Das ökumenische Kirchenasyl
in Tübingen

Pressemeldungen

Îm Schwäbischen Tagblatt vom 6.11.2001, S. 19:

Menschenkette ums Rathaus
forderte Bleiberecht für Gülers

Endlich ein sicheres Leben für die Familie Güler nach zwölf Jahren Flucht forderte Sabine Hess von der Initiative "Kein Mensch ist illegal" gestern Nachmittag vor dem Tübinger Rathaus. Rund 150 Menschen umringten mit ihr das Gebäude wie eine Kette mit der Aufschrift "Bleiberecht für Gülers". "Ein Jahr und drei Monate Kirchenasyl sind lang genug", sagte Hess. "Wir wollen bald eine Lösung." Der Gemeinderat solle sich beim Stuttgarter Innenministerium für eine humanitäre Lösung einsetzen. Die Stadträte wollten Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer dieses Mandat gestern zwar nicht erteilen. Dennoch wolle sich die Rathauschefin, sagte Stefan Klingbeil von "Kein Mensch ist illegal", in einem Brief ans Innenministerium nochmals für ein Bleiberecht der kurdischen Familie einsetzen. Gerhard Schneider vom Arbeitskreis ökumenisches Kirchenasyl forderte Menschenrechte für alle - nicht nur für Schwaben, Bayern und andere Deutsche, sondern auch für Kurden. Denn die ungewisse Lebensperspektive belaste die Familie immer mehr. "Es geht den Gülers zunehmend schlechter, es geht ihnen wirklich an die Substanz." dhe / Bild: Metz



Rede anlässlich der Menschenkette vor dem Tübinger Rathaus am 5.11.2001

Liebe Freunde und Freundinnen des Tübinger Kirchenasyls!

Im Art. 16 a unseres Grundgesetzes steht ein lapidarer Satz mit vier Worten, der aber in einer Tradition mehrerer Tausend Jahre steht: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Nach den Erfahrungen des Naziregimes und der durch Deutschland ausgelösten weltweiten Flüchtlingskatastrophe mit Millionen von Opfern bedurfte es bei den Urhebern unseres Grundgesetzes bei diesem Thema keiner großen Worte.

Wir waren stolz auf unser Grundgesetz und viele andere Länder fanden es vorbildlich - bis 1993. 1993 wurde das Asylrecht gerade von den Parteien, die sich in ihrem Namen auf die christliche Tradition berufen, gekippt und zur Unwirksamkeit entstellt- unterstützt durch die Sozialdemokraten. Seit 1993 werden jährlich Hunderte von Flüchtlingen grausam und mit vollem Wissen der Behörden abgeschoben nicht zuletzt in Länder, in denen sie Folter und Gefahr für Leib und Leben erwartet. Immer noch werden z.B. Kurden und Kurdinnen bei der Abschiebung in der Türkei sofort verhaftet und in den meisten Fällen gefoltert. Der katholische Pfarrer Edmund Erlemann, einer der herausragenden Gestalten beim Wanderkirchenasyl in NRW sagte in einem Hearing am 10.07.98 in Düsseldorf: "In diesem Punkt ist unser Staat kein Rechtsstaat mehr. Mit Schrecken denke ich daran, dass in unserem Land ... auf legalem Wege sich ein Staat verändert hat und zum Unrechtsstaat geworden ist. ... Die Mächtigen sollen es wissen: Wir stehen zu unserem demokratischen Rechtsstaat. Aber wir lehnen die Praxis der Abschiebungen in unserem Land ab. Ich für meine Person, viele in unserer Gemeinde und viele andere Menschen guten Willens verweigern in diesem Falle unserem Rechtsstaat die Gefolgschaft!" Mit den Worten Erlemanns bekennen wir im Tübinger Ökumenischen Kirchenasyl unsere Position. Wenn unser Staat Menschenrecht und Menschenwürde nicht mehr garantiert und schutzsuchende Menschen in die "Illegalität" treibt, müssen wir der Stimme unseres Gewissens folgen und zu diesem letzten Mittel des "zivilen Ungehorsams", dem "Kirchenasyl" greifen. Es ist ein Rückfall in die Barbarei, Menschen als illegal zu erklären.

Flüchtlingen Schutz zu gewähren, ist eine uralte Praxis der Menschheit. Wenn wir uns beim Kirchenasyl auf unsere christliche Tradition berufen, dann wissen wir in aller Bescheidenheit, dass dies keine christliche Erfindung ist. Es ist von alters her Kennzeichen von humanem Handeln. Die Weisungen der christlichen Kirchen sind aber klar und bestärken uns in unserem Handeln. Wenn sogar die katholische Kirche, die ja nicht gerade im Rufe der Liberalität steht, in ihrem Römischen Katechismus Ziffer 2242 schreibt, dass der Bürger die Gewissenspflicht habe, "die Vorschriften der staatlichen Autoritäten nicht zu befolgen, wenn diese Anordnungen den Forderungen der sittlichen Ordnung, den Grundrechten des Menschen oder den Weisungen des Evangeliums widersprechen", dann beruft sie sich auf viele eindeutige Zeugnisse zugunsten von Flüchtlingen und Fremden im Alten und Neuen Testament. Im Reiche Gottes gibt es keine Illegalen und Ausgegrenzten, weil Gott alle Menschen bedingungslos liebt und alle vor ihm gleich sind.

Wir begannen das Tübinger ökumenische Kirchenasyl vor mehr als drei Jahren - zunächst mit drei Kirchengemeinden und mit 15 Kurden. Mittlerweile sind wir 9 Kirchengemeinden, die der Familie Güler Schutz bieten. Alle kurdischen Flüchtlinge hatten sich in ihrer Not an die Menschenrechtsgruppe "kein mensch ist illegal" gewandt; "kein mensch ist illegal" hatte uns die Flüchtlinge übermittelt und sie unterstützt. Wir sind den Tübinger Mitgliedern von "kein mensch ist illegal" für ihren Mut und ihr Engagement für Flüchtlinge dankbar. Wir sind dankbar für ihr humanes Handeln und ihr Zeugnis. Gemeinsam mit ihnen und - so hoffen wir - auch mit dem Tübinger Gemeinderat treten wir für einen demokratischen Rechtstaat ein, in dem die Würde des Menschen respektiert wird und Menschenrechte ermöglicht werden - für alle, nicht nur für Schwaben, Bayern und andere Deutsche, sondern auch für Kurden.

Gerhard Schneider

 

 

 

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