Predigten

 
 

Predigt zum Ökumenischen Gottesdienst in der Kirch am Eck / Eberhardskirche am 9./10.10.04 Röm 14, 17-19

"Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist die Kirche"...

Liebe zum gemeinsamen Gottesdienst versammelte Gemeinde,
seit ich diesen Satz des französischen Theologen Alfred Loisy das erste Mal gehört habe, lässt er mich nicht mehr los; immer wieder fällt er mir ein, immer wieder muss ich mit einem Schmunzeln, manchmal auch mit eher traurigen Gefühlen an ihn denken: "Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist die Kirche"...
Nun weiss ich natürlich nicht, wie es Ihnen mit diesem Satz geht; je nach den eigenen, im Moment gegenwärtigen Erfahrungen mit der Kirche wird der eine oder die andere ihn ganz unterschiedlich aufnehmen...

Für mich enthält er jedenfalls zwei Bedeutungsebenen: Zunächst - rein sachlich gesehen - stellt er eine Tatsache fest: Jesus verkündete das Reich Gottes, und daraus entwickelte sich die Kirche - während das Reich Gottes in seiner Vollendung noch aussteht! Theologisch völlig unstrittig ist, dass Kirche und Reich Gottes nicht miteinander gleichgesetzt werden dürfen, - darin sind sich die grossen Konfessionen einig - auch wenn in ihnen und durch sie Manches vom Reich Gottes Wirklichkeit werden kann... Die Kirchen sind nicht das Reich Gottes, auch wenn sie an seiner Verwirklichung entscheidenden Anteil haben mögen; sie sind und bleiben Instrument, Werkzeug im Dienste des Reiches Gottes; ihre Aufgabe und ihr Auftrag ist es, Jesu Reich-Gottes-Botschaft weiterzutragen, die Wahrheit dieser Botschaft durch ihr Dasein, durch ihr Leben glaubwürdig zu bezeugen und durch dieses Zeugnis ein Stück weit Wirklichkeit werden zu lassen. Das Reich Gottes ist die übergeordnete Grösse, das Ziel, von dem her allein die Kirche ihre Existenzberechtigung erhält; das spiegelt sich auch in dem berühmten, ebenso unumstrittenen Satz wider, dass die Kirche sich stetig reformieren muss, um dem Ziel der Mitarbeit am Reich Gottes im Wandel der Zeiten auch nur annähernd gerecht werden zu können. Wie reformfähig die katholische Kirche mit ihren festen Strukturen tatsächlich ist und wie reformwillig die evangelischen Kirchen mit ihren theologisch weniger festgefügten Verfassungen tatsächlich sind, möge hier dahingestellt bleiben...

Und damit sind wir schon bei der zweiten Bedeutungsebene des oben zitierten, etwa 200 Jahre alten Satzes von Loisy: "Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche": Natürlich lässt er bei aller sachlichen Richtigkeit auch deutliche Kritik an der kirchlichen Praxis durchscheinen - Kritik, die damals wie heute wichtig und notwendig ist; und je nachdem, wo wir selbst gerade in unser Zeit und in unseren Kirchen stehen, können wir über diesen kritischen Unterton verstehend schmunzeln, oder es brechen darin erlittene Enttäuschungen und Verletzungen auf, die uns eher traurig oder bitter werden lassen. So sehr wir unseren Kirchen verbunden sein mögen, so sehr werden wir in ihnen auch immer wieder Anlass zu Kritik finden: v.a. dann, wenn wir das Gefühl haben, dass nicht mehr Gottes Reich, sondern die Beschäftigung der Kirche mit sich selbst im Mittelpunkt steht; v.a. dann, wenn wir meinen, dass kirchliches Handeln nicht der Botschaft Jesu entspricht, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen. Und Anlass zu solcher Kritik gab es bereits in der frühen Kirche, wie unser heutiger Predigttext zeigt.

Wir hören die Verse 17-19 aus dem 14. Kapitel des Römerbriefes:
Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Und wer Christus so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet. Lasst uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau beiträgt.

"Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" - so ermahnt Paulus die Gemeinde in Rom; offenbar hatte sich dort die gemeindlich-kirchliche Wirklichkeit von ihrer Zielvorgabe entfernt, so dass sich Paulus mehr als ein ganzes Kapitel seines Briefes um Schlichtung und Ermahnung bemüht. Angesichts ihrer Zielvorgabe war die Kirche auch damals schon reformbedürftig...
Tatsächlich gefährdete der von aussen betrachtet zunächst eher harmlos erscheinende Konflikt zwischen den von Paulus sogenannten "Starken" und "Schwachen" die Einheit und damit den Fortbestand der Gemeinde. Während die Starken bei den gemeindlichen Versammlungen alle Speisen zu sich nahmen, ungeachtet jüdischer Speisegebote, lehnten die Schwachen jeglichen Fleisch- oder Weinkonsum strikt ab, da diese in römischer Umgebung nicht koscher sein konnten; deshalb galten Fleisch und Wein für sie als unrein. Weil aber sowohl die sogenannt Starken als auch die sogenannt Schwachen aus innerster Glaubensüberzeugung handelten, kam es zum Konflikt, in dem beide Seiten auf ihrer Position beharrten: Die einen hielten die Speisegesetze durch Jesus Christus für aufgehoben - für die anderen behielten sie in ihrer Glaubenspraxis Gültigkeit...
Doch damit nicht genug: Die Starken begannen, die anderen ob ihrer Beachtung dieser Gebote zu verachten, während die Schwachen sich wehrten und die Starken ob ihrer Überheblichkeit verurteilten... Bei alledem stand keine theologisch-grundsätzliche Frage im Vordergrund, da auch die Schwachen nicht der Meinung waren, dass die Einhaltung der jüdischen Speisegebote heilsnotwendig wären - sie waren ihnen nur für ihre persönliche Frömmigkeit wichtig; es ging um den Umgang miteinander, um die Frage nach Respektierung gegenseitiger Glaubensüberzeugungen; es ging um mangelndes Verständnis, fehlende Rücksichtnahme und Toleranz.
Brisant wurde das Problem, weil es in die gottesdienstliche Feier hineinragte; das rituelle Mahl des Gottesdienstes war damals stets mit einem Sättigungsmahl verbunden, so dass nun die Tischgemeinschaft der jungen Gemeinde gefährdet war! Offenbar missbrauchten die römischen Christen die gottesdienstliche Versammlung, indem sie sich um ihre unterschiedlichen Speiseauffassungen stritten! Anspruch und Wirklichkeit klafften auseinander, das Ziel geriet aus dem Blick...

"Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" - setzt Paulus dagegen. Damit machte er den römischen Christen die Zielvorgabe wieder klar....
Was würde er heute unseren Kirchen, was würde er uns heute sagen? "Das Reich Gottes ist nicht Strukturen und Ämter"? "Das Reich Gottes ist nicht Finanzmanagement und Immobilienverwaltung"? "Das Reich Gottes ist nicht Dogmatik und reine Lehre"? "Das Reich Gottes ist nicht Spaltung und Trennung"?
Gewagte Fragen, ich weiß - aber immerhin geht es in unserer beider Kirchen ja doch um dasselbe Reich Gottes und immerhin geht es auch zwischen unseren Kirchen um nicht weniger als die Tischgemeinschaft...
Jedenfalls macht Paulus den römischen Christen klar, dass ihre internen Streitereien und die Beschäftigung der Gemeinde mit sich selbst vom Eigentlichen ablenkt - so wichtig eine interne Klärung auch sein mag.

Interessant ist nun aber auch das Verhalten des Paulus selbst; obwohl er sich grundsätzlich den Starken zurechnet - er war ja ein leidenschaftlicher Kämpfer dafür, den Christen keine Lasten im Sinne des jüdischen Gesetzes aufzuerlegen -, ruft er sie zu Rücksichtnahme und Toleranz auf. Grundsätzlich akzeptiert er beide Positionen als mögliche Ausprägungen des Glaubens und anerkennt, dass beide ihre Überzeugung in Christus haben. Aber er fordert die Starken um der Einheit und um des gemeinsamen Zieles Willen auf, sich zurückzunehmen, Rücksicht gegen die Schwachen zu üben und ihnen nicht unnötig Anstoß zu geben. Umgekehrt sollen die Schwachen aufhören, die Starken ob ihrer Haltung zu verurteilen - da beide Parteien zu Christus gehören und ihm allein das Recht des Richtens zukomme. Für Paulus ist solche Rücksichtnahme des Stärkeren ein Gebot der Liebe, ein Gebot der neu begonnenen Wirklichkeit des Reiches Gottes: "Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Und wer Christus so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet. Lasst uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau beiträgt." Wieder lenkt er den Blick auf das grössere Ganze, auf das, worum es eigentlich geht...
Gibt es in unseren Gemeinden auch Starke und Schwache - und wie gehen sie miteinander um? Haben in unseren Kirchen, in unseren Gemeinden unterschiedliche Glaubens- und Frömmigkeitsausprägungen Raum und üben wir ausreichend Toleranz im Miteinander? Und wie lösen wir entstehende Konflikte - wo können und sind wir bereit nachzugeben?
Fragen, die aber nicht nur unsere je eigenen Gemeinden oder das Verhältnis beider Kirchen zueinander betreffen, sondern unseren Stadtteil, unsere Stadt, unser Land... Denn das Reich Gottes bleibt nicht auf uns Christen beschränkt - seine Wirklichkeit ist grösser als die Kirchen; sie muss für alle gelten, die bei und mit uns leben.
Wie begegnen wir Menschen anderer Religionen und Kulturen, wie leben wir mit ihnen? Fühlen wir uns als die Starken - oder als die Schwachen? Sind wir in unserer Lebens- und Glaubenspraxis im Blick auf das Reich Gottes "von Gott anerkannt und bei den Menschen geachtet", "tragen wir zum Frieden und Aufbau bei", wie Paulus formuliert?

Paulus macht deutlich: Nicht nur innerkirchlich, sondern weit darüber hinaus muss das Reich Gottes für uns Christen die Zielgrösse bleiben - ein Ziel, das unseren Blick über die eigene Gemeinschaft, über eigene Grenzen hinaus weitet.
Was aber ist dieses Reich Gottes, wie kann man es verstehen? Definitionen gibt es dafür keine - und sie kann es auch nicht geben, da das Reich Gottes grösser ist als all das, was in unserer Hand liegt, was wir "machen" können; wir können nur unseren Beitrag dazu leisten, indem wir das leben, was wir vom Evangelium verstanden haben - alles weitere Gelingen und Werden liegt in Gottes Hand. Aber im Sinne einer Annäherung an den Begriff war für mich eine Umschreibung hilfreich: Das Reich Gottes als der Zustand, wenn die Eigenschaften Gottes zur alles bestimmenden Wirklichkeit werden.... oder anders ausgedrückt: Wenn Gott alles in allem sein wird... "Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" - einige dieser Eigenschaften werden auch von Paulus genannt. Letztlich können wir das Reich Gottes nicht begrifflich fassen - aber wir haben in Jesus Christus vor Augen, wie es immer wieder neu erlebbar werden kann: Überall da, wo Gerechtigkeit geschieht, wo Schwache gestärkt, Kranke geheilt und Trauernde getröstet werden; überall da, wo Schuld vergeben wird, wo Versöhnung, wo Heil geschieht, da beginnt das Reich Gottes, mitten unter uns. Und wenn ich in unsere Gemeinden hineinschaue, sehe ich da viele Ansätze: Wo wir uns gemeinsam um eine Familie bemüht haben, um sie vor ungerechter Abschiebung zu bewahren; wo unsere Besuchsdienste offene Augen und Ohren für ihre Mitmenschen haben; wo sich Gruppen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzen; wo wir uns um Integration und Verständigung in unserer multikulturellen Südstadt bemühen; und in vielen wohltuenden Begegnungen, die auf verschiedenen Ebenen oft im Stillen geschehen..., um nur einige zu nennen.

"Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist die Kirche". Ja, wir sind nicht das Reich Gottes, sondern Kirche; ja, wir können das Reich Gottes nicht "machen", aber wir können daran mitarbeiten; und von uns als Kirche wird es abhängen, ob unsere Mitmenschen diesen Satz mit einem höhnischen Grinsen, oder wohlwollend schmunzelnd aufnehmen. Amen.

   

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not
und Leid
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Flohmarkt am Eck 
ohne Geld
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

Webmaster