Predigten
|
Fastenpredigt zur Ausstellung "Ich - Schatten" in St. Michael - Thema: Luxuria - Wollust 2 Sam 11 am 27.2.2005
kaum zu glauben, was alles
in der Bibel steht! Wer von der Bibel nur erbauliche Geschichten erwartet,
wird enttäuscht. Tatsächlich finden wir in ihr die ganze Bandbreite
unseres oft nur allzu menschlichen Lebens wieder, in das hinein Gottes
Geschichte mit uns verwoben ist. Die Erzählung von David und Batseba,
die wir eben gehört haben, hätte jedenfalls das Zeug zum Krimi-Drehbuch
- eine story voller sex and crime. Nicht umsonst hat sie über die
Jahrhunderte hinweg eine Vielzahl von Künstlern und Autoren zu
unzähligen Werken inspiriert! Auch wenn König David
in der modernen Bibelforschung bei aller unbestreitbaren Größe
angesichts seines Taktierens, seiner Bündnispolitik und seines
unbändigen Machtwillens durchaus kritisch gesehen wird - das eben
Gehörte schlägt doch dem Fass den Boden aus: Die entstandene Schwangerschaft verkompliziert nun allerdings die ganze Angelegenheit; der Ehebruch droht, öffentlich nachweisbar und so zum Skandal zu werden - und das konnte auch für einen König in Israel brenzlig werden. Also versucht David, dem rechtmäßigen Ehemann Urija das Kind unterzuschieben: Unter einem fadenscheinigen, scheinheiligen Vorwand lässt er ihn aus dem Krieg heimholen, in der Hoffnung, dass Urija den kurzen Heimaturlaub nützt, um es sich gut gehen zu lassen - und natürlich nach all den Entbehrungen auch mit seiner schönen Frau zu schlafen. Doch David hat nicht mit
der bemerkenswerten Frömmigkeit und Solidarität Urijas gerechnet.
Gläubige Israeliten waren während der nach ihrem Verständnis
heiligen Jahwe-Kriege zur Enthaltsamkeit verpflichtet; und obwohl Urija
kein Israelit, sondern ein Hethiter war, fühlte er sich religiös
und aus Gründen der Solidarität mit seinen kämpfenden
Kameraden gebunden, seinem Haus fernzubleiben; er blieb bei den Soldaten
des Palastes. Auch ein zweiter, wesentlich plumperer Versuch Davids,
ihn mit Alkohol willig zu machen, scheitert an Urijas Tugendhaftigkeit
- ein Aspekt, der im Duktus der Erzählung die Verwerflichkeit des
Handelns Davids nur noch stärker hervorhebt. Erstaunlich ist, wie passiv
bei alledem Batseba geschildert wird; obwohl sie doch eigentlich eine
der Hauptpersonen ist, kommt sie erzählerisch fast nicht vor -
und wenn, dann als Objekt des Handelns Davids; formal entspricht dies
genau dem Inhalt, wie David sie gesehen hat - als zufällig auftauchendes
Lustobjekt zur Befriedigung seines sexuellen Verlangens.
Wenn wir uns dem Thema der
Wollust als einer der 7 Todsünden zuwenden, geht es nicht um Leibfeindlichkeit
und auch nicht um den Versuch einer Abwertung menschlicher Sexualität.
So wie die Erzählung von David und Batseba im Alten Testament steht,
gibt es dort auch eines der schönsten und bekanntesten biblischen
Bücher, das ein Loblied auf die Freuden der erotischen Sinnlichkeit
und auf das Glück erfüllter Sexualität singt: Das Hohelied
der Liebe. Schöner und deutlicher kann eine Religion die Wertschätzung
der körperlichen Liebe und ihre Bedeutung für den Menschen
innerhalb von Gottes Schöpfung nicht ausdrücken. Und auch
wenn das Christentum diesem jüdischen Erbe leider nicht treu geblieben
und über weite Strecken immer wieder sexualfeindlichen Strömungen
erlegen ist, ist heute die Bedeutung erfüllter Sexualität
für das Gelingen menschlichen Lebens auch theologisch unbestritten.
Allerdings birgt gerade dieser
Aspekt auch die Möglichkeit und die Gefahr der Maßlosigkeit:
Während das bloß körperliche Bedürfnis mit seiner
Befriedigung gestillt werden kann, ist dies im Bereich der Phantasie,
der Imagination nicht ohne weiteres der Fall. Das Vergnügen, das
körperliche Befriedigung bereitet, und das gezielte Streben nach
diesem Vergnügen sind nicht identisch. Schnell kann hier der Wunsch
nach Vergnügen höher stehen als das Vergnügen selbst;
schnell kann hier der Wunsch nach Vergnügen sich verselbständigen
- und diese Form der Lust kann nicht mehr so leicht befriedigt werden,
zumal sie in unserer multimedialen Welt auf Schritt und Tritt neu angeheizt
wird....; diese Lust des Wollens, die Lust am Wollen kann so buchstäblich
zur Wolllust und damit zur Sucht werden, die das Denken und Fühlen
eines Menschen besetzt und kaum mehr anderem Raum gewährt. Mutiert
die Lust zur Sucht, dann wird aus berechtigten menschlichen Bedürfnissen
blanker Egoismus; dann werden aus Partnern Lustobjekte; dann verliert
Sexualität ihren für ihr Gelingen notwendigen Beziehungsaspekt
auf den Mitmenschen hin; dann wird aus erfüllender Erotik eiskalter
Sex und aus einer guten Schöpfungswirklichkeit Sünde. Egal, um welche Süchte es geht und gleichgültig, ob es sich bei diesen Süchten um Ersatzbefriedigungen für eine letztlich ganz andere Suche nach sich selbst handelt, oder nicht - ein von Süchten und Lüsten besessener Mensch wird unfähig zu gelebten Beziehungen, geschweige denn zur Liebe; die Welt verengt sich zunehmend auf die eigene Person - der Mitmensch wird als Mensch nicht mehr wahrgenommen; Kontakte zur Außenwelt nehmen immer mehr ab und finden nur noch - wenn überhaupt - aus Berechnung statt. Am Ende dieses Weges steht die innere Isolation; der Süchtige bleibt mit sich allein, verkrümmt in sich selbst und die eigene Egozentrik; und genau das ist - theologisch gesprochen - das Wesen der Sünde. Als "incurvatio in seipsum" bezeichnet Martin Luther den Kern sündigen Verhaltens - als Verkrümmung des Menschen in das eigene Selbst.
Beim Betrachten drängen
sich mir Fragen auf: Was verbirgt sich hinter
dieser Haltung - Gefallenwollen um jeden Preis? Steht diese Figur mit beiden
Beinen auf der Erde? Und: Wie ist das bei mir?
Ihnen allen ein herzliches Willkommen zu unserer Fastenpredigt! "Ich-Schatten" lautet der Titel unserer Ausstellung mit Bildern und Skulpturen, die die Künstlerin Renate Neuffer zu den Schattenseiten menschlicher Existenz gestaltet hat. 7 Bilder und Skulpturen, die die klassischen 7 Todsünden verkörpern - Neigungen, deren Wurzeln wir Menschen als bleibende Versuchung in uns tragen, ob wir es wollen oder nicht, ob es uns bewußt ist oder nicht. "Ich-Schatten"
lautet deshalb auch das Leitthema unserer Predigtreihe, die wir mit
dieser Ausstellung kombiniert haben und mit der wir in dieser Fastenzeit
zur Auseinandersetzung mit der eigenen Person und ihren Schattenseiten
einladen. Auch heute Abend steht eine
der Figuren im Vordergrund der Betrachtung - es ist die Verkörperung
der Wollust. Lust als das, worunter wir uns neigen, unter das wir uns beugen; und Wollust als die Neigung unter unser Wollen... Die Künstlerin, die heute Abend hier ist, und ich - wir laden sie ein, im Betrachten, Wahrnehmen und Hören in sich selbst hineinzuspüren und über die eigene Person, über Lust und Neigungen nachzudenken. |
|
|