Predigten

 
 

Unser Osternglaube:
Zwischen Furcht und Freude

Predigt an Ostern über 1 Kor 15,1-8.12-20 und Mt 28,1-10
27. März 2005 in St. Michael Tübingen und St. Pankratius Bühl (Thomas Steiger)

Liebe Schwestern und liebe Brüder,
obwohl nicht viele den Mut haben, meinen Glauben in Frage zu stellen, kommt es doch hin und wieder vor. Schüler können schon mal direkt äußern: "Glauben Sie wirklich, daß Jesus Gottes Sohn ist?" Andere, aus Erwachsenheit Vorsichtige, fragen nicht so direkt. Aber zwischen den Zeilen bringen sie ihre eigene Unsicherheit zum Ausdruck und mit ihr die Vermutung, daß dies doch auch bei einem Pfarrer nicht viel anders sein mag, daß auch er Zweifel haben müsse, hin und wieder, und nicht nur im Brustton unerschütterte Überzeugung sprechen könne. Und in der Tat ist es genau so und keinen Deut anders, bei Ihnen und bei mir. Im großen und ganzen bin ich mir meines Glaubens gewiß. Ich stehe nicht morgens auf und stelle mein Weltbild in Frage. Kleinigkeiten werfen mich nicht aus der Bahn, und auf die meisten Fragen, die mir im Alltag unserer Gemeinde und in den Lebenssituationen von Menschen begegnen, weiß ich eine Antwort, zu der ich selbst stehen kann. Hin und wieder aber, eher dann, wenn gar nichts Außergewöhnliches mir widerfährt, kann es sein, daß ein Stich mich durchfährt: "Was, wenn deine Wahrheit nun doch nicht wahr ist, wenn du dir etwas vormachst mit deinem Glauben, wenn Jesus nur ein Mensch war, nicht von den Toten auferstanden ist, wenn es also keinen Gott gibt?" Meistens ist so ein Stich schnell verkraftet, verdrängt wohl auch. Nur manchmal bleibt ein schaler Geschmack zurück, eine innere Unaufgeräumtheit, welche die im Laufe der Jahre erworbene Denkordnung meiner Person in ihren Grundfesten berührt. Dann frage ich mich selbst im geheimen, ob ich denn genauso gut auch leben könnte, ohne ein Christ zu sein, ob ich heute meinen Beruf an den Nagel und die Priesterweihe zurück geben könnte, und was sich denn verändern würde, ohne Gott.

Ja, was würde sich verändern? Vielleicht, liebe Brüder, liebe Schwestern, nehmen Sie sich heute oder in den nächsten Tagen einmal Zeit, um sich auf dem Hintergrund des Festes, das wir nun wieder miteinander feiern, dieser Frage zu stellen. Für die Christenheit rückt an Ostern das größte Wunder Gottes, sein höchster Machtbeweis in den Mittelpunkt: die Auferweckung des Jesus von Nazareth, mit dem er den Tod besiegt hat, ein für alle Mal, gültig für Zeit und Ewigkeit, allerorten, für jedermann. Meine religiöse Erfahrung sagt mir, daß man dies nicht ohne Zweifel glauben kann. Diese Tat Gottes geht grundstürzend über all unsere Vorstellungskraft hinaus. Und jeder Versuch, sie mit unseren beschränkten Möglichkeiten zu erfassen, zu verstehen, bleibt notwendig Stückwerk. Furcht und Freude halten sich dabei die Waage, wie bei den Frauen am Grab, die nach der Überlieferung sämtlicher Evangelien als erste und am schnellsten die Möglichkeit der Auferweckung ihres Meisters an sich heran gelassen haben. Furchtbar wäre es, wenn der Tod das letzte Wort behielte in unserer Welt und über mein Leben. Grund zu verrückter Freude wäre es, wenn ich am Kreuz die Herrlichkeit Gottes erkennen könnte. Dazwischen bewegt sich die Ahnung von einer Wahrheit, die ich annehmen kann, glaubend - oder auch nicht.

Besonders Paulus hat sich mit den Unsicherheiten des Auferstehungsglaubens, mit den Plausibilitäten auch des Zweifels daran bereits damals intensiv auseinandergesetzt. Auf dem Hintergrund seiner biographischen Vorgeschichte als Christenverfolger und mit dem ihn selbst vom hohen Roß holenden Ereignis seiner Bekehrung bei Damaskus bekommt dies eine ganz außerordentliche existentielle Schärfe! Die Logik seiner Überzeugung haben wir als Epistel / II. Lesung gehört. Im 15. Kapitel seines 1. Korintherbriefes zitiert er das älteste Zeugnis der Auferstehung, das sog. heilsgeschichtliche Credo, und schließt daran seine Kette von Argumenten an, die für ihn ohne Alternative ist: Wenn - dann. Sechs Mal greift er die ihm bekannten Einwände auf und spitzt sie zu auf die Feststellung: Wenn aber Christus nicht von den Toten auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos. Offen gestanden kann ich mich der Eindringlichkeit seiner Worte nicht entziehen und Paulus im Hinblick auf meinen eigenen Standpunkt nur recht geben. Dorthin komme ich selber immer dann, wenn ich mit meinen dürren Menschenworten zu predigen habe über das Gottsein Gottes, über seine Gedanken, die zu erfassen die meinen zu gering sind, über seine Wege, die mir im letzten unerschlossen bleiben. Was denn sonst sollte ich sagen bei einem Begräbnis: Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Was könnte ich glauben, wenn ich als Christ angesichts einer Naturkatastrophe wie des Tsunami in Fernost von der Größe Gottes sprechen: Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran, als alle anderen Menschen. Was schließlich dürfte ich hoffen im Hinblick auf die vielen Wechselfälle meines eigenen Lebens, meine Sünden, meine Angst vor dem Tod: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden.
Liebe Schwestern und Brüder, einen Beweis der Auferstehung können die Osterevangelien nicht enthalten. Das Grab bleibt leer. Einzig weiter sagen können die Frauen von dem Glauben, der in ihnen zu wachsen beginnt. Auch Paulus erbringt keinen Beweis; seine letzte Behauptung schließt mit einem hermeneutischen Zirkel. Sein Appell beruht auf der eigenen Glaubenserfahrung und hat das Ziel, seine Gemeinde, andere Menschen zu überzeugen. Ich denke, daß wir noch immer an diesem Punkt stehen, daß dies unsere bleibende Aufgabe ist als Christen, daß dies unser Osterzeugnis sein wird ein Leben lang: Die Kirche als ganze hat dafür einzutreten und von der Freiheit zu künden, die den neuen Menschen auszeichnet. In jeder Eucharistie soll dies gefeiert werden als wäre es der Ostertag selbst. Wir haben dafür einzustehen als Person, daß unser Leben und unsere Welt anders aussähe ohne die Auferstehung Christ. Dazu haben wir die Taufe und die Firmung empfangen. Und daran wird sich die Wahrheit des vernichteten Todes festmachen: nicht am Glauben an überirdischen Wunderzeichen, der uns aus der Verantwortung entläßt, sondern an der Kraft, mit der wir für die Auferstehung eintreten mit Mund und Händen und Füßen - allen Zweifeln zum Trotz. Amen.