Das ökumenische Kirchenasyl
in Tübingen

 
Antwort des Tübinger Ökumenischen Kirchenasyls an Sozialminister Dr. Repnik vom 28.5.2001


Arbeitskreis »Ökumenisches Kirchenasyl«
Ev. Eberhardskirchengemeinde / Kath. St. Michael-Gemeinde
Ev. Bonhoeffergemeinde – Ev. Martinsgemeinde – Ev. Stephanusgemeinde
Ev. Studierendengemeinde (ESG) – Kath. Hochschulgemeinde (KHG)
Ev. Kirchengemeinde Lustnau


Ansprechpartner für den Arbeitskreis:
Pastoralreferent Jörn Hauf
St.Michael
Hechingerstr. 45
72072 Tübingen
07071 / 309213
Diakon Peter Heilemann
Eberhardsgemeinde
Eugenstr.21
72072 Tübingen
07071 / 33622
Pfarrer Dr. Helmut Zwanger
Martinsgemeinde
Frischlinstr. 35
72074 Tübingen
07071 / 23952

Tübingen, 28.05.2001

Herrn Sozialminister des Landes Baden Württemberg 
Dr. Friedhelm Repnik 
Schellingstraße 15
70174 Stuttgart
 

Kirchenasyl der Familie Güler – Ihr Schreiben vom 14.05.01
 

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Repnik,

im Namen des „Ökumenischen Kirchenasyls“ danke ich Ihnen für Ihren höflichen Brief Er gibt uns die Möglichkeit, einige Argumente zur Härtefallregelung vorzubringen.

Die Intention des Rechts ist Gerechtigkeit. Gegenüber der CDU darf ich an ein Zitat von Eberhard Jüngel erinnern:

„Wer aus der uns gegenüber fremden Gerechtigkeit Gottes lebt, wird die eigene irdische Gerechtigkeit auf keinen Fall für sich reserviert wissen wollen. Was das für unseren Umgang mit Ausländern bedeutet, liegt auf der Hand. Und ebenso ist evident, dass wir selber gerade nicht gerecht wären, wenn wir uns mit eklatanten Ungerechtigkeiten in anderen Rechtsgemeinschaften, z.B. mit der Verweigerung von Menschenrechten, abfinden oder gar arrangieren würden.“ (Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, 1998, S. 232)

Die Härtefallregelung geht davon aus, dass es menschliche Schicksale gibt, die trotz allem rechten Bemühen um formale Gerechtigkeit, tragisch bleiben. Dies ist bei der Familie Güler zweifellos der Fall. Deshalb kämpfen wir dagegen an, dass der positive Sinn der Härtefallregelung zu restriktiv eingeengt wird.

Familie Güler ist vor dem 1. Juli 1993 eingereist.
Zu diesem Zeitpunkt war der Sohn Achmed 12 Jahre alt, die Töchter Sultan und Fatma 19 bzw. 20 Jahre. Im Grunde müßte bei minderjährigen Kindern der Zeitpunkt der Einreise zugrundegelegt werden, weil sie – gewollt oder ungewollt – an der Schicksalsentscheidung der Eltern partizipieren.
Es ist unstrittig, dass sich die Familie Güler in überdurchschnittlicher Weise in die soziale und rechtliche Ordnung eingefügt hat. Es gibt darüber genügend Auskünfte.

Auch im Blick auf die wirtschaftliche Einfügung ist der Sachverhalt komplizierter als vielleicht bisher wahrgenommen.
Zum Zeitpunkt des Stichtages (November 1999) hatte Achmed einen Lehrvertrag. Den Töchtern wurde trotz ihres Wollens und Bemühens keine dauerhafte Arbeit zugestanden. („Die Töchter haben keine Arbeit, da sie ihnen seitens des Arbeitsamtes nur aushilfsweise zugestanden wurde.“ Franz Schuhmacher, MdL, 21.05.1999)

Wir haben deshalb den Vorschlag gemacht, Arbeitsplatzzusagen für die Familie Güler einzuholen.

Die Härtefallregelung hat natürlich auch den Sinn, offensichtliche Unabwägbarkeiten bei Einzelschicksalen zu berücksichtigen. Es gibt kein Schwarz-Weiß zwischen „unbegründeten und begründeten Asylbegehren.“
Am Schicksal der Familie Güler läßt sich das bis ins Einzelne nachweisen:
Mustafa Güler war dem Zwang zum Dorfschützer-System ausgesetzt; welche Konsequenzen das haben konnte, hat jüngst das Auswärtige Amt in seinem Dossier bestätigt.

Bei Hatice Güler läßt die Stellungnahme von „Refugio“ erkennen, welche Ursachen zur Posttraumatisierung geführt haben. Vor allem macht die Stellungnahme deutlich, dass Frau Güler aufgrund dieser Traumatisierung zum Zeitpunkt ihres Asylverfahrens nicht aussagefähig war. Sicherlich ist es auch von eigener Plausibilität – auch wenn es formalen Rechtskategorien nicht genügt –, dass der Sohn Ali mit dem selben Familienschicksal und eben auch alle anderen Anverwandten der Familie Güler die Anerkennung erhalten haben; das gibt zumindest zu denken.

Wir schlagen deshalb vor, dass eine kleine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Landesregierung und der evangelischen und katholischen Kirchenleitung den Spielraum der Altfallregelung zugunsten der Familie Güler auslotet.
Ich habe Ihre Anerkennung an den großen Arbeitskreis weitergegeben. Seit fast zehn Monaten stehen zahlreiche Menschen in ehrenamtlicher Arbeit unermüdlich für Familie Güler ein.

Mit freundlichen Grüßen 
i. A..

gez. Dr. Helmut Zwanger

Zur Kenntnis an: 
– die Kirchenleitung der evangelischen Landeskirche 
– die Kirchenleitung der Diözese Rottenburg / Stuttgart 
– Herrn Oberkirchenrat Jens Timm vom Diakonischen Werk Württemberg

 

 

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