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Predigt zum 2. So.i.J.: 1 Kor 1,1-3 - St. Michael und St. Pankratius am 15./16.1.2005


Liebe Gemeinde,

es gibt Städte, denen ein ganz bestimmter Ruf vorauseilt; Städte, die mit bestimmten Klischees verbunden sind, wie z.B. Paris - die Stadt der Liebe; San Francisco - die Stadt der Aussteiger und Hippies, Hamburg mit seiner Reeperbahn, oder mehr in unserer Nähe: Metzingen - die Stadt der Schnäppchenjäger und Tübingen - die Stadt der Dichter und Denker... Egal, was aktuell an solchen Klischees tatsächlich dran sein mag - sie fallen uns oft unwillkürlich ein, wenn wir die Städtenamen hören.

Auch die Stadt Korinth war in der Antike mit einem bestimmten Ruf behaftet - dem Ruf besonderer Lasterhaftigkeit; und auch hier streiten sich die Historiker, ob dem zurecht oder zu unrecht so war. Aber wenn ich die Bedeutung dieser Stadt in der Antike bedenke, kann ich mir gut vorstellen, dass ihr dieser Ruf nicht von ungefähr zukam: Gelegen auf einer Landenge zwischen zwei Meeren, war Korinth mit seinen zwei Häfen eines der größten Wirtschaftszentren der damaligen Zeit; nahezu der gesamte Handel zwischen Europa und dem asiatischen Raum wurde über diese Metropole abgewickelt; darüber hinaus war sie als Sitz des römischen Statthalters der Provinz Achaia auch politisch von Bedeutung.
Deshalb trafen in Korinth Menschen und Kulturen aus den verschiedensten Ländern zusammen - eine Stadt, multikulturell und globalisiert im modernsten Sinne des Worts.

Und inmitten dieses Schmelztiegels gab es auch eine christliche Gemeinde, die Paulus auf seiner Zweiten Missionsreise dort gegründet hatte. Verständlich, dass es die Christen nach der Weiterreise des Paulus in diesem Hexenkessel nicht leicht hatten, in ihrem neu gewonnenen Glauben Stand zu gewinnen; und so ist auch nicht sehr verwunderlich, dass in der Gemeinde schon bald zahlreiche Probleme und Missstände aufkamen, denen Paulus in seinen Briefen entgegentritt. In ihnen hören wir von einander entgegenstehenden Parteien innerhalb der Gemeinde, von Fällen sittlicher Verfehlungen, von unwürdigem Verhalten bei der Feier des Herrenmahls und von Überheblichkeiten untereinander. Nein, die korinthischen Christen waren bestimmt keine Heiligen - jedenfalls nicht gemessen an dem, wie wir diese Redensart gebrauchen.

Und doch bezeichnet Paulus die korinthischen Christen als Heilige: Er schreibt seinen Brief "An die Kirche Gottes, die in Korinth ist - an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige..." - ein Tatbestand, der aufhorchen lässt! Offenbar legt Paulus dem Begriff der Heiligkeit eine andere Bedeutung zugrunde, als es der uns geläufigen Auffassung entspricht. Unsere Vorstellung eines heiligen Menschen stützt sich in der Regel auf den Gedanken eines frommen und vorbildlichen Lebenswandels, auf sittliche Vollkommenheit als Grund für die Heiligkeit. Aber das dürfte bei der Mehrheit der korinthischen Christen genauso an der Wirklichkeit vorbeigegangen sein, wie wenn wir heute hier bei uns in St. Michael / St. Pankratius nach solchen Heiligen suchen wollten.

Wie kommt dann aber Paulus dazu, die korinthischen Christen trotzdem als "Heilige" zu bezeichnen? Er benutzt den Begriff in einer viel grundsätzlicheren, tieferen Bedeutung; sein Verständnis von Heiligkeit knüpft an die Tradition des Alten Testamentes an, in dem Gott der Ursprung und Grund aller Heiligkeit ist. Er allein ist der Heilige, sein Wesen ist Heiligkeit; und dieser heilige Gott hat sich Israel offenbart, es zu seinem Volk auserwählt. "Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will", so haben wir eben in der Lesung bei Jesaja gehört. Durch die Erwählung wird Israel als Volk sein Eigentum, ihm zugehörig, und erhält so Anteil an Gottes Heiligkeit. Nicht eigene Verdienste, nicht eigene Leistungen sind der Grund der Heiligkeit, sondern einzig und allein die Zugehörigkeit zu Gott, dem Heiligen.

Dieses unverdiente Geschenk blieb für Paulus aber nicht nur auf Israel bezogen - es gilt für ihn in einem noch viel umfassenderen Sinn: denn in Jesus Christus hat Gott seine Erwählung auch auf die Heiden ausgedehnt, um sich aus allen Völkern sein heiliges Volk zu sammeln; durch Jesu Leben und Wirken, durch seinen Tod und seine Auferstehung ist für alle Menschen ein neues Leben möglich geworden, das sich uns in der Taufe erschließt. Durch die Taufe sind wir mit hineingenommen in Tod und Auferstehung Jesu Christi, durch die Taufe haben wir Anteil an ihm, durch die Taufe sind wir eine neue Schöpfung - wie Paulus schreibt - und schon jetzt hineingenommen in die ewige Gemeinschaft mit Gott; durch die Taufe sind auch wir erwählt, sein eigen, und haben teil an Seiner Heiligkeit. Somit sind wir alle Heilige, "Geheiligte in Christus Jesus", wie Paulus schreibt. Heiligkeit als Geschenk, als Gabe - jenseits aller menschlichen Verdienste oder Leistungen - das ist die biblische Bedeutung dieses Begriffes, die allen von Gott Erwählten zukommt; ein Geschenk, das dann allerdings auch zur Aufgabe wird, wie Augustinus es für uns Christen formuliert: "Werde, was Du bist"; als Geheiligte sind wir gerufen, unserer Berufung gemäß zu leben. Und genau darin liegt dann auch das Beispielhafte der großen Heiligengestalten, dass es ihnen in besonderer Weise gelungen ist, mit ihrer Lebensgeschichte zu verwirklichen, was ihnen - so wie uns allen - in der Taufe bereits geschenkt worden ist.

Liebe Gemeinde,
Gottes Heilshandeln geht allem menschlichen Tun voraus; das Entscheidende ist schon an uns geschehen, bevor wir uns überhaupt auf den Weg machen können. Für mich ist das eine befreiende Einsicht; sie steht wohltuend quer zu den Gesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft, in der Anerkennung oft nur nach Leistung gewährt wird. Vor Gott sind wir zunächst einmal alle gleich, alle Heilige, beschenkt durch seine Heiligkeit; da gibt es nichts mehr dazu zu verdienen, nichts mehr zusätzlich zu erwerben; da gibt es kein Besser-Als-Andere-Sein-Müssen, keine Konkurrenz, kein Zwang, zu vergleichen; denn das Entscheidende ist schon an uns geschehen - wir können nur noch das in uns Grundgelegte entfalten. Dabei zeigt sich dann, inwiefern wir das Geschenk Gottes in unserem Leben annehmen, inwieweit wir es uns zu eigen machen können; und dies dürfen wir so tun, wie es uns selbst, unserem Wesen, unseren Möglichkeiten und Grenzen entspricht - ohne verkrampftes Leistungsdenken, sondern in der Gewissheit, bereits geliebt und angenommen zu sein. Gott denkt groß von uns - so groß, dass er uns heiligt und damit Anteil an seinem Wesen gibt; er hat uns unwiderruflich mit seiner Gnade beschenkt und er allein weiß, was uns in unserem Glauben und Leben möglich ist.

Liebe Heilige von St. Michael / St. Pankratius, Gottes Heilshandeln geht unserem menschlichen Tun voraus! Welch ein Vertrauensvorsprung der uns da gewährt wird! Was kann da wachsen, was kann alles entstehen, wenn man sich so bedingungslos angenommen weiß?


Fürbitten zum 2. Sonntag im Jahreskreis 15./16.1.2005

Gott, unser Vater, Du hast uns zu einer Gemeinschaft zusammen-gerufen, zu Deinem Volk, dem Du Heiligkeit geschenkt hast. Wir bitten Dich:

Für uns Christen in den verschiedenen Konfessionen: Hilf uns, miteinander das Geschenk Deiner Heiligkeit zu entfalten und auf dem Weg der Annäherung und des gegenseitigen Verstehens fortzuschreiten.


Für unsere Gemeinde: Führe uns immer wieder neu zu einer lebendigen Gemeinschaft zusammen und lass uns als solche von Dir Zeugnis geben.


Für alle, die um ihres Glaubens Willen verfolgt, verspottet und benachteiligt werden: Mache sie stark im Vertrauen auf Deine Gegenwart.


Für die Opfer der Flutkatastrophe: Bewahre sie vor Resignation und gib ihnen die Kraft, die sie brauchen, um nicht nur überleben, sondern wieder neu leben zu können.

Gott, unser Vater: Voll Vertrauen wenden wir uns an Dich: Erhöre unser Gebet und hilf uns, Dein Heil in unserer Welt zu verbreiten. Darum bitten wir Dich durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.


Einführung:


"Gottes Heilshandeln geht unserem menschlichen Tun voraus" - kaum ein anderer theologischer Satz drückt besser den Kern unseres christlichen Glaubens aus. "Gottes Heilshandeln geht unserem menschlichen Tun voraus" - das haben wir vor kurzem an Weihnachten gefeiert, und das kann uns an den kommenden Festen des Kirchenjahres immer wieder neu aufgehen.
Auch die heutigen Lesetexte weisen uns darauf hin - allerdings nicht mehr im Bild der Menschwerdung Gottes, sondern in den Bildern von Erwählung, Taufe und Heiligkeit.
Nachdem wir uns am letzten Sonntag der Taufe zugewandt haben, laden wir Sie heute ein, über den Begriff der Heiligkeit nachzudenken.

   

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