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Predigt über
Hiob 1
Hiobs Prüfung und Bewährung
gehalten am
13. Juli 2008 in der Eberhardskirche Tübingen (Heinrich Braunschweiger)
"Ich habe schwer an
Gott gelitten. Ich habe an Ihm gelitten, ruhelos - wegen des Bösen.
Wegen der schrecklichen Frage: Wer hat es verursacht?
Wer kann
antworten?"
Liebe Gemeinde,
das sind Sätze aus dem Tagebuch der französischen Schriftstellerin
Marie Noel. Nach außen hin hat Marie Noel ein höchst bürgerliches
Leben gelebt, war bekannt als Dichterin mit Esprit und Charme. Aber ihr
inneres Leben war über 40 Jahre lang ein erschütterndes Ringen
mit Gott.
Ihre Seele sei, so schreibt sie, ein Schlachtfeld gewesen, ein Kampfplatz,
auf dem Gott gegen Gott gekämpft habe. Und sie, Marie Noel, habe
die Schmerzen, die Wunden, die Tode dieses schrecklichen Kampfes in ihrer
Seele erlitten.
Exakt um diesen Kampf, um dieses Ringen mit Gott geht es im Buch Hiob.
Es geht um die Frage nach dem Bösen, dem bösen Übel, das
uns überfallen kann, plötzlich, wie aus heiterem Himmel, das
mit breiter, dunkler Spur sich durch die Geschichte zieht und scheinbar
wahllos das Leben bedroht und das Glück der Menschen und es vernichtet.
Wer hat es verursacht? Wer
kann antworten? Ist es Zufall? Ist es Schicksal? Aber wer hat es geschickt?
Der Gottesleugner hat es einfach. Zufall und Schicksal sind blind und
taub.
Sie kann man nicht befragen und bei ihnen kann man das Leben nicht einklagen.
Wer aber an Gott glaubt, an Gottes Allmacht und an Gottes Güte, wer
daran glaubt, dass Gott die Liebe ist, der kommt unweigerlich ins Fragen.
Aber wird er diesem Sturm der Fragen standhalten? Wird er in diesem Kampf,
der da in seiner Seele tobt, bestehen?
Oder wird er nach Lösungen suchen, die ihm dieses Fragen erlassen,
seinen Seelensturm besänftigen? - Und ist das nicht verständlich?
Das böse Übel, das uns in tausendfacher Gestalt begegnet - ist
es einfach die Strafe Gottes für ein verkehrtes Leben? Sind es nur
die bösen Folgen unserer Taten?
Aber das Leid der Kinder, der Unschuldigen, der Gefolterten, der Hungernden
- Auschwitz, Hiroshima, Tausende verschlungen und verschüttet von
Meeresstürmen und Erdbeben. Schreit das nicht alles zum Himmel?
Und was ist mit mir?
Warum bin ich bisher verschont geblieben? Warum gerade ich? Warum? Dieses
Fragen - dieser Schrei nach Sinn ist eine schmerzliche, aber kostbare
Wunde in unserer Seele.
In dieser Flut der Fragen haben wir teil an Gott selber. Er ist die Ursache,
der Grund und das Ziel.
"Gott ist am Ende aller Fragen, aller Wege, um uns aufzufangen in
seinem eigenartigen Dunkel, das eigentlich Licht ist", sagt einer,
der das Hiobbuch in seinen Tiefen ausgelotet hat wie kaum ein anderer.
"Gott ist am Ende da, weil er am Anfang da ist" (Miskotte).
Der Glaube an den Gott Hiobs,
der auch der Gott Jesu ist, stürzt uns in einen Abgrund von Fragen,
in tiefe Einsamkeit. Aber diese Einsamkeit des Glaubens "ist auch
die besondere Pforte zum Geheimnis" (Miskotte).
Auf dieses Geheimnis stoßen wir im Buch "Hiob".
Es gibt Menschen, die stellvertretend für die Menschheit diese Einsamkeit
erleiden.
Der Dichter des Hiobbuches war ein solcher Mensch, und auch Marie Noel,
die in den Abgrund geblickt hat, in den Abgrund des Bösen. Und die
in ihrem Tagebuch schreibt:
"Dennoch, mit denselben tiefen Augen habe ich das dem Bösen
Entgegengesetzte gesehen, ich habe die Liebe gesehen. Und ich glaube an
die Liebe
so, als ob diese beiden geheimnisvollen Parallelen, das
Gute, das Böse, die der Abgrund scheidet, sich im Unendlichen wieder
vereinigen müssten, in diesem Punkt einzigartigen Zusammenklanges:
Gott."
Das, liebe Gemeinde, muss uns
fürs Erste genügen als Vorbereitung auf das, was uns das Hiobbuch
enthüllt.
Hiob 1,1-5:
Es war ein Mann im Lande
Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig
und mied das Böse.
Und er zeugte sieben Söhne und drei Töchter, und er besaß
siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder
und fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde, und er war reicher
als alle, die im Osten wohnten.
Und seine Söhne gingen hin und machten ein Festmahl, ein jeder in
seinem Hause an seinem Tag, und sie sandten hin und luden ihre drei Schwestern
ein, mit ihnen zu essen und zu trinken.
Und wenn die Tage des Mahles um waren, sandte Hiob hin und heiligte sie
und machte sich früh am Morgen auf und opferte Brandopfer nach ihrer
aller Zahl; denn Hiob dachte: meine Söhne könnten gesündigt
und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. So tat Hiob allezeit.
"Es war ein Mann im Lande
Uz, der hieß Hiob
"
Wie im Märchen beginnt diese Geschichte. Irgendwo in Arabien, da
wo die Märchen zuhause sind. Und märchenhaft ist das Glück
dieses Mannes Hiob.
Reich und rechtschaffen war er und gottesfürchtig dazu. Eine Kombination,
die offensichtlich möglich, aber nicht nur heute selten ist.
Hiobs Reichtum ist nicht auf den Tränen und dem Schweiß der
Armen gebaut.
Er mied das Böse, heißt es schlicht.
Und reich ist Hiob auch an Kindern, zehn an der Zahl. Sie werden in dieser
Reihe seines Reichtums als erste genannt. Sie sind die Krone seines Glücks.
Für sie schlägt sein väterlich-fürsorgliches Herz.
Jeder Sohn hat sein eigenes Haus. Und reihum werden darin Feste gefeiert.
Alle sind eingeladen und alle nehmen sie teil, kein Streit, kein Neid.
Hiobs Familie ist intakt.
Sein Besitz ist nicht sein
Götze. Und er nicht der Sklave seiner Habe. Sein Herz hängt
an Gott. Die Ehrfurcht vor Gott ist der tragende Grund seines Lebens,
aber nicht aus Furcht um seinen ganzen Wohlstand, sondern weil er mit
seinem ganzen Haus in Demut unter dem Geber aller Güter und in seinem
Dienst allem Bösen feind bleiben möchte.
Er feiert auch nicht ab und zu einmal einen Gottesdienst. Sein ganzes
Leben ist ein Gottesdienst.
In der Tat, eine märchenhafte Fülle äußeren und inneren
Segens, ein Bild wie auf Goldgrund gemalt, damit es weithin leuchte, dieses
Bild eines reichen Mannes, der reich ist in Gott. Und über dessen
Haus Gottes Geheimnis ist.
Es soll weithin leuchten, damit die Schicksalsfrage des ganzen Buches
unser Herz umso drängender treffe. Die Frage, in deren Schatten das
goldene Bild jetzt wie ein Traum erlischt.
Denn nun hebt Hiobs Schicksal an:
V 6-12
Es begab sich aber eines
Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch
der Satan unter ihnen. Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du
her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin
und her durchzogen.
Der HERR sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob?
Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig
und meidet das Böse.
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst
fürchtet?
Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt.
Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich
ausgebreitet im Lande.
Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's
er wird dir ins Angesicht absagen!
Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand;
nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan hinaus von
dem HERRN.
Was wir mit unseren Sinnen
wahrnehmen, liebe Gemeinde, ist nur die Oberfläche, der Vordergrund
der Welt und der Dinge. Die Welt hat einen Hintergrund und eine Tiefe.
Und darüber ist ein Schleier, ein Vorhang gezogen, den kein Auge,
keine Kamera, keine Sonde, kein menschliches Machwerk durchdringen kann.
Aber nun ist dieser Vorhang
eine Szene lang geöffnet. Die Tiefe tut sich auf. Und für einen
Augenblick sehen wir wahrhaftig einen Abgrund.
Denn abgründig ist dieses Spiel, das hier gespielt wird. Und dunkel
das Bild, das von Gott gezeigt wird. Es ist das Bild, das auch Marie Noel
in ihrer Seele sah.
Da ist Gott. Der väterliche, dessen liebendes, fürsorgliches
Herz nach seinen Geschöpfen fragt.
Und da ist der Andere, der dunkle Geist, der alles verneint, der Nicht-Gott,
- und doch ist er und kann er nichts tun ohne Gott.
Und dieser Andere, der Dunkle,
auch er fragt nach dem Menschen. Aber sein Fragen ist nicht sorgend und
suchend. Es ist zersetzend wie Säure.
Und Gott, der väterliche, er scheint das Gift zu schlucken. Er spielt
das Spiel des Dunklen mit. Wird dabei selber so ein dunkler und verborgener
Gott. Ist das nun sein Wesen?
Jedenfalls: so und nicht anders ist er Gott.
Anders als jeder menschliche Gedanke, anders als jede religiöse Vorstellung.
Und wollen wir ihn ehren, ihn also Gott sein lassen, dann müssen
wir ihn als solchen, als den Verborgenen anbeten.
Der begriffene Gott ist nicht Gott, ist nur ein Gedankending, ein Abgott.
Was wir von Gott zu begreifen
meinen, das ist nur immer die Außenseite, der Vordergrund. Doch
nur im Hintergrunde, in unserem Leben voller Rätsel und Geheimnisse,
da verhüllt sich Gott und da offenbart er sich.
Und in diesem Hintergrund wird jetzt gespielt um Hiob. Und er weiß
es nicht.
Weiß nicht, dass Gott und dass der Andere nach ihm fragen.
Weiß nicht, dass er in Frage gestellt ist, dass er auf dem Prüfstand
steht, dass er gewogen wird: sein Glaube, seine Gottesfurcht.
"Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet?" - fragt der
Andere, der den Menschen schüttelt und siebt auf dem Prüffeld
des Lebens.
"Meinst du, dass einer da ist unter den Adamskindern, der dich ehrt
und liebt um deinetwillen? Der mehr von dir will als die Garantie seines
vornehmen Glücks?"
Was soll dieses Fragen? Du,
Gott, weißt doch alles. Du siehst auch in das Herz der Menschen.
Nichts ist dir verborgen. Du weißt doch auch, dass der Mensch, dein
Geschöpf, ein fehlsames, fehlerhaftes, verwundbares, anfälliges,
begrenztes Wesen ist.
Warum dann diese Prüfung?
Wozu diese Infragestellung?
Wo ist denn deine Liebe, wenn du so mit dem Menschen spielst?
Oder spielst du so mit dem Menschen, weil du ihn liebst? Und liebst du
den am meisten, den du am härtesten prüfst? Geht deine Liebe
vielleicht mit auf den Prüfstand, auf den Kampfplatz des Lebens?
Ist dort deine Liebe vielleicht
am stärksten, wo in den Seelen gelitten, gerungen, gekämpft
wird?
Bist du es vielleicht selber, der in uns um uns ringt und leidet und kämpft?
Ach, liebe Gemeinde, wenn wir
uns auf den Gott der Bibel einlassen, kommen wir nicht mehr aus den Fragen
heraus.
Wir werden in einen Sturm
von Fragen hineingetrieben. Kommen an kein Ende, finden keine Lösung,
es sei denn, es wäre da einer, - derselbe, der in uns nach uns fragt
und der uns dereinst daraus erlöst.
Das ist unser Schicksal, dass
Gott und der Andere nach uns fragen. Und keine Moral und keine Theorie
hält diesen Fragen stand.
Und es ist wohl so, dass wir hier immer gleichsam wie im Traum, wie im
Märchen leben, so lange, bis wir unser Schicksal empfangen, es zu
tragen bekommen.
Dann sind wir Kampfplatz Gottes und des Anderen geworden. So bricht es
über Hiob herein:
V 13-22
An dem Tage aber, da seine
Söhne und Töchter aßen und Wein tranken im Hause ihres
Bruders, des Erstgeborenen, kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder
pflügten, und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide, da
fielen die aus Saba ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte
mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, dass
ich dir's ansagte.
Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: Feuer Gottes fiel vom
Himmel und traf Schafe und Knechte und verzehrte sie, und ich allein bin
entronnen, dass ich dir's ansagte.
Als er noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machten drei
Abteilungen und fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und
erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein
bin entronnen, dass ich dir's ansagte.
Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter
aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, und
siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß
an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie
starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.
Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel
auf die Erde und neigte sich tief und sprach: Ich bin nackt von meiner
Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's
gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!
In diesem allen sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes
wider Gott.
Nun ist der Vorhang wieder
zugezogen. Wieder sehen wir nur den Vordergrund: Das, was viele Menschen
für das einzig Wirkliche nehmen. Das, was täglich, stündlich
vor sich geht, irgendwo in nächster Nähe oder weiter Ferne.
Das, was an Hiobsbotschaft morgens in der Zeitung steht und abends auf
dem Bildschirm flimmert und was wir, kaum zur Kenntnis genommen, schon
wieder vergessen haben
, wenn es nicht uns oder die Unseren betrifft.
Das ist die Wirklichkeit im
Vordergrund, an der Oberfläche. Aber in dem Augenblick, wo wir ins
Fragen kommen, wo wir nach dem Sinn dieses ganzen ungeheuerlichen Geschicks
und Geschehens fragen, wird diese vordergründige Wirklichkeit plötzlich
unwirklich, weil unfasslich.
Sie entgleitet uns. Und wir entgleiten ihr, verlieren den Halt, den Grund
unter den Füßen.
Ein Abgrund tut sich auf. Aber so lässt es sich nicht leben. Der
Blick in den Abgrund droht uns in die Tiefe zu reißen.
(Und manch einer ist schon abgestürzt - in die Tiefe der Depression
oder gar in die Tiefe des selbstgewählten Todes.)
Den meisten von uns ist dieser Abgrund Gott-sei-Dank gnädig verborgen.
Und dann gibt es ja noch die
Weltanschauungsapostel, die auf alle Fragen eine Antwort wissen. Sie verhüllen
den Abgrund mit dem Schleier ihrer grauen Theorien, ihrer religiösen
oder säkularen Weltanschauungen, ihrer frommen oder unfrommen Antworten
auf die Frage nach dem "Warum".
Und dann hören wir die
Sprüche, die beruhigen sollen, die uns wieder Boden unter die Füße
geben sollen und uns doch der Wirklichkeit noch mehr entfremden.
Dann wird geredet von Zufall und Notwendigkeit: der Mensch das zufällige
Produkt einer blinden Kraft, genannt Evolution. Letztlich eine Maschine,
gesteuert von einem Nervenzentrum, dem Gehirn.
Von Freiheit und Liebe, von Schuld und Sinn zu reden, wird so zum Unsinn.
Die Fragen sind erledigt. Die Seelen beruhigt, betäubt mit weltanschaulichem
Opium, dem Betäubungsmittel einer hybriden Wissenschaft, die ihre
Grenzen nicht kennt.
"Der HERR hat' gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN
sei gelobt."
Ist das nun auch vom gleichen Stoff? Religiöses Opium?
Gewiß nicht! Denn was Hiob hier aus seinem Herzen steigt und von
seinen Lippen kommt, das ist ja keine Lösung, keine Antwort auf all
die Rätselfragen. Das "Warum", die Frage nach dem Sinn
bleibt ohne Antwort, bleibt virulent.
Und wenn wir weiterlesen, sehen
wir einen Hiob, der zum Himmel schreit und fragt und klagt und mit Gott
rechtet und um eine Antwort ringt.
"Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen" - Nein, das
ist kein Opium, das ist nur eine erste Hilfe. Das ist der gläubige
Versuch, der Versuch des Glaubens, sich taumelnd in seinem Schicksal an
dem festzuhalten, der das geschickt hat und der allein noch Wirklichkeit
garantieren kann, - jetzt, wo alles so unwirklich geworden ist im Vordergrund
des Lebens.
"Der Name des HERRN sei gelobt", - gelobt und gesegnet auch
in diesem Schicksal, das ist das Äußerste, das Höchste,
was der Glaube vermag.
Und das vermag der Mensch nicht selbst. Das vermag nur der Geist dessen,
der uns das Schicksal schickt und ins Fragen treibt. Der, der in uns und
nach uns fragt, der glaubt auch in uns. Und an ihm kann einer sich nur
deshalb festhalten, weil er trotz allem in diesem Abgrund gehalten ist.
Und Hiob fällt ja noch tiefer. Noch hat er Gesundheit und Kraft und
vor sich ein Leben. Und auch das wird ihm noch genommen.
Von der Fußsole bis zum Scheitel wird er von Geschwüren befallen.
Ein Bild des Elends, wie er in der Asche sitzt und seine Haut mit einer
Scherbe schabt.
Und seine Frau, die ihn bis
hierher begleitet hat, die noch seine letzte Verbindung war zur Wirklichkeit,
sie kann es nicht mehr mit ansehen und spricht zu ihm: "Hältst
du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!"
Nun ist der letzte, intimste
Faden zur Menschenwelt zerrissen. Hiob ist allein. Der Glaube, an dem
er festhält, hat ihn in die dunkle Nacht der Seeleneinsamkeit gestoßen.
Was für ein Glaube und was für ein Gott, der sich darin offenbart?!
Kein Glaube für Schöngeister und nicht der Gott der Esoteriker
und Philosophen.
Dieser Gott lässt alle
Theorien ergrauen und alle Bilder und Begriffe zerbrechen. An Hiobs Geschick
bezeugt sich der wirkliche, der schwere Gott.
Nicht der Gott, den wir uns erdichten, damit wir ruhig leben können.
Nicht der Wächter unseres Wohlergehens. Und nicht der Garant unserer
Moral und unserer Christentümer.
Und nicht der Glaube, der uns vor dem Fragen, dem Zweifel, der Einsamkeit
schützt.
Aber allein in diesem Gott bestehen wir die Wirklichkeit und können
einem übermächtigen Schicksal widerstehen.
Und allein mit diesem Glauben verstehen wir die Wirklichkeit. Verstehen,
dass sie nicht eindeutig ist. Verstehen, dass neben dem Hellen, dem Lichten,
das Dunkle, das Abgründige wohnt - mitten in uns.
Verstehen, dass uns die Wirklichkeit
nur in Gegensätzen begegnet, die wir hier und jetzt nicht auflösen
können: jene geheimnisvollen Parallelen, die auch Marie Noel in ihrer
Seele sah: das Gute, das Böse, die der Abgrund scheidet - und die
sie im Unendlichen, in Gott sich vereinen sieht.
Aber davon weiß die Bibel
Gott-sei-Dank nichts. Vielmehr weiß sie: Gott ist Licht und in ihm
ist keine Finsternis. Das ist unsere Hoffnung. Und auf dieses Licht leben
und sterben wir zu.
Amen
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