Predigten
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Gottes Wort im armen Kind -
Predigt zu Weihnachten 24./25.12.2003 in Tübingen und Bühl
"O Wort, du Wort, das
mir fehlt
" Mit diesem ernüchternden
Bekenntnis endet der II. Akt der Oper Moses und Aron, die Arnold Schönberg
in den Jahren 1930-32 komponiert hat. Besser gesagt, es endet damit
die gesamte Oper, weil bezeichnenderweise der III. Akt von Schönberg
nie in eine Form gebracht wurde, die aufgeführt werden konnte.
Kein Wunder nach diesem Schlußsatz und dem, was sich der Sache
nach dahinter verbirgt. "O Wort, du Wort, das mir fehlt
"
sagt Moses in dem ihm bei Schönberg eigenen Sprechgesang, weil
er der normalen Sprache nicht (mehr) mächtig ist, verbraucht auf
der Suche nach der rechten Weise von Gott zu sprechen. Begleitet wird
sein Satz von einem einzigen lang anhaltenden Ton des Orchesters im
Unisono, der plötzlich abbricht - wie ein Klang, hinein gesprochen
ins Universum, der ungehört verhallt. Bei meinem Besuch dieser Oper in Stuttgart vor gut zwei Wochen, mitten in der Adventszeit, hat mich dieser Schluß wie ein Schlag getroffen. Und ich habe mit einem Mal gewußt, daß ich hierauf meine diesjährige Weihnachtspredigt würde aufbauen wollen: weil es genau die Situation ist, in die Weihnachten hinein geschehen ist zur Zeit des Kaisers Augustus und geschieht auch dieses Jahr. Moses, der Führer des Volkes Israel durchs Rote Meer, der verstanden haben will, daß der Unaussprechliche Gott, JHWH, sich ihm im Dornbusch offenbart hat, der vom Berg Sinai die Tafeln des göttlichen Gesetzes mitbringt, dieser Moses weiß immer weniger, was er über Gott auszusagen hätte; am Ende verstummt er gar. Alle Worte passen nicht, um über Gott Treffendes auszusagen; zu schwach sind sie und zu klein, zu endlich und begrenzt, mehr unzutreffend als passend, eher falsch, denn richtig. Aus der ohnehin stark ausgeprägten Vorsicht wird bei Moses schließlich Sprachlosigkeit. Was hat er seinem Volk dann noch anzubieten, den sehnsüchtig wartenden Frauen und den ungeduldigen Männern, den erlahmenden Alten und den neugierigen Kindern, die er doch anführen soll, im Glauben stärken, wegweisend? Mit kritischer Theologie werden die Menschen sich kaum zufrieden geben. Das Volk will Antworten. Wir brauchen Orientierung, keinen schweigenden, fernen Gott. Ein Geheimnis nützt uns nichts. Aron, der Bruder des Moses, meint dem Abhilfe schaffen zu können, indem er beschwichtigt, große Zusagen macht, Gottesgarantien: ein bißchen goldenes Kalb hier, ein paar starke Worte dort, Versprechungen, daß alles gut wird. Erkennen wir uns wieder,
liebe Schwestern und Brüder, wenn wir überlegen, wieviel zu
glauben wir wirklich bereit sind: daß es einen Gott gibt, daß
er unsere Welt geschaffen hat und sie erhält, daß er inmitten
unserer Welt Wunder vollbringt, daß Jesus von den Toten auferstanden
ist, daß Gott als armseliges Kind in einem vorderorientalischen
Stall vor 2000 Jahren geboren ist und wiederkommt am Ende aller Zeit??
Das letzte, die biblische Weihnachtsgeschichte, wohl die größte
Verrücktheit, die religiöse Gehirne sich ausgedacht haben:
Glauben wir daran? In vielen Gesprächen über Glaubensdinge und beim eigenen Nachdenken über meinen Glauben fällt mir auf, daß es uns schwer fällt, die großen Fragen unserer Menschenexistenz auszuhalten. Andererseits ist aber auch unser Vertrauen in die Antworten Gottes, die uns die Bibel überliefert, nicht sonderlich groß. Statt dessen bedienen wir uns der handfesten Angebote, bevorzugen wir die Fakten, mit denen wir unsere Existenz absichern: gute Noten, Liebesbeweise, Gesundheitsvorsorge, ein eigenes Haus und Nachwuchs usw. Die Frage ist nur: Was davon erhält uns am Leben, wenn dieses elementar bedroht ist, durch den Tod gar? Die eigenen Worte fehlen uns dann in der Regel. Und wenn Gott dann auch noch schweigt? Wenn seine Antworten uns bislang nicht überzeugten, werden sie dann jetzt mit einem Mal zur großen Wahrheit werden?! - Das ist kaum anzunehmen! Und auch ich als Prediger, als beauftragter Verkündiger der Gottesbotschaft kann Ihnen nur meine Hoffnungen anbieten, wie sie sich bei mir als tragfähig erwiesen haben, manches Mal. Ich kann also lediglich Brücken zu Ihnen hin (auch zu mir selbst hin) schlagen, denen Sie entgegen kommen müssen mit Ihren eigenen Erfahrungen. Nur so entsteht überhaupt Glaube. Vorgekaute Antworten dagegen - von mir serviert - nützen nichts; sie bleiben stets fremd. Was aber eine unumstößliche
Tatsache ist: Wir, liebe Schwestern und Brüder, Sie und ich, sind
an diesem Abend/Tag auch mit unserer höchst eigenen Sprachlosigkeit
hierher gekommen. Dies gerade ist unsere persönliche Basis, auf
der sich heute Weihnachten bei uns ereignet. Und in ihr spiegeln sich
das ganze Dunkel und die Armut, die zu uns gehört, wie die Haut,
die wir tragen. Jeder von uns weiß darum, auch wenn wir nicht
gerne davon reden: * von den Verlogenheiten in einer Freundschaft, die nur der schöne Schein übertüncht, * von der Einsamkeit, aus der ich nicht den Mut habe mir von anderen helfen zu lassen, * von meinen Süchten, die niemand erfahren darf. Genau hier, liebe Brüder,
liebe Schwestern, hier an erster Stelle, knüpft Gott sein Band
mit uns! Und dies ist seine Wahrheit, die die Evangelisten uns mit ihren
Weihnachtsworten überliefert haben. Als Kind wird Gott in die Welt
geboren, unter schier abenteuerlichen, zumindest gefährdeten Umständen.
Und alle Eigenschaften des Kindes, die ganze einfache Situation, die
Lukas sehr bewußt so darstellt, sprechen davon, worauf es Gott
ankommt. Er wird in des Menschen Armut geboren. Auf äußere
Beachtung, auf Formvollendung, auf Macht und Stärke nach Menschenmaß
kommt es ihm nicht an, gerade nicht! Deshalb liegt der Mensch gewordene
Gott in einer Krippe, findet die Geburt heimatlos statt in einem Stall,
bei den Tieren, beachtet lediglich von Schafhirten, von Menschen, die
durch äußere Umstände nicht abgelenkt sind, die mit
sich eins sind und deshalb empfänglich für Gott. Nicht daß
wir Hirten werden sollten, könnten. Aber ihm, Gott, Zugang gewähren
zu unserer Armut, das müßten wir wohl, damit Weihnachten
für uns werden kann. An Jesus, das göttliche Kind, glauben,
hieße dann wohl: ihm zuzutrauen, daß durch seine Geburt
sich Grundlegendes auf der Welt verändert hat, daß der Mensch
weihnachtlich seiner Wahrheit endlich begegnen kann - wie finster und
sündhaft und von Krisen geschüttelt auch immer sie aussehen
mag - und eben dadurch gerettet sei. Keinen Winkel auf Erden gibt es
mehr, in dem Gott nicht sein Zuhause fände, seit er im hintersten
Winkel Israels, in Bethlehem, sein Wort zu uns gesprochen hat. Liebe Schwestern und Brüder,
für uns Christen ist mit Weihnachten die Sprachlosigkeit zu Ende.
Hören werden wir Gottes Wort aber nur dann, wenn wir unserer Ohnmacht
gewahr sind. Und auch nur dann werden wir mit unserer Existenz, mit
unseren Lebensversuchen tragende Antworten geben können auf die
schwierigen Fragen, die uns oft beschäftigen sollten. Gottes Jesus-Wort
wird überall auf unserer Erde ausgesprochen, von Frauen und Männern,
von Kindern und Alten, von Menschen unterschiedlichster Nationalität.
Daß dies so ist, feiern wir in dieser Nacht/an diesem Tag. "O Wort, du Wort, das mir fehlt " Nein, liebe Schwestern und Brüder, Weihnachten bedeutet, daß Gott alles gesagt hat, was es zu sagen gibt, in Jesus, seinem Sohn. Auf ihn laßt uns hören und mit unserem Leben Antwort geben. Amen. |