Predigten

 

Jesuanische Verwechslungen

Predigtgedanken zu Lk 9,18-24
12. Sonntag im Jahreskreis C – 23./24.6.2001 St. Michael Tübingen
 

1. Verwechslungsgeschichten

Schlüpfen in falsche Rollen, Verwechseln von Personen, Unklarheiten über die Identität – das alles ist im Theater an der Tagesordnung. Männer schlüpfen in Frauenkleider, der König verkleidet sich als Bettler, die Maskerade des Stubenmädels erlaubt es ihr, hinter das Doppelleben des Hausherrn zu blicken. Auf Leben und Tod geht es zuweilen, wenn der Sohn des gerade um die Ecke gebrachten Herrschers unversehens Rache ersinnt für seinen Vater und deshalb pseudonym sich Zugang verschafft ins eigene Land. Così fan tutte – so machen es alle, daß bei der Hochzeit des Figaro am Ende keiner mehr weiß, wer eigentlich nun wen liebt. Verwechslungen sind ein gutes stilistisches Mittel, um zum Nachdenken über die eigene Rolle aufzufordern. Die eigene Persönlichkeit ist so gesichert wohl nicht, daß sich eine Klärung und Vergewisserung darüber nicht lohnen würde: Bin ich der, der ich sein will? Verstehen andere Menschen meine Stellung? Welchen Platz nehme ich ein in den verschiedenen sozialen Bereichen, zu denen ich gehöre – in der Schule, in der Gemeinde, in meiner Familie, im Betrieb, im Freundeskreis? Ehrgeiziger Streber, selbstsicherer Frommer, Klassenkasper, der biedere Beamte, das Stehaufmännchen? Spiele ich je nachdem mit mir selber ein Versteckspiel, geplante Verwechslung? Oder kapieren die meisten einfach nicht, wer ich bin, wirklich? Für wen halten mich die Leute?

2. Biblischer Befund 

Das genau ist die Frage, mit der Jesus einen Disput lostritt, im Verlauf desselben seine Jünger achtgeben müssen, sich nicht in Widersprüche zu verstricken. Nur im sehr vertrauten Rahmen stellt man die Frage, mit der er seine Freunde auffordert, nun bitte schön Farbe zu bekennen. Auch Jesus bedarf offenbar wie wir der Fremdwahrnehmung, die ihm Gewißheit darüber verschaffen soll, ob die Menschen ihn überhaupt verstehen. Zuweilen mache ich das auch so, und bitte meine Schüler oder meine Studenten an der Hochschule, auch meine Mitarbeiter, meine Freunde ehrlich um einen Spiegel. Was andere in mir sehen, muß nicht mit meiner Einbildung übereinstimmen. Wie ich mich äußere, mich verhalte, wie ich spreche und reagiere, nehmen andere womöglich ganz anders wahr: ansprechbar oder unnahbar, direkt oder unverschämt, glaubwürdig oder falsch – dazwischen liegen Welten, aber irgendwo dazwischen wird sich die Wahrheit einpendeln: Bin ich dennoch eine gute Mutter, eine fromme Frau, ein guter Pfarrer, ein einfühlsamer Lehrer, ein geduldiger Chef?

Manches Mal geht es einem um einen Punkt der eigenen Persönlichkeit, des Charakters, des eigenen Wesens, der einem besonders bedeutsam ist, heilig beinahe. Über ihn eine verläßliche Auskunft zu bekommen von anderen, und diese in Übereinstimmung zu bringen, mit den eigenen Vorstellungen und Bemühungen, ist nicht nur Kosmetik, sondern Lebenserhaltung schlechthin. Verwechselt zu werden in diesem Punkt, wäre, ja, tödlich. Nach diesem Punkt fragt Jesus, und verräterische Unklarheiten treten zutage. Die Menschen haben eine ziemlich ungenaue Vorstellung davon, wen sie in ihm gegenüber haben: Johannes den Täufer, Elija, irgendeinen Propheten. Ein wenig aussagekräftiges Ergebnis. Jesus scheint bislang keine restlose Klarheit darüber in Umlauf gebracht zu haben, was denn nun tatsächlich seine Sendung ausmache, in welchem Verhältnis genau er zu Gott stehe. Und wir dürfen beinahe annehmen, daß er darüber sogar froh war, sonst gäbe es ja keinen Grund, seinen Jüngern ihre eindeutige Aussage dem Siegel des Geheimnisses anzuvertrauen. Wie im Theater ist derzeit die Verwechslung noch erwünscht. Nicht alle sind reif zu verstehen, daß er der Messias ist; größer könnte der Schaden als der Nutzen sein, jeden mit dieser Wahrheit zu konfrontieren. Manchmal ist es gut, wenn die Wahrheit eines Menschenlebens nicht wie ein offenes Buch vor jedermann liegt. 

Die Erklärung, warum Jesus zwar froh ist, daß die Jünger ihn kennen, aber er zugleich Angst davor hat, sich öffentlichkeitswirksam zu „outen“, folgt bei Lukas auf dem Fuße: Die Menschen werden Messias hören und sofort erwarten, er verändere die Welt mit einem Streich, mit Gewalt und wie durch ein Wunder von außen. Wo doch alles ganz anders ist; wo doch Gott eine ganz andere Vorgehensweise mit ihm plant; wo doch alles wie das Gegenteil aussehen wird, und im stillen, ganz im Innern des Menschen nur zum Erfolg der Erlösung führen. Leiden, Tod, das, was wir unter dem Stichwort Kreuz zusammenfassen, sind die Methoden des Jesus-Messias, der seine Göttlichkeit, seinen Einfluß im Dienen erweist. 

3. Christus im Widerspruch bis heute

Solchem Unverständnis ist Jesus mit seinem Evangelium bis heute ausgesetzt. Am offenkundigsten in der Ablehnung der Juden, die ihren Messias in ihm nicht erkennen können, in der Zuschreibung der Muslime, die in ihm einen Propheten sehen, wie die Menschen zu Jesu Lebzeiten. Aber auch im tiefsitzenden Aberglauben seiner Kirche und ihrer Mitglieder selbst, die zu häufig auf etwas warten, was Jesus ihnen nie versprochen hat: ein Leben ohne Kummer, die Erfüllung jedes Wunsches, einen einfachen Tod. Von außen betrachtet, verändert der Messias aber unsere Welt gar nicht, nicht wie ein Wundertäter an der Oberfläche. Die wahre Identität Jesu erweist sich von innen her und mit Blick auf unser eigenes Inneres. Alles übrige ist eine fatale Verwechslung. Im jeweiligen Kreuzweg eines jeden von uns wird sich Jesus als Gottes Sohn, als Messias, als Heiland erweisen – nicht ohne das Kreuz. Wer nicht bereit ist, den Weg Jesu zu gehen in seinem Leben, der wird ihn am Ende wohl auch nur für einen Propheten halten können, nicht jedoch für den, der er nach Gottes Heilsplan sein soll: der die Welt neu machen kann durch jeden von uns.

4. Was Jesus als Christus ausmacht – Messianische Konsequenzen

Solches Verstehen, Verinnerlichen braucht Zeit, wie bei den Jüngern seinerzeit, denen Jesus auferlegt hat, sich seinem Geheimnis behutsam anzunähern, es nicht auszuposaunen, sondern durchs eigene Leben anderen bekannt zu machen. An ihnen, an dir und mir, soll ablesbar sein, daß Jesus der Messias ist. Die Verwechslung löst sich nicht durch einen großen Paukenschlag der Weltgeschichte, sondern durch das umwerfende Aha-Erlebnis in unser aller persönlichen Lebensgeschichte. Denn daß Jesus der Messias ist, hat Konsequenzen für Sie und mich. Ich muß mir dann nämlich gut überlegen, ob ich zukünftig noch für mich selbst spreche und für meine Interessen. Rechenschaft habe ich abzulegen, für wen ich mich einsetze – nur für die eigenen Willenswünsche, oder für einen, der mir ganz fern zu sein scheint, Nachbar, ehemaliger Freund, verlorener Sohn. Meine leitenden Interessen, meine Lebensprinzipien sind dann Gegenstand der Kritik Gottes. Sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und so Jesus nachfolgen – das tun die Messias-Jünger, die das Geheimnis Jesu lüften, behutsam, glaubwürdig. Auf einmal sind wir deutlich unterscheidbar von anderen. Verwechslungen sind dann ausgeschlossen, im KGR, am Stammtisch und anderswo. 
 

 

 

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Flohmarkt am Eck 
ohne Geld
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

 

Webmaster