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Roma locuta - causa finita. - Rom hat gesprochen: Ist die Sache damit erledigt?

Kommentar eines Tübinger Katholiken für seine evangelischen Freundinnen und Freunde

 
 

 

Kirchentreue Katholiken in Tübingen und anderswo wurden unlängst irritiert durch die am 19.3. 2004 von Papst Johannes Paul II. approbierte "Verlautbarung des Apostolischen Stuhls 164: Instruktion Redemptoris Sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligen Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind."

Das Liturgiepapier "Das Sakrament der Erlösung" war schon lange Zeit vorher erwartet und im Gespräch; eine nichtoffizielle Version war ja just zu Zeiten des Ökumenischen Kirchentags in die Presse gelangt. Das approbierte Papier ist aber milder ausgefallen als befürchtet: Die Tübinger Ministrantinnen konnten aufatmen, dass sie weiterhin am Altar dienen dürfen, und Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, konnte in seiner Stellungnahme vom 23.4. erleichtert feststellen, dass dieses Dokument "keine Rückwendung hinter die Erneuerung der Liturgie durch das Zweite Vatikanische Konzil bedeutet". - Diese Erleichterung mag auch der Grund sein, dass nach den ersten Stellungnahmen von kirchlichen Amtspersonen und Verbänden das Papier im ›Kirchenvolk‹ kaum diskutiert wird.

Was aber hat nun Rom in den 8 Kapiteln plus Vorwort, Schlusswort und 295 Fußnoten auf 74 Seiten geschrieben? - Durchaus nichts Neues. Die Instruktion ist eine Zusammenstellung der bisher erlassenen "Normen für eine würdige und mit allen kirchlichen Maßgaben in Einklang stehende Feier der Hl. Messe" (Lehmann). Es geht um die "Teilnahme der christgläubigen Laien an der Feier der Eucharistie" (Instruktion, S. 21ff), es geht um die darauf bezogenen Befugnisse von Klerus und Laien und immer wieder um das gemeinsame würdevolle Feiern der Eucharistie.

Einheit in der Vielfalt?

Einer Weltkirche mit 500 Millionen Katholiken steht es zu, Instruktionen zu verkünden, ja sie muss es sogar tun, um die Einheit zu bewahren. Gerade die Liturgie ist es ja, durch die kirchliche Gemeinschaft entsteht und getragen wird. In dieser Sache muss Rom sprechen. Warum also die Aufregung? - Einheit und Vielfalt sind Begriffe, die auf einander verweisen. Einheit in der Vielfalt ist seit dem Pfingsterlebnis der jungen Kirche für die Christenheit nicht nur beglückende Erfahrung, sondern auch schmerzhaftes Dauerthema der Kirchengeschichte, wenn Einheit scheitert. Einheit ist immer gefährdet, wenn die Vielfalt nicht toleriert wird oder Vielfalt durch individualistische Alleingänge ihren Zusammenhalt verliert. Vor diesem Erfahrungshintergrund hat der Begriff ›katholisch‹ (vom gr. ›katholou‹, ›katholikos‹) seit der alten Kirche auch die Bedeutung von ›umfassend‹, ›sich auf ein (organisches) Ganzes beziehend‹, ›integral‹. Katholizität im modernen Sprachgebrauch muss folglich eine Wesenseigenschaft aller christlichen Kirchen sein. Katholizität ist "Bedingung echter Kirchlichkeit" und "Schlüsselbegriff in der dialogischen Auseinandersetzung des Christentums mit der Vielfalt der theologischen, philosophischen, soziologischen und kulturellen Wirklichkeit" (Hist. Wörterbuch der Philosophie Bd. 4, S. 787). Ist römisch-katholisch nicht katholisch? Warum die Verfasser unserer Instruktion die liturgische Vielfalt davon ausnehmen und die Feier der Eucharistie mit 186 Punkten für die ganze Welt bis ins Detail vereinheitlichen, ist nicht nachvollziehbar. Mit dem Blick auf die Probleme der Globalisierung gewinnen auch in der Kirche die Regionen wieder an Bedeutung - und mit ihnen auch liturgische Vielfalt. Kirche muss mit ihren liturgischen Formen allen Kulturen Heimat bieten, wenn sie der zunehmenden Kirchen-Emigration Einhalt gebieten will.

Instruktion - eine Drohbotschaft?

Kirchliche Sprache ist bekanntlich eine Binnensprache und nicht ohne weiteres jedem Ohr zugänglich. Für Texte aus der Zentrale der römisch-katholischen Kirche gilt das sicher noch mehr, weil sie ja in der Amtssprache Latein verfasst werden und so in ihren Übersetzungen die Eleganz dieser ehrwürdigen Sprache verlieren. Der Ton macht die Musik. Beim Lesen des deutschen Textes jedenfalls fragt man sich, ob es vielleicht nicht besser gewesen wäre, den Text überhaupt nicht oder nur in die Weltsprache Englisch zu übersetzen, die alles geschmeidig abrundet und vereinfacht wie Schlagertexte. Wie auch immer: Der Ton dieser Instruktion schockiert den "christgläubigen Laien", weil er glaubt die Textsorte ›Polizeiverordnung‹ vor sich zu haben. Auf den 74 Seiten muss man 65 mal das Verb ›müssen‹ lesen, 106 mal ›sollen‹, 57 mal das Wort ›Norm‹ und 15 mal ›Autorität‹, 11 mal ›Regelung‹, 5 mal ›Gesetz‹, 35 mal ›Missbrauch‹, 14 mal ›Delikt‹, 7 mal ›Sünde‹, 5 mal ›Strafe‹, 3 mal (streng) ›verboten‹ usw. Das Wort ›Vertrauen‹ sucht man vergeblich - vergeblich auch Formulierungen, die darauf hindeuten, dass die Autoren dieser Verordnung Vertrauen haben auf das Wirken des uns im Evangelium zugesagten Heiligen Geistes im Kirchenvolk. Zwar werden auch Priester gescholten, generell geht aber der Tenor des Misstrauens gegen die Laien, der in den Formulierungen immer wieder deutlich vom Weihestand abgehobenen Gruppe. Die Laien, die bösen Buben und Männer, - so kann man mit Humor herauslesen - machen alles falsch und begehen "delicta". Mädchen und Frauen scheint es in der Kirche und folge dessen in der Liturgie nicht zu geben. Sie kommen in der ganzen Instruktion nämlich nur einmal vor und zwar im Punkt 47, wo es um Kinder und Jugendliche geht, "die gewöhnlich Ministranten genannt werden". Dass darunter aber gar keine weiblichen Wesen verstanden werden, wird aus dem Hinweis verständlich, "dass aus der Zahl dieser Kinder im Laufe der Jahrhunderte eine große Schar geistlicher Amtsträger hervorgegangen ist." Dennoch haben Ministrantinnen am Ende eine Feigenblattfunktion: Es können nach "dem Urteil des Diözesanbischofs und unter Beachtung der festgesetzten Normen ... zu diesem Altardienst Mädchen oder Frauen zugelassen werden." - Die Instruktion ›Das Sakrament der Erlösung‹ belehrt, stößt vor den Kopf, schilt, reglementiert, verbietet und setzt mit der Aufforderung zur Denunziation (Punkte 179 und 184) ein Klima der Angst: Sie ist eine Drohbotschaft. Zuwiderhandlungen werden mit dem Ausschluss bestraft, dem Inbegriff nicht-jesuanischen Handelns und Gegenbegriff von Erlösung. Ausgeschlossen von der Eucharistie, dem Sakrament der Erlösung, werden von vorneherein nicht-katholische (getaufte!) Christen (Pkt. 85).

Sprache des guten Hirten?

Mit welcher Sprache spricht hier Rom, wenn es um die Eucharistie geht? Ist es die Sprache Jesu, der liebevoll Mahlgemeinschaft mit Sündern hielt und den Zorn der Pharisäer auf sich lud, weil er ihnen kleinkarierten und lügnerischen Legalismus vorwarf und eben jene Sprache des Gesetzes verabscheute? Wenn man in Punkt 70 der Instruktion liest, in der Eucharistie leuchte "in höchstem Maß jenes Mysterium der Liebe auf, das Jesus Christus während des Letzten Abendmahles offenbarte, als er den Jüngern die Füße gewaschen hat", fragt man als engagierter Christ verzweifelt, wie dann ein Text zum würdigen Umgang mit der Eucharistie entstehen kann, der dem Vorbild und der Sprache Jesu gänzlich widerspricht. Die programmatische Ankündigung zu Beginn (Pkt. 5), die Instruktion "möchte zu jener Übereinstimmung unserer Gesinnung mit der Gesinnung Christi hinführen, die in den Worten und Riten der Liturgie zum Ausdruck kommt", lässt den christgläubigen Leser in Verwirrung zurück. Der Verdacht, dass die Autoren des Papiers in angstbesetzter Verantwortung für ihr Amt und für die Kirche zu nicht-jesuanischen Mitteln griffen, bohrt sich fest. Erziehung, die mit inhumanen Mitteln vollzogen wird, nennt man ›schwarze Pädagogik‹. Sie ist keine Pädagogik. Christliche Seelsorge mit Mitteln, die dem Vorbild Jesu widersprechen, ist keine Seelsorge und widerspricht sich selbst. Es ist nicht die Sprache des Guten Hirten, auch wenn sie Rom spricht.

Der Geist weht wo er will !

Vom Kirchenvater Augustinus stammt unser vielzitierter Satz: "Roma locuta, causa finita" (Sermones 131,10). "Rom hat gesprochen, der Fall ist beendet." Die Geschichte des Christentums lehrt uns dazu freilich anderes und macht Hoffnung. Der Geist weht, wo er will, und lässt sich nicht unterdrücken. Seit fast 2000 Jahren ist es Papieren aus kirchlichen Amtsstuben nicht gelungen, den jesuanischen Geist der Liebe und der Freiheit zu vertreiben. Er hat Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverfolgung, Antijudaismus, Intoleranz, christliche Religionskriege, Nationalismus und Rassismus überwunden. Wer in der Tübinger Südstadt oder anderswo Ökumene erlebt hat, kann gelassener reagieren. Auch in Zeiten fundamentalistischer Bewegungen und globalisierter Gleichschaltung wird dieser Geist regional und global weiterleben. - "Ama et fac quod vis" - "Liebe und tu, was du willst!" heißt ein anderer bekannter Satz des Augustinus. Vielleicht sollten wir darüber mehr reden.

Gerhard Schneider


Die Instruktion "Das Sakrament der Erlösung" kann kostenlos bestellt werden bei: Deutsche Bischofskonferenz, Bonner Talweg 177, 53129 Bonn, Tel. 0228/1030.
Der vollständige Text der Instruktion steht im Internet unter
http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccdds/documents/rc_con_ccdds_doc_20040423_redemptionis-sacramentum_ge.html


In: Kirche in der Stadt. Zeitung für die evangelische Gesamtkirchengemeinde Tübingen - August-Oktober 2004, S. 4-5.

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