Predigten
|
Predigt zum Misereor-Sonntag (5. Fastensonntag) 2004: "Unser tägliches Brot gib uns. Heute."
"unser tägliches Brot gib uns. Heute" - diese Bitte aus dem Vater unser ist das Motto der diesjährigen Fastenaktion von Misereor. Wohl kein anderes Gebet ist uns so vertraut wie das Vater unser; es geht uns flüssig, manchmal fast gedankenlos von den Lippen, v.a. die Bitte um das tägliche Brot. Denn hungern muss von uns hier Anwesenden wohl niemand. Gewiss, im übertragenen Sinn haben auch wir Hunger - Hunger nach Sinn, nach einem sicheren Arbeitsplatz, nach geglückten Beziehungen, nach erfüllten Augenblicken, nach Freude, Frieden und Glück; aber den bohrenden, schmerzenden, ständigen Hunger nach einem Stück Brot oder einer Schale Reis kennen wir nicht - im Gegensatz zu 840 Millionen Menschen, die in Afrika, Asien und Lateinamerika diesen Hunger Tag für Tag erleiden und aushalten müssen. Für sie hat die Vater-unser-Bitte eine ganz andere, überlebensnotwendige Bedeutung... Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit solchen Zahlen geht - über 840 Millionen Menschen weltweit. Sicher, eine erschreckende Zahl - aber gerade weil sie so unvorstellbar groß ist, eine Zahl, die innerlich gar nicht richtig an mich herankommt. Schlimm, sagt der Verstand - doch wirklich betroffen bin ich davon nicht. Da hilft es mir auch nur wenig, wenn ich mir diese Zahl konkret vorzustellen versuche: Mehr als 840 mal die Bevölkerung einer Großstadt wie Köln leidet täglich unter quälendem Hunger. Aber auch hier kommt unsere Vorstellungskraft an ihre Grenzen und das Leid dieser Menschen bleibt anonym. Ganz anders, wenn der Hunger plötzlich ein Gesicht bekommt, wie auf den Misereor-Plakaten; ganz anders, wenn ich einen Namen dazu erfahre, wenn ein Mensch von diesen 840 Millionen erkennbar wird - ein Mensch mit seinen Sorgen und Nöten, mit Sehnsucht und Hoffnung, ein Mensch wie wir: Adelina, die Frau auf unserem
Plakat, kennt den Hunger seit ihrer Kindheit. Sie lebt in Sertao, im
nordöstlichen Brasilien, einer Gegend, die von Dürren, ungerechter
Landverteilung, Armut und Hunger geprägt ist. Ihre Eltern waren
sehr arm, hatten kein eigenes Land und konnten die Familie nur mühsam
mit selbst gefangenen Fischen, Maniokmehl und Öl ernähren.
Ihr Leben lang hat Adelina als Tagelöhnerin für Großgrundbesitzer
gearbeitet, zu unmenschlichen Bedingungen. Aus Verzweiflung ist sie
in ein Landlosenlager gezogen und bebaut brachliegendes Land. Wenn die
Regierung ihr das Land zuspricht, wäre das ein erster Schritt in
ein Leben ohne Armut und Hunger... Misereor setzt sich dafür ein, daß dieser Wunsch Wirklichkeit werden kann. Misereor hilft Menschen wie Adelina, ihr Recht auf Land durchzusetzen und Anbaumethoden zu lehren, die der Trockenheit angepasst sind. Misereor unterstützt die Bemühungen um sauberes Wasser und versucht, medizinische Versorgung gegen die hohe Kindersterblichkeit und gegen die Krankheiten aufgrund des Mangels an Lebensnotwendigem zu verbessern. Misereor unterstützt die Bemühungen um gerechtere Strukturen im weltweiten Netz von Politik und Wirtschaft wie in den Ländern vor Ort. Misereor will - im Sinne der Nachhaltigkeit - Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen. "Ein Tropfen auf den heißen Stein" - mag Mancher von uns jetzt vielleicht denken. Angesichts der 840 Millionen sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Aber damit flüchten wir vom einzelnen Menschen wieder weg in die Anonymität der leidenden Masse, deren Leid uns gerade wegen ihrer Unüberschaubarkeit nicht mehr erreicht. Gewiß können wir hier und heute das Problem weltweiten Hungers nicht lösen - obwohl dieser Hunger von uns Menschen gemacht ist. Aber wir können uns mit unserer Unterstützung im Blick auf den Einzelnen solidarisch zeigen und dort mithelfen, wo geholfen werden kann. Und so möchte ich Ihnen diesen Blick auf den einzelnen Menschen nochmals zumuten, den Blick auf Adelina auf unserem Fastenplakat: "Adelina, dein Kopf
ruht auf deinen Händen, Deine Hände sind kräftig,
du kannst dich auf sie stützen, Deine Hände kennen die
Erde, Was gibt dir Hoffnung? Deine Augen sind gesenkt.
Sorgen furchen deine schweren Lider. Die leeren Töpfe auf
deinem kalten Herd? Du blickst mich nicht an,
bist ganz bei dir, Ich möchte dir nah sein,
dein Gesicht sehen, Damit der Wille unseres Vaters
geschehe. Einführung"Unser tägliches Brot gib uns heute" - das Leitwort der diesjährigen Misereoraktion ist uns vertraut. Da ich stets genug zu essen habe und keinen Hunger leiden muss, denke ich beim Beten dieser Vater-unser-Bitte an all die Dinge, die für mich sonst noch so lebensnotwendig wie das tägliche Brot sind: Liebe, Friede, Lebensfreude, Kraft und Mut, Vertrauen und Zuversicht. Indem ich das so tun kann, merke ich aber, wie privilegiert ich bin. Mehr als die Hälfte der Menschheit ist nicht in dieser glücklichen Lage, genug zu essen zu haben und leidet qualvollen Hunger. Auf diese Hungernden, denen das Notwendigste fehlt, lenkt Misereor heute unseren Blick; für sie ist unsere Spende bestimmt. Kyrie Herr, Jesus Christus, Du kennst den Hunger nach dem täglichen Brot und hast Hungernde gespeist. Du weißt, wie einseitig die Machtverhältnisse in unserer Welt sind und wie ungerecht wir die Güter der Erde verteilen. Du rufst uns zu mehr Gerechtigkeit;
für uns eine Herausforderung, für die Hungernden eine Verheißung.
|
|
|