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Abschiedspredigt
von Pfarrer Heinrich Braunschweiger
Matthäus 17, 1-9
2. Februar 2009
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
liebe Gäste der Eberhardsgemeinde!
Heute ist der letzte Sonntag nach dem Epiphaniasfest. Und es ist der letzte
Sonntag, an dem ich als Pfarrer im aktiven Dienst hier auf der Kanzel
stehe.
Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, um mit mir Gott zu loben und
um seine Gegenwart zu bitten. Und was könnte es denn Schöneres
und Wichtigeres für eine Christengemeinde geben?
Dass ich auf diese geistliche Erkenntnis gestoßen bin oder besser:
gestoßen worden bin, ist für mich allerdings ein mittleres
Wunder - wie so manches in meinem kurvenreichen Lebenslauf. Und solche
Wunder wirkt eben der Hl. Geist. Und er wirkt an und durch Menschen.
Ich kann jetzt nicht alle nennen, durch die er an mir gewirkt hat. Aber
einen will und muss ich jetzt nennen, weil ich ohne ihn nicht der Pfarrer
und Prediger geworden wäre, der ich bin.
Es ist der Holländer Kornelis Heiko Miskotte, der in Deutschland
kaum bekannt ist und den auch ich leider nur durch seine Schriften kennen
gelernt habe. Seit mehr als 30 Jahren singt er nun schon sein Gotteslob
im Himmel. Und ich vermute, dass die Engel über den hohen Ton seiner
hymnischen Theologie entzückt sind und ihn im himmlischen Chor wohl
im Tenor einsetzen.
In seiner Predigtlehre, die den Titel tägt "Das Wagnis der Predigt"
schreibt er einmal:
"Predigen heißt Worte niederlegen wie Tasten, aus denen der
Heilige Geist das ewige Lied von Gottes Liebe über diese widerspenstige
Welt erklingen lässt."
Die widerspenstige Welt, die steckt und rumort ja in uns allen. Und nach
Gottes Liebe sehnen wir uns alle, auch wenn uns das zumeist gar nicht
bewusst ist.
Die Partitur für dieses Lied schrieb für den heutigen Sonntag
der Evangelist Matthäus. Es ist die Geschichte von der Verklärung
Jesu.
Ein "Gesicht" nennt Jesus selber das, was da beschrieben wird.
Ein "Gesicht", also etwas, das man vor Augen haben und mit den
Augen des Herzens sehen und nur so verstehen kann.
Hören wir also die Lesung aus dem Matthäusevangelium im 17.
Kapitel:
Und nach sechs Tagen nahm
Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte
sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie
die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst
du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia
eine.
Als er noch redete, sieh, da überschattete sie eine lichte Wolke.
Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach; Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und
erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und
fürchtet euch nicht!
Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt
von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten
auferstanden ist.
Liebe Gemeinde!
Wer ist dieser Jesus, von dem hier die Rede ist?
Auf die Frage "Wer war Jesus?" gab es schon viele Antworten
- je nach Zeit und Interesse derer, die sich vom historischen Jesus ein
Bild machen wollten.
Aber danach, nach dem historischen Jesus, frage ich nicht, sondern nach
dem gegenwärtigen Jesus, dem Christus. Denn daran hängt mein
Leben, mein Glück, meine Seligkeit.
Und hier bekommen wir eine Antwort. Der Evangelist hat uns ein Bild gemalt,
eine Ikone, durch die das Geheimnis dieses Jesus aufscheint, durch die
es sichtbar wird.
Ein Bild - gemalt mit österlichen Farben, mit den Farben des Glücks
und der Seligkeit. Mit der Ewigkeitsfarbe.
"Durch die klaffenden Risse des Verstandes leuchtet das Blau der
Ewigkeit", so sagt es ein weises Wort. Ja, der Verstand versteht
nichts von der Ewigkeit. Er kann sie nicht fassen.
Aber darum geht es in diesem Bericht: um die Ewigkeit, um den gegenwärtigen
Christus, den Gott von Ewigkeit her für uns zur Rettung bestimmt
hat und dessen Bild für einen Augenblick durch die klaffenden Risse
unserer Wirklichkeit hindurchgebrochen ist.
Schon der Anfang der Erzählung weist uns in diese Richtung: "Und
nach sechs Tagen" - so beginnt diese rätselhafte Geschichte.
Nach 6 Tagen kommt der 7. Tag. Es ist also der Ruhetag Gottes, der große
Sabbat, an dem dermaleinst Gott mit seiner ganzen Schöpfung das Fest
der Heimkehr seiner verlorenen Söhne und Töchter feiern wird.
Es ist der Sonntag schlechthin. Herausgehoben aus allen Tagen, herausgehoben
aus der Zeit.
"Nach sechs Tagen", so heißt es, "nahm Jesus mit
sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder und führte sie
allein auf einen hohen Berg."
Warum nur drei und gerade diese drei, wird nicht gesagt. Es sind jedenfalls
die gleichen , die dabei waren, als Jesus zum ersten Mal die Macht des
Todes brach im Hause des Jairus.
Sind sie herausgenommen, um Zeugen seiner Herrlichkeit zu werden, da sie
später in Gethsemane Zeugen seiner Angst und seines Zagens werden
sollten? Wir wissen es nicht.
Aber was da geschieht auf dem Berge, geschieht nicht für ihn, sondern
für die Welt, die einmal ganz in diesem Licht erstrahlen soll.
Darum müssen Zeugen, muß die Gemeinde zugegen sein.
Und in dieser Stunde werden auch wir in dieses Geschehen hineingenommen,
werden hinaufgehoben auf den Berg, damit wir später in den Niederungen
des Alltags unsere Sorgen und Mühen, Freude und Leid, die kleine
und die große Welt in einem anderen Lichte sehen können.
"In einem anderen Licht" - ja, alles in dieser Szene auf dem
Berg ist in überirdisches Licht getaucht:
"Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete
wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht."
"Er wurde verklärt" -, im Urtext steht da: "Er wurde
verwandelt". Das klingt seltsam. Fast wie im Märchen, wo es
zu geschehen pflegt, daß ein Mädchen in ein Reh verwandelt
wird und seine Brüder in wilde Schwäne und der Frosch in einen
Prinzen.
Aber so ist es hier nicht. Jesus verwandelt sich vor den Augen der Jünger
nicht in eine fremde Gestalt; sondern nun sehen sie, sehen wir ihn in
seiner wahren Gestalt. Wir sehen sein Wesen.
Das Vergängliche an ihm ist ausgeläutert. Es ist verklärt.
Licht ist sein Kleid und Liebe sein Wesen, eine glühende Liebe und
ein gleißendes Licht.
Es ist das Ursprungslicht, das Licht von Ostern her und es ist das Licht,
das Mose auf seinem Angesicht widerspiegelte, als er vom Berg Sinai herunterstieg,
so daß Aaron und das ganze Volk Israel sich fürchteten, ihm
nahezukommen.
Aber hier auf dem Berg der Verklärung ist ja die Zeit aufgehoben:
die Vergangenheit und die Zukunft schießen zusammen in der ewigen
Gegenwart, in der gegenwärtigen Ewigkeit.
Und hier, wo keine Zeit mehr ist, stehen auch die Jünger, steht die
Gemeinde schon im Licht der Ewigkeit. Nichts trennt sie mehr von ihrem
Herrn.
Denn, so hat Jesus schon zuvor gesagt: "Dann werden die Gerechten
leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich."
Und nichts trennt sie mehr auch von den Großen der Vergangenheit.
Die Wände der Zeit selber sind erglüht und treten lautlos auseinander
und zerfallen in Licht:
"Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm."
Nun wird dieser hohe Berg wirklich zum 2. Gottesberg, zum 2. Sinai. Die
ganze Geschichte Israels tritt ja mit diesen beiden Gestalten ins Bild:
Mose, mit dem die Rettungsgeschichte beginnt, und Elia, der das kommende
Messiasreich verkündigt, und damit das Ende der bisherigen Geschichte.
Elia, von dem gesagt wird, er sei in Johannes dem Täufer erneut erschienen,
Elia-Johannes, der ermordet wurde aus Laune und Willkür, auch er
ist anwesend. Und d.h.: die Vergangenheit findet sich geheilt.
Die Tränen sind abgewischt, der Tod ist nicht mehr.
Mose und Elia, die Alten, auf die vorher zu hören war, werden zu
Jüngern Jesu wie der Jünger Petrus. Sie werden aber auch zu
Brüdern Jesu wie die Brüder Johannes und Jakobus. Das ist der
Beginn der communio sanctorum, der Gemeinschaft der Heiligen.
Dazu gehört auch die Vergangenheit, in der alles wieder gut gemacht
ist. Diese Vergangenheit gibt es.
Es ist diejenige Vergangenheit, die von Gottes Liebe aufgehoben ist in
seine Gegenwart - aufgehoben im doppelten Sinn des Wortes: aufbewahrt
und heilgemacht.
Das Neue Testament nennt das sehr einfach: das ewige Leben.
Und wo so viel Licht und so viel Liebe anwesend ist, da ist es gut sein.
Manche Menschen, die dem Tod sehr nahe gekommen waren und wieder reanimiert,
zurückgeholt wurden, berichten auch fast einhellig von Lichterlebnissen.
Durch einen dunklen Tunnel seien sie auf ein warmes Licht zugegangen,
das sie aufgenommen und umfangen habe.
Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Was mir jedenfalls
zu denken gibt:
Wenn diese nahe an die Grenze des Todes Gekommenen wieder zurückgeholt
werden in das alte Bewußtsein und das alltägliche Leben, ist
da ein großer Widerstand. Sie wollen nicht mehr zurück.
So ähnlich ist es bei Petrus, solange er auf dem Berg vom Licht der
Verklärung und der Fülle der Liebe umhüllt ist.
Petrus möchte das festhalten, möchte verweilen. Hier auf dem
Berge, wo das Blau der Ewigkeit durch alle Ritzen schimmert - hier ist
doch wahrhaftig gut sein.
Hier, wo alle Tränen abgewischt sind, die vergangenen und die zukünftigen
auch schon -, hier muß das lichte Leben befestigt, hier muß
es festgehalten werden -
in drei Hütten soll es wohnen: das ewige Leben.
"Aber da er noch redete, sieh, da überschattete sie ein lichte
Wolke..."
Der Wunsch des Petrus wird in nichts getadelt. Aber nun wird das ausgegossene
Licht wieder hineingenommen in die verborgene Gegenwart Gottes- dafür
steht ja das Symbol der lichten Wolke.
Und aus der Wolke geschieht nun das Wort des Vaters: "Dies ist mein
lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; ihn sollt ihr hören."
"Jetzt hat Gott es bestätigt, daß die Liebe im Sohn da
ist. Und jetzt hat Gott dem Petrus bedeutet, daß alles auf den Sohn
ankommt, daß der Sohn die Hütte Gottes bei den Menschen ist.
Er ist das Gotteszelt, die Hütte.
Petrus braucht da nichts zu bauen. Die Liebe wohnt unter uns, (zeltete
unter uns, sagt das Joh.Evangelium) in der Gestalt eines Menschen."
Schon einmal, bei der Taufe, kam die Stimme vom Himmel und bestätigte:
"Du bist mein lieber Sohn." Damals war es nur für ihn,
den Sohn, bestimmt.
Hier auf dem Berge redet die Stimme um der Gemeinde willen. Und darum
sind die Jünger dabei, die Vertreter der Gemeinde.
Wir sind das heute, die über den Alltag hochgehoben sind auf die
Höhe des ewigen Sonntags. Und zu uns spricht nun die Stimme:
Der, mit dem ihr unterwegs seid, und der doch für so viele, oft genug
auch für euch selber, nichts als eine blasse oder gar ärgerliche
Gestalt ist, die nicht in eure Welt und eure Zeit passen will -;
der, den ihr darum bald, geschlagen und verhöhnt, am Galgen sterben
sehen werdet-:
DER IST MEIN LIEBER SOHN - hört auf ihn!
Hört auf ihn, wenn ihr wieder in euren Tagen seid, wenn so vieles,
Gutes und Böses, auf euch eindringt und euch verwirrt und in Beschlag
nimmt! -
Das, liebe Gemeinde, ist das
Gebot der Stunde, jeder Stunde, das neue Gebot vom 2. Sinai: "Den
sollt ihr hören!"
Wie aber sollen darob die Jünger nicht zu Tode erschrecken? Zuvor
ist dem Petrus ja schon von Jesus gesagt worden, daß der Menschensohn
leiden und sterben müsse.
Die Fülle der Liebe also in einem zerbrechlichen Leib und einer verletzlichen
Seele!
Die Allmacht Gottes in der Ohnmacht am Kreuz - wer soll das fassen können?!
Wer würde da nicht zu Tode erschrecken?!
Vor allem aber: Nun ist ja der Schutzmantel des himmlischen Lichtes zurückgenommen
in die verborgene Gegenwart Gottes.
Nun ist wieder geschichtliche Zeit.
Nun klafft wieder der Abgrund zwischen dem sündigen Menschen und
dem heiligen Gott.
Und darum fallen die Jünger wie tot zu Boden, da sie die Stimme des
Heiligen hören.
Er aber, Jesus, tritt zu ihnen, rührt sie an und spricht: "Steht
auf und fürchtet euch nicht!"
"Ihn höret!" - hatte Gott, der Vater, aus dem Himmel gesagt.
Und das Erste, was wir zu hören bekommen, ist dies: "Steht auf
und fürchtet euch nicht!"
Ein ganz und gar österliches Wort ist das. So sagte er es zu dem
jungen Mann im Sarg vor den Toren von Nain; so sagte er es zu des Jairus
Töchterlein; so wird er es zu uns sagen, wenn unser Tod an sein Ende
gekommen ist:
"Steht auf, fürchtet euch nicht! Ich bins."
"Da sie aber die Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein."
Das Außergewöhnliche, das, was in unserem gewohnten Denken
keinen Platz hat, ist verschwunden. Die herausgehobene Stunde ist vergangen.
Der 7. Tag ist zu Ende.
Sie steigen wieder vom Berg herab. Unten erwartet sie der Alltag mit seinen
Aufgaben und seinen Anfechtungen.
Menschen warten da, warten auf Hilfe, auf Verständnis, auf Erbarmen.
Und es wartet nun der Weg der Passion.
Aber sie, die am 7. Tag mit Jesus auf dem Berge waren, tragen nun ein
Bild mit sich, das sie begleiten wird auf diesem Weg.
Die Evangelisten haben dieses Bild aufbewahrt, und es ihren Gemeinden
vor Augen gemalt, damit der verherrlichte, der österliche Christus
sich ihnen einprägt und sie ihn nah und tröstlich und stärkend
erfahren, wenn das Martyrium alles andere zu verdrängen droht.
Darum hat Matthäus auch uns heute mit auf den Berg genommen. Denn
auch wir brauchen dieses Bild.
Auch wir brauchen Gegenbilder gegen die Bilder des Schreckens und der
Gewalt im Großen und im Kleinen.
Wir brauchen Bilder, die bestehen können gegen das, was jeder Tag
uns vor Augen führt.
Bilder, die ein Antidot, ein Gegegenmittel, eine Arznei sind gegen die
Bilder äußeren und inneren Elends, wie sie das Fernsehen uns
täglich frei Haus liefert,
Arznei auch gegen die Bilder unserer eigenen Ohnmacht und Armseligkeit.
Mit dem Vorrat unseres Verstandes kommen wir nicht dagegen an, wir wissen
es. Die Bilder sitzen tiefer.
Durch die Risse des Verstandes leuchten die Bilder, die die Angst vertreiben.
Ich brauche das Bild des Cruzifixus, des Gekreuzigten, der um uns ringt,
damit er mich davor bewahrt, über der Not und Ungerechtigkeit der
Welt zu verzweifeln oder in Billigkeiten unterzutauchen und ihm davonzulaufen.
Und ich brauche das Bild des verklärten Christus, um die Gewßheit
und die Hoffnung nicht zu verlieren:
die Gewißheit, daß er es ist, auf den wir warten,
und die Hoffnung auf den Tag, den ewigen Sonntag, an dem die Bitte des
Petrus dann wirklich in Erfüllung gehen wird:
"Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen. Und er wird bei
ihnen wohnen...Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid nicht Geschrei noch Schmerz
wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen."
Gott gebe, liebe Gemeinde, daß wir aus diesem Gottesdienst in die
neuen 6 Tage gehen können mit dem Bild des verklärten Christus
im Herzen und mit dem Wort des lebendigen Gottes:
"Dieser, dieser allein ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen
habe. Den sollt ihr hören -, dem sollt ihr gehören."
Amen
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