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Pressemeldungen
Îm Schwäbischen
Tagblatt vom 30.10.2001, S. 17:
Das Tabu Folter
Tübingerin
beobachtete Prozess in Istanbul
TÜBINGEN (dhe).
Ein Istanbuler Gericht verhandelte vor kurzem zum dritten Mal gegen 18 Frauen
und einen Mann. Sie hatten sexuelle Folter im Polizeigewahrsam öffentlich
kritisiert. Die Tübingerin Sabine Hess war als Prozessbeobachterin dabei.
Den 19 Angeklagten wird Verunglimpfung des türkischen Staates vorgeworfen.
Am dritten Prozess-Termin am 18. Oktober nahm eine Delegation aus Deutschland
teil. Eine der sechs Frauen war Sabine Hess vom Frauenfluchtnetz Tübingen-Stuttgart.
Die Verhandlung wurde nach 45 Minuten abgebrochen; der Prozess zum dritten
Mal vertagt. Der Raum im Strafgericht Beyoglu in Istanbul war brechend voll
mit weiteren Prozessbeobachter(inne)n, berichtete die Doktorandin am Freitag
bei einem Pressegespräch im FIT-Büro (Frauen International Tübingen)
in der Ammergasse.
„Wir hoffen, dass der öffentliche Druck dazu führt, dass der Prozess
eingestellt wird“, sagte Hess. Bisher sieht es danach noch nicht aus. Die
nächste Verhandlung ist am 5. Februar 2002. Dafür werden noch Prozessbeobachterinnen
gesucht. Insgesamt fünf Tage hielten sich die sechs Frauen in der Türkei
auf, wo derzeit insgesamt drei Prozesse gegen türkische Staatsbürger
laufen, die sexuelle Folter im Polizeigewahrsam öffentlich gemacht hatten.
Außerdem informierten
sich die Frauen über die Situation traumatisierter Folteropfer. Sie
besuchten die beiden einzigen Therapiezentren in der Türkei. Sie werden
- ohne staatliche Unterstützung - von der Menschenrechtsstiftung Türkei
. (TIHV) und von der Stiftung für soziale Rechtsstudien (TOHAV) betrieben.
Zudem werden Folteropfer und die sie behandelnden Ärzte unter Druck
gesetzt. Als Folge davon scheuten sich die Mediziner, Folter zu attestieren.
Um so mehr beunruhigt Hess der jüngste Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom Juli dieses Jahres, der knapp attestiere, dass „eine Behandlung
erfolgen“ könne. Diese Einschätzung könne fatale Auswirkungen
auf die Asylgesuche von traumatisierten Flüchtlingen aus der Türkei
in Deutschland haben, sagte Hess im Hinblick auf die seit einem Jahr im Tübinger
Kirchenasyl lebende Hatice Güler. Sie leidet noch immer unter einer
posttraumatischen Belastungsstörung. „Sogar hier in Deutschland kann
den traumatisierten Frauen nicht ausreichend geholfen werden“, folgerte Hess.
„Wie soll gerade das Land, aus dem die Frauen geflohen sind, eine solche
Therapie leisten?“
INFO: Wer beim nächsten Prozess-Termin dabei sein möchte,
kann sich per E-Mail unter der Adresse s.hess@em.uni-frankfurt.de
informieren.
ST 30.10.2001
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