Predigten

 
 

Predigt zum Thema "Eucharistie und Alltag" in der Eberhardsgemeinde am 23./24.4.05 (Kanzeltausch) (Martin Günter)

Fürbitten:

Herr Jesus Christus, Du hast mit Deinen Jüngern Mahl gehalten und das Gedächtnis Deiner Liebe gestiftet, das wir auch heute wieder begehen. Wir bitten Dich:

Hilf der gespaltenen Christenheit, alles Trennende zu überwinden und Wege zu einer Einheit in Glaube, Hoffnung und Liebe zu finden.
Herr, wir rufen zu Dir...

Lass unsere Gemeinden als Gemeinschaften leben, in denen wir in Deinem Geist miteinander feiern, einander begegnen und für unsere Mitmenschen offen bleiben.

Schenke allen, die sich für den Frieden einsetzen, Beharrlichkeit und lass ihr Bemühen gelingen.

Für alle Kranken und ihre Angehörigen: Heile Du, was möglich ist, und gib ihnen jeden Tag neu die Kraft, die sie brauchen.

Stärke uns alle auf unseren Lebenswegen und lass uns nie vergessen, dass wir für Dich unendlich wertvoll sind.

Stille

Herr Jesus Christus, Du hast Deine Freunde nicht verlassen und ihnen Anteil an Dir gegeben; Dein Sterben wurde für uns zum Heil. Dafür danken wir Dir, heute und alle Tage. Amen.


Liebe Gemeinde,

wer Religion unterrichtet, macht ganz unterschiedliche Erfahrungen: erfreuliche und weniger erfreuliche, ermutigende und entmutigende; Lehrer und Schüler können ein Lied davon singen... Einige dieser Erfahrungen verblassen schnell wieder, andere prägen sich lange ein. Eine Begebenheit aus dem Religionsunterricht ist bei mir vor einiger Zeit besonders hängen geblieben:
In einer siebten Klasse kamen wir auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zu sprechen, bei dem Jesus Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut bezeichnete. Auf meine Frage, was er denn mit dieser Deutung gemeint haben könnte, kam von einem Schüler die Antwort: "Brot ist ja etwas Lebensnotwendiges; vielleicht wollte Jesus den Jüngern sagen, dass sie ihn für ihr Leben brauchen."
Zunächst einmal war ich verblüfft, weil ich eine so treffsichere Antwort nicht in dieser Spontaneität erwartet hatte; dann habe ich mich natürlich sehr gefreut und diese Antwort unter der Rubrik "Sternstunden des Religionsunterrichts" verbucht.

"Brot ist ja etwas Lebensnotwendiges; vielleicht wollte Jesus den Jüngern sagen, dass sie ihn für ihr Leben brauchen."
Dass die Antwort den Nagel auf den Kopf getroffen hat, liegt auf der Hand; die Texte im Umfeld des letzten Abendmahles machen das deutlich: So erzählt der Evangelist Johannes von Petrus, dem es peinlich ist, sich von Jesus, seinem Herrn, die Füße waschen zu lassen; doch Jesus antwortet ihm: "Wenn ich Dich nicht wasche, hast Du keinen Anteil an mir." Sowohl beim letzten Abendmahl als auch bei der Fußwaschung geht es darum, Anteil an Jesus zu bekommen; die Jünger brauchen diese Zeichen, um an ihm teilzuhaben, um mit ihm verbunden zu bleiben, um in seiner Nachfolge leben zu können; dafür brauchen sie ihn notwendig; und gemeinsam mit den Schülern kamen wir dann schnell zu dem Punkt, dass Jesus mit seiner Deutung von Brot und Wein und dem Auftrag, das Brotbrechen immer wieder zu seinem Gedächtnis zu tun, auch uns heute sagen will, dass wir ihn für unser Leben brauchen.

Gut gelaufen, diese Relistunde - aber trotzdem war und ist die Sache für mich noch nicht erledigt; eine Frage geht mir seither immer wieder durch den Kopf: Stimmt denn diese Antwort für uns heute tatsächlich - nicht nur theologisch, sondern auch im Blick auf unsere Lebenswirklichkeit? Brauchen wir Jesus wirklich für unser Leben? Leben nicht viele Menschen auch ganz gut, ohne am Mahl von Brot und Wein teilzunehmen oder - im Bild gesprochen - ohne sich von ihm die Füße waschen zu lassen? Ist er für sie nicht lebensnotwendig?

Eine Frage, die wir sicher nicht für andere beantworten können; letztlich muss jede und jeder für sich selbst eine Antwort darauf finden; und so kann ich die Frage heute natürlich auch nicht für Sie, die Sie zum Gottesdienst hierher gekommen sind, beantworten. Aber ich kann ein wenig von meiner Antwort erzählen, die ich beim Nachdenken für mich gefunden habe.

Zunächst ist mir bewusst geworden, dass es mir gut tut, in jeder Eucharistiefeier durch die Zeichen von Brot und Wein erinnert zu werden: Jesus hält dich für so wertvoll, dass er dir Anteil an sich gibt! Es tut mir gut, daran zu denken, dass er auch mir die Füße wäscht - so, wie ich bin: mit meinen Licht- und Schattenseiten, mit meinen Stärken und Schwächen, mit meiner Lebensgeschichte in ihren Hochs und Tiefs. Wir alle sind ihm so wichtig, dass es uns nicht peinlich sein muss - wie zunächst Petrus - wenn Jesus uns niedere Dienste erweist; wir sind für ihn so wertvoll, dass er für uns bis zum Äußersten geht, dass er sich selbst uns schenkt.
D.h. für mich: Ich darf mich annehmen, weil er mich annimmt, so wie ich bin; wir dürfen groß von uns denken, weil er groß von uns denkt - so groß, dass er sich selbst für uns hingibt; wir dürfen uns mit unseren Fehlern und Schwächen akzeptieren, weil er uns akzeptiert und sich ein für allemal mit uns verbunden hat. Für mich wird das gerade in den schwierigen Erfahrungen des Lebens wichtig, in Erfahrungen der eigenen Unzulänglichkeit, des Scheiterns oder des Schuldigwerdens; es wird besonders dann für mich bedeutsam, wenn Depressionen oder Selbstzweifel kommen und ich eher gebückt als aufrecht gehe. Ja, auch in der Erniedrigung, im Leid ist er da; gerade hier ist der Ort, wo er mir entgegenkommt, wo er mir Anteil an sich gibt.

"Brot ist ja etwas Lebensnotwendiges; vielleicht wollte Jesus den Jüngern sagen, dass sie ihn für ihr Leben brauchen."
Ja, ich brauche diesen Jesus für den Blick auf mich selbst; aber auch, weil er gleichzeitig meinen Blick auf Andere hin weitet - indem ich durch ihn in eine Gemeinschaft von Menschen hineingestellt bin, die ebenso Anteil an ihm haben; durch Jesus gehöre ich zu einer Gemeinde, zu einer Kirche, zu einer Gemeinschaft von Menschen, die von ihm mit ihren Licht- und Schattenseiten ebenso angenommen sind wie ich selbst - Menschen, denen er denselben Dienst erweist wie mir.
Ich denke, jede und jeder von uns hat schon in ganz verschiedenen Bereichen die Erfahrung gemacht, wie gut es tut, zu wissen und zu spüren, dass wir nicht allein unterwegs sind; wie hilfreich und wichtig ist immer wieder das Erleben von Gemeinschaft und Verbundenheit - die Gewissheit, dass es Menschen gibt, die manche Wege mit uns gehen, die an unserer Seite sind. Besonders eindrücklich kann man das auf religiösen Großveranstaltungen wie Kirchentagen oder dem kommenden Weltjugendtag erleben, aber auch bei besonderen Anlässen wie die Bilder der weltweiten Trauer um Johannes Paul II oder der Anteilnahme an der neuen Papstwahl eindrücklich gezeigt haben.
Aber bei all dem verbindet uns Christen mehr als Sentimentalität und Gefühl - etwas, das weit über all das hinausgeht: Jesus selbst, der uns allen Anteil an sich gibt! Das Besondere an dieser Gemeinschaft als Gemeinde, als Kirche ist für mich, dass ich sie mir eben nicht nach Sympathie und gegenseitiger Zuneigung ausgesucht habe; Gemeinde und Kirche sind etwas anderes als eine Kuschelgruppe zur Bestätigung der eigenen Person; sie sind eine Gemeinschaft, in der wir ganz verschiedenen Menschen begegnen; eine Gemeinschaft, in der wir uns gegenseitig in unserem Leben und Glauben immer wieder bereichern, anfragen und manchmal auch aneinander stören, voneinander korrigieren lassen müssen; und genau dieses, manchmal harmonische, manchmal spannungsvolle Miteinander ist der Ort, an dem der eigene Glaube lebendig bleiben kann. Biblischer Glaube ist keine Privatsache - er bleibt stets auf den Nächsten, den Mitmenschen und auf die Gemeinschaft der Glaubenden verwiesen.

"Brot ist ja etwas Lebensnotwendiges; vielleicht wollte Jesus seinen Jüngern sagen, dass sie ihn für ihr Leben brauchen."
Im Blick auf uns selbst wie im Blick auf die Gemeinschaft brauchen wir als Christen Orte der lebendigen Erinnerung an das, was uns untereinander verbindet; für mich ist es notwendig, dass wir das, was für unser eigenes Leben Bedeutung hat, immer wieder miteinander feiern - in Zeichen und Riten; ich brauche es für mein Leben, dass das, was mir Kraft, Mut und Lebensperspektiven gibt, einen festen Ort hat, an dem ich konkret daran erinnert werde, es hautnah erspüren und leben kann. Auch wenn mir in der Feier des Gottesdienstes das alles nicht immer bewusst ist; auch wenn ich während der Eucharistie öfters nichts Bewegendes erlebe - ich brauche diesen Jesus in der Gestalt des Brotes, der mir vergegenwärtigt, was mich letztlich trägt und leben lässt.
Hoffnungen und Überzeugungen ohne bestimmte Ausdrucksformen - ohne Zeichen, in denen sie konkret werden - verblassen schnell. Liebe und Freundschaft, die keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsamen Orte findet, vergeht... Ich denke, wir Menschen brauchen solche äußeren Ausdrucksformen - Zeichen, Riten und Rituale, die all das, was uns wichtig ist, was uns trägt und hält, in uns am Leben erhalten. Worte kann ich zwar verstehen, in mich aufnehmen, in mir bewahren; Zeichenhandlungen, Riten und Rituale kann ich darüber hinaus erleben - sie kann ich bewohnen.

"Brot ist ja etwas Lebensnotwendiges; vielleicht wollte Jesus seinen Jüngern sagen, dass sie ihn für ihr Leben brauchen."
So sehr ich mich über die treffsichere Antwort des Schülers gefreut habe- durch sie ist mir auch erneut bewusst geworden, dass wichtige Lebens- und Glaubensfragen mit einer richtigen Antwort noch nicht abgeschlossen sind. Auch richtige Antworten müssen erst noch in ihrer Stimmigkeit für unser Leben geprüft und buchstabiert werden, wenn sie nicht abstrakt und damit leblos bleiben sollen. Im Grunde müssen sie immer wieder gelebt werden, im Blick auf uns selbst, auf unsere Gemeinschaft, und im Blick auf unser Feiern in Riten und Symbolen; natürlich wird auch dabei nicht alles beantwortet werden; natürlich werden auch dabei manche Fragen bleiben. Aber trotz oder gerade wegen der in uns verbleibenden Unsicherheiten und offenen Fragen ist es notwendig, das, was uns bewegt, zu leben. Ich möchte mit einem Wort von Rainer Maria Rilke schließen, der an alle Suchenden schreibt: "...es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein." Amen.

   

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