Predigten

 
 

Entweder - oder
Ermutigungen zu glauben nach Jer 17,5-8

6. Sonntag im Jahreskreis C - 14./15.2.2004
in Tübingen und Bühl

Gibt es tatsächlich nur zwei Alternativen, wie wir Menschen unser Leben anpacken können; wirklich nur das Entweder - Oder, das der Prophet Jeremia seinen Zuhörern in der ihm eigenen drastischen bildreichen Sprache vor Augen führt? Keinen dritten Weg, keine Ausflucht, keinen Kompromiß?!
Auf Menschen vertrauen - sich auf Gott verlassen. Ein kahles Wüstengewächs zu sein oder ein fest verwurzelter, in sattem Grün stehender, blühender Baum.

Wenn dem so ist, liebe Schwestern und Brüder, dann muß zumindest die Befürchtung erlaubt sein, daß wir augenblicklich in einer wüsten Steppenlandschaft sitzen heute Abend/Morgen. Denn wer könnte schon von sich behaupten, er setze seine Hoffnung allein auf den Herrn. Allesamt haben wir unsere Sorgen um die Zukunft auch nach menschlichen Gesichtspunkten abgesichert. Wir haben unserem Bedürfnis nach Halt nachgegeben und Verträge abgeschlossen mit anderen, deren Fleisch, recht betrachtet, ebenso schwach ist wie das unsere:

— Aus Angst vor dem einsamen Sterben kaufen wir uns mit 50 einen Platz im betreuten Wohnheim. Nur, ob die Einsamkeit dort geringer sein wird?

— Mißtrauisch den eigenen Kindern gegenüber verlegen etliche ihre ganze Anstrengung darauf, so lange wie möglich unabhängig zu bleiben, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Was aber ist der Weg gegen die Hilflosigkeit, die unausweichlich auf jeden von uns zukommt?

— Unsere Kinder lassen wir taufen, die meisten Eltern tun dies noch immer. Aber wie steht es um die Aussicht, daß dies bereits am Beginn eines Lebens im Blick auf sein Ende geschieht, eben nicht als magisches Schutzschild zur Abwendung von gefahren in der Sterblichkeit, sondern als geöffnetes Tor in die Ewigkeit.

— Wir verstehen die Grundaussagen der Bibel: daß Gott jeden Menschen einmalig gemacht hat, wertvoll aus sich heraus ohne sein Zutun. Doch nach was bemessen wir den anderen: nach der Schönheit seines Körpers, nach seiner beruflichen Stellung, nach seinem Haus, nach seinem Erfolg …?

— Wir glauben, daß Gott uns in seinem Sohn Jesus Christus erlöst hat - durchs Leiden und den Tod am Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung und eines neuen, ewigen Lebens. Und dennoch hat ein jeder von uns seine Selbsterlösungsstrategien: Konsumrausch, Anerkennungssucht, Wellness-Ideale.

Insofern, fürchte ich, um im konfrontativen Bild des Jeremia zu bleiben, sitzen wir tatsächlich in der Wüste unserer eigenen Schwachheit und haben sie lediglich für andere und für uns selbst auch als blühendes Paradies getarnt, wir selber ein Prachtbaum - bis, ja, bis es hart auf hart kommt. Und damit meine ich alle Grenzerfahrungen: Verlust der Arbeit, Trennung vom Partner, mißbrauchtes Vertrauen, überraschender Tod, unheilbare Krankheit. Wie sieht es dann mit der Pracht des Baumes aus, der ich sein will und womöglich vorgebe zu sein? Diese Frage muß nicht nur erlaubt sein, liebe Gemeinde, sie muß in der Kirche gestellt werden, weil sich mit ihr entscheidet, ob wir an Gott glauben oder an einen Götzen, von unserer Hand erschaffen, aus schwachem Fleisch. Jeremia wirbt für den Gott, in dessen Namen er spricht, nach dem er seinen Lebensweg ausgerichtet hat in Folge seiner bewegenden Berufungsgeschichte (…). Jeremia will mit seinem Vergleich eine Entscheidung provozieren, eine Lebensentscheidung, die nur ein Entweder-oder kennt, nur Ja oder Nein. Und der Prophet weiß, warum er seine Adressaten dazu auffordern muß: weil sie sonst vor sich hin leben, in den Tag hinein, mit dem Munde Gott bekennen und in ihrem Herzen der selbst gemachten irdischen Erlösung nachlaufen. So ist der Mensch. So sind wir, liebe Schwestern und Brüder.

Es ist ein Leichtes, dies nachzuprüfen an der eigenen Haltung. Wie oft suchen wir nach einem Kompromiß, um mit dem Weg Jesu nicht ernst machen zu müssen.

— Ja, ich will von meinem Reichtum abgeben, will teilen, ich weiß, daß dies dem Willen Gottes entspricht; aber dann ist mir doch mein eigenes drittes Hemd näher, als das, welches dem einen anderen fehlt.

— Auf das Lob anderer will ich nicht so viel geben, mich unabhängiger machen; dann merke ich aber, wie sehr ich diese Zuwendung brauche, wie sehr ich meine Existenzberechtigung eingerichtet habe in der Balance von eigenem Anspruch und fremder Bestätigung.

— Ich will nicht auf Kosten anderer leben, nicht über sie lachen, nicht zu meinen Gunsten den anderen klein halten. Aber der Sog des Erfolgs in einer Welt ohne Gott ist enorm - und ich bin doch so schwach.

Bin ich es tatsächlich? Vom Standpunkt meiner Menschenkraft aus betrachtet: sicher (!), wenn dies alles ist, was ich in der Welt annehme; nur die Kräfte, die Menschen freisetzen, nach denen sie Macht und Einfluß und die Rangordnung untereinander definieren. Aber sobald ich Gott mit ins Spiel bringe, den einen, einzigen, den Weltenerschaffer, den Zielpunkt von allem, auch meines Lebens - dann sieht die Rechnung grundsätzlich anders aus. Dies bedeutet: glauben. Und dies will Jeremia dem Volk Israel abverlangen: daß es sich entscheide für eine Welt mit oder ohne Gott; für seine Existenz, die unabhängig ist von meinen Vorstellungen und Phantasien, und die doch in ihnen dargestellt werden will.

Insofern gibt es in der religiösen Grundfrage keinen Kompromiß: Es gibt nicht ein bißchen Gott hier und dann doch ein Leben, das dem nicht entspricht. Das heißt, nein, das gibt es sehr wohl; wir leben in der Regel so. Aber wahrer Glaube ist das nicht. Der Stachel, den Jeremia seinen Schwestern und Brüder damals angesetzt hat, der trifft ebenso uns. Zum wahren Glauben fehlt uns die Klarheit der Entscheidung, unser definitives Ja zu Gott, das unser Leben in seine Hand gibt, mit allen Unwägbarkeiten, die darin enthalten sein mögen. Bis dahin leben wir nach des Propheten Wort auf dürrem Wüstenboden.

Warum nur? Ich wage dazu abschließend eine Vermutung. Daß wir nicht voll und ganz unsere Hoffnung auf Gott setzen, mag wohl daran liegen, daß wir eigentlich nicht das anzunehmen bereit sind, was Jeremia uns vorführt. Wir glauben nicht daran, daß wir erst mit Gott zum fruchtbaren Baum werden. Das Vertrauen darauf muß in uns wachsen, liebe Schwestern und Brüder, und es kann wachsen. Denn die Punkte in unserem Leben, wo es auf solches grenzenloses Gottvertrauen ankommt, die gibt es. Und wohl haben wir solche schon durchlaufen, haben erlebt, wie Gott die Quelle war, aus der wir neue Kraft schöpften, der Wurzelgrund, an dem unser Lebensbaum hängt. Solche Erfahrungen helfen uns, ganz zum glauben, völlig auf Gott zu vertrauen. Die nächsten Gelegenheiten dazu erwarten uns bereits. Amen.