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Umkehren
zum Glück
Predigt
über Mt 4,12-23
3. Sonntag im Jahreskreis A - 22./23.1.2005 in Tübingen und Bühl
Kehrt um! Denn das Himmelreich
ist angekommen!
Mit diesen Worten, liebe Schwestern und Brüder, stellt sich Jesus
der Öffentlichkeit. Erst im 4. Kapitel des Matthäus-Evangelium
ist das; zuvor wird nur über ihn berichtet, über seine Geburt,
über den Anlauf, den er genommen hat, 40 tage in der Wüste,
um in sich zu gehen, seinem Gott zu begegnen, und so seinen Weg zu finden.
Und dann sagt er das. Wohlüberlegt stelle ich mir diese zwei kleinen
Sätze vor, zig mal ausprobiert, ins Unreine gesprochen, vor dem
eigenen inneren Spiegel, ob sie das auch treffen, was ihm das Wichtigste
ist. Die Ouvertüre muß sitzen.
Häufig haben sich die
Christen gefragt, was denn wohl wäre, wenn Jesus heute mit dieser
Botschaft aufträte, wer ihm, wenn überhaupt, folgte, ob er
Anhänger finden würden, Leute, die sich in Bann schlagen lassen,
von seiner Predigt. Stellen Sie sich einen belebten Platz vor, einen
Supermarkt, den Stern/Dorf-Platz, das Freibad. Womöglich hielten
ihn die meisten auch von uns für einen Spinner, einen Sektenprediger.
Leute, die kluge Parolen von sich geben, haben wir ja gerade genug.
Viel geschwätzt, nichts passiert! Vom Untergang der Welt - "daran
glaub ich sowieso nicht", vom Himmel - "dafür kann ich
mir nichts kaufen."
Doch mit alldem hat Jesus
gar nichts im Sinn. Er will weder den Weltuntergang herbei reden, noch
den Himmel feil bieten. Sein schlichtes Angebot lautet anders, etwa
so: Wer nicht stehen bleibt, nicht auf dem alten Weg weitergeht, wer
umkehrt, sich hinwendet zu mehr Liebe, Gottvertrauen, Gerechtigkeit,
dessen Leben wird himmlisch ist, ja, es ist im selben Augenblick schon
himmlisch, göttlich. Seine Botschaft vertröstet eben nicht
auf später. Es ist eine Predigt für den Augenblick, für
den Moment damals, für den heute. Wer sich von uns bewegt, innerlich
und äußerlich, wer jetzt seine Empfindlichkeiten vergißt,
wer von seinem Ich absieht, wer Gott etwas zutraut, der wird verwandelt
durchs Leben gehen, und glücklich sein.
Voraussetzungen gibt es dafür
offenkundig keine. Jesus sucht nicht die Synagogen zuerst auf, er geht
nicht zu den Gesetzeslehrern, zu den jüdischen Rabbis, zu den Priestern,
nicht zu den politisch Verantwortlichen, zu den Sachwaltern der Bildung,
zur Intelligenz. Es sind ganz einfache Menschen, die er zuerst als Freunde
Gottes anredet und zu seinen Wegbegleitern macht, ohne Doktortitel,
ohne Prominentenstatus. Wahrscheinlich ist er davon ausgegangen, daß
die ihm nicht so viele Umstände bereiten, Bedenken anmelden. Simon,
Andreas, Jakobus, Johannes. Und es scheint so, als sei diese Wahl ebenso
wohl überlegt, wie die zwei Sätzchen, mit denen sich zuerst
ausspricht. Es wird nämlich dabei so etwas wie eine erste Linie
erkenntlich, die dann grundlegend werden wird für die ganzen zwei
Jahre seines öffentlichen Auftretens. Der im Stall Geborene, der
Zimmermannssohn wendet sich an die kleinen Leute, an die breite Schicht,
an die, die hart arbeiten müssen für ihr täglich Brot,
an die die keine Zeit haben, sich mit unnötigen Empfindlichkeiten
abzugeben und mit Grabenkämpfen aufzuhalten, bei denen meist sowieso
nur das eigene Ich und nicht eine gemeinsame Sache in den Blick gerät.
Später wird Jesus diesen Anfang noch provokativ übertreffen;
aber nicht um der Provokation willen, sondern weil er das Interesse
seines himmlischen Vaters unübersehbar machen will: Es sind die
Außenseiter, die Gott gewinnen will. Für sie lohnt sich jede
Anstrengung. Für sie, denn die vielen anderen Wohlsituierten hätten
ja die Chance, aus eigener Kraft einen besseren weg zu gehen - wenn
sie nur wollten. Aber die Seltsamen, die Einsamen, die von der Kirche
Exkommunizierten, die Fallen Gelassenen, die moralisch Verworfenen,
die Penner, die Wiederverheirateten, die Schwulen, die Asylanten
Jesus macht sie zu seinem Bekanntenkreis, wenn er mit ihnen ißt,
trinkt, spricht.
Offenbar haben Andreas und
die anderen drei diese Ouvertüre Jesu nur allzu gut verstanden.
Zumindest sind sie ins Mark getroffen worden und sie lassen das zu.
So unerwartet, wie sie mit einem konfrontiert sind, der etwas ganz und
gar existentielles von ihnen will, ebenso schnell treffen sie ihre Entscheidung.
Im Eilverfahren, so scheint es, werden aus vier Fischern fromme Leute.
Es kommt jetzt drauf an - das müssen sie gespürt haben. Sie
lassen alles stehen und liegen und folgen dem, der Gott mit ihnen in
Verbindung bringt, indem er ihr Leben für wertvoll und wichtig
erklärt, ganz ohne Worte. Und wahrscheinlich war es nicht einmal
die Botschaft Jesu, von der die Männer beeindruckt waren. Gesprochen
hatte Jesus ja nicht viel, und viel Zeit zum Spekulieren, zum Weiterdenken
und Verstehen blieb ihnen ja nicht. Eher dürfen wir annehmen, daß
die Ausstrahlung Jesu ganz tief in sie eindringt.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich erahne an dieser Evangelienszene und an der Atmosphäre, die
manche Episoden aus dem Leben Jesu ausstrahlen, wie mir die Gelassenheit,
die Gewißheit und vor allem die innere Freiheit imponiert, mit
der Jesus auftritt. Alles, was er sagt und tut, wirkt überaus selbstverständlich
und natürlich. Den vielen unnötigen Ballast, den wir mit uns
herum tragen, hat er abgeworfen: unsere Reichtümer und die Besitzstandswahrung,
die Sicherheiten, denen wir mehr vertrauen als Gott, die Gepflogenheiten,
die uns das Leben schwer machen, Rücksichtnahmen auf Wichtigkeiten,
die uns vom Eigentlichen abhalten. In unseren Gemeinden sollten wir
darauf achten, daß wir solchen Ballast abwerfen, und so frei werden,
dem Anruf Jesu nachzufolgen - ebenso selbstverständlich und natürlich,
wie uns seine Worte Sonntag für Sonntag ansprechen. Die Einladung
besteht ja seit jenen Tagen am See von Galiläa, und sie besteht
insbesondere für uns, seine Kirche - auch wenn die Bemühung
Jesu sich wohl eher dort finden lassen will, wo keine so wohlgeordneten
Verhältnisse bestehen.
Der Glaube an den Gott Jesu
Christi wird auf der ganzen Welt täglich weiter gesagt. Und auch
wenn wir uns nicht so schnell entscheiden können wie die ersten
Jünger, auch wenn wir länger brauchen, um umzukehren und unsere
eingefleischten Wege zu überdenken, und sie schließlich zu
ändern, so ist es doch noch nicht zu spät. Heute ist wieder
unsere Chance. Und jeder mag sich in den nun folgenden Augenblicken
der Stille seine persönliche Wegmarke benennen, an der umkehrt
zum Glück mit Gott.
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