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Predigt zum Fastnachtssonntag 2005, 5./6.2.05


Liebe Gemeinde,

die fünfte Jahreszeit strebt wieder einmal ihrem Höhepunkt zu: Die Schlüssel des Rathauses sind übergeben und die Narren an der Macht. Fast überall gibt es Umzüge, bei denen unzählige Menschen die Straßen säumen; Hexen, Drotzer, Schägge-Mägge, Ahlande und wie sie alle heißen mögen treiben ihr Unwesen - zum Spaß der Zuschauer. Ordnungen werden auf den Kopf gestellt und jede Menge Schabernack getrieben; in Rundfunk und Fernsehen folgt eine Prunksitzung der anderen und die Zeitungen sind voll von Kuriositäten, Hästrägern und lachenden Fasnetsnarren. Das Bedürfnis der Menschen nach fröhlichem Feiern und das Durchbrechen festgefügter Ordnungen hat für viele seinen Reiz: Eine der wenigen Möglichkeiten, den Ernst des Alltags einmal hinter sich zu lassen und das Leben einfach nur zu genießen.
Um so erstaunlicher, daß die Fastnacht von ihren Wurzeln her einen ernsten Hintergrund hat, der in der Theologie des Mittelalters verankert ist; wer sich mit der Geschichte der Fastnacht näher beschäftigt, ist zunächst einmal irritiert über die ursprüngliche Bedeutung des Narren, die auf den ersten Blick mit dem heutigen Faschingstreiben wenig zu tun hat.

Die ältesten Darstellungen von Menschen mit Narrenkappe finden sich in Buchmalereien des 13. Jahrhunderts als Illustrationen zu Psalm 53, wo es heißt: "Die Narren sagen in ihrem Herzen: Es gibt keinen Gott." Narrheit wurde hier - ganz anders als heute - mit der Leugnung Gottes und einem Leben in Gottesferne gleichgesetzt; als Narr galt der, der nicht an Gott glaubte und der sein Leben nicht an Wort Gottes ausrichtete. Diese mittelalterliche Grundidee der Narretei wurde dann ganz anschaulich weiter entfaltet: Alles Gottwidrige, Gottferne zählte dazu, schon bald auch die Sünde und - als deren Ergebnis - der Tod. So finden sich aus dieser Zeit Darstellungen des biblischen Sündenfalls im Narrenschiff: Adam und Eva mit dem Baum der Erkenntnis in einem Boot, das von Narren gesteuert wird; der Sündenfall in einem Schiff, auf dem die Narren das Kommando haben; schon bald galt Eva als Narrenmutter; von ihr gibt es Bilder, wie sie - mit Narrenkappe versehen - ihre Kinder säugt und so Sünde und Narretei weitergibt... Daran schließen sich unzählige Darstellungen an, die sich mit der Folge des Sündenfalls befassen: dem Tod im Narrengewand, als Gerippe mit Narrenkappe, die von zwei großen, herabhängenden Ohren geprägt ist. Ganz folgerichtig sollen dabei die langen Ohren der Narrenkappe an die Ursache jeglicher Gottferne erinnern: an Teufel und Dämonen, die stets mit überdimensionalen Ohren dargestellt wurden - wer die Wasserspeier der Kathedrale Notre Dame in Paris schon einmal gesehen hat, kann es sich vorstellen. Ein Rest dieser negativen, für uns fremden Sichtweise des Narren ist heute noch in dem schwäbischen Begriff "narret" oder "nersch" zu finden: Wenn einer "narret isch", ist er übel gelaunt, jähzornig, im negativen Sinne außer sich.

Vom mittelalterlichen Verständnis der Narrheit als Gottferne, als Ursache von Sünde und Tod erschließt sich dann auch die Bedeutung des Aschenkreuzes, das am Aschermittwoch den Christen auf die Stirn gezeichnet wird: "Bedenke, Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehrst!" Der Tod als Folge von Sünde und Narrheit - daran soll der Christ durch das Aschenkreuz am Ende der Fastnacht und zu Beginn der Fastenzeit anschaulich erinnert werden. Aber auch die furchterregenden Masken der Hexen, Teufel und anderer Gestalten der schwäbisch-alemannischen Fastnacht werden auf diesem Hintergrund verständlich: Der Teufel galt als die Ursache von Sünde und Narretei; und der Fastnachtsnarr zog diese Masken auf, um dahinter seine menschliche Gottebenbildlichkeit zu verbergen, um mit der Maske alles Widergöttliche darzustellen.

Als Gegenbild zum gottgefälligen Menschen wurden dem Narren symbolische Verkleidungselemente zugeordnet:
Besondere Bedeutung haben die Schellen, die bis heute viele Narrengewänder zieren; ihr Ursprung findet sich im Ersten Korintherbrief, wo Paulus schreibt: "Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich wie eine klingende Schelle oder eine lärmende Pauke" (1Kor 13,1). Der Narr als der, der zu wahrer Liebe nicht fähig ist und höchstens sich selber liebt - erkennbar an seinen Schellen. Aber wenn schon nicht die anderen, liebt er doch wenigstens sich selbst. So gilt die hemmungslose Selbstliebe als ein entscheidendes Erkennungszeichen des mittelalterlichen Narren; diese Selbstliebe wurde dargestellt durch die Marotte, ein Holzstab mit geschnitztem Kopf, der dem Narren ähnlich sah; später dann durch den Spiegel in seiner Hand, der ursprünglich nicht der Welt, sondern dem eigenen Gesicht zugewandt war - zum Zeichen der Selbstverliebtheit des Narren, die echter Liebe im Wege steht.

Aber - liebe Gemeinde, Sie fragen sich jetzt vielleicht - was soll dann das ganze Fastnachtstreiben, gerade vor diesem negativen und ernsten Hintergrund? Welchen Sinn hat das ganze mit seiner Darstellung der gottwidrigen Anteile des Lebens ausgerechnet im Christentum? Wie konnte die katholische Kirche - im Unterschied zur evangelischen - das alles nicht nur zulassen, sondern sogar in ihre Glaubensunterweisung mit einbeziehen?

Der Sinn und der Reiz des ganzen Fastnachttreibens lag von Anfang an in der zeitlichen Begrenztheit dieses Spiels, in dem zwei gegensätzliche Welten einander gegenübergestellt und direkt erfahrbar werden sollten.
Wie der Name Fastnacht - die Nacht vor dem Fasten - schon sagt, kann der Sinn der Narretei nur im Zusammenhang mit der sich anschließenden Fastenzeit verstanden werden. Die Fastenzeit gilt dabei als das positive Modell, in dem Umkehr und bewußte Abwendung von allem Gottwidrigen erfolgen soll; in der Fastenzeit soll der Christ sich auf Gott als den Grund seines Lebens besinnen und sein Dasein erneut an ihm ausrichten. Damit er dies nun auch ganz bewußt tun kann, sollte durch die begrenzte Fastnacht davor gewissermaßen die Gegenwelt erlebbar werden, in der die Welt mit ihrer Sünde, Schuld und Vergänglichkeit spielerisch vorgeführt wird. "Man muß die Krankheit erst kennen, bevor man sie heilen kann" - so lautet ein bekanntes Sprichwort.
Durch das Erleben der Fastnacht soll der Christ die Narrheit spielerisch kennenlernen, um sich dann in der Fastenzeit entschieden von ihr ab - und dem Guten zuzuwenden. Gerade hier wird das vergleichende Denken der mittelalterlichen Theologie deutlich: Die Alternative soll hautnah und sinnenhaft erfahren werden, damit danach eine bewußte Entscheidung getroffen werden kann. "Man muß selbst seine Erfahrungen machen..." - so sagen wir noch heute.

Liebe Gemeinde, Fastnacht und Fastenzeit sind zwei gegensätzliche Lebensmodelle, die das alltägliche Neben- und Ineinander von Bösem und Gutem aufbrechen, um dem Menschen eine bewußte Entscheidung zu ermöglichen; zwei Lebensarten, die Vergängliches und Bleibendes, Verderbliches und Förderliches für unser Leben ganz anschaulich nebeneinanderstellen, um dem Christen ein Überdenken seiner Lebensweise zu ermöglichen. Auch wenn im heutigen Fastnachts-treiben nur noch Spuren dieses Ursprungs enthalten sind und auch wenn sich heute kaum einer mehr dieser Wurzeln bewußt ist - diese Grundidee der Fastnacht fasziniert mich. Denn immer wieder wird unser Leben in den verschiedensten Bereichen von gegensätzlichen Polen geprägt: Glück und Leid, Gesundheit und Krankheit, Freude und Trauer, Liebe und Haß, Krieg und Frieden, Gelingen und Scheitern, Hoffnung und Verzweiflung - im Spannungsfeld dieser Pole leben wir unser Leben und werden oft genug dazwischen hin- und hergerissen. Fastnacht und Fastenzeit fragen uns in ihrer handfest erfahrbaren Gegensätzlichkeit an, was uns für unser Leben wichtig ist, wovon wir uns bestimmen lassen und woraufhin wir uns ausrichten wollen. Sie wollen uns die großen und kleinen Narrheiten unseres alltäglichen Lebens deutlich vor Augen führen, um uns danach wieder neu Orientierung zu geben. Welche Kraft lebendiger Verkündigung, in der das Verkündigte sinnenhaft erlebbar ist! Ganzheitlichere Glaubensverkündigung ist auch modernster Pädagogik nicht möglich!

Und gleichzeitig bedeutet Fastnacht für mich auch die Möglichkeit, manche unterdrückte Seiten meines Lebens zu entdecken; in Fastnacht und Fastenzeit kann ich meinen Wünschen und Sehnsüchten in beiden Bereichen neu auf die Spur kommen; im Spiel dieser Gegensätze habe ich die Chance, mich selbst mit meinen Stärken und Schwächen, mit meinen hellen und dunklen Seiten besser kennenzulernen; nur was ich bewußt an mir wahrnehme, dem kann ich mich stellen; nur was ich an mir kenne, an dem kann ich arbeiten, damit leben lernen. Fastnacht und Fastenzeit können mir so zum Anlaß werden, mich Selbst, meinen bisherigen und zukünftigen Lebensweg neu zu überdenken.

In diesem Sinn wünsche ich uns allen närrische Tage und danach eine gute Fastenzeit! Amen.


Einführung:


Auch wenn der christliche Glaube in unserer Gesellschaft an Bedeutung verliert, ist unser gesellschaftliches Leben doch in noch vielen Bereichen vom Christentum geprägt. Ein Beispiel dafür sind die Sonntage, die kirchlichen Feiertage und bestimmte Zeiten im Jahr, die aus dem Christentum stammen. So erstaunlich es für Manche auch klingen mag -Fasnet, Fasching, Karneval, kurz: die "fünfte Jahreszeit" gehört auch dazu. Ihre Entstehung und Bedeutung reichen tief hinein in das Lebensgefühl und das Glaubensverständnis der Christen des späten Mittelalters.
Ich möchte Sie heute am Fastnachtssonntag gedanklich mit auf die Reise nehmen; ich lade Sie ein, die christlichen Wurzeln der Fastnacht wiederzuentdecken, die auch uns heute zum Nachdenken über uns und unsere Welt anregen können.


Fürbitten zum Fastnachtssonntag 2005


Guter Gott, alles hat seine Zeit; Du schenkst uns Zeiten der Freude und Ausgelassenheit, aber auch Zeiten der Besinnung und des Nachdenkens. Wir bitten Dich:

Laß uns erkennen, was für uns und andere auf unserem Lebensweg notwendig ist und hilf uns, es zu tun.


Leite uns durch Deinen Geist, damit wir für unser Leben Entscheidungen treffen, die vor Dir, unseren Mitmenschen und vor uns selbst Bestand haben.


Steh den Menschen bei, die sich nicht nur an Fastnacht hinter Masken verbergen und die nicht zeigen können, wie sie wirklich sind.


Stärke alle, die sich für den Frieden im Zusammenleben von uns Menschen einsetzen und schenke ihrem Bemühen Erfolg.


Gott, unser Vater, Du hast Deinen Sohn in die Welt gesandt, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben. Darauf vertrauen wir und dafür danken wir Dir, heute und alle Tage. Amen.

 

   

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