Predigten

   
 

Predigt am Sonntag den 4. Februar in St. Michael zu Jesaja 6, 1-81 - Kanzeltausch (Heinrich Braunschweiger)

Liebe Gemeinde von St. Michael, liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Gerne feiere ich mit Ihnen Gottesdienst und lege Ihnen die Worte der Hl. Schrift aus.
Berufung, Erwählung ist das Thema einer Reihe von Predigten, zu dem auch ich etwas sagen soll, Aber, liebe Freunde, zu meiner persönlichen Berufung und meinem Berufsweg etwas zu sagen, scheint mir in einer Predigt deplaziert.
Der Apostel Paulus sagt einmal, wir alle seien als Getaufte ein Brief Christi, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes in unseren Herzen.
Und was ins Herz geschrieben ist, das soll auch im Herzen bleiben, das ist eine Sache zwischen mir und dem, der mich berufen hat, aber durch mein Leben soll etwas davon sichtbar werden.
Doch in der Hl. Schrift finden wir etliche dramatische Geschichten der Erwählung und Berufung. Sie sind aufgeschrieben, damit wir uns selber darin wiederfinden können.
Der von mir sehr geschätzte Theologe Karl Barth schrieb einmal: "Jeder Vers in der Bibel ist virtuell ein konkretes Glaubensereignis meines eigenen Lebens." Das heißt: jeder biblischen Geschichte wohnt, indem ich sie höre, von Gott her die Kraft und die Möglichkeit inne, meine Geschichte zu werden und zu sein.
Die Frage allerdings ist, ob es dazu kommt, ob ich mich ansprechen lasse.
Die heutigen Lesungen sprechen ja nicht nur von Berufung, sie sprechen auch von der Begegnung mit dem Heiligen.
Und wer dem Heiligen begegnet, der ist zuinnerst erschüttert, der Boden, auf dem er steht, beginnt zu wanken -
Nicht unbedingt so, wie bei Jesaja, in dessen Bericht die Schwellen des Hauses bebten.
Aber wohl kann ein solches Ereignis unser Herz erbeben lassen. Z.B. in einem Gottesdienst. Denn vor allem hier will uns der Heilige begegnen.

Aber nun zum Bibeltext, zu Jesaja 6.

Die Schriften der Bibel sind ja, genau genommen, ein einziger vielfarbig leuchtender Widerschein von Begegnungen mit dem Heiligen, mit dem heiligen Gott.
Das macht sie so kostbar und so unersetzlich. Aber keine dieser Begegnungen ist so feierlich beschrieben und so genau nach Zeit und Ort, wie die, die einem jungen Mann namens Jesaja im Tempel zu Jerusalem geschehen ist und die beginnt:
"In dem Jahr, da der König Usia starb (das war im Jahr 738 v.Chr.), sah ich den HERRN sitzen ..."

I.
"Ich sah"- nicht wahr, das ist doch eine überraschende Aussage, wo es doch um die Begegnung mit dem Unsichtbaren und Ewigen geht. Was also sah Jesaja?
Genau genommen doch nur das, was den Ewigen umgibt: Einen Thron sieht er, "einen hohen und erhabenen", den Saum des Mantels sieht er -
so wie er in einer späteren Vision die Erde als Schemel seiner Füße sehen wird "gleich einem Werk aus saphirnen Fließen".

Und er sieht die Seraphim, mit deren Bildern die Wände des Tempels und das Allerheiligste geschmückt waren.
Das ist alles. Mehr sieht er nicht.
Ihn, Gott selber, kann auch Jesaja nicht sehen.

In einem sehr nachdenklichen Buch schreibt Peter Stasser, ein zeitgenössischer Philosoph: "Wenn wir unseren Blick auf Gott richten, wenn wir Ihn selber in den Blick bekommen wollen, wie es der moderne Mensch tut, um zu wissen, ob ER ist und wie ER ist, dann ist er verschwunden. So wie man manche Sterne nur sehen kann, wenn man an ihnen vorbeischaut, so kann man auch Gott nur mit abgewandtem Blick erkennen. Es ist die Umgebung, die Ihn offenbart."

Was aber ist die Umgebung Gottes? Womit umgibt er sich? Im letzten Buch der Bibel sieht auch der Seher Johannes den Thron, "auf dem einer sitzt". Und er sieht ihn umgeben von 24 Ältesten und 4 Gestalten.
Die 24 Ältesten repräsentieren hier "die Gesamtheit der Menschheitsgeschichte" und die 4 Wesen das wahrnehmbare Universum. Also die gesamte Schöpfung, Natur und Geschichte:
das ist die Umgebung Gottes, darin erscheint uns Gott.
Und darum rufen die Seraphim auch mit ihrem zu Gott hin verdeckten Antlitz:
"Alle Lande sind seiner Ehre voll" -
die prangende Vielfalt der Kontinente, die Weite der Ozeane, das Schweigen der Himmel, das ganze Universum ist erfüllt -
ja, von was?
Was Luther hier mit "Ehre" übersetzt, das hebr. Wort "kabod", umfasst viel mehr. Es bedeutet ursprünglich "Gewicht", Mächtigkeit, Reichtum, aber auch Herrlichkeit, Glanz, Würde.
Im Englischen gibt es einen Ausdruck, der am besten trifft, was mit diesem Wort gemeint ist.
Da sagt man von einem Menschen, dessen Anwesenheit man spürt und dessen Gegenwart den Raum füllt, auch wenn er schweigt: "he's got presence" - "Er hat Präsenz".
Und so möchte ich dieses schwierige Wort statt mit "Ehre" am liebsten übersetzen mit "Präsenz".
Jesaja "sieht" also, was jeder von uns so oder anders auch sehen kann: er sieht, was Gott umgibt. Aber diese Umgebung wird ihn nun durchsichtig, transparent auf Gottes "Präsenz" hin:
"Heilig, Heilig, heilig ist der HERR der Umscharte; alle Lande sind voll Seiner Präsenz."

Das ist das Erste, was einem Menschen, was Jesaja aufgeht in der Begegnung mit dem Dreimal-Heiligen:
Die Welt ist mehr als sie ist. Sie ist voll von Gottes herrlicher Präsenz.

Wenn wir das doch wahrnehmen könnten, liebe Gemeinde. Aber eben das können wir nicht. Seine Präsenz, seine Gegenwart erfüllt alles. Sie umgibt uns in jedem Augenblick. Aber sie entzieht sich unserem Zugriff. Wir sehen und sehen doch nicht. Wir dringen nicht durch die Oberfläche der Dinge in die Tiefe.
Doch dann hat Gott seine Gegenwart in einem Menschen wohnen lassen: in JESUS, dem CHRISTUS, in dem ER ganz präsent war und der in seinem Geist nun ganz präsent ist. Und nun können auch wir, wenn wir in der großen Abendmahlsliturgie seinen Tod verkündigen und seine Auferstehung preisen, in den Lobgesang der Seraphim einstimmen: "Heilig, heilig, heilig ist der Gott, der Herr Zebaoth; voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit."

II.
In der Begegnung mit dem Heiligen erkennen wir die Welt als Gottes Welt. Aber wir erkennen auch uns selber auf eine neue Weise. Das ist das Zweite, was uns diese Geschichte lehrt.
Die Gegenwart Gottes erfüllt den Tempel. Das, was wir im Stillen vielleicht alle wünschen: einmal Gott wirklich erfahren, einmal Seiner Gegenwart ganz gewiss sein, einmal erleben, wie alle Fragen und Zweifel verdampfen wie der Tropfen auf einem glühenden Ofen,
und es ist nur noch die Gewissheit und Freude und Anbetung in Seiner Gegenwart:
dieses Erleben wird dem Jesaja hier zuteil. Aber das baut ihn nicht auf, das reißt ihn nieder.
Denn er spürt, er erkennt: die Gegenwart Gottes ist da, aber ich halte sie nicht aus.
Die Wahrheit bricht aus ihrer Verhüllung hervor, aber "weh mir! Ich vergehe" in ihrem Licht, denn nun sehe ich:
ich bin nicht, was ich sein soll.
Die Engel singen ihren ewigen Lobgesang, "die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" - aber ich kann nicht einstimmen. Mir verschlägt es buchstäblich die Sprache, "denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen."
Konfrontiert mit dem Dreimal-Heiligen erkennt Jesaja, erkennt der Mensch, wer er ist und wie es in Wahrheit um ihn steht.
Vor Gott geht uns mit erschreckender Klarheit auf, was wir sind, und wir ahnen:
in einer Schöpfung, die Gott lobt, sind wir der dunkle Fleck geworden, der nur noch sich selber loben und seine eigenen Werke preisen kann.
Denn wir haben ja längst "den kleinen Gott der Welt", wie Mephisto den Menschen nennt, an die Stelle des einen Gottes gesetzt,
und an die Stelle des Heiligen den, dem nichts mehr heilig ist, außer vielleicht er selbst und sein "Heilixblechle".

Aber wäre dieses Erschrecken nicht ein sehr heilsames Erschrecken?
Und was würde es für unsere Menschlichkeit und für das bedrohte Leben der Schöpfung bedeuten, wenn in der Begegnung mit dem Heiligen (z.B. in der Heiligen Schrift an dem Ihm heiligen Tag),
wenn uns da der verlorene Sinn für das Heilige neu aufginge, und wir könnten endlich wieder mit Himmel und Erde in das Lob des Dreimal-Heiligen einstimmen, in dem alles Geschaffene lebt und schön und heilig ist.

Jedenfalls, in dieser Begegnung im Tempel zu Jerusalem erkennt hier ein junger Mann, ein Mensch wie wir, was man nur im Angesicht Gottes, in der Gegenwart des Heiligen erkennen kann: Er erkennt, dass er Sünder ist.
Denn nur vor Gott kann Sünde als Sünde erkannt und ernst genommen werden.
Sonst ist sie, was sie unter uns längst geworden ist: ein leeres Gerede. Man kann und darf einem Menschen nicht einreden, dass er ein Sünder ist.
Weil wir das immer wieder zu tun pflegen, ist das Wort "Sünde" so abgegriffen und abgeschmackt und zu einem billigen moralischen Begriff verkommen.
Aber Sünde hat zunächst gar nichts mit Moral zu tun. Sondern die Sünde zerstört den Glanz, den Gott auf seine Schöpfung und auf sein Geschöpf "Mensch" gelegt hat.
Sie nimmt der Welt und dem Menschen das "Gewicht", den "kabod", die Würde, die Gott ihm gegeben hat, und gibt ihn, wie Paulus dann sagen wird, der "Nichtigkeit" preis.
So hat die Sünde mit dem zu tun, was ich bin, bzw. nicht mehr bin: nämlich unfähig zu wirklicher Gemeinschaft mit Gott, und deshalb unfähig zum reinen und wahren Gotteslob.

Doch das erkenne ich nur vor Gott, im Gegenüber mit dem allein Wahren und allein Heiligen.
So tut es hier Jesaja, stellvertretend für das Volk, stellvertretend für uns alle.

Und zugleich erfährt er nun stellvertretend für uns, dass diese vernichtende Gottesbegegnung verwandelt wird zu einem wundervoll belebenden und neumachenden Ereignis. Er erfährt das Wunder der Vergebung.


"Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach:
Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei."

Also, Gott schickt Jesaja einen Boten, einen Engel.
Der legt ihm das Feuer der göttlichen Liebe und Vergebung auf die Zunge und ins Herz, dass seine Angst verschwindet und seine Furcht vergeht,
dass sein Mut erwacht und das Bewusstsein: ich bin als einzelner Mensch von größter Bedeutung und größter Aufgabe.
Und seine Bereitschaft erwacht und sein Wille entflammt. Denn nun spricht Gott selber zu ihm: "Wen soll ich senden? Wer will mein Bote sein?"
Ich denke an das lateinische Wort für "Vergebung". Das heißt "remissio". Darin steckt das Wort "missio" - Sendung.
Und in der Tat: Dieses beides gehört zusammen. Denn "Vergebung" bedeutet immer auch, wie noch in der Sprache des Handwerkers, "einen Auftrag vergeben".
Da hat ein Handwerker Mist gebaut. Der Auftraggeber stellt ihn zur Rede. Aber dann sagt er nicht:
"So, das war's. Aus. Ende. Ich gehe zur Konkurrenz." Sondern er sagt: "Trotzdem, ich habe Vertrauen zu dir. Ich brauche dich, und ich weiß, du kannst es schaffen. Da ist ein neuer und wichtiger Auftrag. Diesen Auftrag vergebe ich dir."
Und Jesaja antwortet und findet damit nun seinerseits Präsenz und Gewicht und Würde: "Hier bin ich. Sende mich!"

III.

Und das, liebe Gemeinde, ist nun das Dritte, das bei jeder Gottesbegegnung geschieht: Sie wird zur Sendung. Denn was immer in der Bibel zwischen Gott und dem Menschen sich ereignet, es geschieht nicht nur zur Erbauung, für einen erhebenden Augenblick, für ein spirituelles Erlebnis. Sondern es geschieht, damit etwas von dieser Stunde, von diesem Menschen ausgehe, ausgehe für andere.

Gewiss, wir sind nicht Jesaja. Wir sind keine Propheten. Aber die Präsenz, die Gegenwart Gottes gilt auch uns. Und wo wir sie erfahren - und warum sollte das nicht auch in einem Gottesdienst wie diesem geschehen? -
Da, meine ich, wird sie nie ohne Auftrag sein. Dabei sollten wir das Wort "Auftrag" in seinem weitesten und schönsten Sinn nehmen:
Ich glaube z.B. nicht, dass einer glückliche Tage
Vor Gott erlebt - ohne Auftrag - und sei es nur
der Auftrag zum Danken und zum Loben und zu
neuem Gottvertrauen.

Ich glaube nicht, dass einer schwere Tage erlebt
ohne Auftrag.
Ich glaube nicht, dass Gott einem einen geliebten Menschen
an die Seite gibt ohne Auftrag.
Und ich glaube nicht, dass einer einsam wird
ohne Auftrag.

Nicht, dass wir nun doch alle noch zu kleinen Propheten werden müssten oder gar unser Glück abzudienen hätten.
Und doch - das zeigt nicht nur diese Geschichte: Gott braucht Menschen.
Er braucht dich, und er braucht mich.
Denn, so lese ich bei einem rabbinischen Ausleger:
Die Engel im Himmel singen das "Dreimal Heilig". Das können sie. Dazu sind sie geschaffen. Aber das "Hier bin ich. Sende mich!" das kann nur der Mensch sagen.
Und in diesem Sinn ist der Mensch höher als der Engel. Denn der Engel tut Gottes Willen, weil er nicht anders kann. Der Mensch aber hat die Freiheit zu entscheiden, ob er Gottes Willen tun will, oder ob er sich ihm verweigert.

Und aus dieser freien Entscheidung für diesen Auftrag kommt seine Kraft und kommt sein Menschentum und kommt,
wozu Gott ihn geschaffen und gesegnet hat:
Sein Ebenbild, sein Statthalter auf Erden zu sein.

Oder um es etwas bescheidener zu sagen: um als Brüder und Schwestern des wahren Menschen, Jesus, dankbar und verantwortlich in der Gemeinschaft mit dem Vater zu leben und an unserem Ort nach Seinem Willen zu fragen und zu versuchen, ihn zu tun.
Der Ort, an dem Jesaja die Präsenz Gottes erfuhr, die ihn zu seinem Boten machte, war der Gottesdienst im Tempel. Und ich glaube, das war nicht von ungefähr so.
Denn hier vor allem dürfen und sollen auch wir die Begegnung mit dem Dreimal-Heiligen, die Erfahrung seiner Präsenz erwarten.
Im Dreimal-Heilig der Seraphen hat die christliche Kirche sehr früh schon das Lob des dreieinigen Gottes gehört, in dessen Namen sie sich zu ihren Gottesdiensten versammelte.
Ich habe mit dieser Auslegung keine Schwierigkeiten.

Und dass wir jeden Gottesdienst "im Namen", und d.h. doch in Erwartung der Präsenz des dreieinigen Gottes feiern, das bedeutet für mich ganz konkret:
In jedem Gottesdienst darf und soll ich erwarten:

  • dass Gott da einen Boten gefunden hat, in dessen oft genug armseligen Wort der Ewige selber mich sucht und anspricht.
  • Dass da unter der schlichten Gestalt von Brot und Wein
    der auferstandene Christus gegenwärtig ist.

Dass er mich teilhaben lassen will an der Kraft seiner Auferstehung, so dass ich dankbar und zuversichtlich aufstehen kann zur Auferstehung mitten am Tage, wie Marie Luise Kaschnitz, die Dichterin, es sagt.

  • Und dass da der Heilige Geist mir immer aufs Neue bezeugt, dass nichts mich von der Liebe Gottes scheiden kann;
  • Dass diese Liebe wie das erste, so auch das letzte Wort über mein Leben hat - und dass sie jedem Menschen gilt.

Und wenn nachher im Segen, der uns das alles zuspricht, sich die Verheißung erfüllt: "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein", dann gebe Gott, dass dieser hl. Geist in jedem von uns antworte: "Hier bin ich. Sende mich - in diese neue Woche, in diesen neuen Tag!"


So, liebe Brüder und Schwestern von St. Michael, feiern wir, ob evangelisch oder katholisch, den Gottesdienst recht - im Namen und zum Lob des Einen und Dreimal-Heiligen, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ihm sei Ehre und Lob - jetzt und in Ewigkeit!
Amen

 

 

 

 

 

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not und Leid
Asylarbeit
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Christlich-islamischer
Dialog
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

 

Webmaster