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Predigt zum Thema "Eucharistie" in St. Michael am 1.5.2005 (Heinrich Braunschweiger) (Kanzeltausch)

Liebe Brüder und Schwestern in Christus,


"Der Kirche, den Christen, ist auf ihrem Weg durch die Jahrtausende ein Erbe mitgegeben, ein reiches und kostbares, aus dem sie leben. Es muß ihnen wichtig sein, es zu bewahren, zusammen mit allen Müttern und Vätern, die es in der langen Zeit gehütet, gedeutet und überliefert haben, um es ihren Kindern weiterzugeben. Es ist ein Symbol von großer Tiefe und Kraft."

So beginnt der frühere evangelische Fernsehpfarrer Jörg Zink sein kleines Büchlein zum Thema "Abendmahl". Und er fährt fort:

"Es ist andererseits von großer Einfachheit: Auf einem Tisch steht ein Teller mit Brot, dabei ein Glas Wein, und beide verbinden die Menschen, die um den Tisch stehen oder sitzen, zu einem schlichten Mahl. Ich wüsste nichts, das sie stärker verbinden, das sie stärker bewegen, erfüllen und heilen könnte als dieses einfache Essen."
So weit Jörg Zink. So weit, so gut.

Einiges von dem, was Jörg Zink hier zum Thema Eucharistie gleichsam intoniert, könnten Sie, liebe katholische Freunde, vermutlich durchaus auch so sehen und sagen: Die Eucharistie ein Symbol von großer Tiefe und Kraft. Es gibt nichts, was uns, die wir zu Christus gehören, stärker verbinden könnte.

Desweiteren ist zwischen uns vermutlich nicht strittig, dass wir unter der Gestalt von Brot und Wein das Geheimnis von Christi Gegenwart feiern. Nicht nur ein Hinweis auf Christi Lebenshingabe für uns ist die Feier der Eucharistie, sondern Christus ist wirklich und wahrhaftig unter uns gegenwärtig und speist uns mit sich selbst, gibt uns jetzt schon Anteil an seinem Auferstehungsleben.

Die Frage der Transsubstantiation, der Wandlung, lassen wir jetzt einmal beiseite. Ihre Bedeutung ist ja inzwischen auch unter katholischen Theologen strittig. Im Wort Transsubstantiation steckt das Wort "Substanz". Was die Substanz des gegenwärtigen, auferstandenen Christus ist, das weiß kein Sterblicher? Denn wir sind Adamiten, Erdlinge, und haben noch keine Schau und Sprache der neuen Welt Gottes.

Mit anderen Theologen rede ich deshalb lieber von "Transfinalisaton". "Finis" - das Ziel, die Bestimmung.
Indem über Brot und Wein die Deuteworte gesprochen werden, verwandelt sich ihre Bestimmung. Vielleicht kann man dieses Wandlung am besten an einem Blatt Papier deutlich machen. Je nachdem, was darauf geschrieben steht, ändert es seine Bestimmung und seinen Wert, wird ein Dokument zum Ärgernis oder zur Freude dessen, der es empfängt. Ist es eine Nachzahlungsforderung vom Finanzamt, kommt es sicher weniger gut an, als wenn es ein Liebesbrief ist, auf den einer schon lange gewartet hat.

Aber beides ist und bleibt Papier. Und doch ist es jeweils etwas ganz anderes. Den Liebesbrief legt der Empfänger auf seinen Nachttisch und bewahrt ihn womöglich ein Leben lang auf, die Forderung vom Finanzamt nimmt einen ganz anderen Weg.
Das ist ein Gleichnis für das, was bei der Eucharistie mit Brot und Wein geschieht. Beim Abendbrot stillen diese Lebenmittel den Hunger des Leibes. Im Gottesdienst den Hunger der Seele. Indem sie den Gläubigen dargereicht werden mit den Deuteworten, wandeln sie sich radikal und bleiben doch Brot und Wein.


Transfinalisation statt Transsubstantiation - ob unser Herr Jesus Christus an solch theologischer Hirnakrobatik seine Freude hat oder ob er nur milde darüber lächelt? Vielleicht werden wir es einmal erfahren.

Aber auf drei Fragen werden wir noch eine Antwort suchen müssen - um der Einheit der Christen willen, der Einheit des Leibes Christi willen, die ja Papst Benedikt XVI. ein großes Anliegen ist. Ob sich unter seinem Pontifikat gemeinsame Antworten finden lassen, wird die Zukunft weisen.

Nun zu den drei Fragen:
1. Müssen es Brot und Wein sein, wenn wir die Eucharistie feiern? Oder ist das nicht eine zu enge, eben eine kulturspezifische Entscheidung. Das Brot der Chinesen ist z.B. der Reis. Und was, wenn weder Brot noch Wein vorhanden sind?
2. Wer darf der Eucharistie vorstehen? Und
3. Wer darf daran teilnehmen?

Zur 1. und 2. Frage will ich Ihnen jeweils eine Geschichte erzählen, die mir jedenfalls die Suche nach einer Antwort erleichtern.
Die 1. Geschichte spielte in Chile zur Zeit des Diktators Pinochet. Tausende saßen damals in den Gefängnissen und wurden gefoltert und umgebracht, weil sie sich für die Freiheit und für soziale Gerechtigkeit einsetzten. Und aus einem dieser Gefängnisse stammt folgender Bericht:

"Alles, was wir haben, sind unsere Feldbetten und die Kleider auf dem Leib. Es gibt keine einzige Tasse. Wasser darf man nur direkt aus dem Wasserhahn trinken. Aber eine Gruppe von christlichen Gefangenen erfuhr das Glück einer Abendmahlsfeier ohne Brot und Wein. Das Abendmahl der leeren Hände. Die Nichtchristen sagten: Wir werden euch helfen. Wir werden leise sprechen, so dass ihr euch versammeln könnt. Sie bildeten eine zwanglose Gruppe bei den Wachen - wie ein Vorhang gewöhnlicher Unterhaltung, hinter dem wir uns zusammensetzen konnten. Jede Versammlung der Gefangenen, die nicht der harmlosen Unterhaltung diente, wurde nämlich hart bestraft. Wir hatten kein Brot und auch kein Wasser, das wir anstelle des Weins hätten nehmen können. Aber ich sagte: Wir werden so tun, als wären Brot und Wein vorhanden. Wie damals als Kinder, sagte ein Junge von 19 Jahren, als Mitglied einer Befreiungsgruppe zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Wir haben immer ‚Besuch' gespielt und stundenlang Tee getrunken, der gar nicht da war. Genauso wird es sein, antwortete einer, denn Christus hat uns geboten, mit der Einfalt von Kindern zu handeln. Ein Gefangener beobachtete die Wachen, um uns notfalls zu warnen. Christus wird unsere Feier annehmen, bemerkte einer der Gefangenen. Es macht nichts, dass wir nicht die richtigen Dinge haben; entscheidend ist, wie ernst wir es meinen.
Das Brot, das wir heute nicht haben, sagte ich, ist auch ein Zeichen für den Mangel an Brot, nach dem Millionen Menschen hungern. Als Christus es austeilte, offenbarte er den Willen Gottes, dass alle Brot haben sollten. -
Der Wein, den wir heute nicht haben, ist sein Blut, gegenwärtig im Licht unseres Glaubens. Christus hat es vergossen, um uns auf dem langen Marsch zur Gerechtigkeit in die Freiheit zu führen. Das Abendmahl gibt uns nicht nur Gemeinschaft mit allen Brüdern und Schwestern der Kirche, die draußen sind; nicht nur mit denen, die leben, sondern auch mit den Toten und denen, die nach uns kommen werden und Christus die Treue halten. Ich hielt dem Mann an meiner Seite meine leeren Hände entgegen und legte sie über seine offenen Hände - und in gleicher Weise taten es die anderen: Nimm hin und iss, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Nimm hin und trink, dies ist das Blut Christi, das vergossen wird als Zeichen des neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen. Laßt uns Dank sagen in der Gewissheit, dass Christus unter uns anwesend ist und uns stärkt. Dann führten wir unsere Hände zum Mund.
Wir dankten Gott, standen auf und umarmten einander. In diesem Moment rief ein Soldat durch das Gitter: Raustreten zum Appell!"

Das zur Frage: Muss es Brot und Wein sein? Ich denke, dieser Bericht spricht für sich selbst. Wo, wenn nicht hier war Chrístus gegenwärtig? Hier war Kirche. Hier war der Leib Christi.

Nun die 2. Frage: Wer darf dem Abendmahl vorstehen? Dazu die 2. Geschichte:
In dem Roman "Die Lofotenfischer" beschreibt Johann Bojer die harte, mühsame Arbeit der armen auf den Lofoten lebenden Fischer, die in dauerndem Kampf mit dem Meer ihr bescheidenes Leben fristen. Als die Fischer einmal auf einer kleinen felsigen Insel arbeiteten, erkrankte einer von ihnen schwer. Alle hätten sich gerne ausgeruht und hingelegt, aber ein paar Schritte weiter lag der Kamerad in Felddecken gewickelt und sprach im Fieber seiner Lungenentzündung.
"Steht es heute abend schlecht mit dir, Eleseus?" fragte einer. Der Kranke runzelte die Stirn, um sich zu sammeln, öffnete die Augen und sagte, dass alles es hören konnten: "Ich muß zum Abendmahl gehen!"
Man antwortete ihm, es sei weit zum Pfarrer, er aber wiederholte seinen Wunsch. "Ich …ich werde heute Nacht sterben."
Angestrengt beraten die Kameraden, um einen Ausweg zu finden. Die Sorge um den Sterbenden bringt sie immer näher zusammen. Der Kranke möchte mit Gewalt fort in die Kirche. Sein Rufen wird immer verzweifelter. Man erinnert sich an den Katechismus, dass im Notfall jeder Christ… Aber war das wirklich möglich, dass ein gewöhnlicher Christ sich erkühnen könnte, das Sakrament auszuteilen?
Doch das Erbarmen mit dem Kranken siegt. Man wählt Henrik Rabben aus. Er wehrt sich anfänglich. Schließlich sagt er: "Aber zuvor noch eins. Soll ein einfacher Mann sich mit einer so heiligen Handlung befassen, so muß er ein reines Gemüt haben. Und deshalb frage ich euch, meine Kameraden: Habe ich eine Sünde an euch getan? In diesem Falle steh ich jetzt hier und bitte euch um Vergebung."
Es wird ihm versichert, er habe nie anderes als Gutes getan. Das Stück Brot auf dem Blechteller, die Tasse in der Hand, geht er zu dem Kranken hin, kniet nieder und setzt Tasse und Teller auf den Fußboden. Dann gibt Henrik ihm das kleine Stück Brot und einen Schluck aus der Tasse: "Christi Leib, für dich gegeben - Christi Blut, für dich vergossen."
Darauf sitzen sie eine Weile schweigend und blicken vor sich hin. Endlich sagt einer: "Für seine Frau wird es nicht leicht werden!" Ein anderer antwortet: "Wir müssen ihr an die Hand gehen, so gut wir können." "Hm, sagten die anderen und waren einer Meinung mit ihm."


So weit die die 2. Geschichte.
Die hier das Abendmahl feierten waren Protestanten. Was, wenn es Katholiken gewesen wären? Kein Priester, keine geweihten, konsekrierten Hostien weit und breit. Das Abendmahl war für den Sterbenden ein letzter Trost und Hilfe für den Übergang in die neue Welt Gottes.

Nach protestantischer Auffassung lebt auch das Sakrament des Abendmahls aus keiner anderen Wurzel als dem Wort und dem Glauben.
In der Liturgie des Abendmahls, das normalerweise auf die Predigt folgt, kann der Eingangssatz heißen: "Liebe Gemeinde! Was Jesus Christus uns durch sein Wort gesagt hat, das will er sichtbar bestätigen, indem er uns an seinen Tisch einlädt."
Das Abendmahl ist somit Wort-Feier in Vollendung.
Martin Luther sagt im Großen Katechismus: Christus ist leibhaftig anwesend "in, mit und unter" den Elementen, sofern zum Deutewort der Heilige Geist hinzutritt und im Empfangenden den Glauben wirkt. Brot und Wein sind im Abendmahl "in Gottes Wort gefasst und daran gebunden".
Bei den Lofotenfischern war all das wohl gegeben: Brot und Wein, das Deutewort, der sehnliche Wunsch des Kranken und somit wohl auch der Hl.Geist, der den Glauben wirkt.
Nur einer war nicht da, ein Pfarrer, der von der Kirche zur Verwaltung der Sakramente berufen ist.

Sie sehen, liebe Mitchristen: Wir Protestanten brauchen halt ein bisschen mehr und öfter den Hl. Geist, während Sie vielleicht mehr die Kirche und ihre Diener brauchen, die sozusagen die Kanäle des Hl Geistes sind.
Aber das ist natürlich jetzt keine hohe theologische Einsicht, die ich da verklickere.
Natürlich braucht auch die protestantische Kirche ihre Diener, die Pfarrer.
Das Abendmahl auf den Lofoten war ein Notabendmahl. Im Normalfall kann nur ein ordinierter Pfarrer Wort und Sakrament verwalten.

Nun noch zur 3. Frage: Wer darf daran teilnehmen?
Papst Benedikt hat neulich dem Prior von Taizee, Roger Schutz, persönlich die Hostie gereicht. Roger Schutz ist Protestant, allerdings mit stark katholisierenden Tendenzen.
Bis jetzt ist es für Herrn Steiger eigentlich nicht möglich, dass er mich zur Feier der Eucharistie einlädt.

Für uns Protestanten ist diese Frage Gott sei Dank kein Problem mehr. Allerdings war das nicht immer so. Bis zum Jahr 1973, dem Abschluß der sogen. Leuenberger Konkordie, haben sich selbst die verschiedenen Protestantischen Kirchen, also die Lutherischen, die Reformierten und Unierten, nicht gegenseitig eingeladen.
Und per Kirchenzucht konnten noch bis Anfang des vorigen Jahrhunderts Gemeindeglieder vom Abendmahl ausgeschlossen werden.
Aber wer lädt denn eigentlich ein zum Abendmahl? Das ist für mich die entscheidende Frage.

Es laden nicht die Kirchen ein. Der Einladende ist allein der Herr der Kirche, Jesus Christus.
Er ist der Gastgeber, wir sind seine Gäste.
Die Pfarrer, Bischöfe, Diakone etc. sind in diesem Bild die Angestellten, die Köche und Kellner, die das Mahl anrichten und servieren.
Und als ein solcher habe ich nicht danach zu fragen, ob der Gast katholisch oder evangelisch oder sonst was ist. Und ich frage ihn auch nicht, ob er das gleiche theologische Verständnis des Abendmahls hat wie ich.
Diese Frage ist zwar wichtig. Aber sie gehört in die interkonfessionelle theologische Reflexion und Diskussion. Und darum muß gerungen werden. Aber in der Praxis, d.h. am Tisch des Herrn muß der Streit ein Ende haben.
Jeder und jede, die kommt, werde ich als Gast des gegenwärtigen Christus empfangen.

Ausgrenzen und Rechthaben ist in den Kirchen schon immer eine gefährliche Sache gewesen. Wahrheit kann nie festgeschrieben werden, sie ereignet sich, wenn bei einem Menschen der Funke des Geistes überspringt. Wer rechthaben will, verhindert dieses Überspringen.

Der Neutestamentler Ernst Käsemann hat einmal das zornige Wort gesagt, das Abendmahl sei entweder ökumenisch oder überhaupt kein Abendmahl, sondern eine Sektenfeier.
Wer aber im Blick auf das Abendmahl der Wahrheit nahe kommt, ist daran kenntlich, dass er fähig ist, zu feiern.
Soll er aber dem Gast sagen, was das Abendmahl sei, so wird er in ein Gespräch eintreten, und er wird sich bemühen, dass eine dialogische, und das heißt eine menschliche Deutung dabei entsteht.

Bitten wir den Hl. Geist, daß er wie ein Sturmwind durch unsere Kirchen und Köpfe wehe, und zwischen unseren Konfessionen immer mehr solche Gespräche stattfinden, in unseren Gemeinden und auf höchster Kirchenebene - um der Einheit des Leibes Christi willen.
Amen

 

 

 

 

 

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