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Predigt: Titus 3 / »O
Tannenbaum«
1. Weihnachtstag 25.12.2003
(Eberhardsgemeinde)
"Ich bin Erika.
Jetzt kommt Weihnachten.
Ich schenke Vati ein Tischfeuerzeug zu 22,50 Euro.
Vati schenkt Michael Tennisschläger zu 22 Euro.
Michael schenkt Mutti eine Schälmaschine zu 19,70 Euro.
Mutti schenkt mir CD´s im Wert von 18 Euro.
4,50 Euro muss ich noch bekommen.
Von wem?
Ich bin so gespannt auf Weihnachten."
Liebe Christfestgemeinde!
Dieses Gedicht von Robert Gernhard aus seinem "zeitgemäßen
Lesebuch der zweiten Klasse" war gestern der Auftakt für das
Krippenspiel für Kinder und Familien.
Inzwischen sind die Geschenke ausgetauscht, die erwarteten und die unerwarteten.
Was hat Erika wohl bekommen für ihre 4,50 Euro?
Der Weihnachts-Kaufrausch ist vorbei. Jetzt werden die Weihnachtsmänner
aus den Regalen der Läden geräumt, um Sylvester-Artikeln Platz
zu machen.
Aus den Lautsprechern der Kaufhäusern werden keine Weihnachtslieder
mehr besinnlich in unsere Ohren rieseln,
kein "O Tannebaum"
Kein "Leise rieselt der Schnee... "
Liebe Gemeinde!
Was hat es auf sich mit diesem jährlichen Ritual, dem sich kaum
jemand entziehen kann?
Nur noch 39% von 700 befragten Kindern zwischen sechs und zwölf
Jahren wussten bei einer Umfrage, warum wir Weihnachten feiern.
Die anderen 61% feiern mit. Sie feiern, dass der Weihnachtsmann kommt,
oder dass Winter ist.
Was hat es auf sich mit dem jährlichen Glitzerzauber?
Braucht der Handel das Weihnachtsgeschäft, um nicht gänzlich
baden zu gehen?
Braucht die Politik die Romantik der Armut im Stall von Bethlehem, um
die Konsequenzen ihrer neusten Sparbeschlüsse erträglicher
zu machen. Maria und Joseph hatten schließlich auch keinen kostenlosen
Zahnersatz.....
Was hat es auf sich mit dem
Weihnachtsfest, das die Kinder so lieben?
Schimmert da nicht bei den unterschiedlichen Bräuchen eine Sehnsucht
nach etwas durch, was jenseits von Weihnachtsgeschäft und Kaufhausromantik
liegt?
Jenseits von dem Tauschgeschäft, das Erika bei Robert Gernhard
in Atem hält?
Es ist doch auffällig:
Weder Christkind noch Nikolaus lassen sich auf das Tauschgeschäft
ein, auf das Schenken, um beschenkt zu werden.
Weihnachtsmann, Nikolaus und Christkind geben, ohne zu nehmen. Man kann
sie nicht zurück-beschenken, und wenn man sich noch so sehr über
ihre Gaben freut.
Und selbst der Tannenbaum, der Lichterbaum der Wintersonnenwende, scheint
noch den Grund dieses wundervollen Geheimnisses zu kennen. Jedenfalls
in einem schlesischen Volkslied, das Frau Mechler entdeckt hat und der
Chor uns jetzt singen wird.
"Hab nicht Mutter noch
Vater,
der mich versorgen kann.
Und der mich kann versorgen,
das ist der liebe Gott,
der lässt mich wachsen und grünen,
drum bin ich stark und groß."
Chor
Liebe Gemeinde!
Das Wunder der Christnacht:
Gott sorgt für uns.
Gott ist für uns da.
Ein Hymnus im Titusbrief besingt dieses Wunder. Ich lese
Titus 3, 4-7
"Als aber die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters,
erschien,
hat er uns gerettet
- nicht weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen
können, sondern aufgrund seines Erbarmens -
durch das Bad der Wiedergeburt
und der Erneuerung im heiligen Geist.
Ihn hat er in reichem Maße über uns ausgegossen
durch Jesus Christus, unseren Retter,
damit wir durch seine Gnade gerecht gemacht werden
und das ewige Leben erben, das wir erhoffen."
Gott kommt in einem kleinen
Kind zur Welt, im Stall in Bethlehem - und verwandelt die ganze Welt,
- gibt der Welt ein neuen Schein...
Und wir sind dabei, beschienen von diesem Licht,
eingetaucht in ein Bad der Wiedergeburt,
erneuert im heiligen Geist,
Erben des Ewigen Lebens, auf Hoffnung hin....
Liebe Christfestgemeinde!
Können wir das glauben? Sind das nicht zu große Worte für
unseren Alltags? Was wird da hell, was wird da neu?
Denken wir an die Hirten. Trist war ihr Leben. Draußen bei dem
Blöken der Schafe. Ereignislos, langweilig. Abgeschnitten vom Rest
der Welt.
Doch dann kommen sie zum Kind in der Krippe. Und dieses Kinder verändert
sie. Sie kehren zurück in ihren Alltag und sind voll Leben und
voll Freude. Sie gehen in die Welt und erzählen allen, was sie
gehört und gesehen haben. Und die Leute "wunderten sich über
das, was ihnen die Hirten gesagt hatten."
Die, die sonst immer abseits standen, stehen im Zentrum des Geschehens.
In dem Kind ist ihnen die Güte und Menschenliebe Gottes begegnet.
Er lässt die Menschen,
er lässt die Hirten,
er lässt uns nicht im Dunkel dieser Welt allein.
Er sendet leuchtende Engel in dunkle Nacht, die rufen "Fürchtet
euch nicht!"
Sie erneuern, wo Menschen im Alteingefahrenen verstrickt sind,
sie bringen Gnade und Barmherzigkeit, wo es kein Gefühl für
Gerechtigkeit mehr gibt.
Über die Jahre ist die
Botschaft der Hirten bis nach Kreta gedrungen. Der Schreiber des Titusbriefes
gibt sie weiter an die christlichen Gemeinde dort: Die Güte und
Menschenliebe des Gottes Israels erscheint so denen, die bisher nicht
dazugehört haben. Durch das Bad der Wiedergeburt, durch die Taufe
gehören auch sie, die anderen Völker, gehören auch wir
dazu. Nicht durch besondere Leistungen, die wir erbracht hätten,
sondern durch die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes.
Liebe Gemeinde! Das ist das besondere an dem Geschenk Gottes zu Weihnachten:
Gott sendet seinen Sohn, damit wir gerettet werden aus dem zerstörerischen
Kreislauf des Immer-mehr, Immer-schneller, Immer-besser......
Dieses Geschenk ist kein Almosen für die, die nichts schaffen,
für die, die rausgefallen sind aus dem Kreislauf von Kaufen und
Verdienen.
Das Geschenk Gottes ist für alle da, für Arme und Reiche,
für Glückliche und Unglückliche. Beschenkt sind die,
die das Geschenk sehen und annehmen können.
Das helle Licht der Weihnacht lässt auch die dunklen Ecken diese
Festes erkennen:
- Kinder, die gestern abend den Streit ihrer Eltern miterleben mussten.
- Eltern, die darunter gelitten haben, dass sie ihren Kindern nicht
die gewünschten Geschenke machen konnten, weil sie vielleicht aufgrund
von Arbeitslosigkeit nicht mehr soviel Geld verdienen wie noch im vergangenen
Jahr.
- Menschen, die sich in der vergangenen Nacht so einsam gefühlt
haben wie in keiner anderen, weil sie keinen Menschen hatten, mit dem
sie zusammen zusammen sein konnten.
- Menschen, die gerade in dieser Nacht Opfer von Gewalt oder Hass geworden
sind.
Die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes kommt zu ihnen.
Wie die Hirten sich verwandeln ließen von dem, was sie gesehen
und gehört haben, so können auch wir uns erneuern lassen durch
den Heiligen Geist, der reichlich über uns ausgegossen ist. Und
wir können hingehen und wie die Hirten Zeugen des Weihnachtsgeschehens
sein
Die Menschen wunderten sich über das, was die Hirten ihnen sagten.
Und auch wir staunen, wo Gewalt und Hass überwunden werden und
Menschen Kraft bekommen, Inseln von Frieden und Gerechtigkeit zu bauen.
Neve schalom, Oase des Friedens heißt ein kleines Dorf zwischen
Jerusalem und Tel Aviv. Jüdische und palästinensische Staatsbürger
Israels leben hier gleichberechtigt zusammen. Die Grundschule unterrichtet
zweisprachig und die Friedensschule hält Seminare und Begegnungen
für jüdische und palästinensische Jugendliche und Erwachsene.
An vielen Enden der Welt gibt es solche Oasen des Friedens, in denen
Menschen versuchen an einem Ort Hass und Gewalt zu überwinden.
An diesem einen Ort ist die Welt anders geworden.
Das Abendmahl, das wir heute
miteinander feiern kann auch so eine Insel des Friedens sein.
Wir kommen zusammen und wissen uns geborgen in der Gemeinschaft mit
Christus Jesus, der den Weg der Gerechtigkeit ging von der Geburt im
Stall bis zum gewaltsamen Tod am kreuz.
Wir kommen zusammen getragen von der Hoffnung, dass Hass und Gewalt
zu einem Ende kommen werden. Getragen von der Gewissheit: eine andere
Welt ist möglich.
Wir kommen zusammen in dem kindlichen Vertrauen in den, der Himmel und
Erde gemacht hat. Ein Vertrauen, das in dem alten schlesischen Volkslied
Sprache und Melodie gefunden hat:
"Und der mich kann versorgen, das ist der liebe Gott,
der lässt mich wachsen und grünen, drum bin ich stark und
groß." Amen
Chor
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