Predigten

 
 

Kritik und Kirche

Homiletische Variationen über Mt 3,13-17 und Apg 10,34-38 und Jes 42,1-7
am Fest der Taufe des Herrn
- 8./9.1.2005 in St. Michael


Liebe Schwestern und Brüder!
Einhellig stellen alle vier im Kanon der Heiligen Schriften enthaltenen Evangelien die Taufe Jesu im Jordan durch Johannes an den Beginn ihrer Darstellung des erwachsenen Jesus. Bevor Jesus aktiv wird für Gott - im Sinne einer Sendung, die er in sich spürt - unterwirft er sich einem Ritual, das so etwas wie die Grundlage für alles Kommende darstellen soll. Wie viele andere Menschen seiner Zeit bekundet er durch die Zeichenhandlung der Taufe, daß er sich dem Willen Gottes unterwerfen will, daß er sein Leben in Gottes Hand gibt, und an seinem Plan sein Denken, Fühlen, Handeln ausrichten will. Mt und seine Kollegen beschreiben dabei Jesus als einen unter anderen. Sie betonen zunächst nicht seine heraus gehobene Stellung, seine Einmaligkeit, sondern legen das Gewicht auf die Mensch-Werdung: Gott geboren als Kind im Stall, ein Armer unter Armen - weswegen dieser Text so gut in die weihnachtliche Linie paßt.

Der Auftakt zum öffentlichen Auftreten Jesu verläuft zunächst also völlig normal. Und das ist eben keineswegs nebensächlich: daß Jesus nicht als "göttliche Goldkugel" vom Himmel gefallen ist, vielmehr sich einbindet in die Gepflogenheiten und Traditionen seiner Umgebung. So gestalten die Evangelisten die Ouvertüre für das sich anschließende Opus magnum. Was Jesus verkündet, wie er von Gott redet, wie er lebt und was ihm wichtig ist, steht nicht im luftleeren Raum göttlicher Unmittelbarkeit, sondern es gründet in dem was seine Zeitgenossen kennen, was sie wissen. Der Anspruch, den Jesus äußern wird, hat eine Vorgeschichte. Und die berücksichtigen die Evangelisten, damit die Menschen überhaupt verstehen und annehmen können, was Gott von ihnen verlangt, was er mit ihnen an ungeahnten Entwicklungen vorhat.

Schließlich folgt der zweite Schritt bei der Taufe ja unmittelbar auf dem Fuß. Und dabei wird aus der unscheinbaren Normalität mit einem Mal ein spektakuläres Ereignis, das sich im geöffneten Himmel, in der Taube für die unmittelbare Erfahrbarkeit des Heiligen Geistes und in der Stimme Gottes manifestiert. Jesus ist Mensch; und seine Gebundenheit an Raum und Zeit, sein Umgang mit Geschichte und religiöser Erfahrung werden ihn für die Menschen akzeptabel erscheinen lassen. Aber zugleich ist er Gott, der sich all dem entzieht und uns Erdenbürger mit der Unmittelbarkeit des Ewigen, des eindeutig Wahren konfrontiert.

Nicht in jedem Fall werden die Denk-Wege Jesu mit den religiösen Traditionen, mit den bloß menschlichen Vorstellungen vereinbar sein. Nein, im Gegenteil, die Kollisionen mit menschlicher Macht und selbst geschaffener Autorität Einzelner sind geradezu vorprogrammiert; sie zeigen sich wie ein durchgängiger Faden in der Lebenslinie des Gottessohnes. Aber zunächst knüpft er am Altbekannten an. Und erst darauf folgen seine Kritik, sein Veränderungswille!

Ein bißchen, liebe Schwestern und Brüder, liest sich deshalb dieses Evangelium für mich wie ein Lehrstück über die Kritik in der Kirche, oder besser gesagt: über das rechte Kritisieren. Sie alle wissen genauso gut wie ich, daß es bedauernswerte Mißstände in der Kirche Gottes immer gab und auch heute gibt. Es ist geradezu eine Form des gesunden Innen-Verhältnisses, daß wir als Getaufte nicht alles für sakrosankt nehmen, was oft allzu menschliche Züge aufweist. Aber die erste Erkenntnis der Taufe Jesu, die ich benennen will, ist eben die: Wir können ohne die Kirche nicht glauben. Wir brauchen die menschlichen Strukturen, brauchen Rahmen und Ordnung und Grenzen, brauchen Formen, um uns zu verständigen, um zu existieren. Gott spricht nicht direkt zu uns: "Du bist meine geliebte Tochter!" Er sagt es uns durch die Kirche, diese armselige Dienerin seines Wortes. Aber nur durch sie bekommen wir es für unsere Ohren zu hören. Bei unserer Taufe hat dies - hoffentlich - der Priester uns und unseren Eltern und Paten zu Gehör gebracht, oder es wenigstens spüren lassen, in der zärtlichen Berührung bei der Handauflegung, im Wohlgeruch der Chrisam-Salbung, im wunderbaren Licht Gottes, für das die brennende Taufkerze steht. Und genau darin zeigen sich das wahre Wesen und der ganz ursprüngliche Auftrag des Menschen, der sich für Gott und seine Sache einspannen läßt: Die Kirche dient der Gerechtigkeit, die Gott aufblühen lassen will inmitten dieser Welt.

Davon spricht die Prophetie des Jesaja, wenn er seinem menschlichen Gottesknecht eben diesen Auftrag zuweist: den Völkern das Recht zu bringen, das geknickte Rohr nicht zu zerbrechen, den (noch) glimmenden Docht nicht auszulöschen, Licht für die Völker zu sein, blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen. Es ist ein leichtes, die hinter den Prophetenbildern stehende Wahrheit aktuell zu machen in die Pflichten der Kirche heute hinein:

- Einsatz für die soziale Gerechtigkeit àweltweit/global, in unserer Gesellschaft, hier in der Gemeinde, im Zusammenleben der Familie

- wo Schwäche sich zeigt, stützende Systeme zu errichten; z.B. Schulen, Arbeitsmarkt

- mit gutem Beispiel voran zu gehen - im Blick auf den Sinn des Lebens, für den wir einstehen, weil Jesus Christus ihn uns schon geschenkt hat, uns deshalb nichts mehr geschehen kann.

- auch mutig und eindeutig Position zu beziehen, wo es darauf ankommt, wo Politiker, Vorgesetzte in sich selber verstrickt (=blind/gefangen) sind.

Und abstrakter, aber eben direkt auf Jesus Christus bezogen, meint dies auch die Variation der Apg zu diesem Thema, wenn sie die Gottesfurcht und das rechte Handeln betont, unabhängig von äußeren Faktoren wie Herkunft, Ansehen der Person, gesellschaftlicher Stellung. Dies ist die Sendung der Kirche. Dafür gibt es sie. Insofern ist sie eine Stiftung Jesu. Und nur so hat sie ihre Existenzberechtigung. Aber sie hat sie! Sich damit zu identifizieren, liebe Schwestern und Brüder, das ist für mich wahre und zeitgemäße Kirchlichkeit; nichts Konservatives, nichts Blindes, sondern wache und wirksame Zeitgenossenschaft des Christentums unter den Bedingungen der Menschlichkeit.

Und darauf kann und muß alle Kritik aufbauen. Sie muß die Verhältnisse des Menschen respektieren, mit ihnen und in ihnen leben und gleichzeitig über sie hinaus denken. Ich möchte dies denen ins Stammbuch schreiben, die gerne und mit großen Worten die Kirche für obsolet erklären, in ihr nur einen Klotz am Bein Gottes erkennen, dabei jedoch ihre eigene Schwäche und Bedürftigkeit allzu leicht übersehen. Blinde Kritik an der Amtskirche bringt nicht weiter. Das Nörgeln am Papst und an den Gesetzen der Kirche an sich verkennt, daß wir Menschen nun mal nicht im luftleeren Raum existieren. Zum anderen will ich aber auch den blinden Gehorsam der Kirchentreue in Frage stellen, weil Jesus diesen eben gerade nicht praktiziert hat und die Ouvertüre seiner Taufe sie nicht nahe legt. Gegen alle Oberflächlichkeit, gegen jede menschliche Verabsolutierung hat er Gottes stets größeren Sinn der Gerechtigkeit und der Liebe gesetzt.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, viele konkrete Verhältnisse in unserer Kirche lassen sich in Frage stellen; ihre Gestalt entspricht in vielem nicht der Botschaft Jesu. Nicht immer ist ihr die Freude an Gott ins Gesicht geschrieben. Zu wenig tritt sie für die Gerechtigkeit ein, zu oft sichert sie zuerst den eigenen Bestand. Das göttliche Gesetz der Liebe, an dem wir alle einmal gemessen werden, ist manches Mal nicht ihr letzter und entscheidender Maßstab. Dies zu kritisieren und sie trotzdem zu lieben und alle Glieder am Leib der Kirche mit ihr zu lieben, davon kündet das Lehrstück von der Taufe Jesu.
Amen.