Predigten
|
Predigt in der Eberhardsgemeinde am 6. Januar 2005 (Epiphanias): Johannes 1,15-18"Johannes gibt Zeugnis
vom eingeborenen Sohn des Vaters und ruft: Dieser war es, von dem ich
gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er
war eher als ich. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen
Gnade um Gnade: Liebe Gemeinde! Niemand hat Gott je gesehen. Aber als er ihn sehen will,
"seine Herrlichkeit" erkennen, da warnt ihn Gott: "Kein
Mensch wird leben, der mich sieht`, und zieht an ihm vorüber.
Hinterhersehen darf Mose, mehr nicht. Unsere Augen ertragen wohl
nicht den Glanz, der von Gott ausgeht, zu überwältigend sind
seine Macht und seine Herrlichkeit, als daß sie mit unserem Verstand
und unseren Sinnen faßbar wären. Und doch ist der Mensch vermutlich
seit jener Entzündung des Geistes, seit dem Erwachen seines Bewußtseins
dabei, sich ein Bild von Gott zu machen. Ja, dieser Gott der Statuen
und Denkbilder ist tot. Er hat noch nie gelebt, es sei denn in den Vorstellungen
der Menschen. Niemand hat Gott je gesehen.
Niemand kann sich Gott ausdenken. Aber es ist auch schwer erträglich,
von Gott nichts zu sehen. "Die Unsichtbarkeit
Gottes macht uns noch kaputt. Dies wahnwitzige Zurückgeworfenwerden
auf den unsichtbaren Gott selbst - das kann doch kein Mensch mehr aushalten." Das sagt allerdings einer,
der sein ganzes_ Denken, sein Reden und Schreiben der Frage nach Gott
gewidmet hat: nach Gott und damit zugleich nach dem Menschen. Denn die
Gottesfrage ist ja immer auch eine Frage nach dem Menschen, der sich
zu Gott verhält - entweder verehrend oder verneinend, mit größter
Erwartung oder mit großer Gleichgültigkeit. So oder so sind
wir immer auf Gott bezogen. Die Sehnsucht aber, Gott
zu schauen ist getrieben vom Durst nach Heilsgewißheit. Wenn Mose Gott schauen will,
dann deshalb, weil er Gewißheit haben will, daß Gott auch
seinem halsstarrigen Volk noch die Treue hält. ER ringt geradezu
mit Gott, daß sich seine Herrlichkeit als der Glanz seiner Gnade
und Barmherzigkeit erweise. Wenn Bonhoeffer unter der
Unsichtbarkeit Gottes leidet, dann deshalb, weil er sich sozusagen ein
sichtbares Unterpfand ersehnt dafür, daß Gott diese gottlose
Welt nicht einfach sich selber überläßt; daß es
also eine gewisse, eine begründete Hoffnung gibt für die Schöpfung
und die Menschenkinder. Daß es angesichts des Unrechtes und der
Untaten in dieser Welt eine letzte Gerechtigkeit gibt. Und daß sich Gott auch
angesichts solch verheerender Katastrophen, wie die in den vergangen
Tagen geschehene - Es ist ja wahr, was Bischof
Huber, der EKD-Vorsitzende, neulich dazu sagte: Und doch bleibt die Frage:
Wo ist Gott, wenn die Erde aufbricht und bebt und die Menschen wie Würmer,
Mücken und Krabben dem blinden Walten der wilden Gewalten ausgeliefert
sind und zu Zigtausenden von den Wellen des Meeres begraben werden? Hat Gott mit der Natur nichts
zu tun? Ist er nur der Uhrmacher-Gott, der die Welt konstruiert und
dann sich selber überlassen hat? Aber noch viele ähnliche
Worte sind aus Jesu Mund überliefert. Nein, wenn Gott Gott ist,
wenn er der Schöpfer der Welt ist, dann ist er nicht einfach aus
allem rauszuhalten, wenn's für seine Theologen unangenehm wird. Der katholische Alttestamentler
Fridolin Stier, zeit seines Lebens ein Fragender und mit Gott Ringender,
schreibt am 16. November 1973 in sein Tagebuch, wo er die vielen Katastrophen
in der Menschheitsgeschichte bedenkt, z.B. den Ausbruch des Mont Pelé
auf Martinique am 9. Mai 1902: "Kommen Sie, meine Herren,
(es sind die Herren Theologen gemeint), Kommen Sie, setzen Sie sich
an den Rand des noch rauchenden Massengrabes, halten Sie den Mund zu,
die innersten Sinne offen, Ja, liebe Gemeinde, die Naturwissenschaft
stößt an eine Grenze. Viele wissen deshalb nur von Zufall,
Schicksal oder einfach von Pech zu reden. Aber in der Bibel, da schreit
der Mensch angesichts der Katastrophen zum Himmel. Er protestiert. Er
klagt zu Gott und klagt Gott an: Du bist es doch, der die Welt geschaffen
und uns ins Leben gerufen hat! Niemand hat Gott je gesehen,
heißt es in unserem Text. Die kleinen Geister sagen: Nun ja, wenn
nichts zu sehen und zu messen ist, dann interessiert es uns auch nicht. Aber der Psalmist weiß:
"Wenn du, Gott, dein Angesicht verbirgst, so erschrecken sie
und werden wieder zu Staub." Liebe Gemeinde, Vielleicht ist dieses Wort,
von Gott gesprochen am Ende der Schöpfungsgeschichte, ein Wort
auf die Zukunft, wenn Gott alles in allem sein wird. Die Schöpfung liegt
offensichtlich noch in den Wehen. Es ist noch nicht offenbar, was wir
sein werden. Aber, so Paulus, "ich bin überzeugt, daß
dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit,
die an uns offenbart werden soll." Liebe Gemeinde, Oder mit Otto von Bismarck
geredet: "Wenn mit diesem Leben alles aus wäre, dann verlohnte
es sich nicht, abends die Strümpfe aus und sie morgens wieder anzuziehen." Ja, niemand hat Gott je gesehen.
Und wer sagt, daß er Gott in der Natur am nächsten ist, der
möge nun an die Strände in Sumatra oder Sri Lanka reisen.
Ob er da Gottes Nähe immer noch empfindet? Ob er sich nicht ein
zu harmloses Bild von Gott macht? Ja, die Natur riecht manchmal
buchstäblich nach Gott und der Geruch ist köstlich und wohltuend,
- so empfinden wir es z.B., wenn sie im Frühling wieder ihr schönstes
Kleid anzieht; aber oft genug ist ihr Geruch auch tödlich, wenn
wir auf ihre Blutspur stoßen oder wenn die vier Elemente in Aufruhr
sind, wenn Feuer, Wasser, Luft und Erde ihr böses Spielchen treiben. Ja, die Natur soll einmal
insgesamt das Lob Gottes singen. Und manchmal meinen wir, dieses Lob
schon zu hören. Aber sie ist noch nicht am Ziel, so wenig wie wir
Menschen. Darum kann ich jedenfalls in ihr den Gott allen Trostes nicht
finden. Und der Gott in der Natur läßt mich für die
Welt nicht hoffen. "Du kannst mich auch
nicht trösten, Niemand hat Gott je gesehen.
Das ist wahr. Denn wir sündigen Menschen können den Glanz
und die Schwere Gottes nicht ertragen. Und wenn Sie, liebe Gemeinde,
angesichts der Katastrophe und der großen Not der Menschen in
den Ländern Südostasiens wieder nach Gott fragen, dann kann
ich die Antwort jedenfalls nicht in der Natur finden. Hier ist mir Gott
verborgen. Aber es gibt eine Quelle,
von der Johannes sagt, daß wir aus ihrer Fülle genommen haben
Gnade um Gnade. Nur hier, an dieser Stelle,
liebe Gemeinde, begegnet mir Gott ganz eindeutig als der, dessen Dasein
ein Dasein für uns ist. Ich bin ganz auf eurer Seite.
Und nicht auf der Seite eines blinden Schicksals, das scheinbar wahllos
Glück und Unglück verteilt und Menschen nach oben schwemmt
oder in den Fluten versinken läßt. Und wenn kein Spatz ohne
meinen Willen vom Dach fällt, so seid gewiß, daß ihr,
die ich euch zu meinen Ebenbildern geschaffen habe, zu Geschöpfen
meiner Liebe, Ja, in der Welt habt ihr
Angst. Denn noch ist diese Welt nicht an ihrem Ziel. Aber seid
getrost: Ich habe die Welt überwunden. Einzig an dieser Quelle,
liebe Gemeinde, sprudelt für mich jedenfalls das reine Wasser der
Gotteserkenntnis. Das ist allerdings keine
Aussage über die christliche Religion oder über die Kirche: Nicht die christliche Religion
und nicht die Kirche ist die Quelle, sondern Christus, der Eingeborene,
das Herzblut des Vaters, die Liebe selber, die für einen geschichtlichen
Augenblick sich in die Nacht der Welt hineinbegeben hat, um uns Menschenkindern
zu zeigen: Hier ist Gott nun zu sehen.
Verhüllt und verborgen in menschlicher, verletzlicher Haut. Er
allein trägt und erträgt den Glanz und die Schwere Gottes
und trägt sie bis ans Kreuz und ins Grab. Und als er sein Haupt
neigte und verschied, da heißt es im Evangelium: "Und die Erde erbebte,
und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf.. " Dieser Sohn, der für
uns beim Vater bittet, ist nun der helle Stern, der uns auch in den
Nächten der Welt und im Grauen der Natur und der Geschichte den
Weg weist - |
|
|