Gegensatz liegt, aufzuheben ist. Eine mögliche Antwort in
diesem Zusammenhang ist oft, dass der Glaube an Jesus die Werke von
sich aus hervorbringt. Das soll also heißen: wenn ich von Jesu
Liebe ergriffen bin, kann ich gar nicht mehr anders, als diese Liebe
weiterzuschenken an andere und damit hätten wir ja dann die guten
Werke. Aber ehrlich gesagt befriedigt mich diese Antwort nicht sehr.
Denn wenn Matthäus uns das zeigen will, warum muss er dann gleich
mit der ewigen Verdammnis drohen? So radikal wird Jesus selber in seinem
Tun doch eigentlich nie geschildert.
Oder kann man diese scharfe
Trennung, die Matthäus da festlegt, damit erklären, dass es
in seiner Gemeinde an guten Werke eben gerade fehlt und sich die Christen
seiner Umgebung des Heils schon zu sicher waren? Aber selbst wenn es
so gewesen wäre, was ich nicht weiß, selbst dann noch kann
ich es nicht nachvollziehen, wie er aus der Frohbotschaft Jesu, die
eigentlich den Akzent auf Gottes Liebe und Erbarmen legt, doch wieder
eine Drohbotschaft macht.
Für mich bleibt die
Spannung und die Unversöhntheit mit dieser Stelle erhalten und
ich habe selber lange beim Schreiben dieser Predigt um die richtigen,
die angemessenen Worte gerungen. Vor allem auch mit Blick darauf, dass
ich Ihnen im Grunde keine wirklich Antwort anbieten kann, weil ich sie
selbst nicht habe.
Ich habe in der Vorbereitung
die Erzählung vom Weltgericht - einmal mehr - hin und her gewendet,
ich habe die Tat von Martin angeschaut, bis ich schließlich auf
eine ganz andere Sichtweise kam, die die geschilderte Spannung zwar
nicht auflöst, aber diese beiden Erzählungen für mich
in einem neuen Licht erscheinen ließ. Vielleicht geht es ihnen
ja auch so:
Denn haben sie sich in der
Geschichte von Martin eigentlich auch schon mal in die andere Rolle
gedacht und sich mit ihr identifiziert? Oder auch in der Evangeliumsgeschichte?
Denn wenn wir diese Geschichten hören oder lesen, sehen wir uns
doch meist auf Seiten des Gebenden, oder?
Aber stimmt das denn immer
so, dass wir die sind, die am Zuge sind, zu handeln, zu geben und großzügig
zu sein?
Kennen wir denn nicht auch
die andere Seite? Der Bettler zu sein oder im Sinne des Evangeliums
der Hungernde oder die Kranke? Gut, vielleicht nicht unbedingt im wörtlichen
Sinn, aber doch im übertragenen. Kennt nicht jeder von uns auch
Situationen, in denen er oder sie bedürftig ist, auf Hilfe angewiesen?
Als ich die Geschichte Martins
und das Evangelium aus dieser Sicht zu sehen begann, hat sich bei mir
ein wenig gelöst, es fiel so etwas wie ein Druck von mir ab.
Ich brauche nicht immer nur zu geben, sondern kann auch mal bedürftig
sein und mich dann beschenken lassen, so denn jemand meine Not sieht
und bereit ist, sie zu lindern.
Und dann brauche ich auch keine Angst zu haben, auf welche Seite ich
dann gezählt werde.
Denn wenn ich im Loch bin,
wenn es mir schlecht geht, dann bin ich selber ja dieser besagte geringste
Bruder und dann - so sagt uns Jesus zu - identifiziert er selbst sich
voll und ganz mit uns. Dann ist er uns ganz nah und erträgt die
Not mit uns zusammen.
Aus keinem anderen Grund endet sein Weg nicht als prunkvoller, umjubelter,
machtvoller König, sondern als einsamer, armer, geschundener, ohnmächtiger
Mann am Kreuz.
In beiden Rollen, ob als
Martin, der gibt oder als Bettler, der empfängt, ist Jesus selber
uns also nahe. Im einen Fall im Gegenüber, im andern mitten in
uns und bei uns. Und ich habe die große Hoffnung, dass dies nicht
nur hier und heute so ist, sondern dass das auch reicht und anhält
in alle Ewigkeit. AMEN
FÜRBITTEN
Lasst uns beten zu unserem Gott und Vater, der der Ursprung und die
Quelle der Liebe ist:
Schenke uns auch in heutiger
Zeit Menschen wie Martin, die uns in ihrem heiligen Leben ein Vorbild
sein können.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Stärke die Kranken und
Notleidenden in ihrem Vertrauen auf dich und schenke ihnen in uns die
Hilfe, die sie brauchen.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Schenke uns Gelassenheit
und Geduld mit uns selbst, wenn wir vor dem hohen Ideal der Nächstenliebe
zurückbleiben.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Begleite alle, die nach dem
Sinn des Lebens und Sterbens suchen und alle, die sich in ihrem Glauben
unsicher sind und nach Antworten suchen.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Sieh beim Gericht nicht nur
auf unsere Taten, sondern auf unseren Glauben, mag er auch noch so klein
und unvollkommen sein.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Sei unseren Toten gnädig
und führe sie in das ewige Leben und die Gemeinschaft der Heiligen.
Alle: Wir bitten dich, erhöre uns.
Du, unser Herr und Gott,
bist Anfang und Ziel unseres Lebens. Lass uns dir auf der Spur bleiben,
in all unserem Tun und Beten, in unserem Fragen und Zweifeln, in unserem
Loben und Danken - alle Tage unseres Lebens. AMEN
EINFÜHRUNG
Ich begrüße sie
zu herzlich zu diesem Gottesdienst. In ihm wollen wir an einen Mann
denken, den sie bestimmt alle kennen: den heiligen Martin. Schon die
kleinsten in unseren Gemeinden lernen diesen wichtigen Mann der Kirche
kennen, wenn sie seine Geschichte von der Mantelteilung hören und
an seinem Fest mit ihren Laternen durch die Strassen ziehen.
Doch bevor wir auf das Leben Martins schauen, wollen wir am Beginn dieses
Gottesdienstes unser eigenes in Blick nehmen. Bin ich mit dem Verlauf
meines Lebens gerade zufrieden?
Und bevor wir auf die Tat
Martins für den Bettler schauen, wollen wir für uns überlegen.
Habe ich heute schon oder in letzter Zeit etwas getan, was mir selber
Freude gemacht hat? Und anderen?
Und bevor wir uns Gedanken
zum Ende der Welt machen, können wir uns fragen: Kann ich jetzt
ganz da sein, im hier und jetzt?
Und legen wir dann all das,
was uns nun eingefallen ist,
das Schöne und Belastende,
das Vollbrachte und das Unfertige,
die Zufriedenheit und die Unsicherheit
in die Hände dessen, der uns sein Erbarmen schenken will.
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