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Predigt über
Hiob 19
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt
gehalten am
24. August 2008 in der Eberhardskirche Tübingen (Heinrich Braunschweiger)
Liebe Gemeinde,
das Buch Hiob ist eine schwere Kost.
Schwer ist es, weil es vom schweren Gott redet. Und vielleicht kann man
dieses Buch zuinnerst nur verstehen, wenn man die Schwere des Lebens,
die Not, das Elend, das Ausgestoßensein, die Armut, die Einsamkeit
eines Hiob schon am eigenen Leibe, in der eigenen Seele erlebt und erlitten
hat.
Ganze Länder auf dieser Erde sind zuzeiten Hiobsland. Den Armen Lateinamerikas
z.B. ist die Hiobsgestalt vertraut. Dort ist der Schmerz Hiobs, seine
Klage und Hoffnung zuhause.
Elsa Tamez, die dort lebt, schreibt:
"Dein Todesgeruch ist uns in die Nase gedrungen, wir riechen dich
überall. Dein ausgemergelter Körper lässt uns nicht los.
Von unserem Fleisch hängen Stücke deines geschundenen Fleisches
herab. Du hast uns angesteckt, Bruder Hiob, angesteckt hast du uns, unsere
Familie, unser Volk. Und dein nach Gerechtigkeit schauender Blick wie
dein zorngeladener Atem haben uns Mut, Zärtlichkeit und Hoffnung
gegeben."
Das Buch Hiob ist eine Sprachschule
für die Leidgeprüften. Denn das heimliche Thema dieses Buches
ist die Frage: Wie kann man als einer, der unschuldig leidet, noch gut
von Gott reden?
Am Schluss des Buches, nachdem
Gott mit Hiob aus dem Wettersturm geredet hat, hören wir:
"Als nun der Herr diese Worte mit Hiob geredet hatte, sprach er zu
Elifas von Teman: Mein Zorn ist entbrannt über dich und über
deine Freunde; denn ihr habt nicht gut von mir geredet wie mein Knecht
Hiob."
Dieses Lob für Hiob und
dieser Tadel für seine Freunde müssen uns zu denken geben.
Hiob hat gegen Gott revoltiert, seine Freunde haben Gott in Schutz genommen.
Hiobs unbändige Klage und Anklage Gottes war hart am Rande der Gotteslästerung.
Hiobs Freunde weisen seine Klage zurück und schelten ihn deswegen.
Sie sagen. Gott, der Heilige, wird schon wissen, was er tut. Nur du willst
nichts davon wissen, dass du ein unreiner und sündenbeladener Mensch
bist. Gott ist der Wahrer des Rechts, aber du bist im Unrecht. Und jedem,
dem Böses widerfährt, der büßt auch für sein
böses Tun.
Aber diese Theologie, dieses
Reden von Gott ist in Gottes Ohren nicht gut. Das ist die eigentliche
Blasphemie. Die Freunde Hiobs haben Gott zu einem Prinzip gemacht, das
so funktionieren muss, wie ihre religiöse Logik es vorschreibt: Das
Gute wird belohnt; das Böse wird bestraft.
Der Gott der Freunde ist also
ein Gedankengott, ein ausgedachter Gott. Ist nicht der wirkliche Gott.
Der verborgene Gott, dessen Sein ein Geheimnis ist: "Ich werde sein,
der ich sein werde", wurde Mose am brennenden Dornbusch beschieden.
"Ich bin da", sagt Gott, "und werde für euch da sein."
Mehr können wir über das geheimnisvolle Sein Gottes nicht wissen,
auch nicht als Christen, die das "Für-uns-Dasein" Gottes
in Christus glauben.
Gott als Geheimnis der Welt ist kein Rätsel, das man lösen könnte,
- nur verbeugen kann man sich vor diesem Geheimnis, es anbeten.
.
Wir Christen sind deshalb Leute, die am wenigsten Antwort haben auf die
Rätselfragen dieser Welt. Wir haben keine Lösungen anzubieten,
wie sie andere Religionen oder auch die Sekten haben.
Das Lösungs-Denken ist letztlich gottlos, weil es Gott auflöst
in menschliche Logik, also in das, was unser Gehirn fassen und was es
erklären kann.
Aber uns ist mehr als eine Lösung zugesagt. Uns ist Er-Lösung
verheißen. Und darum können wir ohne Lösung leben, können
die Spannung aushalten, die darin liegt, dass Gott gut ist, und dass es
trotzdem das Böse in der Welt gibt.
Wir können es, weil und solange wir mit Gott reden können, so
wie Hiob redet.
Und nicht so, wie die Freunde reden, die glauben, über Gott und auch
über Hiob Bescheid zu wissen.
Lassen wir uns also auf die Sprachschule des Hiobbuches ein, damit wir
nicht den Zorn Gottes auf uns ziehen, sondern gut von Gott reden können.
Hören wir aus dem Hiobbuch,
Kap. 19,21-27:
"Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, meine Freunde; denn
die Hand Gottes hat mich getroffen!
Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von
meinem Fleisch?
Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden!
Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen
Griffel in Blei geschrieben zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen!
Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird
er über dem Staub sich erheben.
Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden,
so werde ich doch Gott sehen.
Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und nicht als
Fremden. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust."
Liebe Gemeinde!
Tiefer als Hiob kann ein Mensch in seinem Elend nicht sinken. Aber gerade
in dieser tiefsten Tiefe erfährt Hiob das Höchste, was ein Mensch
erfahren kann:
"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt."
Noch kurz zuvor hat er aufgeschrieen,
hat zum Himmel geschrieen, der ihm Gewalt antut, hat nach Gerechtigkeit
geschrieen - und nur Schweigen war die Antwort. Und nun: "Ich weiß,
dass mein Erlöser lebt."
Das ist wahrhaftig ein atemberaubender
Übergang. Hier überschreitet Hiob sich selbst, seine Natur.
Er überschreitet all das, was ein Mensch von sich aus wissen oder
erforschen kann. Alle Antworten der Wissenschaften, der Philosophie und
der Religionen sind hier überschritten.
Wir rühren hier an das Geheimnis der biblischen Hoffnung, von der
Paulus sagt, dass sie eine Hoffnung wider alle Hoffnung sei.
Es ist eine Hoffnung, die von außen kommt. So wie die Morgenröte,
die den neuen Tag ankündet. Es ist, wie wenn der verhangene Himmel
sich plötzlich an einer Stelle auftut und das azurne Blau zu sehen
ist.
Nein, es ist wohl noch anders,
noch überwältigender, noch fremder, noch unerwarteter. Es ist
vielleicht so, wie bei jenen, die dem Tod schon ganz nahe waren, das Herz
hatte ausgesetzt und auch die Atmung - und dann wurden sie wieder zurückgeholt.
Übereinstimmend erzählen
inzwischen Tausende mit ähnlichen Erlebnissen im Grenzbereich des
Todes, sie seien durch einen dunklen Gang, ein enges, beängstigendes
Tunnel geführt worden und plötzlich sei die Enge, das Dunkel
zu Ende gewesen und ein überwältigendes, ein warmes Licht habe
sie empfangen. Und ein unbeschreibliches Gefühl der Harmonie und
der Freude habe sie durchflutet.
Das mag uns ein Gleichnis sein
für Hiobs Übergang, für die Hoffnung, die sagen kann:
"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Und diese Erlebnisse sind zugleich
ein Wegweiser dieser Hoffnung. Er zeigt in das dunkle Tunnel, in finstere
Nacht, in Angst und Enge und Bedrängnis.
Um das Licht zu sehen, müssen wir durch die Nacht hindurch. Durch
die dunkle Nacht der Seele. Keiner wird diesen Weg freiwillig gehen.
Und unsere Zeit und Zivilisation
verhindert und versperrt geradezu diesen Weg. Wir leben in einer "Kultur
der Analgetika", der Betäubungs- und der Schmerzmittel. Schmerzliche,
notvolle Erfahrungen werden möglichst schnell verdrängt und
verdeckt. Tut der Kopf weh, gibt es dagegen eine Pille. Tut die Seele
weh, gibt es eine andere.
Es ist erschreckend, wie viele
solcher Schmerz- und Beruhigungsmittel, so genannte seelische Aufheller
täglich geschluckt werden.
Nur keine Schwäche zeigen. Immer gut drauf sein - das ist das Motto
unserer Zeit.
Ein Hiob mit seinem Fragen und Klagen - das ist ein absoluter Fremdkörper.
Existentielle Fragen, die im dunklen Geheimnis unseres Seins wurzeln,
werden dem Menschen systematisch ausgetrieben.
Der Mensch ist ein Zufallsprodukt, so wird von den Ideologen dekretiert.
Also wozu nach dem Woher und dem Wohin oder gar nach dem Warum fragen?
Ich glaube, der gegenwärtige
Mangel an Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis hat mit dieser Flucht vor
dem Schmerz und vor den Dunkelheiten des Lebens zu tun.
Jochen Klepper, der Liederdichter,
auch ein Bruder Hiobs, weiß es besser:
"Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte
er belohnen, so richtet er die Welt."
Im Dunkel will Gott wohnen.
Im Dunkel geschieht die Geburt des Hoffnungslichtes. Im Dunkel, in der
Armut und Enge des Stalls von Bethlehem kommt es zur Welt.
Hier bei Hiob auf seinem Aschenhaufen,
hier wird es plötzlich hell in seiner Seele - nur für einen
Augenblick.
Ich stelle mir vor, dass Hiob
sein Haupt zum Himmel hob und er die Augen weiden ließ an den Wundern,
bis er so im Glauben sprechen konnte, sich auf nichts verlassend als auf
seine innere Gewissheit und auf die Verheißung des Wortes an die
Väter. Später wird Gott ihn nach draußen führen unter
den Sternenhimmel und ihn fragen und seine Füße auf weiten
Raum stellen und seine Seele zur Ruhe kommen lassen. Doch schon jetzt
schoss für einen kurzen Augenblick das Licht von Freiheit und Weite
durch Hiobs Leben.
Ja, diese Augenblicke, liebe
Gemeinde! Diese kurzen Momente der geistlichen Erkenntnis: Ich weiß,
dass Gott ist. Dass er mich führt durchs dunkle Tal.
Sie sind äußerst wirklich und doch flüchtiger als jedes
andere Ereignis.
Sie sind befreiend und doch bleibt noch immer das Rätsel, sie geben
Raum, während wir noch damit beschäftigt sind, die Wände
unseres Kerkers abzutasten.
Nachher denken wir, wenn der Augenblick wieder vorbei ist, es sei nur
eine Stimmung gewesen.
Traurige Unterschätzung des göttlichen Geheimnisses. Gott arbeitet
in diesen stillen Augenblicken an unserer Seele. Und diese Augenblicke,
- auf keiner Uhr, an keinem Sekundenzeiger abzulesen -, sind jedoch qualitativ
mehr als der ganze übrige Lebenslauf und Lebenskampf. Es sind die
wirklichen Licht-Blicke, in denen uns das Licht aus der Ewigkeit gestreift
hat.
Doch es war nur ein Moment,
die Nebel nahmen schnell wieder zu und so blieb es nötig, die Klage
und die Erwartung "mit einem eisernen Griffel in Blei geschrieben,
zu ewigem Gedächtnis in einen Fels zu hauen"
"Ach
dass meine Reden aufgeschrieben würden", seufzt Hiob.
Warum denn dieses unbändige
Verlangen nach Verewigung seiner Klageschreie?
Die Antwort ist: Weil Hiob aufgegangen ist, dass seine Leidensexistenz
kein individuelles Schicksal, sondern exemplarisches Menschenschicksal
ist.
Er ahnt, dass in seiner Leidensgestalt etwas ganz Neues aufbricht,
dass in seiner Seele "Gott gegen Gott" kämpft (Luther),
dass der neue Gott und der neue Mensch in ihm geboren werden.
Er ahnt etwas von Weihnachten und Karfreitag zugleich. Sein Herz weiß
schon um vieles mehr, als was sein Verstand weiß. Mit seinem Verstand
hält er noch fest am alten Gott der Tradition, dessen Gerechtigkeit
ist, dass er das Gute belohnt und das Böse bestraft.
In seinem Herzen aber kennt Hiob schon den Gott der unverdienten und überfließenden
Liebe, der seine Sonne aufgehen lässt über Gerechte und Ungerechte,
der die Menschen in die Freiheit entlässt, damit auch sie ihn freiwillig,
absichtslos, ganz umsonst ehren und lieben können.
Und darum bricht es plötzlich aus diesem Herzen wie mit einer Urgewalt
der Hoffnung heraus:
"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und als der letzte
wird er aus dem Staub sich erheben."
Was also hat Hiob in seinem
Herzen schon begriffen? Dass in der Welt, auch wenn sie von Gott geschaffen
ist, keine Gerechtigkeit herrscht? Nein.
Ihm ist aufgegangen, dass das
menschliche Reden von der Gerechtigkeit
Gottes Liebe nicht erfassen kann.
Nur dann stehen wir ganz und endgültig vor dem Gott des Glaubens,
wenn wir anerkennen, dass seine Liebe unverdient ist - umsonst, gratis.
Gratis kommt vom lateinischen gratia, was soviel heißt wie Gnade.
Die Gnade schließt die
Gerechtigkeit nicht aus sondern ein. Aber die Gnade Gottes nimmt manchmal
schmerzhafte, leidvolle Formen an.
Marie Noel, jene französische
Schriftstellerin mit mystischen Erfahrungen, von der ich in der ersten
Hiobspredigt erzählte, deren Seele zu einem Schlachtfeld Gottes geworden
war, schreibt in ihrem Tagebuch:
"Oh, wie hart die Gnade Gottes manchmal ist, wenn sie in den Menschen
eindringt! Sie tritt nicht durch unsere geöffneten Türen ein,
unsere Ohren, unsere Augen, unseren Verstand. Sie kommt durch die geschlossene
Tür. Sie zwingt und zerbricht. Mit Gewalt, mit einer Verwundung tritt
sie ein, breitet sich aus, reißt alles an sich."
Aber eben diese harte, schmerzliche Gnade ist es, durch die wir heil werden,
durch die Gottes unverdiente und ungeschuldete Liebe, durch die Gott als
Liebe zur Welt kommt.
Wir werden diese Gnade immer wieder fliehen. Auch Hiob hat sie sich nicht
ausgesucht. Aber es kann sein, dass sie uns nächtens überfällt
wie sie Hiob überfallen hat und Jakob, den Erzvater Israels, am dunklen
Fluss des Lebens.
Vielleicht gerade dann, wen wir dabei sind, durch die seichte Furt zum
Ufer des erhofften Glücks zu gelangen.
Dann gilt es zu kämpfen
und zu Gott zu schreien. Wohl dem, der dann einen Lehrer hat wie Hiob
oder wie Jakob.
Sie ließen von Gott nicht ab. Sie haben sich an ihm festgehalten,
festgeklammert, bis die Morgenröte anbrach:
"Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!"
Und nur hinkend, nur gezeichnet von Gottes Gnade und Segen, verlassen
sie den Kampfplatz.
Vielleicht, liebe Gemeinde,
ist jetzt deutlich geworden, warum der christliche Glaube keine Lösungen
parat hat auf all die Rätselfragen dieser Welt.
Lösungen sind ja immer
Verstandeslösungen, Lösungen der Logik und der Technik.
Und insgeheim tendieren alle Lösungen hin auf die "Endlösung".
Das Geheimnis dieser Welt, das Gott ist, lässt sich nicht lösen
wie ein technisches oder logisches Problem.
Dieses Geheimnis hat nur eine Lösung für uns bereit und das
ist die Erlösung.
D.h. die Befreiung von dem Gesetz von Ursache und Wirkung, von Strafe
und Belohnung, von dem "Wie du mir, so ich dir".
Mit einem Wort: die Befreiung zu einem Leben in und aus der Liebe Gottes
allein.
Die Gnade ist damit beschäftigt, uns jetzt schon daran teil zu geben.
Dank sei Gott!
Amen
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