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Predigt
in der Eberhardsgemeinde am 4. Advent (19. Dezember 2004): Lukas 1,
26-38
Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in
eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth,
zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause
David; und die Jungfrau hieß Maria.
Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt,
du Begnadete! Der Herr ist mit dir!
Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß
ist das?
Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast
Gnade bei Gott gefunden.
Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du
sollst ihm den Namen Jesus geben.
Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden;
und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben,
und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und
sein Reich wird kein Ende haben.
Da sprach maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von
keinem Mann weiß?
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über
dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten;
darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.
Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem
Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von de man sagt,
daß sie unfruchtbar sei.
Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria aber sprach: Sieh, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du
gesagt hast. Und er Engel schied von ihr.
Liebe Gemeinde!
Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes wird uns hier angekündigt:
uns, den Kindern der Aufklärung, die manchmal derart aufgeklärt
sind, daß sie schon nicht mehr klar sehen und denken können;
die die Wirklichkeit auf eine algebraische Gleichung reduzieren und
nicht sehen wollen, daß alles Wesentliche seine Wurzel im Dunklen
und Verborgenen hat,
daß das Geheimnis unser aller Ursprung ist.
Die Logik des Verstandes
kann das nicht verstehen, es sei denn sie läßt sich aufklären
durch eine andere Logik,
die Logik des Herzens:
Das Herz ist das Organ, dem sich das Geheimnis offenbaren kann.
Und wenn wir mit dem Herzen denken, dann werden wir auch verstehen,
was uns heute verkündigt wird:
"Und im sechsten
Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa."
Zeit und Ort des Geschehens
werden hier genannt. Aber ist sie nicht seltsam, diese Zeitansage: im
sechsten Monat?
In der alten Welt wurde die Zeit angesagt nach den Regierungsjahren
der jeweiligen Machthaber:
"Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius,
als Pontius Pilatus Statthalter war in Judäa und Herodes Landesfürst
von Galiläa" - das ist z.B. so eine Zeitansage.
Nun aber beginnt eine neue Zeit und ein neues Reich und eine neue Welt.
Und das alles beginnt "im sechsten Monat". Das ist
die neue Zeitansage.
Gemeint ist der 6. Schwangerschaftsmonat der Elisabeth, die ein Base
der Maria ist und die noch im hohen Alter einen Sohn gebären soll.
Wir lernen daraus:
Die neue Zeit richtet sich
nicht nach denen, die das Leben beherrschen, sondern nach denen, die
das Leben empfangen.
Kein Wunder also, daß schon der Beginn dieser Geschichte so wunderbar
und für unsere aufgeklärten Ohren so seltsam klingt.
Wo aber und wie beginnt die
neue Zeit?
In Nazareth beginnt sie. Nazareth, das ist ein Nest, wo Fuchs
und Hase sich gute Nacht sagen.
Und wer etwas auf sich hält, der rümpft die Nase, wenn er
einem Nazarener begegnet:
"Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?" - das war damals
ein geflügeltes Wort und damit war schon alles gesagt über
den, der aus Nazareth kam:
Unbedeutend, nicht der Rede wert, kein Staat mit ihm zu machen, kein
Vorzeige-Typ.
Aber in dieses Nazareth ist der Bote der neuen Zeit gesandt. Nicht nach
Rom und nicht nach Jerusalem. Nicht nach Berlin und nicht nach Washington.
Gottes Politik liegt offensichtlich quer zur Politik, die in den Hauptstädten
gemacht wird.
Gott sei Dank! muß man sagen. Denn die Politik der Hauptstädte
ist - wie wir täglich in der Zeitung studieren können - nicht
sehr lebensdienlich.
Liegt das vielleicht daran,
daß sie vor allem von Männern gemacht wird? Oder anders gesagt,
daß die Politik der alten Zeit durchaus mit dem Kopf, aber nicht
mit dem Herzen gemacht wird?
Was ja mit der Zeit dazu führt, daß solche Politik nicht
nur herzlos ist, sondern auch kopflos wird, weil ja nur die Logik des
Herzens das Wesentliches sehen kann?
Wie auch immer!
Die Politik der neuen Zeit
braucht Menschen, die mit dem Herzen denken.
Darum ist der Lebensbote in ein unscheinbares Nest in Galiläa gesandt,
nicht zu einem Mann, sondern zu einer Frau, die zwar verlobt, aber noch
nicht verheiratet war.
Eine Jungfrau war
Maria, und das ist im Fortgang dieser Geschichte wichtig, wie wir uns
schon denken können, nachdem wir von Gottes neuer Politik einen
leichten Vorgeschmack bekommen haben.
Jungfräulich war und
blieb Maria wohl ein Leben lang. Aber nicht, weil sie keine weiteren
Kinder mehr zur Welt brachte, wie die katholische Lehre es will. Denn
die Bibel redet ja ganz klar von weiteren Brüdern und Schwestern
Jesu.
Jungfräulich blieb Maria auch, nachdem sie noch weitere Kinder
empfangen und zur Welt gebracht hatte.
Nicht leicht zu verstehen, aber wir werden sehen.
Und der Bote Gottes trat
bei ihr ein und sprach:
Grüß
Gott, du Charmante! - Ja, so könnte man mit einer gewissen
Freizügigkeit den Gruß auch übersetzen.
Gnade - griechisch charis,
lateinisch gratia - das hat mit Grazie und Charme zu tun.
Oder besser: Der Charme, die Anmut auf dem Gesicht eines Menschen, dieses
Leuchtende und Offene, diese Helle und Entwaffnende - das ist - recht
verstanden - der Widerschein der Gnade.
Grüß Gott, du Charmante! - wie zart doch die Annäherung
Gottes an dieses Mädchen ist! Eine Auslegerin schreibt:
"Gottes Gnade kommt dem Mädchen nahe, wie Liebende sich
nahekommen."
Doch das Mädchen erschrickt
ob dieser liebevollen Annäherung, ob diesem Gruß!
Sie, die nichts vorzuweisen hat, die nichts ist, weil sie nichts hat
und darüberhinaus noch eine Frau ist -
sie wird vom Boten Gottes angesprochen wie ein Abraham oder einer
der Propheten Israels.
Wenn das nicht zum
Erschrecken ist!
Sie ahnt, daß nach
diesem Gruß nichts mehr sei sein wird wie zuvor. Alles ist nun
anders. Eine neue Zeit bricht an.
Die Zeit, auf die die Väter
und Mütter und die Propheten gewartet haben.
Die Zeit, in der nicht mehr gezeugt, sondern nur noch geboren wird.
Geboren wird der König der Ewigkeit, der Sohn des Höchsten,
der Jeschua, die Hilfe Gottes, durch den Gott die Menschheit wieder
zu sich zieht.
Geboren, aber nicht gezeugt
ist der Erstgeborene der neuen Schöpfung und sind alle, denen dieser
Macht gibt, Kinder Gottes zu werden - so sagt es das Johannesevangelium.
"Da sprach Maria
zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich noch von keinem Manne weiß"
So ähnlich wird auch
jener Ratsherr mit Namen Nikodemus fragen, der in der
Dunkelheit der Nacht zu diesem Erstgeborenen Gottes, zu Jesus kommt,
und von diesem gesagt bekommt, er müsse von neuem geboren werden,
sofern er in das neue Reich, in die neue Zeit gelangen wolle.
"Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?"
- Das ist die Nikodemusfrage.
"Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?"
- Das ist Marias Frage.
Und beidesmal geht es um
die Geburt des neuen Menschen. Und dieser stammt - so sagt es
wiederum der Evangelist Johannes - dieser stammt nicht aus dem Blut
noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Mannes.
Der neue, der wahrhaft neue Mensch, entsteht also weder in der Retorte
der Gentechniker, noch in den Köpfen der Pädagogen, sondern
im Herzen Gottes.
Der neue Mensch wird nicht gezeugt, sondern nur geboren. Geschaffen
durch Gott und geboren durch den Menschen. Gott allein ist der Aktive,
der Mensch ist hier der Passive, der Empfangende.
Wie soll das zugehen?
Biologisch geht das nicht,
weil es in dieser neuen Menschheitsgeschichte eben nicht nach der Logik
des Bios geht.
Bios - das ist das natürliche, das alte, das adamitische
Leben. Da steckt der Wurm drin. Jene listige Schlange, die uns die Freiheit
vorgaukelt, wo nur Zwänge warten, die unser Ich aufbläht und
Mißtrauen sät.
Bios - das Leben, das nach den Gesetzen des Urwalds verläuft. Das
ein Fressen und Gefressenwerden ist. Bei der der Vitalste überlebt
und der Stärkste herrscht.
Soll aber wirklich alles
anders werden, dann darf es nicht länger nach der Logik des Bios
gehen. Der neue Mensch darf nicht gezeugt, sondern nur geboren werden.
Daß er geboren wird,
das bedeutet: er ist wirklich und wahrhaftig ein Mensch mit Leib und
Seele, fähig zu lachen und zu weinen, sich zu freuen und zu trauern,
zu leben und zu sterben, in Gott hinein zu sterben.
Daß er nicht gezeugt ist, das bedeutet: er entstammt nicht
dem Willen des Fleisches, das nur sich selber will und nur sich selber
kennt.
Und er stammt nicht aus dem
menschlichen Willen, der sich selber schaffen und aus sich selber etwas
machen will und dabei die sogenannten Sachzwänge schafft, die das
Leben kaputt machen.
Der neue Mensch entstammt dem Willen Gottes und wird den Willen Gottes
tun in allem: er wird heilen und helfen, dienen und leiden.
Nicht bio-logisch geht das, aber theo-logisch. Nicht nach der Logik
des Bios, sondern nach der Logik Gottes.
Und seine Logik ist nicht ein Geist, der nur im Kopf wohnt und kein
Herz hat.
Seine Logik ist der Hl. Geist, der in den Leib will und den ganzen Menschen
durchdringt, damit einer wahrhaft aufgeklärt sei über seine
Herkunft und Zukunft.
Darum heißt es: "Der
Hl. Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten
wird dich überschatten."
"Überschatten" - dieses Wort zeigt noch einmal
die große und zarte und liebevolle Nähe Gottes an.
Wenn Jesus mit den drei Jüngern
auf dem Berg der Verklärung steigt, wird auch er überschattet
werden von einer Wolke,
d.h. er wird hineingenommen in die Gegenwart und Herrlichkeit Gottes.
Wird Maria sich die Annäherung Gottes gefallen lassen?
Nun, Maria, das wissen wir
schon, ist ja die Chamante, die Begnadete.
D.h. Gott hat sich dieses Gefäß schon bereitet, in das er
seinen Geist ausgießen will. Ein jungfräuliches, ein reines
Gefäß ist diese Maria.
Heißt das, daß sie noch unberührt war? Ich weiß
es nicht. Jedenfalls geht es hier nicht, zumindest nicht notwendig um
die körperliche Unberührtheit.
Es geht um ein jungfräuliches, um ein reines Herz.
(Die Dirne Sonja in Dostojewskijs Roman "Schuld und Sühne"
ist auch so ein geistlich reines Geschöpf).
Rein ist dieses Geschöpf, dieses Gefäß, d.h. frei von
Eigensucht und Eigensinn. Weder sucht Maria, sich selber zu verwirklichen,
selber etwas aus sich zu machen,
noch meint sie, den Sinn ihres Lebens selber machen zu müssen.
Und weil sie selber nichts aus sich macht, kann nun Gott etwas aus ihr
machen.
Weil sie selber rein ist, d.h. ein leeres Gefäß, bereit zu
empfangen, deshalb kann Gott es füllen, kann es mit neuem Leben,
mit dem Leben seines Geistes füllen.
Und so ist es nun wirklich kein Wunder mehr, daß die Begnadete
zum Boten Gottes spricht: "Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir
geschehe, wie du gesagt hast."
Magd ist sie, d.h. sie dient Gott und so dem Leben. So, wie der Sohn,
der aus ihr geboren wird, Knecht Gottes sein wird, der von sich sagt:
"Der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen
lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe zum Lösegeld
für die vielen."
Im Grunde, liebe Gemeinde,
gibt es nur zwei Weisen des Seins: das Herrschen und das Dienen.
Das heidnische Ideal ist der Herrscher.
Das biblische Ideal ist der Dienende.
Im Heidentum werden Helden gezeugt, die das Leben und die Welt erobern.
Aber Helden, das wissen wir, Helden geben solange keine Ruhe, bis alles
in Schutt und Asche liegt, und der Held selber auf dem Heldenfriedhof.
Das ganze nennt man dann eine Tragödie, ein Trauerspiel, was es
ja auch ist.
In der Bibel, da ist der
neue, der ideale Mensch der Dienende, der Knecht Gottes, der das Leben
gewinnt, indem er dem Leben dient.
Und dieser wird nicht gezeugt, sondern nur geboren vom jungfräulichen
Menschen, der sich Gott ganz hingibt, indem er spricht: "Mir
geschehe, wie du gesagt hast."
Und dieses Drama nennt man dann das Evangelium, die Frohe Botschaft.
Des Dramas Hauptfiguren sind keine Helden, sondern Mägde und Knechte
Gottes.
Und das sind die freiesten Mensche, wie es unser Reformator Martin
Luther in seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen"
bestens erkannt und formuliert hat:
Ein Christenmensch, so sagt er, ist frei in allen Dingen und gebunden
allein durch die Liebe.
Ein Christenmensch hat teil an der königlichen Freiheit des Erstgeborenen
Gottes, der es nicht für ein gefundenes Fressen hielt, zu sein
wie Gott, sondern sich entäußerte und Knechtsgestalt annahm.
Ein Christenmensch hat zweierlei Naturen, eine bio-logische und eine
theo-logische, die Natur Adams und die Natur Christi. Und jene muß
abnehmen und vergehen, die Natur Christi aber muß wachsen........................
Nun also, liebe Gemeinde,
sind wir selber mitten drin in diesem Drama des Heils, in dieser neuen
Zeit, in der nicht mehr gezeugt, sondern nur noch geboren wird, von
neuem geboren:
eine zweite Natur, die frei ist von einer verkopften Logik, einer Bio-logik,
die in Sachzwänge führt, aus denen es kein Entkommen gibt.
Als Getaufte sind wir zur Freiheit befreit - wie der Apostel Paulus
sagt, befreit um zu dienen: Gott und damit dem Leben.
"Aus all dem folgt", schreibt Luther am Ende seiner Schrift:
"daß ein Christenmensch nicht in sich selber lebt, sondern
in Christus und seinem Nächsten: in Christus durch den Glauben,
im Nächsten durch die Liebe.
Durch den Glauben fährt er aufwärts zu Gott, von Gott fährt
er wieder abwärts durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott
und der göttlichen Liebe."
Und das alles, weil am Anfang
der neuen Zeit eine junge Frau auf Gottes Anruf Antwort gab: "Siehe,
ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast."
Dank sei Gott. Amen
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