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Freunde
des Kreuzes?
Homilie über Phil 3,17-4,1
2. Fastensonntag C - 6./7.3.2004 in St. Michael Tübingen
Ausgeblendetes Kreuz
Daß der christliche
Glaube etwas mit dem Kreuz zu tun hat, vergessen wir leicht. Wir sprechen
vom Gott der Liebe, von Verzeihung und Barmherzigkeit, von Gnade und
Freiheit. So sei der Eine, Ewige uns Menschen zugetan. Und das Kreuz
Jesu? Das Kreuz sei der Beweis dafür: Ein Gott, der in seiner Liebe
zur Schöpfung so weit geht, sich selbst in seinem Sohn zu verschenken,
ihn herzugeben pro nobis, für uns. Liebe Schwestern und Brüder,
so für sich genommen, ist das logisch zutreffend und auch theologisch
konsequent. Aber ist es alles? Was ist mit der negativen Seite der Welt,
mit der dunklen Seite, die Gottes Verstummen, seine Distanz, seine unberechenbare
Gerechtigkeit wieder und wieder uns nahe bringt, viel näher bringt,
als wir es wahr haben wollen? Das Kreuz könnte davon künden,
so wir es denn wahr nähmen, an uns heran ließen, es nicht
tilgten aus unserem christlichen Bewußtsein.
Das Kreuz als Zeichen
des Todes
Jesus ist auf furchtbare
Weise ums Leben gekommen, wie viele Menschen, die den Machtansprüchen
der Römer und den starr fest gelegten Glaubensvorschriften seiner
eigenen jüdischen Religionsführer nicht ins Konzept paßten.
An einem Balken aufgehängt, ist er einen grausamen Erstickungstod
gestorben. Jedes Kreuz, das wir sehen, dies hier in der Kirche, jenes
um unseren Hals, will uns auch daran erinnern, zuerst am besten, weil
die Zuschreibung des Heiles, der Rettung erst viel später erfolgte.
Diesen ersten Blick haben wir weitestgehend verloren. Und doch ist genau
er es, der uns zum Realitätssinn ermahnt: Mensch, wenn du Jesu
Kreuz siehst, denk an die Schmerzen, die er dort erlitten hat, die Qualen,
die er durchstand, den Tod, den er dort sterben mußte. Es ist
für unsere christliche Religion, für unser Gottesbild als
Christen wesentlich und unverzichtbar, daß Gott, wie wir ihn verstehen,
keinen anderen Weg wußte, um sich zu offenbaren, als den Tod seiner
selbst. Gott konnte keine andere Weise finden, um uns, seiner Schöpfung,
seine bedingungslose Liebe zu zeigen, als diesen. Er geht ganz an die
Grenze: an die Grenze unserer Vorstellungskraft, unserer Existenz, des
Lebens überhaupt. Und erst dort, an dieser Grenze, wenn wir selbst
dort angekommen sind, in unserer Vorstellung, vor allem aber mit unseren
Erfahrungen, wenn wir selbst am Kreuz hängen, und dabei auf Gottes
Macht vertrauen, wird sich uns diese offenbaren: als Rettung in der
größten Not, als Liebe, die alles heilt, als Erlösung,
die den Tod überwindet. Zum christlichen Glauben gehört es
dazu, sich den negativen Seiten der Welt und der menschlichen Existenz
zu stellen und in ihnen zu glauben.
Realitäten des Kreuzes
heute
Die Wirklichkeit des Kreuzes
ist viel wahrer und gegenwärtiger, als wir es häufig vermuten.
Solange es uns gut geht, blenden wir seinen schmerzhaften Anblick aus
und verlieren uns im Auf und Ab von Glück und Unglück, von
Gelingen und Scheitern. Was aber, wenn die Düsternis des Lebens
über unsere Biographie herein bricht? Ob es uns dann gelingt, im
Kreuz und durch seine harte Wahrheit hindurch an den Gott der Liebe
zu glauben?
Heute am CARITAS-Sonntag
rücken menschliche Kreuzeserfahrungen in den Mittelpunkt, weil
die Caritas sich der Liebe zum Nächsten in jeder Form der Not verschrieben
hat. Das ist ihre einzige Aufgabe, keine andere. Diese Institution der
katholischen Kirche wurde ins Leben gerufen, um das Kreuz des Mitmenschen
eben nicht zu übersehen, auch nicht zu vertrösten mit frommen
Gedanken, sondern um die Härte der Not ernst zu nehmen und dann
um Christi Tod und Auferstehung willen schon hier und jetzt Hilfe anzubieten,
ganz handfest, ganz konkret, unkompliziert und ohne hinderliche Strukturen.
Ein Mensch in Armut erfährt Hilfe. Ein Mensch am Kreuz begegnet
durch mich der Liebe Gottes. Weil - und dies ist die christliche Logik
der Menschlichkeit - weil unser Gott alle Not der Welt selbst durchlitten
hat und sie letztendlich besiegt hat aus Liebe!
Vier exemplarische Lebenssituationen
deute ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, zur Verdeutlichung
des Gesagten an. Es sind Lebenswege, die heute viele gehen, in diesen
sozial harten Zeiten, mehr denn je:
Max (19), ohne Ausbildung,
darf sich keinen Durchhänger leisten. Wenn sein Fallmanager in
der Jobagentur erfährt, daß er sich neulich nicht auf alle
Lehrstellen beworben hat, bekommt nur noch sein Vermieter Geld für
Zimmer und Heizung. Max bekommt nur noch Sachleistungen, keinen Cent
mehr: drei Monate lang.
Katharina (29), Sophia
(1) und Johannes (35) liegen nur bequem, wenn Johannes bald eine neue
Stelle findet. Zwölf Monate nach der Entlassung wir die Unterstützung
auf bisheriges Sozialhilfeniveau zusammenschnurren. Johannes muß
dann jeden Job annehmen, auch Möbel schleppen für 8 €
die Stunde. Das Geld von Katharinas Oma geht dann fürs Essen drauf.
Annemarie
(85), Rentnerin, war schon erschrocken, daß ihre Rente nicht erhöht
wird. Ihren Enkeln kann sie erst mal nichts mehr zustecken. Erst mal
abwarten, was nach dem verdoppelten Pflegekassenbeitrag und den Zuzahlungen
für Ärzte und Medikamente noch zum Leben bleibt. Und ja nicht
bettlägerig werden. Einen Platz im Heim kann sie sich nicht leisten.
Karl-Heinz (54), Arbeitsloser,
hat immer brav eingezahlt in seine Altersversorgung. Er mußte
sie vorzeitig auflösen, und jetzt lebt er davon - bis nur noch
ein Rest übrig ist. Erst dann bekommt Karl-Heinz Arbeitslosengeld
II.
Christliche Botschaft
des Kreuzes
Der Philipperbrief, liebe
Schwestern und Brüder, bringt es auf den Punkt, welche Gefahren
die Nichtbeachtung des Kreuzes Christi in sich birgt, wie blauäugig
einer durchs Leben geht, der nur die Schönheiten der Welt sieht
und dabei ihre trügerische Kraft nicht beachtet. Alles, was ich
bin, was ich sehe und festhalte, an was ich mich binde und auf was ich
mich verlasse, ist vorläufig; alles, bis auf Gott selbst. Die Endlichkeit
der Erde absolut zu setzen und ihre Vorläufigkeit damit zu übersehen,
geißelt Paulus mit starken Worten, und fühlt damit unserer
eigenen Kreuzesnachfolge auf den Zahn: Irdisches haben sie im Sinn;
ihr Gott ist der Bauch; ihr Ruhm besteht in ihrer Schande; ihr Ende
ist das Verderben. Es ist eine einfache Rechnung, die der Apostel aufmacht:
Wer nur auf das Materielle setzt, wird wie alle Materie zugrunde gehen.
Wer das leugnet, was über die Möglichkeiten des Menschen hinaus
geht, wird auch zuletzt, im Tod, nur diese Möglichkeiten der Innenwelt
erfahren; er lebt als Feind des Kreuzes. Wer jedoch sein Leben in die
Hand des Größeren legt, der wird an seiner Größe
teilhaben. Und eben um dorthin zu gelangen, um einem Gott zu begegnen,
der in mein Leben integriert ist, nicht getrennt davon, als ob es zwei
Reiche gäbe, die unverbunden nebeneinander her existierten, dazu
dient das Kreuz als gott-menschliche Brücke! Im Kreuz erfahren
wir die stärkste Verbindung mit Jesus Christus, weil es die realistischste
ist, die für uns alle nachvollziehbar ist, weil es der Weg ist,
den wir alle gehen, den wir zwar leugnen können, aber nicht abschaffen!
Am Kreuz führt kein Weg vorbei. Und deshalb ist es gut, es rechtzeitig
in den Blick zu nehmen, anzunehmen.
Fastenzeit = Kreuzeszeit
Die Vorbereitungszeit auf
Ostern ist seit je eine Zeit, das Kreuz zu beachten: jenes, das in meinem
eigenen Leben vorkommt, aber auch das des anderen, der mir begegnet,
dem ich zur Seite gestellt bin. Und deshalb ermutige ich Sie, liebe
Schwestern und Brüder, sich Zeit dafür zu nehmen, das Kreuz
zu betrachten: hier in der Kirche, zu Hause in ihrer Stube, beim Beten
des Rosenkranzes, aber auch, und ganz besonders, wenn sie dem Kreuz
und in der Not eines Menschen begegnen. Dort wohl am dichtesten werden
sie Jesus selbst sein, dann, in der Gemeinschaft mit dem Herrn, seinem
Kreuz, seiner Liebe, seinem Heil, das er sich so sehr wünscht für
unsere leidende Welt. Amen.
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