Predigten
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Adventsandacht
zu "Es kommt ein Schiff geladen..." (EG 8) 2. Advent / 7.12.03
(Eberhardsgemeinde) Dieses Lied fasziniert mich,
es erscheint mir geheimnisvoll. Anfang November hatte ich
in der Kirch am Eck eine Taufe. Ich glaube es war der drittletzte Sonntag
im Kirchenjahr, jedenfalls noch einige Wochen vor dem Advent. Die Mutter
der beiden Täuflinge war eine Frau, die lange nichts mit Kirche
zu tun gehabt hatte. Als ich sie fragte, ob sie sich ein Lied zur Taufe
ihrer Kinder wünsche, fiel ihr diese Adventslied ein. Es war das
einzige , das ihr aus ihrer Kindheit noch vertraut war. Ich weiß nicht, wie
es Ihnen mit diesem Lied geht: Überwiegt das Vertraute oder das
Befremdliche? Das Weihnachtsschiff taucht
vor unseren Augen auf. Es kommt vom jenseitigen Ufer und treibt lautlos
auf uns zu. Langsam wird es am Horizont sichtbar, es kommt immer näher
und dann beim Oktavton in der dritten Zeile, beim Wort "Sohn"
ist es in voller Größe zu sehen. Stellen wir uns den breiten Rhein vor. Von Andernach bei Köln direkt am Rhein kommt unsere Melodie. Vom Rhein kommt auch der Autor de Textes. Straßburg, Basel, Köln waren seine Stationen Lassen Sie uns gerade die
erste Strophe nochmals singen, um das nachzuempfinden: Auffällig ist der Taktwechsel
mitten im Lied. Zunächst der Dreiertakt, der die wiegende Wellenbewegung
nachempfindet, und dann der ruhige, eher schreitende Zweiertakt. Die erste Hälfte jeder
Strophe malt das Bild des Schiffes aus, das ruhig auf uns zukommt: Die zweite Hälfte jeder
Strophe deutet das jeweilige Bild: Wir können also übersetzen: Eins jedoch bleibt offen
in unserem Rätsellied: Wofür steht das Schiff selber? Ein Hinweis gibt uns das
Kleingedruckte unter der letzten Strophe: Die Maria hat man uns Protestanten
in der Tat unterschlagen. Im Gotteslob, dem Gesangbuch unserer katholischen
Schwestern und Brüder steht sie noch drin. Da gibt es nämlich
eine 7. Strophe, und die lautet: Aber diese Strophe ist wahrscheinlich
eine Glättung. Gerhard Steiff hat herausgefunden, dass unser Lied
ursprünglich eine Refrain gehabt hat, also eine Strophe, die nach
jeder Textstrophe wiederholt wurde, und dieser Refrain lautete: " Maria, Gottes Mutter,
gelobet musst du sein, Sei es als letzte Strophe
oder als sich wiederholender Refrain, die Auflösung unseres Rätselliedes
ist die Gottesmutter Maria. Das Schiff steht für die schwangere
Maria, die Gottes Sohn von Ferne zu uns auf die Erde bringt. Durch sie
wird das Wort Fleisch und Gott Mensch. Sie überbringt das Wunder
Weihnacht. Der Dreiertakt in der ersten Hälfte des Liedes kann den Wellenschlag wiedergeben, aber auch das Wiegen eines Kindes andeuten. Lassen Sie uns die ersten drei Strophen nocheinmal singen, und dann die Marienstrophe anfügen - und sehen, wie sich das anfühlt. Wer hat so gedichtet? Sicher
kein Protestant? Das Lied ist älter als der Protestantismus. Wie
alt kann niemand genau sagen. In unserem Gesangbuch steht:
"Daniel Sundermann um 1626". Die älteste Handschrift
des Liedes stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1450. Man fand sie im
Straßburger Inselkloster St. Nikolaus. Hier ist der Theologe und
Mystiker Johannes Tauler 1361 gestorben. Ein Schüler von ihm muß
das Lied dann wohl nach seinem Tod aufgeschrieben haben. Wissenschaftlich beweisen kann man die Autorenschaft Taulers nicht, aber einig ist man sich darüber, dass das Lied sehr der Frömmigkeit dieses Mystikers entspricht. Wer war Johannes Tauler? Diese Vereinigung mit Gott,
so Tauler , kann sich in zwei Stufen vollziehen: Tauler sagt: "In dir
selber ist ein Abgrund. Wenn du ihn im Schweigen berührst, dann
verliert sich der Geist so tief, dass er von sich selber nichts mehr
weiß: kein Wort, keine Form, keine Empfindung, kein Gefühl,
keine Erkenntnis, keine Liebe. Alles ist rein und einfach Gott, ein
unausprechlicher Abgrund, ein Geist." Das ist Mystik. Das Wort
Mystik kommt von myein = schließen. Augen und Mund werden geschlossen,
um Gott im Gebet ohne Wort, ohne Gedanken zu erfahren. Gott ist immer
schon da, bevor ich rede oder denke. "Das Wort ward Fleisch
und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit,.." Und dann auch in den Strophen
5-6: Nachfolge heißt hier, Jesu Schicksal ganz und gar miterleben,
mitleiden, mitsterben, mitauferstehen. Es gibt kein Abstand zwischen
dem, was damals geschah und dem heutigen Weihnachten. Der schlesische
Mystiker Angelus Silesius hat das so ausgedrückt: "Wäre Christus
1000 mal in Bethlehem geboren, und nicht in dir, du bliebest noch ewiglich
verloren." Die Vergangenheit ist Gegenwart.
Das Schiff kommt jetzt. Adventszeit war früher
Fastenzeit. |