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Gottesdienst an Allerheiligen (1.11.2004)
in St. Michael und Bühl
Mt
5, 1-12
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich freue mich, dass ich
heute morgen hier als evangelische Pfarrerin an einem katholischen Feiertag
stehen und zu Ihnen sprechen darf. In Vorbereitung auf diesen Gottesdienst
habe ich allerdings gelernt, das Allerheiligen gar nicht immer ein rein
katholischer Feiertag war. Im evangelischen Deutschland wurde er noch
Jahrhunderte lang begangen. Und in der skandinavischen und anglikanischen
Kirche wird Allerheiligen noch heute gefeiert. Bei uns erinnert nur
noch die Lesung an diese Tradition. Die Seligpreisungen, die wir gerade
gehört haben, sind bei uns das Evangelium des Reformationsfestes,
das wir gestern gefeiert haben. Und da passen sie, so finde ich, nicht
nur aus historischen Gründen, sehr gut hin.
Über die Seligpreisungen
- der Schlüssel zur Bergpredigt Jesu, das Tor zum Matthäus-Evangelium
- möchte ich heute mit Ihnen nachdenken:
Es sind nicht die Profiteure
dieser Welt, die Jesus hier selig, glücklich preist, nicht die,
die sich durchzusetzen können und es zu etwas bringen, die ihre
Ellbogen einzusetzen wissen und hart rangehen können.
Hier sind es andere, die gut wegkommen: Angekratzte und Angeknabberte,
die mit sich selbst nicht zurande kommen, die eine dünne Haut haben
und denen das Schicksal anderer Menschen nicht egal ist.
Die Welt der Zwecke und Zwänge und der scheinbaren Plausibilitäten
wird hier auf den Kopf gestellt.
Zwei verschiedene Gruppen
von Menschen hat Jesus hier im Blick:
Menschen, denen es schlecht geht, und Menschen, die sich bemühen
schlechte Zustände zu beseitigen.
Zur ersten Gruppe:
"Selig sind, die da geistlich arm sind."
Was heißt geistlich arm?
Im Lukas-Evgl. heißt es: "Selig seid ihr Armen, denn euch
gehört das Reich Gottes." Ihnen wird im anschließenden
Wehe-Wort den Reichen, den Besitzenden gegenüber gestellt. Sie
haben ihren Trost dahin. Es geht also um materiell Arme.
Was aber meint geistlich arm?
Ich denke, hier sind nicht Menschen gemeint, die geistig minder bemittelt,
also weniger begabt sind. Auch nicht Menschen, die wenig vom Geist Gottes
haben, sondern Menschen, die in ihrem eigenen Geist arm sind, d.h. ohne
Beziehung zu anderen Menschen, ohne Beziehung zu Gott und zu sich selbst;
um Menschen, deren Herzen leer sind.
Aus eigener Kraft können sie dieser Leere nicht entfliehen. Oft
geht diese geistliche Armut mit der materiellen Armut einher. Verlust
des Arbeitsplatzes, Zerbrechen der Ehe, unvorhergesehene Krankheiten
können Ursache oder Folge solcher innerer Leere sein. Materieller
Besitz allein kann diese Leere nicht füllen. Das kann nur die Gemeinschaft
mit anderen, die Geborgenheit bei Gott und der Frieden mit sich selbst.
"Selig sind die Leid tragen, die trauern und verzweifelt sind."
Sie sollen getröstet werden, damit sie sich nicht in ihrer Trauer
verlieren, sich nicht in ihr Leid verlieben.
"Selig sind die Sanftmütigen."
Mir geht seit zwei Wochen
ein Bild nicht aus dem Kopf, das auf der Titelseite des Schwäbischen
Tagblattes abgedruckt war. Ein junger Vater mit seinem Kind auf dem
Arm steht in einem geöffneten Kanaldeckel. Beide blicken auf nächtliche
Straßen, auf denen in der Ferne Autos fahren. Das Bild ist folgendermaßen
untertitelt: "Ein Obdachloser in Bukarest mit seinem Kind auf dm
Arm: Die Nacht verbringen sie in der Kanalisation." Dort ist es
warm.
Der sanfte, fast erstaunte
Blick der beiden hielt mich gefangen, der Blick von Menschen, die nicht
hart genug sind, um sich unter den veränderten Bedingungen ihres
Landes zu behaupten.
"Selig sind die Sanftmütigen,
denn sie werden das Erdreich besitzen."
Sie gehören zu den Menschen, die sich anrühren lassen vom
Schicksal anderer, weil ihre Herzen nicht leer sind.
"Selig die Barmherzigen..."
Der barmherzige Samariter, der es im Gegensatz zu seinen würdevollen
Vorgängern nicht fertig bringt, an dem Zusammengeschlagenen vorbei
zu gehen.
"Selig, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit."
Dieser Hunger, dieser Durst kann unter den Menschen ganz unterschiedliche
Gestalt annehmen, denn was die einen als gerecht empfinden, ist nicht
unbedingt gerecht für die anderen.
Das wurde mir durch eine weitere Zeitungslektüre deutlich: Vor
wenigen Tagen las ich, dass am Hamburger Stadtrand zehntausend Mitarbeiter
eines Airbus-Konzerns für die Verlängerung ihrer Werkspiste
demonstrierten. Ohne die Piste wird Hamburg in Zukunft uninteressant
für die Flugzeugindustrie. Die Arbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze.
Das Delikate an der Geschichte ist jedoch: Sie demonstrieren gegen Obstbauern
aus dem Alten Land, die sich weigern, ihre Obstwiesen für die Piste
zu verkaufen. Zum dritten mal innerhalb von 12 Jahren soll das Airbuswerk
auf Kosten der Bauern vergrößert werden. Immer heißt
es, es sei das letzte Mal. Inzwischen fürchten die Bauern um die
Zukunft ihres Dorfes. Die Politiker stellen sich auf die Seite der Arbeiter,
denn
Der bissige Kommentar der Zeitung passend zum Reformationstag: Das Motto
deutscher Politik 2004 sei: "Wenn ich wüsste, dass morgen
die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen
roden."
Arbeiter und Bauern - beide hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Ähnlich kompliziert ist es mit denen, die Frieden stiften. Was
dient dem Frieden? Auch da gehen die Meinungen auseinander. Gilt es
Krieg mit Krieg zu bekämpfen oder gilt es Zurückhaltung zu
wahren und die Menschen in den Krisenherden dieser Welt sich selbst
überlassen?
Für uns Christen kann
Maßstab und Vorbild nur der sein, der die Seligpreisungen gepredigt
hat. Er hat uns die Gerechtigkeit Gottes vorgelebt, die mehr ist als
ein diffuses Gerechtigkeitsgefühl. Sie will nicht recht behalten
will um jeden Preis, aber tritt entschlossen ein für die Schwächsten
.
Er hat uns den Frieden Gottes vorgelebt, der die ungerechte römische
Herrschaft nicht mit Waffengewalt vertreiben wollte, aber zugleich sagen
konnte: "Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das
Schwert."
Jesus stieg auf einen Berg,
um die Bergpredigt zu halten.
Der Berg ist in der Bibel ein Ort besonderer Gottesnähe:
Auf dem Berg Sinai offenbarte sich Gott dem Mose und gab ihm die Tafeln
mit den 10 Geboten.
Nach den Geboten hat Jesus gelebt, sie entwickelt er in der Bergpredigt
weiter, treibt sie auf die Spitze - aber nicht um sie aufzulösen,
sondern um sie zu erfüllen:
"Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst
nicht töten; wer aber tötet, ist des Gerichts schuldig. Ich
aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, ist des Gerichts schuldig."
(5,21)
Die nach den Geboten Jesu, nach den Geboten vom Sinai lebt, sie in ihren
Herzen tragen, wie Jesus es getan hat, denen gehört das Himmelreich,
die werden Gottes Kinder geheißen, die werden selig und glücklich
gepriesen.
Liebe Gemeinde!
Ist das nicht eine billige Vertröstung nach dem Motto:
Wer im irdischen Leben arm dran war, dem soll es wenigstens im Himmel
gut gehen? Wer auf Erden ein guter Mensch war, bekommt seinen Lohn dort?
Aber vielleicht sind Himmel und Erde gar nicht so weit voneinander entfernt....
In den Seligpreisungen scheinen sich Himmel und Erde zu berühren.
Auf dem Berg ist man dem Himmel ein Stück näher, sagt man.
Auf dem Berg der Predigt Jesu aber kommt ein Stück Himmel auf die
Erde. Die Jakobsleiter ist noch einmal aufgestellt.
Das Reich der Himmel, das den Seliggepriesenen verheißen ist,
ist nichts anderes als die anbrechende Gottesherrschaft auf Erden.
Himmel und Erde berühren sich. Das Himmelreich ist durch die Bergpredigt
geerdet. Es ist kein Wolkenkuckucksheim, kein Niemandsland, keine Utopie,
kein Nicht-Ort. Es hat seinen Ort überall, wo Seliggepriesene leben.
Ihnen gilt das Ja Gottes zum Menschen vor allem Glauben und Tun. Uneingeschränkt.
Sein Trost ist nicht abhängig von den Leistungen der Leid Tragenden.
Die Barmherzigkeit der Menschen ist keine Vorbedingung für die
Güte Gottes.
Überall da, wo Menschen seinem Weg folgen,
wo Seliggepriesene leben,
wo sie in seinem Namen zusammen sind, um Brot und Wein miteinander zu
teilen, offenbart sich ein Stück Himmelreich.
Da wird man sich nicht mehr fragen müssen, wessen Rechte und wessen
Gerechtigkeit Vorrang hat und mit welchen Mitteln Frieden hergestellt
werden kann. Denn da herrscht die Gerechtigkeit Gottes und der Friede
Jesu Christi.
Da sind die Herzen der Menschen voll und ihre Münder gehen über.
"Da wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens
sein.
Da werden wir sein wie Träumenden.
Und man wird sagen: Gott hat Großes an uns getan, des sind wir
fröhlich.
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen
Und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben." (Ps 126)
Amen
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