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Predigt in der Eberhardsgemeinde am 6. Januar 2005 (Epiphanias): Johannes 1,15-18

"Johannes gibt Zeugnis vom eingeborenen Sohn des Vaters und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade:
Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden:
Niemand hat Gott je gesehen; der Erstgeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt."

Liebe Gemeinde!

Niemand hat Gott je gesehen.
Auch Mose nicht, der ihm doch so nahe kommen durfte, damals in der Steppe, als er seinen Namen erfuhr aus dem brennenden Dornbusch heraus,
der 40 Tage und Nächte auf dem Sinai wohnte mitten in der Wolke, dem Bild für Gottes Gegenwart. Mit dem Gott redete "von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet" (Ex 33,11).

Aber als er ihn sehen will, "seine Herrlichkeit" erkennen, da warnt ihn Gott: "Kein Mensch wird leben, der mich sieht`, und zieht an ihm vorüber. Hinterhersehen darf Mose, mehr nicht.

Unsere Augen ertragen wohl nicht den Glanz, der von Gott ausgeht, zu überwältigend sind seine Macht und seine Herrlichkeit, als daß sie mit unserem Verstand und unseren Sinnen faßbar wären.

Und doch ist der Mensch vermutlich seit jener Entzündung des Geistes, seit dem Erwachen seines Bewußtseins dabei, sich ein Bild von Gott zu machen.
In der Frühzeit waren es einfache Schnitzbilder. Bei den Griechen die Götterstatuen, in denen das Heilige gebannt und das Unsichtbare sichtbar werden sollte.
Und bei den Philosophen wurde das Göttliche in Begriffe und Systeme gegossen.
Der Mensch durch die Geschichte hindurch auf der Jagd nach Gott. Bis dann einer kam, der Philosoph Friedrich Nietzsche, der die Diagnose stellte:
"Gott ist tot. Wir haben ihn getötet."

Ja, dieser Gott der Statuen und Denkbilder ist tot. Er hat noch nie gelebt, es sei denn in den Vorstellungen der Menschen.

Niemand hat Gott je gesehen. Niemand kann sich Gott ausdenken.
Das ist für uns Menschen einerseits schwer erträglich und andererseits ist es gut so, - denn einen sichtbaren und denkbaren Gott kann man abschaffen, verneinen, leugnen, sein Angesicht zerstören, wie ja zu sehen ist an dem vielen, was durch uns zerstört und verneint wird.

Aber es ist auch schwer erträglich, von Gott nichts zu sehen.
Dietrich Bonhoeffer schrieb im Jahr 1933 an einen Freund:

"Die Unsichtbarkeit Gottes macht uns noch kaputt. Dies wahnwitzige Zurückgeworfenwerden auf den unsichtbaren Gott selbst - das kann doch kein Mensch mehr aushalten."

Das sagt allerdings einer, der sein ganzes_ Denken, sein Reden und Schreiben der Frage nach Gott gewidmet hat: nach Gott und damit zugleich nach dem Menschen. Denn die Gottesfrage ist ja immer auch eine Frage nach dem Menschen, der sich zu Gott verhält - entweder verehrend oder verneinend, mit größter Erwartung oder mit großer Gleichgültigkeit. So oder so sind wir immer auf Gott bezogen.

Die Sehnsucht aber, Gott zu schauen ist getrieben vom Durst nach Heilsgewißheit.

Wenn Mose Gott schauen will, dann deshalb, weil er Gewißheit haben will, daß Gott auch seinem halsstarrigen Volk noch die Treue hält. ER ringt geradezu mit Gott, daß sich seine Herrlichkeit als der Glanz seiner Gnade und Barmherzigkeit erweise.

Wenn Bonhoeffer unter der Unsichtbarkeit Gottes leidet, dann deshalb, weil er sich sozusagen ein sichtbares Unterpfand ersehnt dafür, daß Gott diese gottlose Welt nicht einfach sich selber überläßt; daß es also eine gewisse, eine begründete Hoffnung gibt für die Schöpfung und die Menschenkinder. Daß es angesichts des Unrechtes und der Untaten in dieser Welt eine letzte Gerechtigkeit gibt.

Und daß sich Gott auch angesichts solch verheerender Katastrophen, wie die in den vergangen Tagen geschehene -
daß Gott sich auch darin als der erweisen möge, dem seine Schöpfung nicht gleichgültig ist und nicht aus seiner Hand gleitet.

Es ist ja wahr, was Bischof Huber, der EKD-Vorsitzende, neulich dazu sagte:
Diese Flutkatastrophe stellt nicht Gottes Allmacht in Frage, sondern die Allmachtsphantasien der Menschen, die vergessen haben, daß sie bei allem wissenschaftlichen Fortschritt und technischem Verständnis die Natur nicht beherrschen können.

Und doch bleibt die Frage: Wo ist Gott, wenn die Erde aufbricht und bebt und die Menschen wie Würmer, Mücken und Krabben dem blinden Walten der wilden Gewalten ausgeliefert sind und zu Zigtausenden von den Wellen des Meeres begraben werden?

Hat Gott mit der Natur nichts zu tun? Ist er nur der Uhrmacher-Gott, der die Welt konstruiert und dann sich selber überlassen hat?
Das widerspricht allem, was in der Bibel zu lesen ist. "Kein Spatz fällt vom Himmel ohne den Willen eures Vaters im Himmel", sagt Jesus. "Und seid ihr nicht viel mehr wert als viele Spatzen?"
So steht es da. Am liebsten würden es die Theologen überlesen oder zumindest weginterpretieren. Als ob es nicht ganz so wörtlich gemeint wäre.

Aber noch viele ähnliche Worte sind aus Jesu Mund überliefert. Nein, wenn Gott Gott ist, wenn er der Schöpfer der Welt ist, dann ist er nicht einfach aus allem rauszuhalten, wenn's für seine Theologen unangenehm wird.

Der katholische Alttestamentler Fridolin Stier, zeit seines Lebens ein Fragender und mit Gott Ringender, schreibt am 16. November 1973 in sein Tagebuch, wo er die vielen Katastrophen in der Menschheitsgeschichte bedenkt, z.B. den Ausbruch des Mont Pelé auf Martinique am 9. Mai 1902:

"Kommen Sie, meine Herren, (es sind die Herren Theologen gemeint), Kommen Sie, setzen Sie sich an den Rand des noch rauchenden Massengrabes, halten Sie den Mund zu, die innersten Sinne offen,
die durch keine Argumente gepanzerten oder blockierten Sinne des Geistes, des Denkens, des Fühlens, wenn ihr dessen noch fähig seid,
geöffnet zur Wahrnahme des Grauens, eines grandiosen Grauens, einer Ekstase sinnloser Zerstörungswut -
steigt euch der Schauder nicht den Rücken herauf, jener besondere Schauder der Epiphanie (der Gotteserscheinung)? Nein? Furchtbar! sagt ihr, und bedauert die ,Opfer', aber der epiphanische Schauder fällt euch nicht an, ich verstehe:
Es ist ja nur die Natur, die thumbe und blöde Natur, die die Spatzen vom Dach fallen läßt und die 30 000 Mehrwertigen, die Menschen von Saint Pierre vergast und verglüht!
Vergeßt nicht, der Naturwissenschaft zu danken dafür, daß sie euch und eurem Gott die kompromittierenden Fragen und Klagen erspart, die, aus der Tiefe des Seins in die Wirklichkeit GOTTES geschrien, im Abgrund GOTTES verhallen."

Ja, liebe Gemeinde, die Naturwissenschaft stößt an eine Grenze. Viele wissen deshalb nur von Zufall, Schicksal oder einfach von Pech zu reden. Aber in der Bibel, da schreit der Mensch angesichts der Katastrophen zum Himmel. Er protestiert. Er klagt zu Gott und klagt Gott an: Du bist es doch, der die Welt geschaffen und uns ins Leben gerufen hat!
Die Wissenschaft hat Gott methodisch aus ihrem Geschäft ausgeklammert. Deshalb kann ER ja auch in ihren Erkenntnissen nicht mehr vorkommen.
Die Wissenschaft bleibt sozusagen an der Oberfläche. Sie geht den Rätseln der Natur und des Kosmos nach. Doch die Größten dieser Zunft lernen bei ihrem Forschen angesichts der Grenze die Demut.
Denn an der Grenze ihrer Erkenntnisse stoßen sie auf das Geheimnis des Ganzen. Also auf jene Tiefe, wo die Wurzel, wo die Quelle allen Seins und Sinnes ist.
"Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott" - so der Physiker Werner Heisenberg.

Niemand hat Gott je gesehen, heißt es in unserem Text. Die kleinen Geister sagen: Nun ja, wenn nichts zu sehen und zu messen ist, dann interessiert es uns auch nicht.

Aber der Psalmist weiß: "Wenn du, Gott, dein Angesicht verbirgst, so erschrecken sie und werden wieder zu Staub."
Wenn Gott sein schöpferisches Wort zurückzieht, droht die von ihm bestimmte Wirklichkeit zu zerbrechen.
Dann stirbt sie am Gesetz ihrer ihr innewohnenden Ordnung, das nur Ursache und Wirkung kennt.
Wo ist also Gott, wenn die Erde bebt und das Meer wütet und Zehntausenden zum Grab wird?

Liebe Gemeinde,
ich weiß es nicht. Vielleicht ist diese Schöpfung noch nicht fertig, noch nicht so, daß Gott sie ansehen könnte und sagen: "Siehe, alles ist sehr gut!"

Vielleicht ist dieses Wort, von Gott gesprochen am Ende der Schöpfungsgeschichte, ein Wort auf die Zukunft, wenn Gott alles in allem sein wird.
Vieles ist noch nicht gut. Auch und gerade wir Menschen. "Wir wissen", so schreibt Paulus in seinem Brief an die Römer, "wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet".

Die Schöpfung liegt offensichtlich noch in den Wehen. Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Aber, so Paulus, "ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll."

Liebe Gemeinde,
ich bin überzeugt, daß alles Nachdenken und Reden von Gott und dem Menschen letztlich ohne Sinn wäre, wenn hinter allem nur der blinde Zufall stünde, an den ich ja auch glauben müßte. Zu beweisen gibt es da gar nichts.

Oder mit Otto von Bismarck geredet: "Wenn mit diesem Leben alles aus wäre, dann verlohnte es sich nicht, abends die Strümpfe aus und sie morgens wieder anzuziehen."

Ja, niemand hat Gott je gesehen. Und wer sagt, daß er Gott in der Natur am nächsten ist, der möge nun an die Strände in Sumatra oder Sri Lanka reisen. Ob er da Gottes Nähe immer noch empfindet? Ob er sich nicht ein zu harmloses Bild von Gott macht?

Ja, die Natur riecht manchmal buchstäblich nach Gott und der Geruch ist köstlich und wohltuend, - so empfinden wir es z.B., wenn sie im Frühling wieder ihr schönstes Kleid anzieht; aber oft genug ist ihr Geruch auch tödlich, wenn wir auf ihre Blutspur stoßen oder wenn die vier Elemente in Aufruhr sind, wenn Feuer, Wasser, Luft und Erde ihr böses Spielchen treiben.

Ja, die Natur soll einmal insgesamt das Lob Gottes singen. Und manchmal meinen wir, dieses Lob schon zu hören. Aber sie ist noch nicht am Ziel, so wenig wie wir Menschen. Darum kann ich jedenfalls in ihr den Gott allen Trostes nicht finden. Und der Gott in der Natur läßt mich für die Welt nicht hoffen.
Friedrich Rückert dichtet deshalb:

"Du kannst mich auch nicht trösten,
Natur, wie ich geglaubt.
Dir ist von Glut und Frösten
selbst aller Trost geraubt.
Ich muß an andrer Quelle
erst schöpfen andres Heil,
eh mir in deiner Zelle
wird wieder Ruh' zuteil."

Niemand hat Gott je gesehen. Das ist wahr. Denn wir sündigen Menschen können den Glanz und die Schwere Gottes nicht ertragen.

Und wenn Sie, liebe Gemeinde, angesichts der Katastrophe und der großen Not der Menschen in den Ländern Südostasiens wieder nach Gott fragen, dann kann ich die Antwort jedenfalls nicht in der Natur finden. Hier ist mir Gott verborgen.

Aber es gibt eine Quelle, von der Johannes sagt, daß wir aus ihrer Fülle genommen haben Gnade um Gnade.

Nur hier, an dieser Stelle, liebe Gemeinde, begegnet mir Gott ganz eindeutig als der, dessen Dasein ein Dasein für uns ist.
In Christus begegnet uns der Gott, der in den Schacht der Geschichte eingestiegen, der gleichsam in unsere natürliche Haut gekrochen ist, um uns ein für allemal zu zeigen:

Ich bin ganz auf eurer Seite. Und nicht auf der Seite eines blinden Schicksals, das scheinbar wahllos Glück und Unglück verteilt und Menschen nach oben schwemmt oder in den Fluten versinken läßt.

Und wenn kein Spatz ohne meinen Willen vom Dach fällt, so seid gewiß, daß ihr, die ich euch zu meinen Ebenbildern geschaffen habe, zu Geschöpfen meiner Liebe,
- daß ihr niemals aus meiner schöpferischen Hand fallen könnt, auch nicht im Tod. Nichts, was ich geschaffen habe, werde ich preisgeben.

Ja, in der Welt habt ihr Angst. Denn noch ist diese Welt nicht an ihrem Ziel. Aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.
"Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt."

Einzig an dieser Quelle, liebe Gemeinde, sprudelt für mich jedenfalls das reine Wasser der Gotteserkenntnis.

Das ist allerdings keine Aussage über die christliche Religion oder über die Kirche:
als ob sozusagen wir diese Quelle gepachtet hätten.
Oft genug ist diese Quelle im Laufe der Kirchengeschichte zu einem stinkenden Tümpel geworden.

Nicht die christliche Religion und nicht die Kirche ist die Quelle, sondern Christus, der Eingeborene, das Herzblut des Vaters, die Liebe selber, die für einen geschichtlichen Augenblick sich in die Nacht der Welt hineinbegeben hat, um uns Menschenkindern zu zeigen:
daß das Gesicht des göttlichen Urgrundes kein Gorgonengesicht ist, kein Ungeheuer, das alles wieder verschlingt,
sondern reine Liebe, die so mächtig ist und so groß, daß sie um unseretwillen sich finden und anschauen läßt in einem nackten, ohnmächtigen, nur in Windeln gewickelten Kind in einer Futterkrippe.

Hier ist Gott nun zu sehen. Verhüllt und verborgen in menschlicher, verletzlicher Haut. Er allein trägt und erträgt den Glanz und die Schwere Gottes und trägt sie bis ans Kreuz und ins Grab. Und als er sein Haupt neigte und verschied, da heißt es im Evangelium:

"Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf.. "
Will heißen: Die in Wehen liegende blinde Natur spürt mehr als die Menschen, für die der Sohn bittet: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Dieser Sohn, der für uns beim Vater bittet, ist nun der helle Stern, der uns auch in den Nächten der Welt und im Grauen der Natur und der Geschichte den Weg weist -
und dieser Weg führt am Ende nicht in einen dunklen Abgrund, sondern in das Haus des Vaters - und das ist ein Haus aus lauter Licht.
Dank sei Gott. Amen



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