Predigten

 
 

Eucharistie als das Zeichen der Liebe Gottes zu uns Menschen

Predigt an Gründonnerstag über Joh 13,1-15
24.3.2005 - 19.00 Uhr St. Michael Tübingen
(Thomas Steiger)

Mit welchem Evangelium rechnen wir eigentlich, wenn wir uns aufmachen zur Messe vom Letzten Abendmahl? Und: Welches wäre denn das passende? Spontan, liebe Schwestern und Brüder, würden wir wohl antworten: Natürlich die Stelle aus der Leidensgeschichte Jesu, wo von seinem letzten Mahl mit den Jüngern berichtet wird, von der Unsicherheit der Jünger, wer ihn verraten werde, von den Todesahnungen Jesu und von den Worten, mit denen er das Brot und den Wein, die sie teilen werden, auf sich selbst bezieht und erklärt. Aber von alledem hören wir ja jedes Jahr an Gründonnerstag nicht, sondern nur die dürren Worte bei Paulus, in denen sich schon eine sehr frühe Form der christlichen Liturgie anbahnt, und dann dieser eigenartige und eindrückliche Text von der Fußwaschung aus dem Johannesevangelium.

Gleich an den Beginn stellt der Verfasser die für ihn entscheidende Verstehenshilfe, auf deren Hintergrund er seine Erzählung gelesen und begriffen wissen will: Da Jesus die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung. Um das also soll es gehen: um eine Liebe, die diesen Namen verdient, die vor keinen menschlichen Grenzen Halt macht, die alles umfaßt, was in einer Biographie Platz finden könnte - ausdrücklich auch den Tod. Den hat Jesus vor Augen, als er sich hinkniet, um seinen Freunden zu dienen, und den will Johannes durchaus nicht verdrängen, als er seinen Text verfaßte, um eine Tradition der ganz eigenen Art zu begründen: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.

Darum also geht es an Gründonnerstag; dies soll unüberhörbar ins Gedächtnis gebracht werden; und dies ist für die Erstkommunionkinder ebenso interessant und schwierig zugleich, wie es dies für die Erwachsenen und die religiös Fortgeschrittenen ist: Wer zu Jesus gehören will, wer sich Christ nennt, wer sich auf das Christentum beruft, der muß sich um die Liebe mühen und sich am Ideal der Fußwaschung messen lassen. Bei allem, was ein Christ in Angriff nimmt, in jeder Lebenslage, soll er sich daran erinnern. Und das Gedächtnis daran, daß Jesus so gehandelt hat, soll ihm Mut machen, seinerseits es ihm gleich zu tun.

In St. Michael verzichten wir seit etlichen Jahren auf den Ritus der Fußwaschung am Gründonnerstag, auch deshalb, weil die Kinder heute erstmals zur Eucharistie gehen und dazu eigene Elemente wie die Verknüpfung mit dem jüdischen Paschamahl einbringen. Aber auch darüber hinaus können wir bei der Frage, wie man Liebe zeigt, ja nicht bei der rituellen Nachahmung der Fußwaschung in der Liturgie stehen bleiben. Im Gegenteil: Mehr denn je wird sich heute und in Zukunft die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens daran erweisen, ob wir die Tradition des Evangelisten Johannes zeitgemäß und persönlich passend aufgreifen und somit unsere Formen der "Fußwaschung" finden.

Wie also zeigt man Liebe? Darauf wüßtet Ihr, liebe Buben und Mädchen, denke ich eine ganze Reihe von Antworten: Durch einen Kuß z.B. zeigt man einem anderen Menschen, daß man ihn liebt; durch ein besonderes Geschenk, durch Unterstützung und Hilfe. Und genau darum geht es, um unsere Formen der Liebe, die wir mit großer Kreativität suchen und erfinden sollen. Wenn dann Liebe wirklich Liebe ist, wird oft ein Kuß oder ein Geschenk nicht ausreichen. Die Liebe verlangt mehr von uns, auch Opfer, auch Verzicht - und manches Mal wohl sehr, sehr großen Mut. Es muß keiner von uns gleich bereit sein, in den Tod zu gehen, wie Jesus es getan hat. Aber als letzte Möglichkeit sollten wir sogar das in Betracht ziehen. Und die Eltern unter uns tragen ganz tief drin in sich tatsächlich diese Bereitschaft, für das Leben ihres Kindes das Letzte vom eigenen Leben herzugeben.

Das sind hehre Worte, große Vorgaben, ich weiß, liebe Schwestern und Brüder. Und als wir beim letzten Treffen des Glaubenskurses vergangenen Freitag im Laufe des Gesprächs an einen ganz ähnlichen Punkt gekommen waren, beschlich uns alle auch ein gewisses Unwohlsein. Der große Rahmen war uns sehr bewußt, und wir hatten ihn auch akzeptiert: Die Liebe ist in unserem christlichen Glauben das alles Entscheidende. In ihr finden wir zu uns selbst und im selben Augenblick zu Gott. Und deshalb konnten wir gar nicht groß genug von ihr denken. Aber wir spürten auch, daß es im Alltag schon am viel Kleineren fehlt. Wir beklagten unsere Unfähigkeit, die dürftigen Zeichen der Liebe wahrzunehmen, sozusagen jene Spritzer des Fußbades, mit dem Jesus uns durch andere Menschen Tag für Tag beschenkt. Wie kommen wir dahin, sie nicht zu übersehen und als göttliche Zeichen zu deuten?

Im Grunde, liebe Schwestern und Brüder, ist auch die Fußwaschung nur ein kleines Zeichen der Liebe: Wasser, das reinigt und erfrischt; ein Mensch, der sich klein macht vor anderen; einer, der anderen einen Dienst erweist. Jeden Tag geschieht in meinem, in Ihrem Leben etwas Derartiges. Um sie nun aufzuzählen, sind sie zu zerbrechlich, diese Kleinigkeiten der Liebe. Ihre Macht entfalten sie in der Zurückhaltung, im Verborgenen oft. Aber gerade so sind sie nicht nur wertvoller, sondern vor allem wirksamer als alles Laute und Große und Gewichtige. Und sie können zu einem kulturellen Faktor werden, der unser Miteinander bestimmt und hinein wirkt in eine Welt, die meint ohne Gott zu Recht kommen zu können.

Liebe Kommunionkinder, zum ersten Mal empfangt Ihr heute den Leib Christi. Ohne äußeren Aufwand, ohne zusätzliches Fest, beinahe heimlich und im Verborgenen tretet Ihr nachher mitten in der Gemeinde an den Altar. Und obwohl es nicht nach etwas Großem aussieht, ist es das größte Geschenk, das Ihr überhaupt bekommen könnt. So hat Jesus es gewollt, so es seinen Jüngern aufgetragen, daß sie im Teilen des Brotes beim Mahl und in der Erinnerung an ihn, sich seiner Liebe sicher sein dürfen; ja, daß sie niemals aus dieser Liebe Gottes herausfallen können - geschehe, was da wolle. Ich weiß nicht, wie oft ich seit meinem Erstkommuniontag im Mai des Jahres 1973 die Heilige Kommunion empfangen habe, viele hundert Male sind es gewiß. Nicht immer bin ich andächtig beim Empfang, nur selten wohl erahne ich die Größe dessen, was sich in dem kleinen Stück Brot verbirgt. Aber hin und wieder empfinde ich ein ganz großes Glück, bei der Eucharistie von Liebe durchdrungen zu sein - ohne daß ich etwas dafür tun könnte. Und dieses Glück wünsche ich auch Euch, von heute an, wieder und immer wieder. Und Ihnen allen. Amen.