Predigten

   
 

Predigt über Hiob 3
Hiobs Klage

gehalten am 27. Juli 2008 in der Eberhardskirche Tübingen

Der Gang durchs Hiobbuch, liebe Gemeinde, ist ein schwerer Gang. Aber gerade deshalb ist er der Zugang zur wahren Wirklichkeit, zu der des Lebens und zu der Wirklichkeit Gottes. Kapitel 3 hätte ich am liebsten links liegen gelassen. Ich fühle mich ihm nicht gewachsen - dem ganzen Hiobbuch nicht, aber besonders dem 3. Kapitel. Vielleicht aber spricht uns der Geist Gottes gerade dann und dort an, wo wir nur unsere Schwachheit und unser Unvermögen spüren. Auf ihn ist ohnehin all unser Reden und Hören angewiesen.
Hören wir zunächst noch die letzten Verse aus dem 2. Kapitel:

Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie waren eins geworden hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten.
Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt
und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Hiob ist nur noch ein Häuflein Elend, ein Häuflein Asche. Ein einsamer grauer Punkt inmitten einer farbenfrohen Landschaft.
Solche Einsamkeit kann man sich wohl kaum vorstellen, bevor man nicht selbst darin versunken ist. Die "dunkle Nacht der Seele" - in diese Nacht wollen nun die drei Freunde Licht bringen. Sie wollen mit ihm klagen, wollen ihn trösten. Als sie ihn aus der Ferne sitzen sehen, erkennen sie ihn nicht wieder. Hiob, diese königliche Gestalt von früher, ist nur noch eine Gestalt des Jammers.

Und so ist es das erste und beste, was die Freunde tun können, dass sie in die Trauer Hiobs einstimmen. Und dann sitzen sie zu ihm und schweigen sieben Tage und sieben Nächte, will sagen: eine halbe Ewigkeit.

Jedes Wort würde kalt klingen bei der Hitze dieses Schmerzes. Jeder Zuspruch wäre (zunächst) eine Schändung des unsäglich stillen Geheimnisses des unbegriffenen Leidens.
Nein, die Freunde Hiobs kennen ihn nicht mehr - nicht nur wegen seiner jämmerlichen Gestalt. Da ist vielmehr etwas Neues, etwas Fremdes, Herausforderndes in seinem Schmerz.
Hiob schweigt wohl, aber er ist nicht still. Sein Schweigen ist beredt. Noch ist es nicht ausgebrochen aus ihm.

Ist das noch der fromme Hiob? Warum demütigt er sich nicht, bekennt nicht seine Schuld? Die Freunde erkennen ihn nicht wieder. Aber Hiob kennt seine Freunde sehr wohl. Und ihre Anwesenheit macht ihm das Rätselhafte seines Leidens noch fühlbarer.

Ob sie nun schweigen oder reden, für ihn ist Gott zum Rätsel geworden, zu einem dunklen und verborgenen Gott. Und dahinein können auch seine Freunde kein Licht bringen.
Die Fragen, die Hiob hat, sind keine Probleme, die man lösen könnte.
Ja, da sitzen sie, die Freunde, schweigen vor Schmerz, aber doch im Wahn zu wissen, dass sie nur allzu gut alles begreifen - aber sie begreifen doch nichts!
Er kennt nur zu gut, was sie ihm schweigend oder redend nahe bringen wollen: nämlich, dass Gott gerecht ist und dass niemand umsonst so leiden muss. Aber er kann das nicht mehr hören.
Nein, nicht weil er Unrecht tat, muss er leiden. Nicht, weil er ein Sünder ist. Denn das sind wir alle. Und nicht, weil er ein größerer Sünder ist als andere. Das ist einfach nicht wahr, eher das Gegenteil.
Er kennt seine Freunde. Kennt ihre Weltanschauung, ihre Religion. Aber ihm ist jede Anschauung der Welt und jede Vorstellung von Gott in einem dunklen Abgrund versunken.
Und kein Argument kann da Licht hineinbringen. In seiner Seele tobt ein Sturm. Und an seinem Körper brennen Wunden wie Feuer.
Seiner Habe beraubt, seine Kinder verloren, von seiner Frau allein gelassen, von seinen Freunden nicht verstanden, sein Vater-Gott in einem Abgrund versunken, und als Perspektive nur noch der Tod.
Und so bricht es nun aus ihm heraus:


Hiob 3,1-26

Liebe Gemeinde,
"Hiobs Klage" steht über diesen Sätzen in der Lutherbibel. Die Überschrift ist zu harmlos, zu blass für den Aufruhr der Gefühle, der hier losbricht aus einer leidgequälten Brust.
Beim Sichten und Aussortieren meiner Bibliothek fiel mir der Titel eines Büchleins in die Augen, das ich vor ca. 15 Jahren gekauft hatte. "Notizen aus Sarajewo" - so der Titel. Es sind gesammelte Reportagen, Dokumente über das unvorstellbare Grauen des Krieges damals in Bosnien. In diesem Büchlein, geschrieben von einem Spanier, lauten die letzten Sätze:
"Niemand kehrt aus einem Abstieg in die Hölle von Sarajewo unversehrt zurück. Die Tragödie der Stadt verwandelt das Herz und vielleicht auch den ganzen Körper dessen, der sie erlebt, in eine Bombe, die bereit ist, in den moralischen Sicherheitszonen der direkt oder indirekt Schuldigen dort zu explodieren, wo sie den größten Schaden anrichtet."

Solche Höllen gibt es viele. Wir sind zu abgestumpft, um sie überhaupt noch wahrzunehmen.
Hiob jedenfalls sitzt in einer solchen Hölle und sein Herz ist wahrhaftig wie eine Bombe bis zum Bersten gefüllt mit Bitternis, mit Aufruhr, mit Fragen, mit Schreien.

Und nun ist sie explodiert in den Sicherheitszonen der Religionen und Weltanschauungen - also dort, wo man sich in Sicherheit wähnt vor der Sturmflut der Fragen, die über einen Menschen hereinbricht, der die Hölle erlebt…,

vor dem sich ein Abgrund auftut, in dem alle Menschenweisheit und aller Menschenglaube versinkt -
und damit alle Bilder, die sich ein Mensch erfinden kann von Gott und Welt und Leben.
Ja, abgründig ist ihm das Leben geworden und abgründig auch Gott, an dem er doch so sehr gehangen hat - nein: noch immer hängt!
Und darum doch sein Aufruhr, darum sein unsägliches Leiden, darum diese Sturmflut der Fragen und Klagen.
Schicksal und Zufall sind taub und stumm. Sie kann man nicht befragen; zu ihnen zu schreien, ist sinnlos.

Aber ein väterlicher Gott, der diese Welt geschaffen hat und in seinen Händen hält - er muss sich befragen lassen, von ihm ist Rechenschaft zu fordern, so töricht es auch scheinen mag. Ihm ist die Frage vorzulegen, ob dies wirklich das Leben sein kann, das er für uns bestimmt hat, das Leben, in dem er erkannt und gelobt sein will.

"Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag… Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin … finster soll er sein, und Gott droben frage nicht nach ihm." -
Dass Gott ist - das ist ihm keine Frage.
Aber wer er ist, das ist ihm zur Frage geworden.

Verbitterte, enttäuschte Liebe ist es, die hier als Fluch zum Himmel schreit.
Und das ist erst der Anfang. Es wird diesem Mann auferlegt, den Becher des Leids bis zur Neige zu leeren.
Es ist, als ob sich alles, was nur dem Menschen das Leben verleiden kann, bei ihm ein Stelldichein gäbe.

Er erfährt die versucherischen Mächte an Leib und Seele in ihrer ganzen Gewalt.
Ach, er sitzt längst nicht mehr allein auf seinem Aschenhaufen. Was ihn bedrängt, in die Verzweiflung drängt, das sind ja die gleichen Gewalten, deren Prankenhiebe oder Nadelstiche wir alle entweder schon erlebt haben oder von denen wir uns doch zumindest täglich bedroht wissen.
Ist es nicht, als habe Hiobs Schrei die tausend Schleusen des Grauens geöffnet, und nun kommen sie alle heraus, die endlosen bleichen Heerzüge derer, die das Leben zerbrach … Das Leben? Oder Gott? Oder wer sonst?

Von den schlimmsten Höllen wollen wir jetzt gar nicht reden. Daran verbrennen die Gedanken und zerbrechen die Worte.
Um uns her finden wir genügend Leid und Elend, inneres und äußeres, vielleicht im eigenen Haus, vielleicht bei oder in uns selber.
Wenn wir nicht wegschauen, sehen wir sie: die von Krankheit Gemarterten, von Kummer verzehrten Gestalten, leer geweinte Gesichter, unstete Augen und die scheuen Gebärden der Einsamen. Alles findet sich in diesem Heer, das niemand zählen kann:
Fromme und Gottlose, Kind und Greis, Verbrecher und Heiliger.
Und an jedem neuen Tag schließen sich Tausende und Abertausend diesem Heerzug der vom Leben Zerbrochenen an.
Ist ihr Schweigen nicht wie ein einziger ungeheurer Schrei, der in Hiobs Klage einstimmt?

"Warum gibt Gott das Licht den Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen?"
Warum, o Ewiger, behandelst du uns wie Nichtsnutze?
Warum werden wir zerdrückt wie die Motten?
Und es scheint dich nicht zu kümmern auf deinem hohen und erhabnen Thron?
O Gott! Wir müssen von dir sprechen. Und unser Sprechen wird zum Lästern. Aber du bist es doch, der uns aus dem Schoß des Nichts hervorgerufen hat.
Du hast das Leben so geformt mit deinen erschreckend-schöpferischen Händen, -
So, dass wir uns die Hölle ganz gut vorstellen können, während der Himmel blass in der Leere unendlicher Fernen hängt - als Grenzbegriff, als das Gegenteil nur von all dem, was wir kennen.

Das, liebe Gemeinde, ist Hiobs-Klage.
Er ist zum Jedermann, zum Wortführer der Elenden geworden, der die Fragen gen Himmel schleudert, die niemand auf dieser Erde beantworten kann.
Oder vielleicht doch? Die Freunde Hiobs werden es versuchen. (Davon handelt die nächste Predigt.) Sollen wir uns ihnen anschließen?

In den Sicherheitszonen der Religionen und Weltanschauungen sind die Weltenrätsel gelöst.
Dort ist die Flut der Fragen erstarrt in der Eiseskälte ihrer Antworten.
Sollen wir sie nicht einfach beruhigen, ruhigstellen mit irgendeinem geistigen oder seelischen Betäubungsmittel, diese Hiobs, die das Fragen und klagen nicht lassen können?
In der vergangenen Woche ist einer der am Genozid und an der Vertreibung von bosnischen Muslimen Hauptschuldigen festgenommen worden. Sarajewo lag damals fast 3 Jahre unter Dauerbeschuss der serbischen Miliz. Eine, die das erlebt hat, ist die 13-jährige Svetlana. Auf der letzten Seite ihres Tagebuches notiert sie:
"Gestern war wirklich ein grauenhafter Tag. 590 Granaten. Von morgens halb fünf an, den ganzen Tag. Sechs Tote, sechsundfünfzig Verletzte…Wieder haben sie unsere Hoffnungen zerstört…Mein Gott, warum müssen sie alles kaputtmachen?... Warum? Ich stelle mir immer wieder die gleiche Frage: Warum? Wir haben nichts getan. Wir sind unschuldig. Und wir können nichts tun."

Was hätten wir ihr sagen sollen? Es gibt so viele, die dieses Warum auf ihren Lippen und in ihrem Herzen tragen. Was könnten wir antworten?
Sollen wir von Zufall reden? Von einer höheren Gerechtigkeit? Sollen wir sagen: Svetlana, quäle dich nicht mit solchen Fragen. Füge dich in dein Schicksal. Der Weltenlauf ist nun einmal, wie er ist. Dahinter einen Sinn zu suchen, ist vergeblich. Beuge dich vor der Urgewalt der Geschichte und des Lebens…

Oder sollen wir ihr etwas von Wiedergeburt, von Wanderung und Läuterung der Seelen auf dem Weg in die geistige Heimat zuraunen?
Ach, liebe Gemeinde, wir merken, wie unangemessen, wie obszön solche Rede zu diesem 13-jährigen Hiobsmädchen wäre.
Im Fortgang der Hiobsgeschichte erfahren wir, dass keine Menschenantwort den Hiobsfragen standhält, auch die frömmste nicht.


Allein Gott selber hat die Antwort oder besser: er ist die Antwort. Hiob wird dieses Wort aus dem Wettersturm hören, nein: sehen wird er es und wird dann sagen: "Ich hatte dich nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen."

Bevor das Menschenherz Gott nicht schaut, wird es unruhig sein, wird es nach Gott dürsten, nach dem lebendigen Gott.
"Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?" fragt der Psalmbeter.
Hat Hiob Gott nun wirklich gesehen? Kann man Gott als sündiger, endlicher Mensch überhaupt schauen, ohne im Nichts zu versinken?
Das Hiobbuch, liebe Gemeinde, ist ein prophetisches Buch. Es zeugt von jenem Wort, von jener Antwort Gottes, von der es heißt:
"Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir sahen seine Herrlichkeit."
Und wir hörten seinen Schrei, den Schrei am Kreuz. Und in diesem Schrei Jesu schreit der Geist des Sohnes zum Vater im Himmel. Alle Hiobsschreie dieser Welt sind darin gesammelt.
Das Kreuz aber auf Golgatha ist das sichtbare Zeichen für die Abgründigkeit der Welt, für den Riss, der durch die Schöpfung geht.

Und zugleich ist es das Zeichen dafür, dass Gott diesen Abgrund in sich hinein nimmt und schließt.
Am Kreuz leidet Gott selber an der Abgründigkeit und Gebrochenheit der Welt.
Am Kreuz hält er unter abgründigem Schmerz zusammen, was seine Liebe geschaffen hat und was sonst verloren ginge.
Wer diesem Gott nahe kommt, besser: Wem dieser Gott nahe kommt, der wird etwas empfinden von diesem Gottesschmerz.

Gott ist dem Hiob nahe gekommen. Und in dieser Gottesnähe ist ihm sein Gottesbild zerglüht. Und er meinte, von Gott verlassen zu sein. Aber er war eingehüllt in die verborgene Gegenwart Gottes. Denn nur in den Händen, im Herzen Gottes selber kann man in den Abgrund sehen, ohne darin zu versinken.
Hiob hat Gott erfahren, den lebendigen, den wirklichen Gott, der seine Schöpfung frei gegeben hat und an ihr leidet.
Und solche Gotteserfahrung stürzt den Menschen in ungeheure Anfechtung, in die "dunkle Nacht der Seele", wie die Mystiker sagen.

In einem Büchlein mit diesem Titel lese ich:
"Dunkle Nacht ist ein Hineingetauchtwerden in die Verzweiflung zugleich mit einem Nichtverzweifeltsein, einer wurzelhaften Hoffnung.
Die Seele erleidet Finsternis, die Gegenwart der Finsternis, aber das Ziehen aus der Zukunft des kommenden Christus bleibt bestehen. Vom Ende her und aus der Tiefe der Finsternis leuchtet ein Licht auf."

Und dazu bekennt ein moderner Hiob:
"In diesem Wüstenbezirk habe ich gelernt, dass man nicht wirklich wissen kann, was Hoffnung ist, ehe man nicht erkannt hat, bis zu welchem Grad sie der Verzweiflung gleicht."

Das Buch Hiob hilft uns zur rechten Hoffnung, zur Hoffnung auf den lebendigen Gott, von dem es im letzten Buch der Bibel heißt:
"Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei. Denn das Erste ist vergangen. Siehe, ein neues ist geworden!"
Amen

 

 

 

 

 

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not
und Leid
Kirchenasyl
Asylarbeit
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Christlich-islamischer
Dialog
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

 

Webmaster