Predigten
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Jesus-Familien Anstößiges zum Fest der Heiligen Familie 27./28.12.2003 in Tübingen Thema Familie Auch für die Gegenwart
ist das Thema Familie für die meisten von uns alltäglich.
Entweder weil sie mit Frau und Kindern in einer solchen leben und versuchen,
ihr Zusammensein möglichst gut zu gestalten. Oder weil eine Ehe
zerbrochen ist und Frau und Mann, Mutter und Vater nun die Teile der
bisherigen Familie neu arrangieren und womöglich in eine neu entstehende
integrieren müssen. Oder weil eine Partnerschaft kinderlos bleibt
und die Ansprüche an die eigene Lebensplanung nicht im gewünschten
Maße realisierbar sind. Oder weil ein Alleinstehender sich damit
konfrontiert sieht, daß die meisten Angebote einer Kirchengemeinde
sich auf Paare mit Kindern beziehen. Oder aber weil Menschen mit ihrer
Liebe nicht in das hergebrachte Ideal einer Familie nach scheinbar christlichem
Vorbild hinein paßt. Oft bleibt bei Formen des Zusammenlebens,
die nicht in das übliche Raster passen, die bange Frage übrig:
Was ist überhaupt eine Familie? Sind wir eine? In der Kirche, in unserer Diözese zumal, hat die Seelsorge für Familien einen hohen Stellenwert und eine lange Tradition. Auch in den neuesten Bemühungen unseres Bistums, pastorale Schwerpunkte zu setzen, wird die Familie wieder einen bevorzugten Platz einnehmen. Familienkreise, Krabbelgruppen, Erstkommunionvorbereitung als Familienkatechese, Seminare zur Glaubensweitergabe, Kindergartenförderung usw. heißen die dazu gehörenden Stichworte, hinter denen sich zumeist ein hoher Aufwand und ein großes Engagement Ehrenamtlicher wie Hauptberuflicher verbirgt. Woher kommt dieses heraus
gehobene Interesse an dem, was sich Familie nennt? Die Orientierung
am 3-Personen-Haushalt von Maria, Josef und Jesus, die am Fest der Heiligen
Familie in den Blick kommt und für frühere Generationen zum
Idealbild christlicher Lebensform stilisiert wurde, kann kaum ausschlaggebend,
dafür gewesen sein, wenn wir dem heute zugrunde gelegten biblischen
Befund ernsthaft trauen wollen. Dort ist ja von einem aufmüpfigen
12-jährigen Sohn die Rede, der sich gerade dadurch hervor tut,
daß er die sozialen Rahmenbedingungen seiner Familie sprengt!
Der heimische Herd in Nazareth wird für seine Vorstellungen menschlicher
Gemeinschaft allenfalls als zweitrangig beschrieben. Wußtet ihr
nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?
heißt die schnippische Antwort des Jungen, auch wenn Lk ihn anschließend
brav mit seinen Eltern heimkehren läßt. Die wesentliche Frage
steht im Raum, mit der unser Bild von einer Familie zumindest auf den
Prüfstand gestellt wird: Macht die Blutsverwandtschaft und das
Verheiratetsein eine Familie aus, oder sind es andere Kriterien? An
anderen Stellen im Evangelium wird das Verständnis Jesu unterstrichen.
Schwestern und Brüder sind für ihn die, die den Willen Gottes
erfüllen (vgl. Mk 3,35)! Vater ist nur einer, der im Himmel! Seltsam muten dem gegenüber die moralischen Bestimmungen an, wie sie uns im zweiten Teil der Kolosserbrieflesung jedes Jahr nahegelegt werden: Unterordnung der Frau, Gehorsam der Kinder, Geduld der Väter, Sanftmut der Ehemänner. Gleiches gilt für die 1. Lesung aus dem alttestamentlichen Buch Jesus Sirach, wo von Ehre und Achtung und Recht innerhalb der Familienbande die Rede ist. Sind es diese Kategorien einer historisch bedingten Moral, die die Kirche uns einschärfen will: die Familie als stabilisierender Faktor des Gesellschaftssystems? Die Evangelien scheinen hier einen entscheidenden Schritt weiter gekommen zu sein, indem sie Jesus als einen Kritiker der bloß innerweltlichen Maßstäbe zu Wort kommen lassen. Jesus hebt hier unüberhörbar die Grenzen auf, die sich aus den gewordenen Traditionen allein ergeben haben im Laufe der Zeit. Darüber will er gerade hinaus. Für ihn muß sich eine Familie darüber definieren, wie sie Gott in das Miteinander von Menschen einbezieht und wie sich daraus die Art und Weise des Zusammenlebens bestimmt. In der Familie muß sich zeigen, ob das Christentum Hand und Fuß gewinnt und wie das lebbar Gestalt annimmt, was sehr abstrakt als Wille Gottes bezeichnet wird. Familie nach dem Begriff Jesu ist also keine zeitbedingte Größe, die es um ihrer äußeren Form willen zu erhalten gilt. Vielmehr birgt die provokative Frage aus dem Evangelium vom Fest der Hl. Familie die Aufforderung in sich, wieder und wieder nach dem Gott gemäßen Ideal des menschlichen Zusammenlebens zu fragen, und zwar bei jedem, der ein Christ sein will. Ich habe deshalb für
diesmal einen kleinen Versuch unternommen, Sie, liebe Schwestern und
Brüder, mit sechs Kriterien zu konfrontieren, an denen Sie Ihr
eigenes Familienbild kritisch überdenken könnten - durchaus
zustimmend und ablehnend. 1. Familie ist da, wo
Liebe (in Freiheit) kultiviert wird. 2. Familie ist da, wo
niemals die Türe endgültig zugeschlagen wird. 3. Familie ist da, wo
Ehrlichkeit und Respekt im rechten Verhältnis zueinander stehen. 4. Familie ist da, wo
alle an einem Strang ziehen. 5. Familie ist da, wo
man sich selbst nicht genug ist, deshalb Gastfreundschaft gepflegt wird.
6. Familie ist da, wo
Gott vorkommt. Das Vorbild der Hl. Familie - wenn wir heute ein solches suchen - besteht also wohl darin, daß in ihr ein nicht verheiratetes Paar sich die Treue hält und aus Liebe ihrem Sohn die Freiheit schenkt, seinen Weg zu finden und zu gehen, um Gottes willen, der uns alle als seine Kinder will. Amen. |