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1. Fastenpredit
am 13.2.2005 in St. Michael (Thomas Steiger)
· Musikstück
- Tarréga (Niels)
· Begrüßung (St)
· Musikstück - Müller (Niels)
· Einführung in die Ausstellung (Gü)
· Musikstück - de Falla (Niels)
· Dankesworte (St)
Begrüßung
Fastenzeit = Gelegenheit, das persönliche Glauben zu stärken,
neu über Gott nachzudenken, zu verstehen, was Jesus für mein
Leben bedeutet.
Das Glauben ist ein menschlicher Akt, ein Vermögen, mit begrenzten
Mitteln sich dem Unbegrenzten zu nähern, ja. es in der eigenen
Existenz zu entdecken. Alle Sinne des Menschen, jede Gabe muß
dazu recht und billig sein.
Auch die Kunst.
Ich freue mich, daß wir auch in diesem Jahr - wie schon etliche
Male - Gelegenheit haben, uns mit Hilfe von moderner Kunst in dieser
Fastenzeit neu auf Gott auszurichten. Die Skulpturen von Renate Neuffer
laden uns dazu ein.
Ich freue mich sehr, daß die Künstlerin selbst anwesend ist,
daß sie uns ihre 7 Plastiken zu den Hauptsünden des Menschen
als Weg der Vorbereitung auf Ostern zur Verfügung stellt.
Dankbar bin ich auch unserem PR Martin Günter, der ein Schulkamerad
von Frau Neuffer ist, den Kontakt zu ihr hergestellt hat und uns heute
die Einführung geben wird.
Schließlich begrüße ich noch einen weiteren Künstler,
Niels Pfeffer - kennen gelernt - fasziniert gewesen - krank/trotzdem
da!
Dank
Renate Neuffer
Niels Pfeffer (mit Familie)
Martin Günter
Superbia
- Stolz/Hochmut
Orgelvorspiel
Sprech-Motette nach und mit Ps 75
KV = Zu den Überheblichen sage ich: Nicht so vermessen!
Lied GL 261,1-3
Begrüßung
Gebet
Schriftlesung Gen 11,1-9
Lied GL 903,1-4
Predigt in 4-6 Teilen, dazwischen: Orgel-Improvisationen
Lied GL 292,1-5
Gebet und Vaterunser
Magnificat GL 752,1 + 689
Segen und Entlassung
Orgelnachspiel
1. EPISODEN AUS DEM WAHREN LEBEN GEGRIFFEN
Von Peter Tschaikowsky gibt
es eine Oper, die den Namen Eugen Onegin trägt. Protagonist der
Handlung ist ein junger Mann, der die Gunst eines jungen schönen
Mädchens erwerben will, dem dabei jedoch sein eigener Hochmut im
Wege steht. Statt zu lieben, will er gefallen. Anstatt sein Herz zu
öffnen, präsentiert er die Oberflächlichkeit seines Anstands
und seiner Schönheit. Seine Lust zu stolzieren geht so weit, daß
er seinem besten Freund die Geliebte ausspannt, sich schließlich
mit ihm duelliert und ihn tötet. Wenn ich keinen Stolz habe, dann
gibt es keinen Stolz mehr - so das Bühnenbild der Stuttgarter Inszenierung
des gleichnamigen Balletts. Im Angesicht des Todes erst wacht Onegin
aus seiner Blindheit auf, in der er sich eingerichtet hatte, und der
eigene Schatten überwältigt ihn - zu spät.
Die Varianten des Stolzes,
liebe Schwestern und Brüder sind reichhaltig. Und ihre Neigung
unerkannt zu bleiben, sich mit unserem Wesen zu verschmelzen, sie sind
wahrhaftig gefährlich. Blind gehen wir durchs Leben, blind für
die Vereinsamung, die viele ältere Menschen für ihre letzte
Stärke halten, doch immer noch ihres Lebens mächtig zu sein,
alles allein zu können, auf niemanden angewiesen zu sein.
Und was ist mit unserer Bereitschaft zur Versöhnung? Oft genug
kommt es vor, daß wir es hier einander nicht leicht machen. Aber
was nur hindert uns daran? Was hindert Paare, die behaupten sich zu
lieben, bereitwillig nachzugeben? Was macht es schon unter Kindern und
Jugendlichen schier unmöglich, einander zu verzeihen, den ersten
Schritt auf den anderen zuzumachen? Ich weiß es, Du weißt
es, wir alle wissen es - und tun es doch so oft nicht. Wir haben uns
zu Richtern über das Leben der anderen gemacht, haben Gott entthront,
haben die Spielregeln von Geben und Nehmen so festgelegt, daß
wir im Geben nicht frei und im Nehmen zwanghaft sind. Wir sind Teil
der Ich-Fixiertheit, die die Welt des Westens zumindest terrorisiert
und zu zerstören droht. Die Anzeichen sind unübersehbar.
Lassen wir uns darauf ein, diesem Stolz ins Auge zu sehen, ihn gar in
Frage zu stellen? Wollen wir ihn überhaupt überwinden?
Zu den Überheblichen sage ich: Nicht so vermessen. Psalm 75, Vers
6. So hat der Psalmbeter seinen Gott verstanden. In dieser Tradition
steht die Botschaft Jesu. Dies ist der Imperativ, der heute an uns gerichtet
wird.
2. DER
STOLZ UND DAS ICH
Ich will aber, daß
es so gemacht wird, wie ich will.
Ich spreche kein Wort mehr mit dir.
Ich kenne dich nicht.
Ich bin selber groß.
Ich brauche deine Hilfe nicht.
Ich glaube nicht an Gott.
Ich weiß es besser als du.
In der theologischen Tradition
wird der Egoismus als Wurzel der Sünde bezeichnet, als diejenige
Charaktereigenschaft, mit der jedes Versagen, jede Schuld des Menschen
beginnt. Wenn Sie, liebe Schwestern und Brüder, darüber einmal
in einer stillen Stunde dieser Fastenzeit nachdenken, werden Sie bemerken,
daß dies in aller konkreten Treffsicherheit auch für die
eigenen Sünden stimmt. Wo immer ich vom Weg Gottes abirre, wo ich
falsch handle und andere verletzte - immer ist es mein Ich, das mir
im Wege steht; besser gesagt: Mein Nur-Ich! Denn daß ich mich
selber kenne und auch für mich sorge, daß ich mich liebe
und um die eigenen Bedürfnisse weiß, das ist nicht nur verständlich,
sondern es ist richtig und gesund. Aber die Fixierung auf mich selber,
die ausschließliche Orientierung an dem, was ich mir vorgenommen,
was ich für richtig erkannt habe, die macht mich zum Ich-Menschen,
zum Egoisten, zum Sünder.
Die erste Hauptsünde
unter den sieben Lastern kommt dem Egoismus am nächsten, spiegelt
ihn am deutlichsten wider und steht deshalb am Anfang: der Stolz. Die
übrigen sechs sind insofern von ihm abgeleitet, als sich auch in
ihnen der Stolz zeigt und in verschiedenen Spielarten ausprägt.
- Wer stolz ist, der kennt
kein Maß und Ziel.
- Wer stolz ist, braucht
sich nicht anzustrengen, kann sich in Selbstzufriedenheit zurückziehen.
- Wer stolz ist, der neigt
zu ungezügeltem Zorn anderen gegenüber, die ja ohnehin nie
recht haben können.
- Wer stolz ist, kann nur
in Abgrenzung zu anderen überleben.
- Wer stolz ist, beansprucht
alles für sich selbst zuerst.
- Wer stolz ist, erdrückt
andere mit seinen Leistungen und Fähigkeiten, mit seinen Reizen.
Die Ur-Sache aller Sünde
im Auge zu behalten, lohnt sich. Es gibt so viele Gelegenheiten, wo wir
in uns selbst gefangen sind. Viele Male verhindert gerade der unbewußte,
der unmerkliche Stolz das Vorankommen in unseren sozialen Gefügen.
Auch in der Kirche verhindert die Ich-Sucht den entscheidenden Fortschritt
hin zu einer Gemeinschaft, in der das Evangelium, die Botschaft Jesu sich
wirklich durchsetzt (s. u.). Und in Deutschland: Ich wage zu behaupten,
daß wir deshalb seit Jahren nicht voran kommen, daß größere
Gräben zwischen den Bevölkerungsschichten sich auftun, weil
eine kleine Gruppe Einflußreicher und Reicher allzu sehr an sich
selbst denkt und dabei verkennt, wie sehr wir doch alle aufeinander bezogen
und angewiesen sind. Das ist Stolz! Und es ist Sünde, deren Keim
auch wir in unserem Ich tragen. Und diesen Schatten sollten wir kennen,
um für uns und für andere verträglich mit ihm zu leben.
3.
SPIELARTEN DES STOLZES:
HOCHMUT, HOFFAHRT, ARROGANZ, BESSERWISSEREI
- IN FORM EINER BETRACHTUNG DER SKULPTUR
Liebe Schwestern und Brüder,
im nächsten Schritt meiner Überlegungen lade ich Sie ein,
daß wir uns noch etwas weiter in die vielgestaltigen Variationen
des Stolzes hinein denken. Die Skulptur von Renate Neuffer hilft uns
dabei, dies nicht nur abstrakt und theoretisch zu tun, sondern uns buchstäblich
in der Haltung, der Stellung, der Physiognomie, dem Blick, im gesamten
äußeren Habitus der Darstellung unser eigenes Inneres
zu sehen und eben die Schatten nicht auszublenden.
Neuffers Plastik steht aufrecht,
als ob sie einen Stock verschluckt hätte. Steif und unnahbar macht
der Stolz, ein unsichtbarer Schutzschild umgibt den, der sich über
jeden Zweifel erhaben weiß. Solcher Hoch-Mut - und dies
ist ja ein anderes, altertümliches Wort für Stolz - nützt
die Kraft des Menschen zu gefährlichen Zwecken. Der Hochmütige
sieht in den ihm zugeschriebenen Gaben und Fähigkeiten einzig die
Gelegenheit um über andere hinaus zu wachsen, sich selber groß,
andere klein erscheinen zu lassen.
Die Figur erhebt ihren imaginären
Blick über die Köpfe der anderen hinweg. Kein Aug in Aug,
kein Gleichauf, keine Auseinandersetzung Augenhöhe. Auch schafft
der Stolz Distanz zur übrigen Welt und kaschiert womöglich
die eigene Überforderung. Arroganz - und auch dies wäre
ja ein Synonym für Stolz - ist die Haltung dessen, der sich einem
echten Kräftemessen entziehen will, der seine Stellung, seine Intelligenz,
seine Schönheit ausnützt als Waffe, als Instrument der Trennung.
Hier ich im Glaskasten der selbst erschaffenen Wirklichkeit - dort die
übrige Welt, mit der ich mich nicht messen will.
Neuffer hat die Hände
ihrer Figur für den Betrachter nach vorne unsichtbar gemacht. Auf
dem Rücken verschränkt signalisiert der Stolze den Habitus
des "Rühr-mich-nicht-an!" Solche Hoffahrt - das
dritte Wechselwort für Stolz - will mit brachialer Gewalt das Besondere
schaffen, das Einmalige, das Unvergleichliche, und verwechselt bloß
die Singularität mit der Einsamkeit.
An Höhe überragt
der Neuffersche Stolze alle übrigen Figuren. Die Nase spitz und
erhoben bohrt die Skulptur gleichsam ihre Stirn in den Himmel. Stolz
kommt möglicherweise von lateinisch stultus und ist am besten
mit töricht zu übersetzen. Die Gefahren der Grenzüberschreitung
über des Menschen Maß hinaus liegen nicht nur religiös
auf der Hand.
4. ÜBERHEBLICHKEIT
ALS FEIND DES GLAUBENS
"Zwei muntere Knaben,
die Söhne eines Bauern, gingen an einem Kornfeld ihres Vaters entlang.
"Guck dir das an," ruft der eine, "das ist ja ein Unterschied
wie Tag und Nacht: Die einen Halme hängen ja völlig häßlich
und krumm, während die anderen schön stramm und gerade stehen!"
- "Ja, stimmt," ergänzt der andere, "also, wenn
ich unser Vater wäre, ich würde die, die sich so häßlich
neigen, ausreißen und wegwerfen!" - "Ja was glaubt ihr,
wo wir da hinkämen?" belehrt sie der Vater, der ihnen unbemerkt
zugehört hatte. "Wißt ihr nicht, ihr kleinen Superklugen,
daß genau die Ähren, die ihr so unnütz findet, die besten
sind? Sie neigen sich, weil sie schwer und voller Körner sind.
Die anderen dagegen sind nur leeres Stroh! Überhaupt, merkt euch
das: Auch unter Menschen geht es oft so zu wie auf einem Kornfeld. Der
leere Kopf trägt sich immer höher als die übrigen!"
Mindestens in dreifacher
Weise behindert (oder verhindert sogar) Hochmut bzw. falscher Stolz
geistliches Leben:
- Gottes Sicht ist: "Siehe,
wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr in meiner Hand!"
Jer 18,6.
Hochmut aber verhindert, daß wir uns vertrauensvoll in Gottes
Hand begeben, uns gerne unter seine Herrschaft beugen und uns willig
formen lassen - so eben, wie der Ton sich der Hand des Töpfers
ausliefert. Wir sperren und verhärten uns, und es kommt zu Spannungen
und zu Brüchen und Zerbrüchen.
- Gottes Bitte und Ermahnung
ist: "Seid eines Sinnes, habt gleiche Liebe, seid einmütig
und einträchtig. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre
willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich
selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das,
was dem anderen dient." Phil 2,2-4.
Hochmut aber verhindert, daß wir anderen Menschen wirklich nahe
kommen und sie herzlich lieben und aufrichtig achten. Wir pflegen
"Igelbeziehungen", kommen einander nur so nahe, wie unsere
Stacheln reichen.
- Gottes Rat ist: "Niemand
halte mehr von sich, als sich's gebührt zu halten, sondern ein
jeder halte maßvoll von sich, ein jeder, wie Gott das Maß
des Glaubens ausgeteilt hat." Röm 12,3.
Hochmut aber verhindert, daß wir uns selbst angemessen einschätzen
und unsere Möglichkeiten nutzen und unsere Grenzen bejahen können.
Noch einmal, liebe Brüder,
liebe Schwestern: Der Stolz als erste Hauptsünde wägt sich
in fast kindlicher Sicherheit, die Welt zu beherrschen. Er sagt immer
"Ich kann (alles)" und ignoriert alle Grenzen. Er gibt sich
überheblich und sucht sich die Umgebung, die ihm applaudiert. Der
Stolz glaubt sich noch eins mit der Welt und täte ihr nur lauter
Gutes. Daß dies eine Illusion ist, will er nicht wissen. Sein
eigentliches Anliegen ist die Entwicklung der ausschließlichen
Selbstliebe oder das unangefochtene Selbstwertgefühl.
Genau dieser Haltung jedoch
steht der Glaube diametral gegenüber. Glauben bedeutet doch: von
meinem Ich absehen, mich aus der Hand geben an einen Gott, der mich
unverdientermaßen beschenkt und mit seiner Gnade meiner Leistung
zuvorkommt, der jeden Menschen gleich ansieht und liebt und einzig nach
dem Maßstab der Liebe urteilt und richtet. Ich fürchte, daß
ich nur in den Sternstunden meines glaubenden Vertrauens wirklich bereit
bin, mich darauf einzulassen, daß ich aber viele Male ein Ungläubiger
bin und selber machen und schaffen und gewinnen will, anstatt Gott den
Sieg in seiner Welt zu überlassen. Und wenn es Ihnen ähnlich
geht, liebe Schwestern und Brüder, dann erkennen wir uns zusehends
auf dem dritten oder siebten Stockwerks des Babelturms wieder, den die
religiöse Vorsicht unserer jüdisch-christlichen Ahnen hat
in den Himmel wachsen lassen.
Ja, in den Himmel. Nicht
die Richtung ist dabei das Problem; die ließe sich gewiß
rechtfertigen. Aber der Wille, diesen zu erstürmen, ihn zu des
Menschen Plattform zu machen, zum eigenen Territorium, dieser Wille
birgt die Gefahr der Entgrenzung in sich: Ich werde mein eigener Schöpfer,
mein Erlöser. Ich mache mich zum Mittelpunkt meiner Welt, ja der
Welt der anderen. Ich werfe die wahren Verhältnisse über den
Haufen und flüchte mich in eine Illusion der Selbstmächtigkeit,
aus der es nur ein böses Erwachen geben kann.
Für die Reaktion Jesu
auf stolzes Menschendenken sind seine Worte gegen die Schriftgelehrten
und Pharisäer in Mt 23 symptomatisch. Wer um seiner selbst willen
auf dem ersten Platz sitzen will, wer sich über andere erhebt und
Rangfolgen aufstellt, ist Jesus in hohem Maße suspekt. Und um
deutlich zu machen, daß solcher Hochmut für alle Gefahren
in sich birgt, stellt Jesus die angestrebten Verhältnisse viele
Male geradezu auf den Kopf: Die ersten werden die letzten sein, das
verlorene Schaf am meisten geliebt, der Schwache und Arme steht bei
Gott in der höchsten Gunst. Es ist eine veritable Umwertung der
Verhältnisse, die Jesus im Reich Gottes anstrebt. Wer stolz meint
durchs Leben zu kommen muß sich wappnen, denn die im Herzen
voll Hochmut sind, zerstreut Gott. So heißt es wörtlich
im Lobgesang der Maria, dem Magnificat.
Es ist eine enorme Herausforderung seit jeher, sich diese andere Logik
überhaupt vorzustellen, geschweige den, sie sich zu eigen zu machen.
Aber nur wenn wir den Stachel, die Provokation noch spüren, wird
uns auch die Gefahr der Sünde des Stolzes vor Augen stehen, und
wir werden bereit sein, ihr nicht zu erliegen.
5.
VOM UMGANG MIT DEM STOLZ
Zuletzt, liebe Schwestern
und Brüder, sollten wir noch einen realistischen Blick nach vorne
tun, ohne also anzunehmen, wir könnten eine der sieben Hauptfehler
der Menschheit jemals ganz ausrotten oder persönlich völlig
unter Kontrolle bekommen. Wir müssen mit dem Stolz leben, mit seinen
Anfechtungen umgehen.
Wie also ist noch einmal
ein Mensch, wenn er stolz ist? Vielleicht kann man ihn am ehesten mit
einem aufgeblasenen Luftballon vergleichen: Er tut so (und glaubt das
auch), als sei er mehr oder besser als die anderen Leute. Aber jeder
Psychologe wird uns sagen: Solche Typen haben in Wirklichkeit gar keine
echte, stabile Persönlichkeit. Wenn wir stolz sind, dann tun wir
nur so, als seien wir jemand Besonderes, aber tief im Inneren nagen
Minderwertigkeitsgefühle an uns. Natürlich ist uns das meist
gar nicht bewußt, und wir würden uns heftig dagegen wehren,
wenn man uns ins Gesicht sagte, wie wenig Selbstwertgefühl wir
eben dann in uns haben.
Stolze Menschen vertuschen
ihre innere Unsicherheit gern. Und nun bitte ich Sie um genaue Aufmerksamkeit:
Als Stolze überspielen wir unsere eigene Unzulänglichkeit,
indem wir uns für andere unentbehrlich machen. "Es ist so
schön, wenn man gebraucht wird. Dabei habe ich so ein gutes Gefühl!
Sicher wird auch Gott anerkennen, wie sehr ich mich für andere
aufopfere!"
Auf die Idee, daß es sich dabei gar nicht um echte Liebe, sondern
um die Gier nach Anerkennung, ja sogar nach Macht handelt, kommen wir
dann nicht. Allzu verschleiert ist in solchen Konstellationen unser
wahres Ich, zu sehr sind wir in Rollen gefangen, von äußeren
Erwartungen gefesselt. Aber es ist leicht zu testen, wie weit es mit
unserer Liebe her ist. Achten Sie künftig einmal darauf, was mit
uns geschieht, wie wir reagieren, wenn andere unsere ach so liebevollen
Hilfsangebote ablehnen. Oder sagen Sie doch mal zu einem anderen, der
Ihnen so entgegenkommt, daß Sie selber recht gut zurechtkommen!
Da werden Sie aber was erleben! "Und das ist der Dank dafür,
daß ich auf alles verzichtet habe! Daß ich mich für
dich aufgeopfert habe und meine Bedürfnisse in den Hintergrund
gestellt habe!" Tränen sind da noch das mindeste, was wir
erleben. Es gibt kaum jemanden, der über zurückgewiesene "Liebe"
so beleidigt sein kann wie der Stolze.
Ich gebe zu: Es ist sehr
ernüchternd, zu erkennen, daß diese Art "Liebe"
eigentlich eine Art Tauschhandel ist. Ich gebe nämlich gar nicht
selbstlos, ohne Vorteile oder Dank zu erwarten, sondern um etwas zu
bekommen: nämlich Dankbarkeit und Anerkennung!
Auch das gehört zum Thema: "Ich bin stolz darauf, unabhängig
zu sein. Ich brauche niemanden, ich will niemandem zur Last fallen -
und daher geht es mir gegen den Strich, einen anderen um Hilfe zu bitten."
Dasselbe gilt auch für Geschenke jeder Art. "Ich lasse mir
nichts schenken! Und wenn ich aus irgendeinem Grund gezwungen bin, doch
ein Geschenk annehmen zu müssen, dann gleiche ich es so schnell
wie möglich wieder mit einem Gegengeschenk aus!"
Übrigens kann Stolz
auch in anderen Varianten auftreten. Ich kenne jemanden, der sich als
den größten Sünder, als den aller unwürdigsten
Menschen auf der ganzen Erde betrachtet. Alle Gespräche mit ihm
laufen darauf hinaus. Auch falsche oder übertriebene Demut ist
Stolz; dies aber begreiflich zu machen, ist kaum möglich, denn
stolze Menschen sind häufig blind in Bezug auf ihren Stolz.
Sünde kommt von Absonderung, von Trennung, und zwar von Gott, der
Quelle der Liebe, des Lebens und des Glücks. Wenn ich vertrauensvoll
mit IHM verbunden wäre, also nicht von ihm getrennt, dann bräuchte
ich nicht mehr stolz zu sein. Dann würde ich wissen, daß
er mich liebt, genauso wie ich bin, mit allen meinen Fehlern und Schwächen,
mit meinen Minderwertigkeiten und meiner Unfähigkeit. Und wenn
ER mich akzeptiert, dann habe ich nicht mehr nötig, mich besser
darzustellen als ich bin; mit allerlei Tricks die Anerkennung anderer
zu erpressen oder durch übertriebene Selbsterniedrigung nach dem
Lob anderer zu "fischen".
Vielleicht gibt es aber noch
einen anderen als diesen geistlichen Weg, um des eigenen Stolzes Herr
zu werden; einen, der spontaner funktioniert und uns keine geistigen
Klimmzüge auf Umwegen abverlangt. Renate Neuffers Skulpturen sind
ernst, erschreckend zunächst wohl möglich, hart und streng
in ihrem Gegenüber. Dann aber beim zweiten Blick und ohne zwanghafte
Annäherung reizen sie auch zum Lachen. Was für ein hochnäsiger
Fatzke! Welch dummes Gesicht! Ach, Gott, der Fettkloß, der Neidhammel,
der Zornigel! Es ist kein Fehler, über die eigenen Fehler herzhaft
zu lachen - nicht aus Verachtung, sondern liebevoll, geduldig, gnädig.
Der Humor hilft uns, nicht bei unserer Unzulänglichkeit stehenzubleiben,
frustriert und hilflos, sondern das mögliche Ganze unserer Menschenexistenz
ins Visier zu nehmen. Das ist ja etwas ganz Großes, daß
wir uns selber ansehen können, auf Distanz gehen können zu
uns. Und dann hoffentlich merken: Ja, wie auch immer, ich kann verwandelt
werden, ich kann mich selbst wandeln. Nur Mut, sagt Ihnen dieser Stolze,
nur Mut, und ist schon nicht mehr so stolz, wie es auf den ersten Blick
scheint.
Zitate zum Stolz
Je dicker
die Bretter, je tiefer der Bolz;
je dümmer der Bengel,
je größer der Stolz.
Sprichwort
*
Die Demut ehre du, und zu der Demut Ehren sei gegen Stolz, um Demut
sie zu lehren.
Friedrich Rückert (Weisheit des Brahmanen)
*
Den Stolz hat man umsonst, das Brot muß man kaufen.
Sprichwort
*
Ein Mensch sagt und ist stolz darauf, ich geh' in meiner Arbeit auf!
Doch bald darauf - nicht ganz so munter - geht er in seiner Arbeit unter.
Eugen Roth
*
Im Glück sei niemals stolz, im Unglück edelmütig.
Sprichwort
*
Wer den höchsten Gipfel erstieg, ist zu stolz, auf dem zweiten
sich zu zeigen.
Friedrich Gottlieb Klopstock
*
Wer stolz ist, verzehrt sich selbst; Stolz ist sein eigner Spiegel,
seine eigne Trompete, seine eigne Chronik!
Shakespeare (Troilus u. Cressida)
*
Setzt dem stolzen Manne Gleichgültigkeit entgegen, und ihr nehmt
seiner Macht den Stachel!
F. M. v. Klinger
*
Den Stolz des erhabenen Herzens
Bändige du in der Brust; denn freundlicher Sinn ist besser.
Homer (Ilias)
*
Stolz ist die Maske der eignen Fehler.
Talmud
*
Der höchste Stolz und der höchste Kleinmut ist die höchste
Unkenntnis seiner selbst.
Baruch Spinoza (Ethik)
*
Der Stolz frühstückt mit dem Überfluß, speist zu
Mittag
mit der Armut und ißt zu Abend mit der Schande.
Benjamin Franklin
*
... so beruhet unser Stolz meistens auf unsrer Unwissenheit.
G. E. Lessing
*
Je weniger jemand ist, je mehr Stolz wird er haben, und je geneigter
wird er sein,
an anderen Fehler, gute Eigenschaften aber nicht zu bemerken.
E. C. von Kleist
*
Es ist leichter, einen Berg mit einer Nadelspitze aus seiner
Wurzel zu heben, als Stolz aus dem Herzen zu reuten.
G. E. Lessing
*
*
Den Stolz hat Gott noch stets vernichtet
Und Demut immer aufgerichtet.
Karl Immermann
*
Wo Stolz ist, da ist auch Schmach.
Spr. Sal., K. 11, V. 2
*
Bei seinem Stolz den Narren man kennt,
Denn Stolz von stultus wird genennt;
Wir Teutschen han verstanden wohl,
Wie man den Stolz benennen soll.
Alter Spruch
*
Ach, daß die Stolzen müßten zuschanden werden!
Ps. 119, V. 78
*
Torheit und Stolz
Wachsen auf einem Holz.
Alter Spruch
*
Stolz ist die Maske der eigenen Fehler.
Talmud
*
Die Wissenschaft, richtig verstanden, heilt den Menschen
von seinem Stolz; denn sie zeigt ihm seine Grenzen.
Albert Schweitzer
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