Predigten

 

»... aber er wollte nicht auf sie hören.« 
Gewalt an Frauen wahrnehmen und überwinden

Gottesdienst der Frauenkirche
25. Juni 2000, 19 Uhr
in der Kirch am Eck, Tübingen

Lesung: 2. Sam. 13  in verschiedenen Rollen aus verschiedenen Ecken des Raumes (Erzählerin, Amnon, Jonadab, Tamar, Absalom, David)

Verkündigungsteil :
verschiedene Assoziationen / Betroffenheiten / Kontextuelle Anmerkungen:

»... und er wollte nicht auf sie hören.«

Was treibt Amnon zu seiner schrecklichen Tat?

»und Amnon, der Sohn Davids, gewann sie lieb« so heißt es in der Luther-Übersetzung. Ein Mann, der sich vor Liebe verzehrt...-  Kann man da nicht Verständnis haben? Nein, denn ist es Liebe, wenn es weiter heißt:


»Und Amnon grämte sich, so daß er fast krank wurde, um seiner Schwester Tamar willen; denn sie war eine Jungfrau, und es schien Amnon unmöglich zu sein, ihr etwas anzutun.«

Das heißt, wenn es möglich wäre, würde er ihr etwas antun. Und durch den Plan seines Komplizen Jonadab wird es möglich, und er tut es. Es geht Amnon in keinem Augenblick um die Frau, die Person Tamar. Was Amnon treibt ist keine Liebe. Liebe will das Gutes für den geliebten Menschen. Es ist Begehren, Gier. Es ist verharmlosend, wenn Luther übersetzt »und Amnon gewann sie lieb.« Amnon geht vom Recht des Stärkeren aus, sich das zu nehmen, wonach ihm gelüstet. Und so nimmt er sich seine Schwester mit brutaler Gewalt und gegen ihren ausdrücklichen Widerstand. Im Hebräischen heißt es  »und er legte sie (um)«. Gerade er: Als ihr Bruder hätte Amnon Tamar in der damaligen patriarchalen Gesellschaft Schutz bieten müssen. Er aber bringt sie in noch größere Schande, die Schande der Inzucht. Verzweifelt ruft sie: »Nicht doch, mein Bruder, schände mich nicht, denn so tut man nicht in Israel. Tu nicht solche Schandtat!«


Denn so steht es in der Tora, dem Gesetz Israels: »Du sollst mit deine Schwester, die deines Vaters oder deiner Mutter Tochter ist, sie sei in oder außer der Ehe geboren, nicht Umgang haben!« (3.Mose 18,9)


Zu der Grausamkeit der Vergewaltigung kommt die Schande der Inzucht, die Tamar vollends in die Isolation treibt.


Und danach?  Keine Liebe, kein Mitleid, sondern Haß gegen die, die Amnon nun ausgebraucht hat und wegschmeißt wie einen schmutzigen Gegenstand. Wie Abfall wird Tamar aus dem Haus geworfen.


Alle haben sich gegen sie verschworen, alle Männer um sie herum, Amnon, Jonadab, sein Freund, David, ihr Vater, und selbst Absalom, der Bruder, der sie trösten will: »Meine Schwester, schweig still, es ist dein Bruder! Nimm dir die Sache nicht so zu Herzen!«  Tamar ist mutterseelen allein.


Warum erzählt die Bibel diese traurige Geschichte? Im Gegensatz zu der Tradition unserer Kirche verschweigt die Bibel das Unrecht sexuellen Mißbrauchs nicht. Sie redet nicht nur allgemein vom menschlichen Leid, sondern schildert einfühlsam das Leid vieler Frauen, die eine Vergewaltigung erlitten haben. Ein Leid, das Körper und Seele zerreißt. Die Erzählung verzichtet auf jede anzügliche Anspielung, wie wir sie aus heutiger Zeit kennen, nach dem Motto: »Na ja, irgendwie wird sie es ja herausgefordert haben durch ihre Kleidung, ihre Blicke etc..« Mit großer Sorgfalt wird das abwehrende Bitten Tamars wiedergegeben, die an das brüderliche Herz Amnons appelliert. Die Ungeheurlichkeit von Amnons Tat wird dadurch noch unterstrichen


Die Bibel gibt uns Worte und Formen, den Schmerz und die Wut über das erfahrene Unrecht herauszuschreien, wie es der Psalm tut.


»Wenn mein Feind mich schmähte, wollte ich es ertragen;

wenn einer, der mich haßt, groß tut wider mich, wollte ich mich vor ihm verbergen.
Aber nun bist du es mein Gefährte, mein Freud und mein Vertrauter, die wir freundlich miteienander waren.«

Die Alttestamentlerin Ulrike Beil hat in ihrer Dissertation nachgewiesen, dass er von einer Frau verfaßt ist, einer Frau in Tamars Situation


Die Kirchen haben die Geschichte Tamars links liegengelassen. Man und frau kennt sie nicht. Sie ist niemals Predigttext und taucht auch sonst nicht auf. Wir möchten mit unserer Erinnerung an Tamar diesem Schweigen entgegentreten, dem Schweigen, das Tamar umgibt und viele Frauen mit ihrem Schicksal. Wir wünschen uns, das niemand mehr allein bleiben muß in ihrem geheimen Schmerz... Amen


Musik

Anleitungen zum Zengarten mit Sand, Steinen etc.

Jede aus der Gottesdientgemeinde kann in den Sand etwas hineinlegen
Musik

Lied: 571.2  »Ubi caritas...«


Fürbittengebet


Gott, die wir auch Ruach nennen,

Dir vertrauen wir unsere Ängste, Sorgen und Nöte an.
Du hörst die Hilferufe bedrängter, mißbrauchter Frauen.

Wir bitten dich, stehe allen, die dich anrufen, bei.

Schenke ihnen Kraft, damit sie mit neuem Mut ihren Lebensweg gehen können.
Darum bitten wir: Kyrie, Kyrie....

Wir bitten dich, zeige Vergewaltigten,

in Körper und Seele zutiefst verletzten Frauen Wege,
mit ihren Erlebenissen umzugehen.
Heile ihre Seelen, ihren Geist und ihre Körper.
Darum bitten wir: Kyrie, Kyrie....

Wir bitten dich: Gib allen verfolgten Frauen,

wie die Kurdin, von deren Schicksal wir gehört haben,
den Mut und die Kraft, gegen ihre Peiniger zu kämpfen.
Darum bitten wir: Kyrie, Kyrie....

Wir bitten dich: Öffne uns die Augen,

daß wir versteckten und subtilen Mißbrauch an Frauen erkennen und benennen.
Gib uns Frauen die Standfestigkeit, Männern die Folgen ihres Verhaltens aufzuzeigen.
Darum bitten wir: Kyrie, Kyrie....

Wir bitten dich: Hilf uns, Verletzungen wahrzunehmen,

die wir anderen unwissentlich zufügen.
Eröffne Frauen und Männern neue Möglichkeiten,
wie sie in gegenseitigem Respekt miteinander umgehen können.
Darum bitten wir: Kyrie, Kyrie....

 

 

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